Kategorien
Musik

Alben des Jahres 2011

Schnell auf “Pause” gedrückt, noch einmal kurz zurückgeguckt und dann beschlossen, dass ich jetzt die definitive Liste meiner Lieblingsalben 2011 (Stand: 23. Dezember, 13.59.42 Uhr) habe. Die Plätze 25 bis 8 sind heiß umkämpft und könnten auch eine ganz andere Reihenfolge haben, die Plätze 5 bis 2 auch.

Aber jetzt ist es halt so:

25. Rival Schools – Pedals
Gerade als der Eindruck entstand, dass Walter Schreifels endgültig den Überblick verlieren könnte über all seine Bands und Projekte, besann sich das Hardcore-Urgestein auf seine Band Rival Schools, mit der er vor immerhin zehn Jahren mal ein Album aufgenommen hatte. “Pedals” reicht nicht an “United By Fate” heran, ist aber ein erfrischend lebendiges Rockalbum für Menschen, die sich unter “Rock” dann doch noch etwas anderes vorstellen als Nickelback oder Sunrise Avenue.

24. Foo Fighters – Wasting Light
Leute, irgendwas stimmt da nicht: Dave Grohl ist (wie Walter Schreifels auch) 42 Jahre alt, was im Rockbusiness früher mal 90 Jahren im Schlagergeschäft entsprach. Und doch müssen diese verdienten “alten” Herren der Jugend zeigen, wie man ordentliche Rockmusik macht? Den Foo Fighters kann man jedenfalls nichts vorwerfen, außer, dass sie sich ein bisschen aufs business as usual verlegt haben. Aber dann hauen die so Dinger wie “Rope”, “White Limo” und ganz am Ende “Walk” raus und der Nachwuchs steht irgendwo in der Gegend rum und guckt betreten zu Boden. Das ist ja, als ob man sich in der ersten eigenen Wohnung von den Eltern die Ikea-Regale aufbauen lassen muss!

23. Oh, Napoleon – Yearbook
Was habe ich auf dieses Album gewartet! Vor zwei Jahren. Doch bis Universal das Debüt endlich auf den Markt gebracht hatte, war der Spannungsbogen in sich zusammengefallen, und dann waren die besten Songs ausgerechnet die, die schon vor zwei Jahren auf der selbstbetitelten EP enthalten waren. Doch von diesen (kleinen) Enttäuschungen ab ist “Yearbook” ein wunderbares Popalbum geworden. “To Have / To Lose” und “A Book Ending” haben nichts von ihrer erhabenen Schönheit eingebüßt und mit “Save Me”, “I Don’t Mind” oder “Pick Some Roses” sind auch genug Perlen unter den “neuen” Songs (die die Band seit Jahren live spielt). Deutschlands beste Nachwuchsbands kommen halt nach wie vor vom Niederrhein, aber eine Frage hätte ich noch: Warum läuft so schöne Musik nicht im Radio?

22. The Wombats – This Modern Glitch
“Tokyo (Vampires & Wolves)”, die (Weit-)Vorab-Single zum Zweitwerk der Wombats, war eine verdammt große Ansage und mein Song des Jahres 2010. “This Modern Glitch” löst das Versprechen der Single weitgehend ein: Cleverer Indierock mit viel Gelegenheit zum Mitsingen und -tanzen, der sich dank ausuferndem Synthie-Einsatz vom schlichten Jungs-mit-wilden-Haaren-schaukeln-ihre-Gitarren-im-Achteltakt-Gedöns abhebt.

21. The Decemberists – The King Is Dead
Autos, die auf endlosen staubigen amerikanischen Highways Richtung Sonnenuntergang brausen. Jetzt haben Sie zumindest ein Bild von den Bildern, die “The King Is Dead” in mir beim Hören auslöst. Recht countrylastig ist es geworden, das sechste Album der Band um Colin Meloy, aber fernab des schrecklichen Kommerz-Radio-Country und fernab von Truck Stop. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, ich geh grad meinen LKW-Führerschein machen.

20. Yuck – Yuck
Die Neunziger sind zurück und mit ihnen die Shoegaze-Bands mit unscheinbaren Frontmännern und Jeanshemden. “Yuck” enthält zwölf charmante Popsongs, die sich ein bisschen hinter verzerrten Gitarren verstecken, und sich deshalb vielleicht nicht immer sofort entfalten.

19. Fink – Perfect Darkness
Ich habe nie eine Liste im Kopf gehabt, was wohl die besten Konzerte gewesen sein könnten, die ich in meinem Leben besucht habe. Dann habe ich Fink im Oktober in der Bochumer Zeche gesehen und war mir sicher, dass er es gerade mindestens in die bisher nicht vorhandene Top 5 geschafft hatte. Was für ein klarer Sound, was für grandiose Songs, wie perfekt dargeboten von Fin Greenall und seiner Band. Ich habe “Perfect Darkness” viel zu selten gehört, weil es mir von der Stimmung her meistens nicht passte, aber es ist ein sehr, sehr gutes Album, so viel ist klar.

18. Jack’s Mannequin – People And Things
“The Glass Passenger”, das zweite Album von Jack’s Mannequin, war für mich persönlich das wichtigste Album der letzten fünf Jahre, vielleicht habe ich in meinem ganzen Leben kein Album so oft gehört wie dieses. Der Nachfolger musste also gegen schier übermenschliche Erwartungen ankämpfen und konnte nur verlieren. Tatsächlich waren die ersten fünf, sechs Durchgänge eine Enttäuschung, ich war schon kurz davor, “People And Things” einfach im Regal verschwinden zu lassen. Aber so langsam habe ich mich dann doch in die Songs reingehört. Sie sind zwar insgesamt schon arg glatt geraten, aber ich kann Andrew McMahon einfach nicht widerstehen, wenn er von den Herausforderungen und Rückschlägen des Lebens singt, die es zu meistern und zu überwinden gilt. Das kann man alles ganz, ganz schrecklich finden, aber ich finde es wunderbar.

17. Delay Trees – Delay Trees
“Kunden, denen Band Of Horses gefiel, kauften auch Delay Trees”. Steht da merkwürdigerweise nicht, würde aber stimmen. Ich kenne das Debüt der finnischen Indieband erst seit wenigen Wochen, deswegen bin ich womöglich ein bisschen zu vorsichtig mit meinem Lob, aber allein der Opener “Gold” ist mit seiner stetigen Steigerung ein wahres Meisterwerk. Diese Mischung aus Melancholie und Euphorie hält an und lässt das ganze Album klingen wie den Soundtrack zu dem Moment, in dem man sich nach einer durchfeierten Nacht und nach Sonnenaufgang ins Bett fallen lässt.

16. Cold War Kids – Mine Is Yours
Manchmal ist die Musikwelt schon rätselhaft: Während die Kings Of Leon inzwischen riesige Arenen füllen, treten die Cold War Kids nach wie vor in kleinen Clubs auf. Dafür haben sie keinen Song über sexuell übertragbare Krankheiten, der dank Dauerpenetration in Clubs, Radios und Fußballstadien inzwischen unhörbar geworden ist, sondern leicht angeschmutzte Rockhymnen wie den Titelsong oder “Louder Than Ever”.

15. R.E.M. – Collapse Into Now
Das war es dann also, das letzte Album dieser lebenden Legenden aus Athens, GA. Und alle kamen noch mal vorbei, um ihre Aufwartung zu machen: Patti Smith und Lenny Kaye, Eddie Vedder, Peaches und Joel Gibb von den Hidden Cameras. Es war ein würdevoller Abschied, der nur einen Nachteil hatte: “Collapse Into Now” war bereits das fünfzehnte Album einer Band, die so viele Klassiker geschaffen hatte, dass jeder neue Song ein bisschen sinnlos und unnötig wirkte. Aber, mein Gott: Das ist Jammern auf allerhöchstem Niveau.

14. Jupiter Jones – Jupiter Jones
Keiner Band der Welt hab ich ihren späten Erfolg so sehr gegönnt wie Jupiter Jones: Jahrelang hat sich die Truppe den Arsch abgespielt, jetzt dürfen sie endlich den Lohn der Arbeit einfahren. Dass nach “Still”, im Frühjahr die meistgespielte deutschsprachige Single im Radio, jetzt auch Revolverheld-Hörer zu Hunderten in die Konzerte strömen, ist völlig okay: Erstens ist das einfach ein großartiger Song und zweitens entschädigt die Fassungslosigkeit, die sich einstellt, wenn Jupiter Jones Songs aus ihrem Punk-Frühwerk auspacken, für alles. Den höheren Preis eines erfolgreichen Major-Acts muss die Band im Januar zahlen, wenn “Jupiter Jones” als “Deluxe Edition” erneut auf den Markt geschmissen wird.

13. Drake – Take Care
Es ist ein bisschen traurig, dass in Rezensionen immer wieder darauf hingewiesen werden muss, dass es auch intelligenten Hip-Hop gibt — zumal das dann gleich an den langweiligen deutschen “Studentenrap” erinnert. Lassen Sie es mich also so sagen: “Take Care” ist ein sehr langes, sehr zurückgelehntes Album, das so ungefähr das Gegenteil von all dem Protz- und Blingbling-Rap darstellt, den man sonst (mutmaßlich) im Musikfernsehen sieht. Wenn Drake über “bitches” und sex (“four times this week”) rappt, dann selbstreflexiv und -kritisch. Das Album ist ein achtzigminütiger Emo-Kater, nach dem man alles werden möchte, nur nicht erfolgreicher Rapper. Andererseits: Wenn dabei so grandiose Musik herumkommt …

12. The Low Anthem – Smart Flesh
Beim Haldern 2010 stand ich mit offenem Mund im Spiegelzelt und konnte mich nicht entscheiden, ob ich jetzt Gänsehaut kriegen, losheulen oder vor lauter Schönheit einfach tot umfallen sollte. 2011 spielten The Low Anthem dann auf der großen Bühne, aber das Publikum war fast stiller als im letzten Jahr. Was für ein berührendes, großartiges Folk-Album!

11. The Mountain Goats – All Eternals Deck
Über Jahre waren die Mountain Goats immer nur via Rockmagazin-Sampler am Rande meiner Wahrnehmung aufgetaucht, bis mir eine Freundin dieses Jahr (genau genommen: vor zwei Wochen) “Never Quite Free” vorspielte. Nachdem ich den Song etwa zwei Dutzend Mal auf YouTube gehört hatte, wollte ich mehr und “All Eternals Deck” hält viel davon bereit: Vom hingerotzten “Estate Sale Sign” bis zu dunklen Balladen wie “The Age Of Kings”. Und natürlich immer wieder “Never Quite Free”.

10. Adele – 21
Über Wochen hatte ich “Rolling In The Deep” im Radio gehört und für “ganz gut” befunden, dann stand ich während der Proben zur Echo-Verleihung irgendwo hinter der Bühne, guckte auf einen der Kontrollmonitore und dachte “Wow!” Trotzdem brauchte es noch acht Monate und gefühlte zwanzig Singleauskopplungen, bis ich mir “21” endlich gekauft habe. Was für ein tolles Album das ist und wie unkaputtbar die Songs selbst bei maximaler Radiorotation sind! Mit Unterstützung von unter anderem Rick Rubin und Dan Wilson (Semisonic) hat Frau Adkins hier ein Album geschaffen, das sicher in einigen Jahren als Klassiker gelten wird. Und wer “Someone Like You” ungerührt übersteht, sollte vielleicht mal beim Arzt feststellen lassen, ob er nicht vielleicht einen Eisklotz im Brustkorb spazieren trägt.

9. Noah And The Whale – Last Night On Earth
Noah And The Whale waren für mich so eine typische Haldern-Band: Hundertmal auf Plakaten und im Programmheft gelesen, aber nie bewusst gesehen. Dann habe ich “L.I.F.E.G.O.E.S.O.N.” gehört, dieses ebenso dreiste wie gelungene Beinahe-Kinks-Cover. Und was soll ich sagen? Auch das Album lohnt sich: Makelloser Indiepop mit schönen Melodien und durchdachten Arrangements, der irgendwie direkt in die Euphoriesteuerung meines Gehirns eingreift.

8. Example – Playing In The Shadows
Hip-Hop, House, Grime, Dubstep, Indie — alles, was heutzutage mehr oder weniger angesagt ist, ist in der Musik von Elliot Gleave alias Example enthalten. Vom stampfenden “Changed The Way You Kissed Me”, das jedem Autoscooter gut zu Gesicht stünde, über das fast britpoppige “Microphone” bis hin zum dramatischen “Lying To Yourself”: Example rappt und singt sich durch die verschiedensten Stile und schafft damit ein abwechslungsreiches, aber in sich völlig schlüssiges Album, das irgendwie all das abdeckt, was ich im Moment gern hören möchte.

7. Coldplay – Mylo Xyloto
Es scheint unter Journalisten und anderen Indienazis inzwischen zum guten Ton zu gehören, Coldplay scheiße zu finden. “Iiiih, sie sind erfolgreich, ihre Konzerte machen Band und Publikum Spaß und überhaupt: Ist das nicht U2?”, lautet der Tenor und tatsächlich kann ich viele Kritikpunkte verstehen, aber nicht nachvollziehen. Auf “Mylo Xyloto” sind Coldplay so ungestüm unterwegs wie noch nie, ihre Songs sind überdreht und uplifting und zwischendurch schließen sie mit ruhigen Akustiknummern den Kreis zu ihrem ersten Album “Parachutes” aus dem Jahr 2000. Seit “A Rush Of Blood To The Head” hat mich kein Album von Coldplay mehr so begeistert und womöglich sind die vier Engländer tatsächlich die letzte große Band. Kaum eine andere Band schafft es, ihren Sound mit jedem Album so zu verändern und sich doch immer treu zu bleiben. Wenn sie jetzt auf einem Album Alex Christensen und Sigur Rós samplen und ein Duett mit Rihanna singen, dann ist das so konsequent zu Ende gedachte Popmusik, wie sie außer Lady Gaga kaum jemand hinbekommt. Und wenn das jetzt alle hören, sollte man das feiern — es gibt ja nun wirklich Schlimmeres.

6. Bright Eyes – The People’s Key
So richtig hohe Erwartungen hatte wohl niemand mehr an die Bright Eyes. Zu egal waren Connor Obersts letzte Lebenszeichen gewesen. Und dann kommt er einfach und haut ein Indierockalbum raus, zu dem man sogar tanzen kann. Gut: Die Passagen mit gesprochenem Text und Weltraumsounds muss man natürlich aushalten, aber dafür bekommt man ein merkwürdig optimistisches Gesamtwerk und mit “Shell Games” einen fast perfekten Popsong.

5. James Blake – James Blake
Nie in meinem Leben habe ich heftigere Bässe in meinem Körper vibrieren spüren als bei James Blakes Auftritt auf dem Haldern Pop. Es regnete leicht und diese Singer/Songwriter-Post-Dubstep-Songs zogen über das Publikum wie sehr gefährliche Gewitterwolken. Diese düstere und anstrengende Musik ist nicht für die Beschallung von Dinnerpartys geeignet, aber sie ist verdammt brillant.

4. The Pains Of Being Pure At Heart – Belong
Die Neunziger sind, wie gesagt, zurück und The Pains Of Being Pure At Heart haben ihr Shoegaze-Erfolgsrezept von vor zwei Jahren um minimale Grunge-Einsprengsel erweitert. Das ist auf Platte ebenso schön wie live und begleitet mich jetzt seit Mai.

3. Jonathan Jeremiah – A Solitary Man
Auf dem Haldern Pop Festival war ich so weit, dass ich dem nächsten Jungen mit Akustikgitarre selbige über den Schädel ziehen wollte. Dann hörte ich “Happiness” von Jonathan Jeremiah im Radio und war begeistert. Der Mann packt die Seele zurück in Soul — und alles Andere hab ich ja schon im August geschrieben.

2. Ed Sheeran – +
Na so was: Noch ein Junge mit Gitarre! Ed Sheeran war während meines Schottland-Urlaubs im September das Hype-Thema auf der Insel und er ist so etwas wie das fehlende Bindeglied zwischen Damien Rice und Jason Mraz, zwischen Get Cape. Wear Cape. Fly und Nizlopi. Die ruhigen Songs sind erschreckend anrührend, ohne jemals Gefahr zu laufen, kitschig zu werden, und bei den schnelleren Stücken kann der 21-Jährige (fuck it, I’m old) beweisen, dass er genauso gut rappen wie singen kann. “+” ist ein phantastisches Album, das ich gar nicht oft genug hören kann. In Deutschland kommt es im neuen Jahr raus.

1. Bon Iver – Bon Iver
Noch ein Junge mit Gitarre. Und noch zwei Gitarren. Und ein Bass. Synthesizer. Eine Bläsersektion. Und nicht einer, sondern gleich zwei Schlagzeuger. Justin Vernon hat gut daran getan, seine als Ein-Mann-Projekt gestartete Band zur Bigband auszubauen, und einen deutlich opulenteren Sound zu wählen als bei “For Emma, Forever Ago”. So lassen sich Debüt und Zweitwerk kaum vergleichen und “Bon Iver” kann ganz für sich selbst stehen mit seinen Tracks, die teilweise eher Klangräume sind als Songs, und die trotzdem ganz natürlich und kein Stück kalkuliert wirken. Vom anfänglichen Zirpen des Openers “Perth” bis zu den letzten Echos des viel diskutierten Schlusssongs “Beth/Rest” ist “Bon Iver” ein Meisterwerk, an dem 2011 nichts und niemand vorbeikam.

Hinweis: Bitte halten Sie sich beim Kommentieren an die Regeln.

Kategorien
Musik

Listenpanik 05/09

Wieder einmal ist ein Monat schon länger vorbei, wieder einmal habe ich längst nicht alles hören können und wieder einmal werde ich in einer Minute mit der Revision dieser Liste beginnen, aber was soll’s?

Let’s give it a try:

Alben
Fink – Sort Of Revolution
Manchmal entdeckt man Bands oder Künstler eben erst beim vierten Album (s.a. The Hold Steady). Fin Greenall aus Brighton macht Musik, die im Wikipedia-Artikel mit “Jazz, Blues, Dub, Folk, Indie” bezeichnet wird, was gleichzeitig alles und nichts sagt.

Ein bisschen erinnert die Musik an Bon Iver (also, historisch betrachtet: andersherum), an Nick Drake und an diverse Saddle-Creek- und Sub-Pop-Bands. Anders ausgedrückt: Es würde mich nicht wundern, wenn eines der Stücke auf dem Soundtrack des nächsten Zach-Braff-Films zu hören wäre.

Bis dahin wird mich diese wunderbar entspannte, leicht melancholische Popmusik sicher noch den ganzen Sommer über begleiten.

The Alexandria Quartet – The Alexandria Quartet
Es passiert ja auch nicht so oft, dass man eine Band eher zufällig zwei Mal live gesehen hat, bevor ihr Album überhaupt in Deutschland rauskommt.

Hatte ich The Alexandria Quartet in Oslo noch als “Indierock zwischen Mando Diao, den frühen Killers und Travis” beschrieben, muss ich über die Platte etwas völlig anderes behaupten: Die erinnert gerade in den ruhigeren Momenten (in denen die Band am Besten ist) eher an Jeff Buckley, Eskobar und Richard Ashcroft und – wenn sie dann losrocken – an Feeder und die frühen Radiohead. (Die Chancen stehen allerdings gut, dass ich auch diese Vergleiche in drei Monaten wieder für völlig lächerlich halten werde.)

Jedenfalls: Das selbstbetitelte Debüt der Norweger kommt, wie White Tapes ganz richtig bemerkt, “eigentlich circa 10 Jahre zu spät”, aber irgendwo zwischen Athlete, Embrace und Thirteen Senses wird schon noch ein Platz frei sein für diesen Britpop der melancholischeren Sorte.

Manic Street Preachers – Journal For Plague Lovers
Ich bin bekanntlich ein eher unpolitischer Mensch, aber wenn plakative Parolen mit Pop-Appeal daherkommen wie bei The Clash, Asian Dub Foundation, Rage Against The Machine oder eben den Manics, dann höre ich mir das gerne an, singe laut mit und stelle mir vor, wie sich das anfühlt, da auf den Barrikaden. Die Lehnstuhl-Revolution auf dem iPod, sozusagen.

Die Texte des neuen Manics-Albums stammen aus einer Zeit vor Barack Obama, vor dem 11. September und vor New Labour. Sie stammen aus dem (wohl leider tatsächlich) Nachlass des vor 14 Jahren verschwundenen Band-Gitarristen Richey Edwards und sind vor allem bildgewaltig und kryptisch.

Die Songs sind nicht unbedingt das, was man als “eingängig” bezeichnen würde, aber sie haben eine rohe Energie, die zu Zeiten des lahmenden Spätwerks “Lifeblood” kaum noch jemand für möglich gehalten hätte. Und wenn zum Schluss Bassist Nicky Wire “William’s Last Words” anstimmt (“singt” wäre dann vielleicht doch das falsche Wort), dann ist das schon ein ganz großer Gänsehaut-Moment, der sich nach dem endgültigen Abschied von einem Freund anhört.

Ob das Album auch ohne diese ganze Vorgeschichte so spannend wäre? Kunst funktioniert eigentlich nie ohne Kontext, aber ich glaube schon.

Phoenix – Wolfgang Amadeus Phoenix
Eine vorab: Die beste Phoenix-Platte des Jahres kommt dann vermutlich doch von The Whitest Boy Alive. Für die Franzosen wird es aber aller Voraussicht nach immer noch für den zweiten Platz reichen, was unter anderem an Songs wie “Lisztomania” und “Rome” liegt. Vielleicht wird das Album noch ein bisschen über sich hinauswachsen, wenn ich es endlich mal in der Sonne hören kann, aber im Ruhrgebiets-Regen verbreitet es auch schon mal eine ordentliche Portion Sommer.

Jupiter Jones – Holiday In Catatonia
Mit dem zweiten Jupiter-Jones-Album “Entweder geht diese scheußliche Tapete – oder ich” nie ganz warm geworden, aber für “Holiday In Catatonia” sieht es besser aus: Nach einem wahren Dampfhammer-Auftakt schaltet die Band ein bis zwei Gänge zurück, schafft es aber, so schöne Melodien rauszuhauen wie noch nie. Das hat manchmal ein bisschen was von Kettcar, aber das ist durchaus als Kompliment gemeint. Bei der Wahl zum deutschsprachigen Liedzitat des Jahres empfiehlt sich “Mit dem Alter kommt die Weisheit / Nach der Jugend kommt die Eiszeit” jedenfalls jetzt schon für die Shortlist.

Songs
Manic Street Preachers – Jackie Collins Existential Question Time
Diesmal gibt’s keine Singles, aber das Lied mit dem ellenlangen Titel ist trotzdem so etwas wie das Flaggschiff für “Journal For Plague Lovers”. Warum? Zwei Zitate: Das unschlagbare “Oh mummy what’s a Sex Pistol?” im Refrain und die spannende Frage “If a married man, if a married man fucks a Catholic / And his wife dies without knowing / Does that make him unfaithful, people?”. (Dass das “fuck” im Video durch ein “beg” ersetzt wurde, ist allerdings schon ein bisschen lame.)

Und dann natürlich noch dieses Riff, das meine Behauptung, das Album sei nicht eingängig, Lügen straft.

a-ha – Foot Of The Mountain
Ich hatte mein Verhältnis zu a-ha und meine Begeisterung für diese Mal-wieder-Comeback-Single ja schon ausführlich geschildert. Aber dieser Song ist ja wohl auch ein Musterbeispiel der Kategorie “der etwas anspruchsvollere Popsong”.

Fink – Sort Of Revolution
6:32 Minuten sind nicht gerade das, was sich Formatradiomacher als Songlänge wünschen. Aber der Titeltrack und Opener des vierten Fink-Albums (s.o.) besticht durch seine Instrumentierung (dieses Schlagwerk!) und den genuschelten Gesang. “Let me know when we get there / If we get there”, so oft wiederholt, bis es einen fast komplett eingelullt hat. Und dann geht das Album erst richtig los.

The Alexandria Quartet – Montauk
Wenn ich jetzt Saybia und Lorien als Orientierungshilfe nenne, bin ich mir zwar ausnahmsweise mal sicher, habe aber auch treffsicher zwei längst vergessene Bands des Genres hervorgeholt.

“Montauk” gehört zu der Sorte schleppender Balladen, bei denen sich die Pärchen auf Konzerten ganz eng umschlungen im Takt der Musik wiegen, das Bühnenlicht in ein verklärendes Gelb getaucht wird, und die, die allein zum Konzert gekommen sind, mit viel Glück noch ihr Handy zücken, um den Moment mit jemandem zu teilen. Wer ganz allein ist, genießt eben für sich.

Jarvis Cocker – Angela
Es ist schwierig, bei den Zeilen “Angela / An unfinished symphony” nicht an die Bundeskanzlerin zu denken, aber irgendwie geht es dann schon. Jarvis Cocker klingt für 2:58 Minuten, als wolle er an seiner Elvis-Costello-Werdung arbeiten und der neue Bart legt diese Vermutung nahe. Leider ist dieser trockene Stampfer dann auch schon der Höhepunkt von Cockers zweitem Soloalbum, das ansonsten eher unspannend vor sich hin dümpelt.

Phantom/Ghost – Thrown Out Of Drama School
Wenn da nicht die Stimme (und der Akzent) von Dirk von Lowtzow wäre, ginge dieser Song sicher auch als B-Seite von The Divine Comedy durch: Dieses Ragtime-Piano, der melodramatische Text, all das ergibt ein wunderbar skurriles Gesamtbild, dessen Faszination man sich selbst kaum erklären kann.

[Listenpanik, die Serie]