Kategorien
Digital

Pferd 2.0

Bei Indiskretion Ehrensache und beim Handelsblatt selbst kann man seit einigen Wochen das schöne Essay “Web 0.0” lesen, in dem Thomas Knüwer anhand einiger Beispiele aufzählt, warum Wirtschaft und Politik auf der einen und Internet auf der anderen Seite immer noch nicht unter einen Hut zu kriegen sind.

Die Kernaussage lautet:

Nun ist klar: Die digitale Spaltung ist da – doch sie verläuft quer durch die Gesellschaften der industrialisierten Nationen.

Und ob man sich in Sachen Computerdurchsuchung nun keine oder gleich riesige Sorgen machen sollte, kann jeder nach diesem Zitat für sich selbst entscheiden:

Oder Jörg Zierke. Dem Chef des Bundeskriminalamtes wurde bei einem Fachgespräch der Grünen zum Thema Bürgerrechte vom Dresdner Datenschutzprofessor Andreas Pfitzmann vorgeworfen: “Mit dieser Unbefangenheit über Informatik reden kann nur jemand, der nicht mit Informatik arbeitet.” Zierkes entwaffnend naive Antwort: “Ich sage auch nur, was mein Mitarbeiter aufschreibt.”

Warum erzähle ich das? Zum einen ist der/die/das Essay recht lesenswert, zum anderen meldete die Netzeitung heute:

Deutsche Medienmanager zweifeln an Web 2.0

Das passt schön zu Knüwers Beobachtungen:

Und Gründer erhalten nur Geld, wenn sie ein Geschäftsmodell aus den USA kopieren. Originäre Ideen werden von Kapitalgebern abgelehnt mit ebendieser Begründung: es gebe kein US-Vorbild.

Im Netzeitungs-Artikel steht aber auch der Absatz:

In einem Punkt waren sich indes deutsche und ausländische Manager in der Befragung einig: Blogs und nutzergenerierte Inhalte werden etablierte und hochwertige Portale und Nachrichten im Internet nicht verdrängen.

Ich glaube auch nicht, dass Blogs “Portale und Nachrichten im Internet” (was immer das genau sein soll) verdrängen werden – wenn, dann machen die das schon selbst, z.B. durch fortschreitende Boulevardisierung und nachlassende Qualität.

Trotzdem würde ich so einen Satz nie sagen. Meine Angst wäre viel zu groß, eines Tages im “Lexikon der größten Fehleinschätzungen” oder wie sowas heißen mag, abgedruckt zu werden. Gleich hinter den totzitierten Worten von Wilhelm II.:

Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.

Kategorien
Literatur Digital

Null-Blog-Generation (3)

Maik Söhler bespricht in der Netzeitung das Buch “Pop seit 1964” von Kerstin Gleba und Eckhard Schumacher und versteigt sich dabei in die Behauptung, Blogs seien doch heutzutage Popliteratur im eigentlichen Sinne:

«Lieber geil angreifen, kühn totalitär roh kämpferisch und lustig, so muss geschrieben werden», meint Rainald Goetz in seinem Text «Subito». Ja! Genauso schreibt doch Don Alphonso in seinen besten Einträgen in der Blogbar. Und nochmal Goetz: «Gehe weg, du blöder Sausinn, ich will von dir Dummem Langweiligen nie nichts wissen.» Das trifft auf viele Blogs zu – ob sie wie «Melancholie Modeste» oder «Vigilien» nun explizit literarisch sind oder wie Bov Bjergs oder Felix Schwenzels Blog einfach nur hübsch verstrahlt.

Kennzeichnet Diedrich Diederichsens aus den achtziger Jahren stammender Satz, Pop sei die «letzte Instanz der Wahrheit» nicht exakt das Bildblog? Trifft Andreas Neumeisters Bestimmung der «Gegenwart als Alles» nicht das Grundverständnis tausender Newsblogs? Spiegelt Benjamin von Stuckrad-Barres Äußerung, «man ist schon woanders, wenn die noch die Messer wetzen», nicht genau das Verhältnis von Bloggern zu den etablierten Medien, wenn diese sich mal wieder verständnislos das Phänomen des Bloggens vornehmen?

Supergedanke, eigentlich. Steht nicht auch der Umstand, dass sich die Blogosphäre eher über technische denn über inhaltliche Gemeinsamkeiten definiert, in der Tradition eines Marshall McLuhan mit seiner These “The medium is the message”? Okay, so ganz neu ist der Gedanke nicht, aber schon in gewisser Weise nachvollziehbar.

Allein: Wenn man im Internet (noch dazu in Deutschlands einziger Internettageszeitung) in einem Artikel über Blogs und Blogger schreibt, von denen man auch noch sechs namentlich erwähnt, warum in Dreiteufelsnamen ist dann auch hier KEIN EINZIGES Blog verlinkt? Und warum führt der einzige Link im Fließtext ausgerechnet zu den “etablierten Medien”, nämlich zu diesem Artikel in der FAS?

Kategorien
Musik

Don’t Dream It’s Over

Am Wochenende fand in Kalifornien das Coachella statt, eines der größten Musikfestivals Nordamerikas. Was die diesjährige Ausgabe – neben dem ohnehin spannenden Line-Up (Arcade Fire, Travis, Lily Allen, Kaiser Chiefs, Björk, Red Hot Chili Peppers, Arctic Monkeys, Happy Mondays, Jack’s Manequin, CocoRosie, Mika, …) – besonders spannend machte, waren die Reunion-Shows von Rage Against The Machine und Crowded House, die für dort angekündigt waren. Ehrlich gesagt interessieren mich die großen älteren Herren des Pop deutlich mehr als die auch nicht mehr ganz jungen Politrocker aus L.A., aber wenigstens bedeutet deren Reunion ja das Ende der schrecklichen Audioslave.

Die einzige Information, die ich bisher zum Auftritt von Crowded House finden konnte, war die, dass Neil Finn von wartenden RATM-Fans mit einer Wasserflasche beworfen wurde. Wobei der sicher auch überrascht war, dass mal etwas anderes als immer nur Finn-Cracker auf die Bühne flogen.

Und dann gibt es noch dieses Foto aus einer Bildergalerie bei der netzeitung, wo man es geschafft hat, in zwölf Worten Begleittext gleich drei Fehler unterzubringen:

Irgendeine Band mit C …
(Screenshot: netzeitung.de, Hervorhebung: Coffee And TV)

Das Comeback-Album nach über zehn Jahren soll übrigens im Juli erscheinen.

Kategorien
Musik Digital

“Die Kunst ist dazu da, beim Zuhörer Jammern und Schaudern zu erwecken.”

Manchmal ist es schrecklich, Musikjournalist zu sein und Musiker zu interviewen: Sie sind aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt, antworten nur sehr knapp oder gar nicht und am Ende hat man vielleicht drei, vier Sätze, mit denen man etwas anfangen kann.

Manchmal ist es schrecklich, Musiker zu sein und von Musikjournalisten interviewt zu werden: Sie haben sich kulturtheoretisch komplexe Frageblöcke ausgedacht, stellen völlig verquere Fragen oder schweigen plötzlich einfach.

Sven Regener von Element Of Crime, der sehr gute Sachen sagt, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, beweist in einem Interview mit der Netzeitung, dass er fast noch bessere Sachen sagt, wenn man ihm die falschen Fragen stellt:

Warum heißt es in einem Song, «Wo Deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt»?

Ja, warum denn nicht. Weil es richtig ist und weil es zu demjenigen gehört, dessen Rolle er einnimmt.

Stephanie Weiß, die sich sicher irre viele Gedanken gemacht hat, was sie den von ihr hochverehrten Musiker so fragen könnte, fragt sich um Kopf und Kragen – bis sie schließlich gar nichts mehr sagt:

(Langes Schweigen)

Ja, ich meine, INTERVIEW, Frau Weiss! Haben Sie noch Fragen?

Das erstaunliche an diesem Interview ist zum Einen, dass es offenbar nicht “glattgebügelt” wurde, d.h. die Interviewerin ihre Fragen im fertigen Text nicht frecher oder intellektueller (bzw. in diesem Fall: weniger intellektuell) formuliert oder für sie unvorteilhafte Stellen und Antworten entfernt hat. Ein solches Dokument des eigenen Scheiterns öffentlich zu machen, erfordert Mut und verdient Respekt. Zum Anderen funktioniert das Interview aber trotz solcher Szenen und diverser Wiederholungen immer noch erstaunlich gut. Es gibt Künstler, die wären irgendwann einfach gegangen und hätten das Gespräch damit wohl automatisch einer medialen Verwertung entrissen. Sven Regener aber blieb und formulierte zum dritten, vierten, fünften Mal (als Antwort auf die dritte, vierte, fünfte Frage zum Thema) sein Anliegen, den Hörern keine Interpretation seiner Texte vorschreiben zu wollen:

Kunst kennt keine Beipackzettel. Wenn man ein Kunstwerk schafft, dann kann man den Leuten nicht sagen, so oder so habt ihr es zu verstehen.

Nach der Lektüre glaubt man zu wissen, warum Sven Regener so großartige Texte und auch so fantastische Bücher (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) schreibt: Er hat einfach ein Gespür für Sprache und denkt einen Moment länger als andere darüber nach, wie er etwas formuliert.

Netzeitung.de: Ein weiterer Erklärungsversuch: Sie schaffen es, mit einer schweren Leichtigkeit oder leichten Schwere aktuelle Befindlichkeiten zu treffen.

Regener: Das Wort Befindlichkeit finde ich gar nicht gut.

Netzeitung.de: Ist Zeitgeist besser?

Regener: Nein.

Netzeitung.de: Hm (Schweigen)