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Songs des Jahres 2011

Bevor 2012 rich­tig Fahrt auf­nimmt oder ich mei­ne Lis­te kom­plett ver­wor­fen habe, hier noch schnell mei­ne Songs des Jah­res 2011 (die Alben gibt’s hier):

25. Andre­as Bou­ra­ni – Nur in mei­nem Kopf
Na, da über­rasch ich mich doch mal selbst und fang mit einem deutsch­spra­chi­gen Singer/​Songwriter an! „Nur in mei­nem Kopf“ hab ich geliebt, als ich es das ers­te Mal im Radio gehört habe, und auch mas­si­ve Rota­tio­nen konn­ten dem Lied nicht viel anha­ben. Es wirkt aber zuge­ge­be­ner­ma­ßen auch wie für mich am Reiß­brett ent­wor­fen: Pia­no­in­tro, Four-To-The-Flo­or-Beat, galop­pie­ren­de Beats, gera­de so viel U2-Anlei­hen, wie ich ertra­ge, und dann noch die groß­ar­ti­ge Zei­le von wegen „alles kaputt­hau­en“. Schö­ne Stim­me übri­gens und sehr schö­nes Video, auch!

24. Death Cab For Cutie – You Are A Tou­rist
„Codes And Keys“, das letzt­jäh­ri­ge Album von Death Cab For Cutie, hat mich nie so rich­tig packen kön­nen. Kein schlech­tes Album, gewiss, aber die Band hat­te schon bes­se­re und mein Indie-Müdig­keit macht sich ein­mal mehr bemerk­bar. Die spek­ta­ku­lärs­te Mel­dung im Bezug auf die Band im ver­gan­ge­nen Jahr war die Nach­richt, dass sich Sän­ger Ben Gib­bard und Zooey Descha­nel schei­den las­sen (und ich mich nicht ent­schei­den kann, wen von bei­den ich lie­ber hei­ra­ten wür­de). ANYWAY: „You Are A Tou­rist“ ist ein schö­ner Song mit einem sehr span­nen­den Groo­ve, der auf der Tanz­flä­che noch bedeu­tend mit­rei­ßen­der ist, als vor dem hei­mi­schen Plat­ten­spie­ler.

23. Lady GaGa – The Edge Of Glo­ry
Wenn man in ein‑, zwei­hun­dert Jah­ren ein Buch über die Geschich­te des Pop schrei­ben wird, wird man an Lady Gaga nicht vor­bei­kom­men. Die Frau schafft es meis­ter­haft, sowohl den intel­lek­tu­el­len Hin­ter­grund des Begriffs „Pop“ aus­zu­fül­len, als auch Songs am Fließ­band raus­zu­hau­en, die genau das sind: Pop. Wenn „Spex“-Leser und Schüt­zen­fest­be­su­cher zur glei­chen Musik tan­zen kön­nen, ist das eine Leis­tung, die zumin­dest die Nomi­nie­rung für den Frie­dens­no­bel­preis nach sich zie­hen soll­te. Wei­te­res Argu­ment für „The Edge Of Glo­ry“: Es ist die letz­te ver­öf­fent­lich­te Auf­nah­me von E‑S­treet-Band-Saxo­pho­nist Cla­rence Cle­mons vor des­sen Tod. Gera­de noch recht­zei­tig, damit eine ganz neue Gene­ra­ti­on von Musik­fans den „Big Man“ ins Herz schlie­ßen konn­te.

22. James Bla­ke – The Wil­helm Scream
„Songs“ sind die wenigs­ten Tracks auf James Blakes phan­tas­ti­schem Debüt­al­bum, Radio-Sin­gles gibt es eigent­lich kei­ne. Aber wenn über­haupt, dann ist „The Wil­helm Scream“ das pop­pigs­te und zugäng­lichs­te Stück. Am aus­schließ­lich in musik­jour­na­lis­ti­schen Tex­ten ver­wen­de­ten Verb „plu­ckern“ führt kaum ein Weg vor­bei, aber es dröhnt, rauscht, zirpt und echot auch ganz gewal­tig unter und über Blakes Fal­sett­ge­sang. Musik wie ein ver­stö­ren­der, aber doch sehr erhol­sa­mer Traum.

21. Jupi­ter Jones – Still
Das Ein­mal-zu-oft-gehört-Phä­no­men im neu­en Gewand: Wenn „Still“ im Radio anfängt, bin ich ein biss­chen genervt. Wenn ich den Song sel­ber auf­le­ge ist es aber immer noch wie im ers­ten Moment: Wow! Allein die­se Bass­li­ne, die glei­cher­ma­ßen Schlag in die Magen­gru­be wie Schul­ter­klop­fen ist! Jupi­ter Jones hat­ten viel­leicht schon bes­se­re, wüten­de­re oder ver­zwei­fel­te­re Tren­nungs­lie­der, aber „Still“ ist auf sei­ne Art schon sehr beson­ders – und beson­ders wahr. Die schöns­te Ver­si­on ist natür­lich die mit Ina Mül­ler.

20. Rihan­na feat. Cal­vin Har­ris – We Found Love
Für Rihan­na gilt ähn­li­ches wie das, was ich gera­de über Lady GaGa geschrie­ben habe. Sie arbei­tet zwar nicht so aktiv selbst an ihrem Gesamt­kunst­werk mit, aber sie ist einer der bestim­men­den Super­stars unse­rer Zeit. Allein die Lis­te ihrer Kol­la­bo­ra­tio­nen deckt die gegen­wär­ti­ge Pop­mu­sik sehr gut ab: Jay‑Z, Kanye West, David Guet­ta, Emi­nem, will.i.am, Jus­tin Tim­ber­la­ke, Ne-Yo und Cold­play ste­hen da zum Bei­spiel drauf. Dies­mal also mit Cal­vin Har­ris, der ein House-Feu­er­werk abbrennt, wäh­rend Rihan­na einen Song von erha­be­ner Schön­heit singt. Ja: „We Found Love“ ist nicht nur cool/​geil/​whatever, son­dern auch schön und soll­te jedem ein­sa­men Men­schen „in a hope­l­ess place“ zwi­schen Dins­la­ken und Bit­ter­feld Hoff­nung machen.

19. Noah And The Wha­le – Tonight’s The Kind Of Night
„Last Night On Earth“, das aktu­el­le Album von Noah And The Wha­le, hat­te ich schon bei den Alben gelobt. „Tonight’s The Kind Of Night“ ist ein per­fek­tes Bei­spiel für die­sen Tech­ni­co­lor-Pop mit sei­nen trei­ben­den Rhyth­men und eupho­ri­sie­ren­den Chö­ren. Und sagt man sich nicht jeden Abend „Tonight’s the kind of night whe­re ever­y­thing could chan­ge“? Eben! Muss ja nicht, aber könn­te!

18. Fos­ter The Peo­p­le – Pum­ped Up Kicks
Ein­mal Indiepop-Som­mer­hit zum Mit­neh­men, bit­te! „Pum­ped Up Kicks“ hat einen schlich­ten Sog, dem man sich nur schwer ent­zie­hen kann. Der Song lief merk­wür­di­ger­wei­se nie in der Wer­bung eines Mobil­funk­an­bie­ters (was eigent­lich sein natür­li­cher Lebens­raum gewe­sen wäre), hat eine Sai­son län­ger zum Hit gebraucht als ange­nom­men und hat dar­über hin­aus noch einen mil­de gewalt­ver­herr­li­chen­den Text, der dem ame­ri­ka­ni­schen MTV zu viel war – aber davon ab ist es auch ein­fach ein sehr schö­ner Song.

17. Jack’s Man­ne­quin – My Racing Thoughts
Hat­te ich schon mal erwähnt, dass kei­ne Band in den letz­ten fünf Jah­ren eine so gro­ße Bedeu­tung für mich hat­te wie Jack’s Man­ne­quin? Gut. So rich­tig genau kann ich näm­lich auch nicht erklä­ren, war­um mir „My Racing Thoughts“ so gut gefällt, beim ers­ten Hören fand ich es näm­lich regel­recht chee­sy. Jetzt aber mag ich es, weil es ein harm­lo­ser, erbau­li­cher Pop­song ist. Und die­ser „she can read my, she can read my“-Part ist toll!

16. Rival Schools – Wring It Out
Nein, ein zwei­tes „Used For Glue“ ist auf dem zwei­ten Rival-Schools-Album nicht ent­hal­ten. Aber fast. „I wan­na wring it out /​ Every oun­ce /​ I wan­na do the right thing, when the right thing counts“ sind doch genau die Zei­len, die man zum Beginn eines Jah­res hören möch­te. Und dann ein­fach rein ins Leben, die rich­ti­gen Din­ge tun, die fal­schen Din­ge tun, aber in jedem Fall jede Unze raus­quet­schen. Was für eine Hym­ne!

15. Mari­ti­me – Parapher­na­lia
Das vier­te Mari­ti­me-Album „Human Hearts“ ist irgend­wie kom­plett an mir vor­bei­ge­gan­gen, aber die Vor­ab-Sin­gle, die hat mich das gan­ze Jahr über beglei­tet. Indie­rock, der nicht nervt, weil er nicht ach so cool sein will, son­dern beschwingt unter­hält. So ein­fach ist das manch­mal.

14. Ade­le – Rol­ling In The Deep
Die Geschich­te mit der Echo-Ver­lei­hung hab ich ja blö­der­wei­se schon bei den Alben erzählt. Muss ich mir jetzt was neu­es aus­den­ken? Ach was! Gro­ßer Song, bleibt groß! Punkt.

13. Exam­p­le – Stay Awa­ke
Auf „Play­ing In The Shadows“ sind fünf, sechs Songs, die alle in die­ser Lis­te hät­ten auf­tau­chen kön­nen. „Stay Awa­ke“ ist es letzt­lich gewor­den, weil die stamp­fen­den House-Ele­men­te (man­che wür­den auch sagen: „die Kir­mes-Ele­men­te“) sonst ein wenig unter­re­prä­sen­tiert gewe­sen wären. Und dann die­ser Refrain: „If we don’t kill our­sel­ves we’ll be the lea­ders of a mes­sed-up gene­ra­ti­on /​ If we don’t kid our­sel­ves will they belie­ve us if we tell them the reasons why“ und der Kon­trast zwi­schen dem Four-To-The-Flo­or-Refrain und den zit­tern­den Dub­step-Stro­phen! Hach, jetzt ’n Auto­scoo­ter …

12. The Naked And Famous – Young Blood
Viel­leicht hab ich mich ver­tan und es war gar nicht „Pum­ped Up Kicks“ der Indiepop-Som­mer­hit, son­dern „Young Blood“. Immer­hin war der Song Jing­le-Musik bei Viva und WDR 2 (!) und lief in gefühlt jeder TV-Sen­dung. Egal, sie können’s ja auch bei­de gewe­sen sein, wobei „Young Blood“ ganz klar über­dreh­ter und char­man­ter und … äh: lau­ter ist. Wegen maxi­ma­ler Pene­tra­ti­on kurz vor ner­vig, aber eben nur vor.

11. Twin Atlan­tic – Make A Beast Of Mys­elf
Die­ser Break nach zwei Sekun­den! Die­ses Brett von Gitar­ren­ge­schram­mel! Die­se ent­spannt vor sich hin groo­ven­den Stro­phen, die sich in die­sen Orkan von Refrain ent­la­den! Und, vor allem: Die­ser nied­li­che schot­ti­sche Akzent, vor allem beim Wort „uni­ver­se“! Mein Punk­rock-Song des Jah­res!

10. Patrick Wolf – The City
Die­ser Song hät­te unter Umstän­den der bri­ti­sche Bei­trag zum Euro­vi­si­on Song Con­test sein kön­nen – und wäre damit einer der bes­ten in der Geschich­te des Wett­be­werbs gewe­sen. Nun ist es „nur“ ein dezent über­dreh­ter Indiepop-Song mit Hand­claps, Saxo­phon, ver­zerr­ten Stim­men und hyp­no­ti­schen Beats.

9. Cold­play – Every Teardrop Is A Water­fall
Sie haben’s schon bemerkt: Wir sind in dem Teil der Lis­te ange­kom­men, wo ich die vor­geb­lich ratio­na­len Argu­men­te weg­ge­packt habe und mehr mit hilf­lo­sen Emo­tio­na­li­tä­ten und „Hach„s um mich wer­fe. Hier toll: Das absur­de Sam­ple, die Rhyth­mus­gi­tar­re, die Lead­gi­tar­re, die gran­dio­se Schlag­zeug­ar­beit von Will Cham­pi­on, der Text und der Moment nach drei Minu­ten, wenn sich alles auf­ein­an­der türmt. Hüp­fen! Tan­zen! Hach!

8. Jona­than Jere­mi­ah – Hap­pi­ness
Mein Jahr 2011 lässt sich in zwei Tei­le tei­len: den vor Jona­than Jere­mi­ah und den danach. Mit „Hap­pi­ness“ fühlt sich mein Leben an wie eine bri­ti­sche Komö­die mit Hugh Grant. I’m going home whe­re my peo­p­le live.

7. Ima­gi­na­ry Cities – Hum­ming­bird
Der Wea­k­erthans-Live­gi­tar­rist Rus­ty Matyas hat mit Sän­ge­rin Mar­ti Sar­bit die Band Ima­gi­na­ry Cities gegrün­det, deren Debüt­al­bum „Tem­po­ra­ry Resi­dent“ im letz­ten Jahr auf Grand Hotel van Cleef erschie­nen ist. So viel zur Theo­rie. Die Pra­xis … ach, hören Sie ein­fach selbst! Was für ein Song!

6. Cold War Kids – Final­ly Begin
Frü­her, als ich noch mit dem Fahr­rad durch die Stadt mei­ner Jugend gefah­ren bin, hab ich manch­mal auf dem Heim­weg die Arme aus­ge­brei­tet, die Augen zuge­macht und bin zur Musik aus mei­nem Walk­man qua­si durch die Nacht geflo­gen. Glück­li­cher­wei­se nie auf die Fres­se, aber das ist schon recht gefähr­lich, Kin­der. Jeden­falls: „Final­ly Begin“ wäre ein Song für genau sol­che Flug­ma­nö­ver. Die­se Gitar­ren! Die­se Har­mo­nien, die offen­bar direkt die Endor­phin­aus­schüt­tung im Hirn anwer­fen kön­nen! Und die­ser Text über über­wun­de­ne Bin­dungs­angst! Für eine Nacht noch mal 16 sein in Dins­la­ken, bit­te!

5. The Moun­tain Goats – Never Quite Free
Wie gesagt: „Never Quite Free“ wur­de Anfang Dezem­ber inner­halb von 48 Stun­den zu einem der meist gehör­ten Songs des Jah­res. Wer braucht schon das Stro­phe/­Re­frain-Sche­ma? Wenn ich Ihre Auf­merk­sam­keit auf die­se Stel­le nach ziem­lich exakt zwei Minu­ten len­ken darf, wo das Schlag­zeug rich­tig los­schep­pert und der Schel­len­kranz ein­setzt: für sol­che Momen­te wird Musik gemacht und für sol­che Momen­te höre ich Musik.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Heart In Your Heart­break
Gera­de beim Tip­pen fest­ge­stellt: Wenn man für jedes „heart“ in Band­na­men und Song­ti­tel einen Schnaps trin­ken wür­de, wäre das ein schö­ner Start in den Abend. Schö­ner wür­de der natür­lich, wenn der Song auch lie­fe, denn es ist ein herr­li­cher Song, der übri­gens auch in der (ansons­ten etwas freud­lo­sen) fünf­ten Staf­fel von „Skins“ zu hören war. (Radio-)DJs has­sen die beun­ru­hi­gend lan­ge Pau­se nach 2:42 Minu­ten, aber ansons­ten kann man die­sen Song natür­lich nur lie­ben.

3. Ed Sheeran – The A Team
„+“, das groß­ar­ti­ge Debüt-Album von Ed Sheeran, das Sie bald auch in Deutsch­land kau­fen kön­nen (und soll­ten!), habe ich mir im Sep­tem­ber im Schott­land-Urlaub gekauft, weil Plat­ten­fir­ma und HMV mich mit ihrer Plat­zie­rungs­po­li­tik gera­de­zu gewalt­sam dazu gedrängt haben. Auf dem Weg zum Flug­ha­fen habe ich es zum ers­ten Mal gehört und ich war nicht direkt ver­zau­bert, was aber auch an dem schot­ti­schen Land­re­gen gele­gen haben mag, mit dem ich auf mei­nem Fuß­marsch noch zu kämp­fen hat­te. Beim zwei­ten Mal jedoch: Was für ein Album! Und was für ein Ope­ner! Zärt­lich, ohne wei­ner­lich zu sein! Schmu­sig, ohne zu lang­wei­len. Ver­glei­che mit deut­schen Singer/​Songwritern ver­bie­ten sich, aber viel­leicht kommt ja auch mal ein Ed-Sheeran-Äqui­va­lent daher.

2. Bon Iver – Cal­ga­ry
Zuge­ge­ben: Das war beim ers­ten Hören schon etwas ver­wir­rend mit die­sen gan­zen Key­board­flä­chen. Aber nur kurz! Jus­tin Ver­non könn­te auch das Tele­fon­buch von Mil­wau­kee sin­gen (und manch­mal habe ich ehr­lich gesagt den Ver­dacht, er wür­de es zwi­schen­durch zumin­dest mal ver­su­chen) und ich wür­de immer noch eine Gän­se­haut bekom­men.

1. Bright Eyes – Shell Games
Anfang April schrieb ich, dass der Pop­song des Jah­res, wenn in den ver­blei­ben­den neun Mona­ten nicht noch ein Wun­der gesche­he, „Shell Games“ sein wür­de, und ich soll­te Recht behal­ten. Es wirkt ein biss­chen, als habe sich Conor Oberst die Pop-Blau­pau­se eines Gregg Alex­an­der vor­ge­nom­men und nur noch ein paar per­sön­li­che Son­der­hei­ten rein­ge­wor­fen. Zur Bil­der-des-Jah­res-Mon­ta­ge in mei­nem Kopf läuft die­ser Song, der auch das Lied­zi­tat 2011 bereit hält: „My pri­va­te life is an insi­de joke /​ No one will explain it to me“.

Hin­weis: Bit­te beach­ten Sie auch dies­mal beim Kom­men­tie­ren wie­der die Regeln.

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Die Musik von hier nach dort

Drei Mona­te des Jah­res sind schon wie­der um (oder „ein Quar­tal“, wie regel­mä­ßi­ge Arzt­be­su­cher sagen) und wir haben fast nichts über Musik geschrie­ben. Nach­dem der geplan­te Pod­cast zu aktu­el­len Neu­erschei­nun­gen wegen aku­ten Irr­sinns büro­kra­ti­scher Hür­den auch nicht aus den Puschen kommt, dach­te ich mir: Schnell mal irgend­was auf­schrei­ben, bevor ich völ­lig den Über­blick ver­lie­re.

Der Pop­song des Jah­res kommt, wenn in den ver­blei­ben­den neun Mona­ten nicht noch ein Wun­der geschieht, von einer Band, die bis­her eher nicht so durch Pop­songs auf­ge­fal­len war. Aber „Shell Games“ von Bright Eyes ist ein­fach ein Meis­ter­werk von einem Song. Das dazu­ge­hö­ri­ge Album „The People’s Key“ ist dann gleich noch das bes­te Album der Band seit sechs Jah­ren. Womit wir direkt bei R.E.M. wären, die mit „Col­lap­se Into Now“ mal eben ihr bes­tes Album seit 15 Jah­ren ver­öf­fent­licht haben – das mit „Über­lin“ einen der bes­ten Songs ihrer inzwi­schen mehr als drei­ßig­jäh­ri­gen Kar­rie­re ent­hält.

Das Jahr hat aber bis­her auch eini­ge sehr gute New­co­mer zu bie­ten: Über James Bla­ke ist womög­lich schon alles gesagt. Im Gegen­satz zu Radio­head, die wohl auch ein neu­es Album ver­öf­fent­licht haben, inter­es­sie­ren mich die fla­ckern­den Beats und die ent­rück­te Stim­me von James Bla­ke – und sie gefal­len mir. Ein biss­chen, wie wenn Bon Iver auf The Pos­tal Ser­vice trifft. Deut­lich ein­gän­gi­ger sind die Debüt­al­ben von The Naked And Famous und Neon Trees: Ich hät­te auch nicht gedacht, dass ich mich noch mal für neue Indie-Bands inter­es­sie­ren wür­de, aber die­se bei­den Alben gefal­len mir tat­säch­lich. Wohl auch, weil so vie­le Syn­the­si­zer und Key­boards zum Ein­satz kom­men und ver­gleichs­wei­se weni­ge Gitar­ren­riffs über Ach­tel­beats.

Die Cold War Kids hat­te ich seit ihrem Debüt vor vier Jah­ren aus den Augen ver­lo­ren, aber ihr drit­tes Album „Mine Is Yours“ klingt eh ganz anders als damals: Auch wie­der deut­lich mehr nach Kil­lers und ins­ge­samt deut­lich run­der. The Low Anthem hin­ge­gen schlie­ßen direkt an ihr fan­tas­ti­sches Debüt an und zau­bern mit „Smart Fle­sh“ Folk­mu­sik, die einen zudeckt wie eine wei­che Woll­de­cke. Schön zu lesen, dass die Band die­ses Jahr direkt wie­der auf dem Hald­ern Pop Fes­ti­val spie­len wird, wo sie mich letz­tes Jahr schon völ­lig begeis­tert zurück­ge­las­sen hat.

Neun Jah­re nach ihrem Debüt hat Wal­ter Schrei­fels die Rival Schools wie­der zum Leben erweckt. Ein zwei­tes „Used For Glue“ fehlt auch auf „Pedals“ und ins­ge­samt klingt das Album ein wenig nach ange­zo­ge­ner Hand­brem­se (oder wahl­wei­se ange­grau­tem Haupt­haar), aber schön ist die Plat­te den­noch gewor­den – man soll­te sie nur nicht direkt mit dem Früh­werk des Herrn Schrei­fels ver­glei­chen. Auch die White Lies haben mit „Ritu­al“ kein Meis­ter­werk geschaf­fen, aber ein grund­so­li­des Album mit Acht­zi­ger-Jah­re-ange­hauch­tem Düs­ter­pop, das mit „Big­ger Than Us“ eine sehr, sehr gelun­ge­ne Sin­gle ent­hält.

Wei­te­re tol­le Sin­gles, bei denen ich die Alben noch nicht gehört habe: „Milk And Honey“ von den Beat­steaks, „Post Break-Up Sex“ von The Vac­ci­nes (sen­sa­tio­nell doo­fer Text, aber dadurch womög­lich um so beein­dru­cken­de­rer Song) und tat­säch­lich dann auch irgend­wann „Rol­ling In The Deep“ von Ade­le, mit der ich sonst so gar nichts anfan­gen kann.

Heu­te dann hör­te ich tat­säch­lich zum ers­ten Mal Jupi­ter Jones im Radio – und das gleich auf WDR2. Es könn­te am Major-Deal lie­gen oder dar­an, dass „Still“ ein­fach ein wahn­sin­nig guter, anrüh­ren­der Song ist. Das dazu­ge­hö­ri­ge, vier­te Album der Band, das ein­fach nur „Jupi­ter Jones“ heißt, ist ihr bes­tes seit dem Debüt. Zwar klingt die Plat­te an eini­gen Stel­len, als hät­te Sän­ger Nicho­las Mül­ler ein­fach nur über bereits fer­ti­ge Bän­der von Biffy Cly­ro gesun­gen, aber das ist ja nicht die schlech­tes­te Aus­gangs­la­ge. Und wer Songs wie „Ber­lin“, „Alter Mann wo willst Du hin“, „Hey! Mene­te­kel“ und „Immer­FürIm­mer“ auf der Haben­sei­te hat, der hat offen­bar sowie­so wenig falsch gemacht. Wenn Sell-Out immer so klin­gen wür­de, soll­ten ruhig alle Bands bei gro­ßen Plat­ten­fir­men unter­schrei­ben.

Womit wir nicht zwin­gend bei Thea Gilm­o­re wären: Die Frau hat, obwohl erst 31 Jah­re alt, mit „Murphy’s Heart“ gera­de ihr elf­tes Album ver­öf­fent­licht, was mir womög­lich völ­lig ent­gan­gen wäre, wenn im Plat­ten­la­den mei­nes Ver­trau­ens nicht ein Label-Sam­pler gelau­fen wäre, auf dem zwei Songs von ihr drauf waren. Schö­ne, unauf­dring­li­che Folk-Musik, die über das Mäd­chen-mit-Gitar­re-Sche­ma hin­aus­geht und auch mal auf Blä­ser und Key­boards zurück­greift. Das ist schon eher Musik zum Neben­her­hö­ren, aber durch­aus schön.

Schön klang das nicht, was The Get Up Kids vor­ab von ihrem Come­back-Album hören lie­ßen, wes­we­gen die­ses Album von mir bis­her unge­hört ist. Nähe­rungs­wei­se nicht gehört, bekloppter­wei­se aber gekauft habe ich das Debüt-Album von Bea­dy Eye. Zwar sind Oasis ohne Noel Gal­lag­her nicht ganz so schlimm, wie ich erwar­tet hät­te, aber in Sachen Egal­heit unter­schei­det sich „Dif­fe­rent Gear, Still Spee­ding“ auch nicht groß von den letz­ten bei­den Oasis-Alben. Auch noch nicht gehört habe ich das neue Album von The Strokes, was ich aller­dings schon auf­grund der sehr gelun­ge­nen Sin­gle schnellst­mög­lich nach­ho­len möch­te.

Und sonst? Hat Ben Folds mal wie­der in der Köl­ner Live Music Hall gespielt – und zwar so lan­ge, dass ich vor den Zuga­ben zum Zug hech­ten muss­te. Bis dahin war es ein gutes Kon­zert gewe­sen, das alle Schaf­fens­pha­sen schön abbil­de­te und musi­ka­lisch dank vier­köp­fi­ger Begleit­band nah an den Sound der Alben her­an­kam. Lei­der wur­de der Meis­ter selbst dadurch etwas an den Rand gedrängt, was ihn aber nicht von wüs­ten Impro­vi­sa­tio­nen abhielt, die wir dann womög­lich auf der nächs­ten Plat­te wie­der­fin­den wer­den.

Völ­lig unab­hän­gig vom öffent­li­chen Per­so­nen­nah­ver­kehr war ich beim Kon­zert von Jupi­ter Jones, die 80 Meter Luft­li­nie von mei­ner Woh­nung (400 Meter Fuß­weg, wenn man nicht die Bahn­glei­se über­que­ren will) spiel­ten und dabei das aus­ver­kauf­te Bochu­mer Riff zum Kochen brach­ten, wie man so schön sagt. In der Stadt, in der man zuhau­se ist, und mit den Men­schen, die Freun­de sind, wirkt ein Song wie „Ber­lin“ („über Men­schen, die glau­ben, dass sie, wenn sie einen Miet­ver­trag in Ber­lin unter­schrei­ben, auch einen Ver­trag für das Glück unter­schrei­ben“, Nicho­las Mül­ler) noch hun­dert Mal dol­ler. Und die dazu­ge­hö­ri­gen Publi­k­ums­chö­re waren gera­de noch so viel U2-Haf­tig­keit, wie ich in mei­nem Leben ertra­gen kann.

Das bes­te Kon­zert der Mona­te Janu­ar bis März besuch­te ich aller­dings am letz­ten Tag die­ses Zeit­raums in Düs­sel­dorf: Erd­mö­bel, deren famo­ses Album „Kro­kus“ auf Platz 2 mei­ner letzt­jäh­ri­gen Bes­ten­lis­te gelan­det war, spiel­ten im Savoy-Thea­ter auf und obwohl Sitz­kon­zer­te ten­den­zi­ell eher nicht Rock’n’Roll sind, erleb­te ich eines der bes­ten und vor allem beglü­ckends­ten Kon­zer­te ever. Wenn man näm­lich (ver­se­hent­lich) in der ers­ten Rei­he hockt und eine bes­tens ein­ge­spiel­te und auf­ge­leg­te Band qua­si in Arm­reich­wei­te wun­der­bar musi­ziert, dann muss das gar nicht Rock’n’Roll sein, dann ist das ein­fach toll. Ich habe jeden­falls ver­mut­lich noch nie bei einem Kon­zert so ent­rückt gestrahlt – außer viel­leicht bei Auf­trit­ten von Lena Mey­er-Land­rut.

Die hat ja auch ein neu­es Album drau­ßen und das ist ehr­lich gesagt gar nicht so schlecht. Klar: Ein ande­rer Pro­du­zent (und damit ein leben­di­ge­rer Sound) wür­de ihr gut tun und es fällt auch schwer zu glau­ben, dass das die zwölf bes­ten Songs gewe­sen sein sol­len, die ein paar hun­dert inter­na­tio­na­le Song­wri­ter inner­halb von neun Mona­ten geschrie­ben haben, aber „Good News“ ist schon ein völ­lig okayes Album. Und „Taken By A Stran­ger“ tat­säch­lich ein sehr guter Song.