Kategorien
Musik

Alben des Jahres 2011

Schnell auf „Pau­se“ gedrückt, noch ein­mal kurz zurück­ge­guckt und dann beschlos­sen, dass ich jetzt die defi­ni­ti­ve Lis­te mei­ner Lieb­lings­al­ben 2011 (Stand: 23. Dezem­ber, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plät­ze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könn­ten auch eine ganz ande­re Rei­hen­fol­ge haben, die Plät­ze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gera­de als der Ein­druck ent­stand, dass Wal­ter Schrei­fels end­gül­tig den Über­blick ver­lie­ren könn­te über all sei­ne Bands und Pro­jek­te, besann sich das Hard­core-Urge­stein auf sei­ne Band Rival Schools, mit der er vor immer­hin zehn Jah­ren mal ein Album auf­ge­nom­men hat­te. „Pedals“ reicht nicht an „United By Fate“ her­an, ist aber ein erfri­schend leben­di­ges Rock­al­bum für Men­schen, die sich unter „Rock“ dann doch noch etwas ande­res vor­stel­len als Nickel­back oder Sun­ri­se Ave­nue.

24. Foo Figh­ters – Was­ting Light
Leu­te, irgend­was stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Wal­ter Schrei­fels auch) 42 Jah­re alt, was im Rock­busi­ness frü­her mal 90 Jah­ren im Schla­ger­ge­schäft ent­sprach. Und doch müs­sen die­se ver­dien­ten „alten“ Her­ren der Jugend zei­gen, wie man ordent­li­che Rock­mu­sik macht? Den Foo Figh­ters kann man jeden­falls nichts vor­wer­fen, außer, dass sie sich ein biss­chen aufs busi­ness as usu­al ver­legt haben. Aber dann hau­en die so Din­ger wie „Rope“, „White Limo“ und ganz am Ende „Walk“ raus und der Nach­wuchs steht irgend­wo in der Gegend rum und guckt betre­ten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ers­ten eige­nen Woh­nung von den Eltern die Ikea-Rega­le auf­bau­en las­sen muss!

23. Oh, Napo­le­on – Year­book
Was habe ich auf die­ses Album gewar­tet! Vor zwei Jah­ren. Doch bis Uni­ver­sal das Debüt end­lich auf den Markt gebracht hat­te, war der Span­nungs­bo­gen in sich zusam­men­ge­fal­len, und dann waren die bes­ten Songs aus­ge­rech­net die, die schon vor zwei Jah­ren auf der selbst­be­ti­tel­ten EP ent­hal­ten waren. Doch von die­sen (klei­nen) Ent­täu­schun­gen ab ist „Year­book“ ein wun­der­ba­res Pop­al­bum gewor­den. „To Have /​ To Lose“ und „A Book Ending“ haben nichts von ihrer erha­be­nen Schön­heit ein­ge­büßt und mit „Save Me“, „I Don’t Mind“ oder „Pick Some Roses“ sind auch genug Per­len unter den „neu­en“ Songs (die die Band seit Jah­ren live spielt). Deutsch­lands bes­te Nach­wuchs­bands kom­men halt nach wie vor vom Nie­der­rhein, aber eine Fra­ge hät­te ich noch: War­um läuft so schö­ne Musik nicht im Radio?

22. The Wom­bats – This Modern Glitch
„Tokyo (Vam­pi­res & Wol­ves)“, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweit­werk der Wom­bats, war eine ver­dammt gro­ße Ansa­ge und mein Song des Jah­res 2010. „This Modern Glitch“ löst das Ver­spre­chen der Sin­gle weit­ge­hend ein: Cle­ve­rer Indie­rock mit viel Gele­gen­heit zum Mit­sin­gen und ‑tan­zen, der sich dank aus­ufern­dem Syn­thie-Ein­satz vom schlich­ten Jungs-mit-wil­den-Haa­ren-schau­keln-ihre-Gitar­ren-im-Ach­tel­takt-Gedöns abhebt.

21. The Decem­be­rists – The King Is Dead
Autos, die auf end­lo­sen stau­bi­gen ame­ri­ka­ni­schen High­ways Rich­tung Son­nen­un­ter­gang brau­sen. Jetzt haben Sie zumin­dest ein Bild von den Bil­dern, die „The King Is Dead“ in mir beim Hören aus­löst. Recht coun­try­las­tig ist es gewor­den, das sechs­te Album der Band um Colin Meloy, aber fern­ab des schreck­li­chen Kom­merz-Radio-Coun­try und fern­ab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt ent­schul­di­gen, ich geh grad mei­nen LKW-Füh­rer­schein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neun­zi­ger sind zurück und mit ihnen die Shoe­ga­ze-Bands mit unschein­ba­ren Front­män­nern und Jeans­hem­den. „Yuck“ ent­hält zwölf char­man­te Pop­songs, die sich ein biss­chen hin­ter ver­zerr­ten Gitar­ren ver­ste­cken, und sich des­halb viel­leicht nicht immer sofort ent­fal­ten.

19. Fink – Per­fect Dark­ness
Ich habe nie eine Lis­te im Kopf gehabt, was wohl die bes­ten Kon­zer­te gewe­sen sein könn­ten, die ich in mei­nem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Okto­ber in der Bochu­mer Zeche gese­hen und war mir sicher, dass er es gera­de min­des­tens in die bis­her nicht vor­han­de­ne Top 5 geschafft hat­te. Was für ein kla­rer Sound, was für gran­dio­se Songs, wie per­fekt dar­ge­bo­ten von Fin Green­all und sei­ner Band. Ich habe „Per­fect Dark­ness“ viel zu sel­ten gehört, weil es mir von der Stim­mung her meis­tens nicht pass­te, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Man­ne­quin – Peo­p­le And Things
„The Glass Pas­sen­ger“, das zwei­te Album von Jack’s Man­ne­quin, war für mich per­sön­lich das wich­tigs­te Album der letz­ten fünf Jah­re, viel­leicht habe ich in mei­nem gan­zen Leben kein Album so oft gehört wie die­ses. Der Nach­fol­ger muss­te also gegen schier über­mensch­li­che Erwar­tun­gen ankämp­fen und konn­te nur ver­lie­ren. Tat­säch­lich waren die ers­ten fünf, sechs Durch­gän­ge eine Ent­täu­schung, ich war schon kurz davor, „Peo­p­le And Things“ ein­fach im Regal ver­schwin­den zu las­sen. Aber so lang­sam habe ich mich dann doch in die Songs rein­ge­hört. Sie sind zwar ins­ge­samt schon arg glatt gera­ten, aber ich kann Andrew McMa­hon ein­fach nicht wider­ste­hen, wenn er von den Her­aus­for­de­run­gen und Rück­schlä­gen des Lebens singt, die es zu meis­tern und zu über­win­den gilt. Das kann man alles ganz, ganz schreck­lich fin­den, aber ich fin­de es wun­der­bar.

17. Delay Trees – Delay Trees
„Kun­den, denen Band Of Hor­ses gefiel, kauf­ten auch Delay Trees“. Steht da merk­wür­di­ger­wei­se nicht, wür­de aber stim­men. Ich ken­ne das Debüt der fin­ni­schen Indie­band erst seit weni­gen Wochen, des­we­gen bin ich womög­lich ein biss­chen zu vor­sich­tig mit mei­nem Lob, aber allein der Ope­ner „Gold“ ist mit sei­ner ste­ti­gen Stei­ge­rung ein wah­res Meis­ter­werk. Die­se Mischung aus Melan­cho­lie und Eupho­rie hält an und lässt das gan­ze Album klin­gen wie den Sound­track zu dem Moment, in dem man sich nach einer durch­fei­er­ten Nacht und nach Son­nen­auf­gang ins Bett fal­len lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manch­mal ist die Musik­welt schon rät­sel­haft: Wäh­rend die Kings Of Leon inzwi­schen rie­si­ge Are­nen fül­len, tre­ten die Cold War Kids nach wie vor in klei­nen Clubs auf. Dafür haben sie kei­nen Song über sexu­ell über­trag­ba­re Krank­hei­ten, der dank Dau­er­pe­ne­tra­ti­on in Clubs, Radi­os und Fuß­ball­sta­di­en inzwi­schen unhör­bar gewor­den ist, son­dern leicht ange­schmutz­te Rock­hym­nen wie den Titel­song oder „Lou­der Than Ever“.

15. R.E.M. – Col­lap­se Into Now
Das war es dann also, das letz­te Album die­ser leben­den Legen­den aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vor­bei, um ihre Auf­war­tung zu machen: Pat­ti Smith und Len­ny Kaye, Eddie Ved­der, Pea­ches und Joel Gibb von den Hid­den Came­ras. Es war ein wür­de­vol­ler Abschied, der nur einen Nach­teil hat­te: „Col­lap­se Into Now“ war bereits das fünf­zehn­te Album einer Band, die so vie­le Klas­si­ker geschaf­fen hat­te, dass jeder neue Song ein biss­chen sinn­los und unnö­tig wirk­te. Aber, mein Gott: Das ist Jam­mern auf aller­höchs­tem Niveau.

14. Jupi­ter Jones – Jupi­ter Jones
Kei­ner Band der Welt hab ich ihren spä­ten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupi­ter Jones: Jah­re­lang hat sich die Trup­pe den Arsch abge­spielt, jetzt dür­fen sie end­lich den Lohn der Arbeit ein­fah­ren. Dass nach „Still“, im Früh­jahr die meist­ge­spiel­te deutsch­spra­chi­ge Sin­gle im Radio, jetzt auch Revol­ver­held-Hörer zu Hun­der­ten in die Kon­zer­te strö­men, ist völ­lig okay: Ers­tens ist das ein­fach ein groß­ar­ti­ger Song und zwei­tens ent­schä­digt die Fas­sungs­lo­sig­keit, die sich ein­stellt, wenn Jupi­ter Jones Songs aus ihrem Punk-Früh­werk aus­pa­cken, für alles. Den höhe­ren Preis eines erfolg­rei­chen Major-Acts muss die Band im Janu­ar zah­len, wenn „Jupi­ter Jones“ als „Delu­xe Edi­ti­on“ erneut auf den Markt geschmis­sen wird.

13. Dra­ke – Take Care
Es ist ein biss­chen trau­rig, dass in Rezen­sio­nen immer wie­der dar­auf hin­ge­wie­sen wer­den muss, dass es auch intel­li­gen­ten Hip-Hop gibt – zumal das dann gleich an den lang­wei­li­gen deut­schen „Stu­den­ten­rap“ erin­nert. Las­sen Sie es mich also so sagen: „Take Care“ ist ein sehr lan­ges, sehr zurück­ge­lehn­tes Album, das so unge­fähr das Gegen­teil von all dem Protz- und Blingbling-Rap dar­stellt, den man sonst (mut­maß­lich) im Musik­fern­se­hen sieht. Wenn Dra­ke über „bit­ches“ und sex („four times this week“) rappt, dann selbst­re­fle­xiv und ‑kri­tisch. Das Album ist ein acht­zig­mi­nü­ti­ger Emo-Kater, nach dem man alles wer­den möch­te, nur nicht erfolg­rei­cher Rap­per. Ande­rer­seits: Wenn dabei so gran­dio­se Musik her­um­kommt …

12. The Low Anthem – Smart Fle­sh
Beim Hald­ern 2010 stand ich mit offe­nem Mund im Spie­gel­zelt und konn­te mich nicht ent­schei­den, ob ich jetzt Gän­se­haut krie­gen, los­heu­len oder vor lau­ter Schön­heit ein­fach tot umfal­len soll­te. 2011 spiel­ten The Low Anthem dann auf der gro­ßen Büh­ne, aber das Publi­kum war fast stil­ler als im letz­ten Jahr. Was für ein berüh­ren­des, groß­ar­ti­ges Folk-Album!

11. The Moun­tain Goats – All Eter­nals Deck
Über Jah­re waren die Moun­tain Goats immer nur via Rock­ma­ga­zin-Sam­pler am Ran­de mei­ner Wahr­neh­mung auf­ge­taucht, bis mir eine Freun­din die­ses Jahr (genau genom­men: vor zwei Wochen) „Never Quite Free“ vor­spiel­te. Nach­dem ich den Song etwa zwei Dut­zend Mal auf You­Tube gehört hat­te, woll­te ich mehr und „All Eter­nals Deck“ hält viel davon bereit: Vom hin­ge­rotz­ten „Estate Sale Sign“ bis zu dunk­len Bal­la­den wie „The Age Of Kings“. Und natür­lich immer wie­der „Never Quite Free“.

10. Ade­le – 21
Über Wochen hat­te ich „Rol­ling In The Deep“ im Radio gehört und für „ganz gut“ befun­den, dann stand ich wäh­rend der Pro­ben zur Echo-Ver­lei­hung irgend­wo hin­ter der Büh­ne, guck­te auf einen der Kon­troll­mo­ni­to­re und dach­te „Wow!“ Trotz­dem brauch­te es noch acht Mona­te und gefühl­te zwan­zig Sin­gle­aus­kopp­lun­gen, bis ich mir „21“ end­lich gekauft habe. Was für ein tol­les Album das ist und wie unka­putt­bar die Songs selbst bei maxi­ma­ler Radio­ro­ta­ti­on sind! Mit Unter­stüt­zung von unter ande­rem Rick Rubin und Dan Wil­son (Semiso­nic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaf­fen, das sicher in eini­gen Jah­ren als Klas­si­ker gel­ten wird. Und wer „Someone Like You“ unge­rührt über­steht, soll­te viel­leicht mal beim Arzt fest­stel­len las­sen, ob er nicht viel­leicht einen Eis­klotz im Brust­korb spa­zie­ren trägt.

9. Noah And The Wha­le – Last Night On Earth
Noah And The Wha­le waren für mich so eine typi­sche Hald­ern-Band: Hun­dert­mal auf Pla­ka­ten und im Pro­gramm­heft gele­sen, aber nie bewusst gese­hen. Dann habe ich „L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.“ gehört, die­ses eben­so dreis­te wie gelun­ge­ne Bei­na­he-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makel­lo­ser Indiepop mit schö­nen Melo­dien und durch­dach­ten Arran­ge­ments, der irgend­wie direkt in die Eupho­rie­steue­rung mei­nes Gehirns ein­greift.

8. Exam­p­le – Play­ing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dub­step, Indie – alles, was heut­zu­ta­ge mehr oder weni­ger ange­sagt ist, ist in der Musik von Elli­ot Glea­ve ali­as Exam­p­le ent­hal­ten. Vom stamp­fen­den „Chan­ged The Way You Kissed Me“, das jedem Auto­scoo­ter gut zu Gesicht stün­de, über das fast brit­pop­pi­ge „Micro­pho­ne“ bis hin zum dra­ma­ti­schen „Lying To Yours­elf“: Exam­p­le rappt und singt sich durch die ver­schie­dens­ten Sti­le und schafft damit ein abwechs­lungs­rei­ches, aber in sich völ­lig schlüs­si­ges Album, das irgend­wie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möch­te.

7. Cold­play – Mylo Xylo­to
Es scheint unter Jour­na­lis­ten und ande­ren Indi­en­a­zis inzwi­schen zum guten Ton zu gehö­ren, Cold­play schei­ße zu fin­den. „Iiiih, sie sind erfolg­reich, ihre Kon­zer­te machen Band und Publi­kum Spaß und über­haupt: Ist das nicht U2?“, lau­tet der Tenor und tat­säch­lich kann ich vie­le Kri­tik­punk­te ver­ste­hen, aber nicht nach­voll­zie­hen. Auf „Mylo Xylo­to“ sind Cold­play so unge­stüm unter­wegs wie noch nie, ihre Songs sind über­dreht und uplif­ting und zwi­schen­durch schlie­ßen sie mit ruhi­gen Akus­tik­num­mern den Kreis zu ihrem ers­ten Album „Parach­u­tes“ aus dem Jahr 2000. Seit „A Rush Of Blood To The Head“ hat mich kein Album von Cold­play mehr so begeis­tert und womög­lich sind die vier Eng­län­der tat­säch­lich die letz­te gro­ße Band. Kaum eine ande­re Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu ver­än­dern und sich doch immer treu zu blei­ben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Chris­ten­sen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihan­na sin­gen, dann ist das so kon­se­quent zu Ende gedach­te Pop­mu­sik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hin­be­kommt. Und wenn das jetzt alle hören, soll­te man das fei­ern – es gibt ja nun wirk­lich Schlim­me­res.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So rich­tig hohe Erwar­tun­gen hat­te wohl nie­mand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Con­nor Obersts letz­te Lebens­zei­chen gewe­sen. Und dann kommt er ein­fach und haut ein Indierock­al­bum raus, zu dem man sogar tan­zen kann. Gut: Die Pas­sa­gen mit gespro­che­nem Text und Welt­raums­ounds muss man natür­lich aus­hal­ten, aber dafür bekommt man ein merk­wür­dig opti­mis­ti­sches Gesamt­werk und mit „Shell Games“ einen fast per­fek­ten Pop­song.

5. James Bla­ke – James Bla­ke
Nie in mei­nem Leben habe ich hef­ti­ge­re Bäs­se in mei­nem Kör­per vibrie­ren spü­ren als bei James Blakes Auf­tritt auf dem Hald­ern Pop. Es reg­ne­te leicht und die­se Sin­ger/­Song­wri­ter-Post-Dub­step-Songs zogen über das Publi­kum wie sehr gefähr­li­che Gewit­ter­wol­ken. Die­se düs­te­re und anstren­gen­de Musik ist nicht für die Beschal­lung von Din­ner­par­tys geeig­net, aber sie ist ver­dammt bril­lant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neun­zi­ger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoe­ga­ze-Erfolgs­re­zept von vor zwei Jah­ren um mini­ma­le Grunge-Ein­spreng­sel erwei­tert. Das ist auf Plat­te eben­so schön wie live und beglei­tet mich jetzt seit Mai.

3. Jona­than Jere­mi­ah – A Soli­ta­ry Man
Auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val war ich so weit, dass ich dem nächs­ten Jun­gen mit Akus­tik­gi­tar­re sel­bi­ge über den Schä­del zie­hen woll­te. Dann hör­te ich „Hap­pi­ness“ von Jona­than Jere­mi­ah im Radio und war begeis­tert. Der Mann packt die See­le zurück in Soul – und alles Ande­re hab ich ja schon im August geschrie­ben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Jun­ge mit Gitar­re! Ed Sheeran war wäh­rend mei­nes Schott­land-Urlaubs im Sep­tem­ber das Hype-The­ma auf der Insel und er ist so etwas wie das feh­len­de Bin­de­glied zwi­schen Dami­en Rice und Jason Mraz, zwi­schen Get Cape. Wear Cape. Fly und Niz­lo­pi. Die ruhi­gen Songs sind erschre­ckend anrüh­rend, ohne jemals Gefahr zu lau­fen, kit­schig zu wer­den, und bei den schnel­le­ren Stü­cken kann der 21-Jäh­ri­ge (fuck it, I’m old) bewei­sen, dass er genau­so gut rap­pen wie sin­gen kann. „+“ ist ein phan­tas­ti­sches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutsch­land kommt es im neu­en Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Jun­ge mit Gitar­re. Und noch zwei Gitar­ren. Und ein Bass. Syn­the­si­zer. Eine Blä­ser­sek­ti­on. Und nicht einer, son­dern gleich zwei Schlag­zeu­ger. Jus­tin Ver­non hat gut dar­an getan, sei­ne als Ein-Mann-Pro­jekt gestar­te­te Band zur Big­band aus­zu­bau­en, und einen deut­lich opu­len­te­ren Sound zu wäh­len als bei „For Emma, Fore­ver Ago“. So las­sen sich Debüt und Zweit­werk kaum ver­glei­chen und „Bon Iver“ kann ganz für sich selbst ste­hen mit sei­nen Tracks, die teil­wei­se eher Klang­räu­me sind als Songs, und die trotz­dem ganz natür­lich und kein Stück kal­ku­liert wir­ken. Vom anfäng­li­chen Zir­pen des Ope­ners „Perth“ bis zu den letz­ten Echos des viel dis­ku­tier­ten Schluss­songs „Beth/​Rest“ ist „Bon Iver“ ein Meis­ter­werk, an dem 2011 nichts und nie­mand vor­bei­kam.

Hin­weis: Bit­te hal­ten Sie sich beim Kom­men­tie­ren an die Regeln.

Kategorien
Musik

Wenn es passiert

Ja, das mit den Pod­casts hat nicht geklappt. Das Mikro­fon lief nur am HTC-Smart­phone, aber da funk­tio­nier­te die zuge­hö­ri­ge App plötz­lich nicht mehr. Das tat sie zwar auf dem iPod touch, aber der wei­ger­te sich, das Mikro anzu­er­ken­nen. Die Zukunft liegt im CB-Funk, sag ich Ihnen. Egal …

Jeden­falls hab ich jetzt von jedem Act, den ich gese­hen hab, ein ein­mi­nü­ti­ges Video gedreht, das Sie hier zu sehen bekom­men.

Fes­ti­vals sind wie „Lethal Weapon“-Filme: Das Per­so­nal ist weit­ge­hend gleich, die ein­zel­nen Ver­satz­stü­cke sind bekannt und alle paar Minu­ten sagt jemand, er sei zu alt für die­sen Scheiß. Es flie­gen nur weni­ger Din­ge in die Luft und es wer­den weni­ger Leu­te von Surf­bret­tern ent­haup­tet.

Die wich­tigs­te Nach­richt noch zu Beginn: Das Tra­gen von Jeans­hem­den ist in Deutsch­land offen­bar wie­der straf­frei mög­lich. Ver­mut­lich hat die Bun­des­re­gie­rung ver­schla­fen, das ent­spre­chen­de Gesetz zu ver­län­gern und jetzt haben wir alle den Salat. Schön ist das nicht!

Und nun: Musik!

Yuck

In Hald­ern steht ein Spie­gel­zelt und ich has­se es – wenn ich nicht rein­kom­me. Vor des­sen Ein­lass hat sich eine meh­re­re hun­dert Meter lan­ge Schlan­ge gebil­det, in denen die Men­schen fried­lich und in Zwei­er­rei­hen dar­auf war­ten, noch hin­ein­ge­las­sen zu wer­den. Eini­ger­ma­ßen ver­geb­lich, wie ihnen selbst klar sein muss. Aber die Kon­zer­te von drin­nen wer­den nach drau­ßen in den Bier­gar­ten über­tra­gen und so kön­nen wir alle Yuck aus Lon­don sehen und hören, die neue Shoe­ga­ze-Sen­sa­ti­on. Der ange­nehm schram­me­li­ge Sound ihres selbst­be­ti­tel­ten Debüt­al­bums kommt auch live schön rüber und das Jeans­hemd darf der Sän­ger (der in jedem Bob-Dylan-Bio­pic die Ide­al­be­set­zung wäre) ja wie­der tra­gen.

Julia Mar­cell

Mit ihrer durch­sich­ti­gen Blu­se bringt Julia Mar­cell ein biss­chen ESC-Atmo­sphä­re aufs Hald­ern. Viel­leicht ist es aber auch nur ein Regen­cape, sowas tra­gen hier drau­ßen grad alle. Musi­ka­lisch wäre das stel­len­wei­se auch beim Songcon­test denk­bar, aber mit die­sen Björk-Anlei­hen käme Polen ver­mut­lich nicht ins Fina­le. Julia Mar­cells neu­es Album erscheint auf Hald­ern Pop Recor­dings, das Pro­gramm­heft spricht von „Opu­lenz“, was es wohl ganz gut trifft.

The Avett Brot­hers

Das könn­ten vom Publi­kums­zu­spruch her die nächs­ten Mum­ford & Sons wer­den – nur, dass die Avett Brot­hers schon viel län­ger dabei sind und (zumin­dest zum Teil) wirk­lich Brü­der sind. Bei den dies­jäh­ri­gen Gram­mys haben sie gemein­sam mit Mum­ford & Sons und Bob Dylan per­formt und damit ist ja wohl alles gesagt. Ihr fol­ki­ger Rock mit Blue­grass- und Punk­ein­flüs­sen kommt super an, die Men­schen tan­zen auch drau­ßen im Nie­sel­re­gen, nur der Sound ist lei­der sehr schlecht.

Kategorien
Musik

Die Musik von hier nach dort

Drei Mona­te des Jah­res sind schon wie­der um (oder „ein Quar­tal“, wie regel­mä­ßi­ge Arzt­be­su­cher sagen) und wir haben fast nichts über Musik geschrie­ben. Nach­dem der geplan­te Pod­cast zu aktu­el­len Neu­erschei­nun­gen wegen aku­ten Irr­sinns büro­kra­ti­scher Hür­den auch nicht aus den Puschen kommt, dach­te ich mir: Schnell mal irgend­was auf­schrei­ben, bevor ich völ­lig den Über­blick ver­lie­re.

Der Pop­song des Jah­res kommt, wenn in den ver­blei­ben­den neun Mona­ten nicht noch ein Wun­der geschieht, von einer Band, die bis­her eher nicht so durch Pop­songs auf­ge­fal­len war. Aber „Shell Games“ von Bright Eyes ist ein­fach ein Meis­ter­werk von einem Song. Das dazu­ge­hö­ri­ge Album „The People’s Key“ ist dann gleich noch das bes­te Album der Band seit sechs Jah­ren. Womit wir direkt bei R.E.M. wären, die mit „Col­lap­se Into Now“ mal eben ihr bes­tes Album seit 15 Jah­ren ver­öf­fent­licht haben – das mit „Über­lin“ einen der bes­ten Songs ihrer inzwi­schen mehr als drei­ßig­jäh­ri­gen Kar­rie­re ent­hält.

Das Jahr hat aber bis­her auch eini­ge sehr gute New­co­mer zu bie­ten: Über James Bla­ke ist womög­lich schon alles gesagt. Im Gegen­satz zu Radio­head, die wohl auch ein neu­es Album ver­öf­fent­licht haben, inter­es­sie­ren mich die fla­ckern­den Beats und die ent­rück­te Stim­me von James Bla­ke – und sie gefal­len mir. Ein biss­chen, wie wenn Bon Iver auf The Pos­tal Ser­vice trifft. Deut­lich ein­gän­gi­ger sind die Debüt­al­ben von The Naked And Famous und Neon Trees: Ich hät­te auch nicht gedacht, dass ich mich noch mal für neue Indie-Bands inter­es­sie­ren wür­de, aber die­se bei­den Alben gefal­len mir tat­säch­lich. Wohl auch, weil so vie­le Syn­the­si­zer und Key­boards zum Ein­satz kom­men und ver­gleichs­wei­se weni­ge Gitar­ren­riffs über Ach­tel­beats.

Die Cold War Kids hat­te ich seit ihrem Debüt vor vier Jah­ren aus den Augen ver­lo­ren, aber ihr drit­tes Album „Mine Is Yours“ klingt eh ganz anders als damals: Auch wie­der deut­lich mehr nach Kil­lers und ins­ge­samt deut­lich run­der. The Low Anthem hin­ge­gen schlie­ßen direkt an ihr fan­tas­ti­sches Debüt an und zau­bern mit „Smart Fle­sh“ Folk­mu­sik, die einen zudeckt wie eine wei­che Woll­de­cke. Schön zu lesen, dass die Band die­ses Jahr direkt wie­der auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val spie­len wird, wo sie mich letz­tes Jahr schon völ­lig begeis­tert zurück­ge­las­sen hat.

Neun Jah­re nach ihrem Debüt hat Wal­ter Schrei­fels die Rival Schools wie­der zum Leben erweckt. Ein zwei­tes „Used For Glue“ fehlt auch auf „Pedals“ und ins­ge­samt klingt das Album ein wenig nach ange­zo­ge­ner Hand­brem­se (oder wahl­wei­se ange­grau­tem Haupt­haar), aber schön ist die Plat­te den­noch gewor­den – man soll­te sie nur nicht direkt mit dem Früh­werk des Herrn Schrei­fels ver­glei­chen. Auch die White Lies haben mit „Ritu­al“ kein Meis­ter­werk geschaf­fen, aber ein grund­so­li­des Album mit Acht­zi­ger-Jah­re-ange­hauch­tem Düs­ter­pop, das mit „Big­ger Than Us“ eine sehr, sehr gelun­ge­ne Sin­gle ent­hält.

Wei­te­re tol­le Sin­gles, bei denen ich die Alben noch nicht gehört habe: „Milk And Honey“ von den Beat­steaks, „Post Break-Up Sex“ von The Vac­ci­nes (sen­sa­tio­nell doo­fer Text, aber dadurch womög­lich um so beein­dru­cken­de­rer Song) und tat­säch­lich dann auch irgend­wann „Rol­ling In The Deep“ von Ade­le, mit der ich sonst so gar nichts anfan­gen kann.

Heu­te dann hör­te ich tat­säch­lich zum ers­ten Mal Jupi­ter Jones im Radio – und das gleich auf WDR2. Es könn­te am Major-Deal lie­gen oder dar­an, dass „Still“ ein­fach ein wahn­sin­nig guter, anrüh­ren­der Song ist. Das dazu­ge­hö­ri­ge, vier­te Album der Band, das ein­fach nur „Jupi­ter Jones“ heißt, ist ihr bes­tes seit dem Debüt. Zwar klingt die Plat­te an eini­gen Stel­len, als hät­te Sän­ger Nicho­las Mül­ler ein­fach nur über bereits fer­ti­ge Bän­der von Biffy Cly­ro gesun­gen, aber das ist ja nicht die schlech­tes­te Aus­gangs­la­ge. Und wer Songs wie „Ber­lin“, „Alter Mann wo willst Du hin“, „Hey! Mene­te­kel“ und „Immer­FürIm­mer“ auf der Haben­sei­te hat, der hat offen­bar sowie­so wenig falsch gemacht. Wenn Sell-Out immer so klin­gen wür­de, soll­ten ruhig alle Bands bei gro­ßen Plat­ten­fir­men unter­schrei­ben.

Womit wir nicht zwin­gend bei Thea Gilm­o­re wären: Die Frau hat, obwohl erst 31 Jah­re alt, mit „Murphy’s Heart“ gera­de ihr elf­tes Album ver­öf­fent­licht, was mir womög­lich völ­lig ent­gan­gen wäre, wenn im Plat­ten­la­den mei­nes Ver­trau­ens nicht ein Label-Sam­pler gelau­fen wäre, auf dem zwei Songs von ihr drauf waren. Schö­ne, unauf­dring­li­che Folk-Musik, die über das Mäd­chen-mit-Gitar­re-Sche­ma hin­aus­geht und auch mal auf Blä­ser und Key­boards zurück­greift. Das ist schon eher Musik zum Neben­her­hö­ren, aber durch­aus schön.

Schön klang das nicht, was The Get Up Kids vor­ab von ihrem Come­back-Album hören lie­ßen, wes­we­gen die­ses Album von mir bis­her unge­hört ist. Nähe­rungs­wei­se nicht gehört, bekloppter­wei­se aber gekauft habe ich das Debüt-Album von Bea­dy Eye. Zwar sind Oasis ohne Noel Gal­lag­her nicht ganz so schlimm, wie ich erwar­tet hät­te, aber in Sachen Egal­heit unter­schei­det sich „Dif­fe­rent Gear, Still Spee­ding“ auch nicht groß von den letz­ten bei­den Oasis-Alben. Auch noch nicht gehört habe ich das neue Album von The Strokes, was ich aller­dings schon auf­grund der sehr gelun­ge­nen Sin­gle schnellst­mög­lich nach­ho­len möch­te.

Und sonst? Hat Ben Folds mal wie­der in der Köl­ner Live Music Hall gespielt – und zwar so lan­ge, dass ich vor den Zuga­ben zum Zug hech­ten muss­te. Bis dahin war es ein gutes Kon­zert gewe­sen, das alle Schaf­fens­pha­sen schön abbil­de­te und musi­ka­lisch dank vier­köp­fi­ger Begleit­band nah an den Sound der Alben her­an­kam. Lei­der wur­de der Meis­ter selbst dadurch etwas an den Rand gedrängt, was ihn aber nicht von wüs­ten Impro­vi­sa­tio­nen abhielt, die wir dann womög­lich auf der nächs­ten Plat­te wie­der­fin­den wer­den.

Völ­lig unab­hän­gig vom öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr war ich beim Kon­zert von Jupi­ter Jones, die 80 Meter Luft­li­nie von mei­ner Woh­nung (400 Meter Fuß­weg, wenn man nicht die Bahn­glei­se über­que­ren will) spiel­ten und dabei das aus­ver­kauf­te Bochu­mer Riff zum Kochen brach­ten, wie man so schön sagt. In der Stadt, in der man zuhau­se ist, und mit den Men­schen, die Freun­de sind, wirkt ein Song wie „Ber­lin“ („über Men­schen, die glau­ben, dass sie, wenn sie einen Miet­ver­trag in Ber­lin unter­schrei­ben, auch einen Ver­trag für das Glück unter­schrei­ben“, Nicho­las Mül­ler) noch hun­dert Mal dol­ler. Und die dazu­ge­hö­ri­gen Publi­k­ums­chö­re waren gera­de noch so viel U2-Haf­tig­keit, wie ich in mei­nem Leben ertra­gen kann.

Das bes­te Kon­zert der Mona­te Janu­ar bis März besuch­te ich aller­dings am letz­ten Tag die­ses Zeit­raums in Düs­sel­dorf: Erd­mö­bel, deren famo­ses Album „Kro­kus“ auf Platz 2 mei­ner letzt­jäh­ri­gen Bes­ten­lis­te gelan­det war, spiel­ten im Savoy-Thea­ter auf und obwohl Sitz­kon­zer­te ten­den­zi­ell eher nicht Rock’n’Roll sind, erleb­te ich eines der bes­ten und vor allem beglü­ckends­ten Kon­zer­te ever. Wenn man näm­lich (ver­se­hent­lich) in der ers­ten Rei­he hockt und eine bes­tens ein­ge­spiel­te und auf­ge­leg­te Band qua­si in Arm­reich­wei­te wun­der­bar musi­ziert, dann muss das gar nicht Rock’n’Roll sein, dann ist das ein­fach toll. Ich habe jeden­falls ver­mut­lich noch nie bei einem Kon­zert so ent­rückt gestrahlt – außer viel­leicht bei Auf­trit­ten von Lena Mey­er-Land­rut.

Die hat ja auch ein neu­es Album drau­ßen und das ist ehr­lich gesagt gar nicht so schlecht. Klar: Ein ande­rer Pro­du­zent (und damit ein leben­di­ge­rer Sound) wür­de ihr gut tun und es fällt auch schwer zu glau­ben, dass das die zwölf bes­ten Songs gewe­sen sein sol­len, die ein paar hun­dert inter­na­tio­na­le Song­wri­ter inner­halb von neun Mona­ten geschrie­ben haben, aber „Good News“ ist schon ein völ­lig okayes Album. Und „Taken By A Stran­ger“ tat­säch­lich ein sehr guter Song.

Kategorien
Musik Unterwegs

Camp Indie Rock

- von Tom­my Fin­ke -

DONNERSTAG
Groß­zü­gi­ger­wei­se habe ich mich als Fah­rer ange­bo­ten und neh­me mei­nen Teil der Rei­se­grup­pe Hald­ern 2010 vom Bahn­hof Bochum aus mit.

Wäh­rend Rosa und Marie bei­de vor­ne Platz neh­men, neh­me auch ich vor­ne Platz. Die Vor­zü­ge eines Band­au­tos: 3 Sit­ze in der ers­ten Rei­he. Marie hat ein iPad ein­ge­packt, ich muss dar­über ein wenig lachen, bin aber eigent­lich nei­disch. Ihr Ziel beim Hald­ern ist medi­en­tech­ni­scher Natur: Sie hat einen der begehr­ten Foto­päs­se. Mit Rosa war ich 2008 schon mal auf dem Hald­ern. Und ich freue mich, dass sie dies­mal wie­der dabei ist! Die Fähig­keit, sich über Tage fast aus­schließ­lich von Rot­wein und Musik zu ernäh­ren, macht Rosa zu einer per­fek­ten Feti­val­be­su­che­rin. Und zu einem medi­zi­ni­schen Wun­der.

Unser Zelt­platz ist, ein­mal ange­kom­men, leicht abschüs­sig, dafür haben wir aber in alle Rich­tun­gen net­te Nach­barn. Wir ver­zwei­feln an Maries Zelt, aber der Hin­weis, man kön­ne zumin­dest mal ver­su­chen, alle Stan­gen mit der glei­chen Num­mer inein­an­der zu ste­cken, ist aus­schlag­ge­bend. Inzwi­schen ist auch Chris­toph mit Sophie ange­reist.

Ich spie­le den Rea­lis­ten und öff­ne das ers­te Dosen­bier. Das ist hier schließ­lich kein Kin­der­ge­burts­tag und wir haben schon deut­lich nach 16 Uhr. Alle wol­len wir zwar Seabear im Spie­gel­zelt sehen, aber die Schlan­ge ist schon um 18 Uhr so lang, dass wir uns ent­schlie­ßen, noch­mal kurz zurück zum Zelt­platz zu gehen und, nun­ja, vor­zuglü­hen. Ich stol­pe­re an Foto-Ger­rit vor­bei, mei­ne ein­zi­ge fes­te Hald­ern-Freund­schaft. Ger­rit ist berühmt gewor­den mit einer Aus­stel­lung über die Fotos der Schu­he der Stars: „Dancing Shoes“.

Ger­rit macht den Vor­schlag, mich am nächs­ten Tag zu foto­gra­fie­ren, aber wie jedes Jahr krie­gen wir es über­haupt nicht hin, uns zu einer fes­ten Uhr­zeit irgend­wo zu tref­fen, obwohl wir uns die nächs­ten 3 Tage immer wie­der begeg­nen. Ganz so schlimm ist das dann aber doch nicht nicht, Ger­rit hat­te in Zusam­men­hang mit der Foto­ses­si­on das Wort „nackt“ gebraucht. Ich hof­fe, das liegt an sei­nem letz­ten groß­ar­ti­gen Pro­jekt, ein Herz geformt aus nack­ten Fes­ti­val­be­su­chern beim Melt.

Wir ande­ren gehen zurück zum Zelt­platz, den wir für heu­te dann nicht mehr ver­las­sen, denn auch spä­ter berich­ten unse­re Spio­ne von undurch­dring­li­chen Men­schen­mas­sen an und ums Spie­gel­zelt. Uns ist das egal, die Chris­tophsche Ein­kaufs­wut beschert uns Grill­gut und Gin-Tonic. Zusätz­lich ist Nacht der Stern­schnup­pen und so gucken wir alle stun­den­lang in den Him­mel. Irgend­wel­che leicht zu begeis­tern­den Leu­te rufen bei jeder Stern­schnup­pe „Oh!“ und „Ah!“, wir blei­ben still, weil wir das nicht für Feu­er­werk hal­ten, son­dern für etwas Grö­ße­res. Ich bin gerührt, weil ich jede Stern­schnup­pe zwei­mal sehe.

Aus einem nahen Zelt dringt ein schwä­beln­des Stöh­nen. Das Prin­zip „Wenn ich sie nicht sehe, dann hören sie mich auch nicht“, hat wie­der nicht funk­tio­niert.

Haldern Pop 2010

FREITAG
Am nächs­ten Mor­gen habe ich einen Geschmack im Mund, der Tote umbrin­gen könn­te. Ich neh­me mir vor, die­sen Abend drin­gend die Zäh­ne zu put­zen, bevor ich ins Zelt stei­ge. Marie ist schon wach und macht Kaf­fee.

Heu­te ist der Tag, an dem wir min­des­tens Del­phic und Mum­ford & Sons sehen müs­sen. Außer­dem gibt es auf dem Pro­gramm heu­te ein Fra­ge­zei­chen und es ging das Gerücht rum, dass es sich um Bel­le & Sebas­ti­an han­deln könn­te. Aber nein, es kommt anders, und zwar in Form von: Phil­ipp Poi­sel. Die Leu­te: nicht begeis­tert. Was für ein unan­ge­mes­se­ner Ersatz für die gedank­lich schon gebuch­ten Bel­le & Sebas­ti­an. Da hät­te ja gleich ich spie­len kön­nen. Selbst­re­fle­xi­on, mei­ne Damen und Her­ren.

Ein paar hun­dert Meter wei­ter hat­te ich ges­tern schon Tei­le der Fog Jog­gers und Oh, Napo­le­on getrof­fen. Ja, mei­ne Damen und Her­ren, hier cam­pen die klei­nen Künst­ler noch selbst. Ich beschlie­ße, noch­mal rüber­zu­ge­hen und hal­lo zu sagen. Sophie schließt sich mir an, da auch sie dort jeman­den („Fre­de­rik!!!“) kennt. Jan von den Fog Jog­gers hat mein Album dabei, er mag es. Dass ich die Fog Jog­gers EP so rich­tig groß­ar­tig fin­de, behal­te ich für mich, damit es ihm nicht zu Kopf steigt. Sophie hat inzwi­schen Fre­de­rik am Ran­de der Jog­gers-Grup­pe aus­fin­dig gemacht. Er liegt auf dem Boden mit einem T‑Shirt über sei­nem Kopf, ver­ka­tert und apa­thisch. Ein­mal auf­ge­wacht, stellt er sich als sym­pa­thi­scher Kerl her­aus, lacht über wirk­lich jeden mei­ner bekann­ter­ma­ßen schlech­ten Wit­ze. Ich über­le­ge, ihn zu adop­tie­ren oder zumin­dest anzu­stel­len.

Sophies Freun­din Lisa reist auch noch an und hat ein Sagro­tan-Arse­nal ein­ge­packt, das man­che Klo­frau nei­disch machen dürf­te. Dass Sie Ihren Hund Treu nicht mit­neh­men durf­te, fin­det sie doof. Außer­dem wirkt sie augen­schein­lich etwas irri­tiert, wie die Leu­te hier so leben. Der Grund dafür ist schnell gefun­den: Es ist, mit 28 Jah­ren, ihr aller­ers­tes Fes­ti­val.

Die arme Lisa! Wir beschlie­ßen, Ihr alles wich­ti­ge über das Hald­ern Pop bei­zu­brin­gen und gehen zusam­men zum berühm­ten See zum Schwim­men. Ich selbst war da zwar bis­her auch noch nie drin, ist aber auch erst mein vier­tes Hald­ern. Dass jedoch Chris­toph nach knapp 10 Jah­ren Hald­ern noch nie in dem See schwim­men war, fin­de ich bemer­kens­wert. Immer­hin ist der See umsonst, die Duschen kos­ten Geld. Sie ver­ste­hen? Eben.

Björn und Fre­de­rik schwim­men nicht nur, sie haben auch Bier mit­ge­bracht. Für Im-See-trin­ken. Ich habe aus Fuß-Auf­schlitzungs­angst mei­ne Gum­mi­stie­fel an. Beim Schwim­men. Zur Bade­ho­se sieht das schei­ße aus, aber das hier ist ja kein Mode­wett­be­werb.

Wir machen uns den Spaß und gucken uns Phil­ipp Poi­sel an. Nun ja. Das Fra­ge­zei­chen bleibt eines. Mir fällt auf, dass der Key­boar­der, der übri­gens schwä­belt, nicht rich­tig zu hören ist. Scha­de. Ich bin da etwas alt­mo­disch: Ich mag mei­ne Instru­men­te hör­bar. Ansons­ten schwankt der Auf­tritt irgend­wo zwi­schen Xavier Naidoo und Madsen. Zumin­dest nicht mei­ne bevor­zug­ten musi­ka­li­schen Eck­punk­te.

Wäh­rend Phil­ipp noch vor sich hin poi­selt, besu­chen wir das Spie­gel­zelt, und irgend­wie pas­siert das Unglück: Die Zeit ist zu schnell ver­gan­gen! Als wir auf die Uhr sehen und zur Haupt­büh­ne hech­ten, spie­len Del­phic gera­de ihr letz­tes Lied. Ich bei­ße mir in den Arsch, denn was ich sehe und höre ist die groß­ar­tigs­te Indie-Elec­t­ro-Explo­si­on seit Lan­gem. Da könnt Ihr Euch mal alle umgu­cken, Ihr Zoot Women. Ich bin trotz­dem hin und weg, das hat mir wirk­lich gut gefal­len. Del­phic. Scheiß Name, gei­ler Sound.

Dies­mal sind wir schlau­er und blei­ben an der Haupt­büh­ne. Denn es folgt die Band der Stun­de: Mum­ford & Sons, lie­be­voll in Man­fred & Söh­ne umge­ti­telt von … nun­ja. Muss ich zur Band noch was sagen? Ich mag die wech­seln­den Instru­men­te, von der Sei­te sehe ich nicht genau, wer wann singt. Spä­ter sagt man mir, der Sän­ger hät­te auch getrom­melt. Ich muss an Phil Coll­ins den­ken, erschie­ße mich aber inner­lich dafür. Was für eine Band! Die­se fol­ki­ge Melan­cho­lie, die­se hol­zi­ge Eupho­rie. Gän­se­haut, Trä­nen in mei­nen Augen. Und zack: vor­bei.

Als Bei­rut fol­gen ver­su­che ich, einen akus­ti­schen Fil­ter in mei­nem Kopf zu for­men, der aus Bei­rut wie­der Mum­ford & Sons macht. Gelingt mir nicht, aber Bei­rut sind auch klas­se. Viel­leicht etwas undank­bar, die armen hin­ter die­ser Kra­cher­band auf die Büh­ne zu schi­cken.

Aber abge­se­hen davon: ein wirk­lich aus­ge­las­se­ner Frei­tag auf dem Hald­ern Pop. Für mich per­sön­lich noch von der Tat­sa­che ver­edelt, dass ich auf dem Boden 20 „Pop­ta­ler“ fin­de, die Hald­er­ner Wäh­rung für die Geträn­ke. Wenn man den Pfand für sich selbst abzieht (und den scheiß Becher nicht ver­liert), kann man gut und ger­ne 9 Bier dafür ein­tau­schen. Hur­ra.

Haldern Pop 2010

SAMSTAG
Dies­mal gehen wir eher auf das Gelän­de, weil wir ger­ne Por­tu­gal. The Man sehen möch­ten. Schaf­fen wir sogar. Tol­le Band, sind an die­sem Tag aber sehr Riff-las­tig. Ich selbst has­se ja Riffs, weil ich so ein schlech­ter Gitar­rist bin und mir beim zuhö­ren immer die Noten in den Kopf flie­gen und mich dar­an erin­nern, dass ich üben soll­te. Mach ich viel­leicht mal. Der Auf­tritt macht auf jeden Fall Spaß und Sophie hat Sei­fen­bla­sen­zeugs dabei, wel­ches wir ein­set­zen. Und – oh natur­be­las­se­nes Hald­ern Pop – eine majes­tä­ti­sche Libel­le lässt sich neben der Bass­box nie­der, wäh­rend ein Secu­ri­ty-Mit­ar­bei­ter die Unter­sei­te sei­ner Arme in die Son­ne hält. Nicht aus Freu­de am Bräu­nen, son­dern aus gesund­heit­li­chen Grün­den: Die Ober­sei­te sieht schon genieß­bar aus. Mög­li­cher­wei­se hat der Geruch die Libel­le ange­lockt.

Sophie und ich schaf­fen bei Ever­y­thing Ever­y­thing im Spie­gel­zelt wie­der nur das letz­te Lied. Aber auch die­se Band schafft es, mich mit dem letz­ten Lied kom­plett zu über­zeu­gen. Das Del­phic-Phä­no­men. Scheiß Name, gei­le Band. Ich ärge­re mich, dass ich nie das letz­te Lied von Ost­zo­nen­sup­pen­wür­fel­ma­chen­krebs gese­hen habe.

Irgend­wann dann The Low Anthem im Spie­gel­zelt. Ich habe inzwi­schen einen toten Punkt erreicht und fin­de, dass die Band klingt wie das Simon & Gar­fun­kel Album, das ich manch­mal im Auto höre. Ich schla­fe im Ste­hen ein. Das wirkt repekt­los, soll aber die Band nicht schmä­lern. Coun­try­es­quer Folk. Oder sowas. Naja, ich brau­che fri­sche Luft und hän­ge drau­ßen rum. Hier und da wie­der bekann­te Gesich­ter: Sven, ein Foto­graf aus Bochum, Ger­rit natür­lich („Tom­my, spä­ter aber Fotos, ne?“), Manu­el von den Wed­ges. Ein biss­chen wie ein klei­nes Dorf. Hier soll­te man kei­ne Dumm­hei­ten machen, da weiß jeder gleich Bescheid. Und dann tuscheln die Nach­barn.

Efter­klang wer­den mir als Sigur-Rós-Ver­schnitt schmack­haft gemacht, ent­täu­schen aber in die­ser Hin­sicht gewal­tig. Das ist das Pro­blem mit gro­ßer Erwar­tungs­hal­tung: Mit die­ser Band wer­de ich heu­te nicht mehr warm. Ich nut­ze mei­ne letz­ten Fund-Pop­ta­ler und gebe eine Run­de. Chris­toph hat von sei­ner Oma 50 Euro Taschen­geld mit­be­kom­men!!! Obwohl das einen tie­fen Ein­griff in die adul­te Selbst­ver­sor­gungs­pflicht dar­stellt. Er weiß um sei­nen Stel­len­wert als Grup­pen­be­treu­er und kauft davon Pop­ta­ler. Als ihm klar wird, dass er davon weder Essen noch sonst­was, son­dern nur Bier und Wein kau­fen kann, ist es bereits zu spät. Der Pop­ta­ler ist wie das Spiel­geld in Dis­ney­land, er regt zum Kon­sum an.

Und dann end­lich irgend­wann: The Natio­nal. Erst den­ke ich, dass da irgend­was Inter­pol-ähn­li­ches auf mich zukommt, aber schnell wird klar, dass die­se Band kom­ple­xer ist. Irgend­wie muss ich zwar die gan­ze Zeit an Depe­che Mode den­ken, wor­an der Gesang sei­nen Anteil hat, aber das wür­de der gan­zen Sache nicht gerecht. Denn The Natio­nal klin­gen tat­säch­lich sehr eigen und inter­es­sant, rocken außer­dem wie Höl­le und haben eine unglaub­lich stim­mungs­vol­le Light­show. Marie regt sich spä­ter dar­über auf, weil ihr das natür­lich die bes­ten Fotos ver­saut: Immer irgend­ein scheiß Licht in der Kame­ra­lin­se. Mir ist das egal, ich muss ja nur gucken und glot­zen. Wahr­schein­lich star­re ich inzwi­schen schon, wenn ich trin­ke wer­de ich immer zum Star­rer, da ich ver­ges­se zu blin­zeln. Bei die­ser Band soll­te man die Augen sowie so nicht schlie­ßen, nicht mal für eine Nano­se­kun­de.

Inzwi­schen sind die letz­ten Pop­ta­ler bestim­mungs­ge­mäß ver­braucht und eine gewis­se Fes­ti­val­me­lan­cho­lie macht sich breit: Wir haben die letz­te Band auf der Haupt­büh­ne gese­hen. Jetzt ins Spie­gel­zelt? Undenk­bar. Der har­te Kern unse­rer Rei­se­grup­pe, Chris­toph, Rosa, Sophie, Marie und ich, geht zum Zelt­platz und lässt den Abend gebüh­rend aus­klin­gen: Wir sin­gen 90er Jah­re Plas­tik­pophits von East 17 und Take That. Weil wir uns näm­lich nicht zu fein sind, zu erken­nen, dass das in der Retro­spek­ti­ve auch schö­ne Musik sein kann. Und dann packt Sophie ihr Han­dy aus und spielt die Musik ab, die mich danach nicht mehr los­ge­las­sen hat, mas­si­ver als eine der Bands von den Büh­nen: Oh, Napo­le­on. Iro­nie des Schick­sals. Vor zwei Tagen noch am Zelt­platz gese­hen und trotz­dem vor­her gar nicht rein­ge­hört. Man sagt ja oft „Die Band kenn‘ ich!“ und meint „…vom Namen.“ Ich auf jeden Fall: begeis­tert und ver­stört, weil die doch noch so jung sind und die Sän­ge­rin da Sachen raus­haut wie ein alter Hase

Der nächs­te Mor­gen bringt den ers­ten grau­en Tag. Ist aber auch egal, weil wir jetzt packen und heim­wärts fah­ren. Ich den­ke dar­über nach, den her­aus­ra­gen­den Son­nen­schein der Hald­er­ner Tage als gutes Omen zu deu­ten, dann fällt mir aber ein, dass ich an so einen Hokus Pokus nicht glau­be. Manch­mal, ganz sel­ten, stim­men eben alle umge­ben­den Fak­to­ren so über­ein, dass für ein paar Tage alles per­fekt ist.


Tom­my Fin­ke ist 29 Jah­re alt, Musi­ker und lebt in Bochum. Im Febru­ar ist sein Album „Poet der Affen /​ Poet of the Apes“ erschie­nen.

Für Cof­fee And TV hat er das Hald­ern Pop 2010 besucht und sei­ne Ein­drü­cke von Zelt­platz, See und Fes­ti­val auf­ge­schrie­ben. Die Namen der Mit­rei­sen­den wur­den dafür geän­dert.

Kategorien
Musik

Listenpanik 08/​09

Bevor mor­gen (hof­fent­lich) der Paket­bo­te klin­gelt und ich die nächs­ten zwei Mona­te mit mei­nem Beat­les-Box-Set ver­brin­ge, schrei­be ich mal lie­ber noch schnell auf, was ich in den letz­ten Wochen so gehört habe. Die­ses Mal wird es noch etwas kon­fu­ser als sonst, weil z.B. das Imo­gen-Heap-Album in den USA zwar schon erschie­nen, aber noch nicht bei mir ange­kom­men ist. Dafür gibt es mal wie­der Nach­trä­ge, bei denen Sie sich sicher­lich fra­gen wer­den, auf wel­chem Pla­ne­ten ich eigent­lich die letz­ten Mona­te ver­bracht haben. Aber sowas wird es bestimmt bei der nächs­ten Lis­ten­pa­nik auch wie­der geben.

Doch genug der Theo­rie! Das blieb hän­gen vom Monat August:

Alben
La Roux – La Roux (Nach­trag)
Das hei­ßes­te neue Frau-singt-über-Elek­tro­beats-Din­gen seit „Annie­mal“ von Annie vor vier Jah­ren. Dar­an erin­nern La Roux auch ein biss­chen, sind aber ein gan­zes Stück düs­te­rer. Name­drop­ping-Spe­zia­lis­ten set­zen eh lie­ber auf Yazoo, Human League, Visa­ge und ähn­lich gela­ger­te Künst­ler der 1980er Jah­re. Wenn das von Musik- und Mode­pos­til­len seit Jah­ren pos­tu­lier­te Acht­zi­ger-Revi­val jetzt also nicht lang­sam mal ein­kickt (s.a. Empire Of The Sun, Lady Gaga, sowie die Tode von Micha­el Jack­son und John Hug­hes), dann soll­ten wir uns lang­sam damit abfin­den, dass es in die­sem Jahr­zehnt nicht mehr kom­men wird. Unab­hän­gig davon ist es natür­lich eines der über-cools­ten Alben für Din­ner­par­ty und Club seit lan­gem. Und in dem Moment, wo ich es mir auch gekauft habe, wahr­schein­lich schon wie­der so durch wie die „DJ Kicks!“ von Kru­der & Dorf­meis­ter. (Next stop: Neun­zi­ger-Revi­val.)

The Low Anthem – Oh My God, Char­lie Dar­win
Hier hät­ten wir dann das Folk-Hype­the­ma der lau­fen­den Sai­son, min­des­tens Fleet Foxes und Bon Iver in einem. (Und Gre­at Lake Swim­mers, Neu­tral Milk Hotel, Neil Young und Tom Waits.) Zwi­schen schwel­gen­den Bal­la­den („Char­lie Dar­win“, „To Ohio“) und schep­pern­den Schun­kel-Num­mern („The Hori­zon Is A Belt­way“, „Home I’ll Never Be“ von Jack Kerouac und Tom Waits) ist so ziem­lich alles dabei, was man mit dem Über­be­griff „Folk“ ver­bin­den wür­de. Der Herbst kann kom­men, denn mit die­ser Musik im Ohr kann man den Blät­tern sicher­lich ent­spannt beim Ver­fär­ben zuse­hen.

Jay Rea­tard – Watch Me Fall
„Kin­der“, frag­te der Opa, „wann genau ist Punk­rock so pop­pig gewor­den?“
„Ach“, ant­wor­te­ten die Kin­der, „das war doch eigent­lich immer schon so. Hör Dir mal die Ramo­nes an oder die Under­to­nes!“
„Stimmt auch wie­der“, sag­te der Opa und gab sich den sym­pa­thisch-schlich­ten Songs von Jay Rea­tard hin, die auch in irgend­ei­nem ande­ren der ver­gan­ge­nen 34 Jah­re hät­ten erschei­nen kön­nen.

Franz Nico­lay – Major Gene­ral
Wenn die Posi­ti­on „Lieb­lings­band“ im Leben eines Man­nes nicht ähn­lich früh fest­be­to­niert wür­de wie „bes­ter Freund“ und „Fuß­ball­ver­ein“ (sowie – aus chro­no­lo­gi­schen Grün­den – „ers­te Lie­be“), wären The Hold Ste­ady inzwi­schen mei­ne Lieb­lings­band. Klar, dass man da auch Neben­pro­jek­ten wie dem Solo­de­büt des Key­boar­ders sei­ne Auf­merk­sam­keit schen­ken muss. „Major Gene­ral“ schwankt musi­ka­lisch zwi­schen Extre­men wie Punk­rock und Folk, Chan­son und Power­pop, was nicht nur die Bewer­tung, son­dern auch das Durch­hö­ren des Albums etwas schwie­rig gestal­tet. Tech­nisch ist Nico­lay sicher­lich der bes­se­re Sän­ger als sein Chef Craig Finn, aber dem fal­len die bes­se­ren Tex­te ein. Wenn man die 15 Songs auf zehn zusam­men­ge­stri­chen hät­te, wäre „Major Gene­ral“ viel­leicht nicht nur ein Fall für Kom­plet­tis­ten, so ist es doch ein biss­chen spe­zi­ell. Scha­de, denn Songs wie „Jeff Penal­ty“ oder „I’m Done Sin­ging“ hät­ten ein grö­ße­res Publi­kum ver­dient – oder, so unter­schied­lich wie sie sind: gleich zwei Publi­ka.

Mew – No More Sto­ries
Wenn ich ein Album anstren­gend fin­de, gibt es gene­rell zwei Mög­lich­kei­ten: Ent­we­der es liegt an mir (fal­sche Stim­mung, gene­rel­le Vor­be­hal­te, schlich­te Igno­ranz) oder an den Künst­lern. Schwer zu sagen, wer dies­mal Schuld ist, denn „No More Sto­ries /​ Are Told Today /​ I’m Sor­ry /​ They Washed Away /​ No More Sto­ries /​ The World Is Grey /​ I’m Tired /​ Let’s Wash Away“ (so der voll­stän­di­ge Name des Albums) ist eigent­lich schon ein schmu­ckes Album, mit dem man auch Pink-Floyd-Fans noch aus dem Schau­kel­stuhl schüt­teln könn­te. Ich mach’s jetzt wie so oft und den­ke mir: „Das muss ich noch mal in Ruhe hören, wenn ich die Muße dazu habe“, und wer­de es dann ver­mut­lich wie­der ver­ges­sen. Und das wird mut­maß­lich gro­ßer Fre­vel sein, weil ich im rich­ti­gen Moment wahr­schein­lich erken­nen wür­de, dass die Dänen von Mew damit ganz gro­ße Kunst geschaf­fen haben. Im Moment kann ich das lei­der nur anneh­men.

Songs
La Roux – Bul­let­pro­of (Nach­trag)
Wenn ich behaup­te­te, ich wür­de mei­ne Eltern nur noch besu­chen, um GoTV gucken zu kön­nen, wäre das sehr unfreund­lich. Aber die­ser klei­ne, fei­ne, öster­rei­chi­sche Musik­vi­deo­sen­der macht ein­fach alles rich­tig. Aus­beu­te des letz­ten Besuchs: eine Hand­voll Tracks, die noch vor dem Fern­se­her sit­zend direkt bei iTu­nes gekauft wur­den. Allen vor­an die­se hier jugend­sprach­li­ches Adjek­tiv ein­set­zen Club-Hym­ne: Genau in dem Moment, wo der schlich­te und ergrei­fen­de Refrain fast ein biss­chen lang­wei­lig wer­den könn­te, kommt der Break­down mit Hil­fe eines Voco­ders („It’s 2009, mother­fu­cker!“, sagt der Break­down, auch wenn es wei­ter­hin wie „This time I’ll be bul­let­pro­of“ klingt) und jeder Mensch mit ein biss­chen Rest­hirn im Tanz­bein merkt: „Argh, geil, Track des Jah­res!“ Nur ich hab natür­lich wie­der vier Mona­te und öster­rei­chi­sches Fern­se­hen gebraucht, um davon was mit­zu­krie­gen.

Gos­sip – Hea­vy Cross (Nach­trag)
Tal­kin‘ bout Track des Jah­res: Da hät­ten wir natür­lich gleich die schärfs­te Kon­kur­renz. Dass der Song auch auf WDR2 läuft, zeigt nur, in was für einer Post-alles-Ära wir hier über­haupt leben. Jeden­falls: Auch eine Mör­der-Num­mer, die man auch als „fett“ bezeich­nen könn­te, wenn das nicht irgend­wie sehr unwit­zig wäre.

Jay Rea­tard – It Ain’t Gon­na Save Me
Ich habe ver­ges­sen, wer der­zeit den Rekord für die häu­figs­te Wie­der­ho­lung des Song­ti­tels hält (mut­maß­lich irgend­was mit „Yeah“ aus den 1960er Jah­ren), aber der Ope­ner von Jay Rea­tards zwei­tem regu­lä­rem Solo­al­bum (und dem mut­maß­lich 42., auf dem er irgend­wie zu hören ist) hät­te gute Chan­cen, die­sen Rekord zu bre­chen. Und dann die­ses Kin­der­ge­burts­tags-Video!

The Low Anthem – Char­lie Dar­win
Nach dem gan­zen Gezap­pel und Gepo­ge möch­ten Sie viel­leicht kurz etwas run­ter­kom­men. Schlie­ßen Sie die Augen, lau­schen Sie den Klän­gen und wenn Sie vor Ihrem geis­ti­gen Auge nicht den Rauch aus dem Schorn­stein eines ver­schnei­ten Häus­chens in den unend­li­chen nord­ame­ri­ka­ni­schen Wei­ten auf­stei­gen sehen, dann … äh: dann haben Sie offen­sicht­lich eine ande­re Phan­ta­sie als ich. Aber trotz­dem schön, nech?

[Lis­ten­pa­nik, die Serie]