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Hot Turkey

An meh­re­re mei­ner zahl­rei­chen E‑Mail-Adres­sen ging im Lau­fe des Tages eine E‑Mail mit dem Betreff „AN ALLE TUERKEN: Lasst den Jun­gen (Mar­co) frei. Euer Tours­tik-Auf­schwung ist in Gefahr. DIE EU-MITGLIEDSCHAFT AUCH“. Die E‑Mail ist von sie­ben, mir unbe­kann­ten Per­so­nen unter­schrie­ben, und ich soll sie an „alle TUERKEN“, die ich ken­ne, „oder Leu­te, die aus die­sem Land kom­men oder dort Urlaub machen wol­len“ wei­ter­lei­ten. Es geht (natür­lich) um den in der Tür­kei inhaf­tier­ten deut­schen Schü­ler Mar­co W., dem vor­ge­wor­fen wird, eine 13jährige Bri­tin miss­braucht zu haben, und dar­in steht unter ande­rem fol­gen­des:

Seid Ihr noch ganz nor­mal, einen 17 Jah­re alten Jun­gen ein­zu­sper­ren, nur
weil er eine jun­ge Frau ken­nen­ge­lernt hat?
Das Gesetz ist doch nur geschaf­fen wor­den, damit es zu kei­nen Zwangs­ehen
kommt. Aber des­halb muss man doch
kei­nen 17 Jah­re alten Jun­gen, der in Eurem Land Urlaub macht, mona­te­lang
ein­sper­ren. Und das noch bei Euren
mise­ra­blen Haft­be­din­gun­gen? DAS IST UNMENSCHLICH! SCHLUSS DAMIT. SOFORT!

Ein Unding in einer zivi­li­sier­ten Welt, die Euch noch leid tun wird, wenn
nicht bald Schluss damit ist!

(Kata­stro­pha­le Zei­len­um­brü­che über­nom­men)

Hui, da weiß man ja gar nicht, wo man anfan­gen soll!

Ver­su­chen wir es mal so: Nach­dem anfangs von einem „Urlaubs­flirt“, dann von einer „Knut­sche­rei“ die Rede war, hat inzwi­schen offen­bar auch Mar­co W. „sexu­el­le Kon­tak­te“ ein­ge­räumt. Damit hät­te sich Mar­co W., wie im Law­blog aus­ge­führt wird, auch in Deutsch­land straf­bar gemacht – auch wenn das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um offen­bar Gegen­tei­li­ges ver­laut­ba­ren lässt.
Dafür, dass „das Gesetz“ nur geschaf­fen wur­de, „damit es zu kei­nen Zwangs­ehen kommt“, fin­det sich in der gesam­ten Bericht­erstat­tung zu der Geschich­te kein ein­zi­ger Anhalts­punkt. Ich bin kein Exper­te für tür­ki­sche Geset­ze, möch­te aber anneh­men, dass sich ein sol­ches Detail wenigs­tens in einem Teil der Arti­kel wie­der­ge­fun­den hät­te.
Auch will mir der Hin­weis „der in Eurem Land Urlaub macht“ nicht so ganz ein­leuch­ten: Soll die tür­ki­sche Poli­zei etwa davon abse­hen, Tou­ris­ten zu inhaf­tie­ren, weil die ja so nett sind, das Geld ins Land zu brin­gen, oder was?
Kom­men wir zu den Haft­be­din­gun­gen: Die sind, nach allem (nun ja: fast allem), was man liest, in der Tat „mise­ra­bel“ – aber wohl für alle Gefan­ge­nen. Wenn die (sicher­lich berech­tig­te) Auf­re­gung dar­über dazu füh­ren wür­de, dass sich jetzt ein paar Hun­dert Leu­te bei Amnes­ty Inter­na­tio­nal enga­gie­ren, wäre das ein posi­ti­ves Signal, das man dem gan­zen Fall abge­win­nen könn­te – ich glau­be aber lei­der nicht dar­an.

Natür­lich darf man Mit­leid mit einem 17jährigen haben, der in einem frem­den Land ins Gefäng­nis gesteckt wor­den ist. Ich will auch nicht über Schuld, Unschuld, mora­li­sche Vor­stel­lun­gen oder gar den ver­meint­li­chen Tat­her­gang dis­ku­tie­ren.
Aber an die­sem Fall wun­dert mich doch so eini­ges:

  • War­um dau­er­te es nach der Fest­nah­me des Jun­gen am 11. April über zwei Mona­te, bis der Fall letz­te Woche in der deut­schen Pres­se ankam?
  • Wie wür­de die deut­sche Bevöl­ke­rung, die deut­sche Pres­se reagie­ren, wenn sich der tür­ki­sche Außen­mi­nis­ter Abdul­lah Gül laut­stark für die Frei­las­sung eines tür­ki­schen Staats­bür­gers in Deutsch­land, dem ähn­li­ches vor­ge­wor­fen wird, aus­spre­chen wür­de?
  • Wo war Frank-Wal­ter Stein­mei­er, als das letz­te Mal ein deut­scher Staats­bür­ger unter extre­men Bedin­gun­gen im Aus­land inhaf­tiert war? Oh, Moment, das wis­sen wir ja …
  • Wel­chen Zweck sol­len sol­che E‑Mails erzie­len?

Womög­lich ste­hen die Absen­der die­ser begin­nen­den Ket­ten­mail Mar­co W. nahe. Sie haben natür­lich das Recht, besorgt und ver­zwei­felt zu sein. Sie haben aber kein Recht, Halb- und Unwahr­hei­ten zu ver­brei­ten, und dif­fu­se Dro­hun­gen („die Euch noch leid tun wird“) aus­zu­sto­ßen.

Und wie immer, wenn Men­schen mit Inter­net­an­schluss besorgt sind und irgend­was tun wol­len, wird es auch dies­mal nur eine Fra­ge der Zeit blei­ben, bis es dazu eine Stu­diVZ-Grup­pe geben wird …

Nach­trag 28. Juni, 00:58 Uhr: Cars­ten Heid­böh­mer ruft in sei­nem Kom­men­tar bei stern.de zu weni­ger Hys­te­rie in Sachen Tür­kei (und Polen) auf. Soll­te man gele­sen haben.

Nach­trag 29. Juni, 18:35 Uhr: Bei mein Ding ist man weni­ger optimistisch/​naiv als ich:

Das kommt mir vor wie ein Ablen­kungs­ma­nö­ver, um den Anschein zu erwe­cken, es sei ein Appell von Freun­den des Inhaf­tier­ten.

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Bedeutungsverschiebungen

Da das Wort „Zen­sur“ im Zuge der Yahoo/Flickr-Dis­kus­si­on der­zeit immer wie­der fällt, habe ich doch noch mal kurz des­sen Bedeu­tung nach­ge­schla­gen:

3) Publi­zis­tik: staat­li­che Über­wa­chung und Unter­drü­ckung von Ver­öf­fent­li­chun­gen in Print- und audio­vi­su­el­len Medi­en (Vor­zen­sur und Nach­zen­sur), um die Publi­zis­tik im Sinn der Staats­füh­rung oder der herr­schen­den Par­tei oder Klas­se zu beein­flus­sen. Eine Zen­sur gab es ins­be­son­de­re im Abso­lu­tis­mus. In frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Staa­ten ist die Zen­sur abge­schafft; auto­ri­tä­re und tota­li­tä­re Staa­ten dage­gen arbei­ten mit einem Zen­sur­ap­pa­rat oder mit lizen­zier­ten bezie­hungs­wei­se ver­staat­lich­ten Kom­mu­ni­ka­ti­ons­sys­te­men.

(Quel­le: Mey­ers Lexi­kon Online, Her­vor­he­bun­gen von mir)

Zen­sur (cen­su­ra) ist ein Ver­fah­ren eines Staa­tes, einer ein­fluss­rei­chen Orga­ni­sa­ti­on oder eines Sys­tem­trä­gers, um durch Medi­en ver­mit­tel­te Inhal­te zu kon­trol­lie­ren, uner­wünsch­te Aus­sa­gen zu unter­drü­cken bzw. dafür zu sor­gen, dass nur erwünsch­te Aus­sa­gen in Umlauf kom­men.

(Quel­le: Wiki­pe­dia, Her­vor­he­bung von mir)

Das, was Yahoo bei Flickr gemacht hat, ist also kei­ne Zen­sur, son­dern wohl „nur“ eine Mischung aus Angst, Ahnungs­lo­sig­keit und völ­li­ger Unter­schät­zung der eige­nen Kun­den, die viel­leicht noch am ehes­ten unter dem Begriff „Bevor­mun­dung“ ein­sor­tiert wer­den kann.

Das, was Yahoo (aber auch Goog­le und Micro­soft) in Chi­na ver­an­stal­tet, dürf­te hin­ge­gen zwei­fels­oh­ne Bei­hil­fe zur Zen­sur sein. Und in mei­nen Augen schwächt man die­se Ver­ge­hen ab, wenn man bei der (zuge­ge­ben uner­freu­li­chen und dum­men) Sper­rung von Fotos gleich „Zen­sur!“ brüllt.

(Und das soll auch wirk­lich mein ein­zi­ger Bei­trag zu dem The­ma sein. Es geht mir um Spra­che und nicht um das Unter­neh­men, des­sen Name schon viel zu oft gefal­len ist. Und schon gar nicht geht es mir dar­um, was Drit­te davon hal­ten, wenn Vier­te die­sem Unter­neh­men Wer­be­flä­chen ver­kau­fen – da emp­feh­le ich schlicht­weg Adblock Plus.)

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Leben Musik

Imagine all the people

Yoko Ono hat schon vor eini­ger Zeit die Rech­te sämt­li­cher John-Len­non-Solo­songs zur Ver­fü­gung gestellt, auf dass sie von nam­haf­ten Künst­lern geco­vert und zu Guns­ten von Amnes­ty Inter­na­tio­nal online ver­kauft wer­den kön­nen. Die Idee ist natür­lich inso­fern bril­lant, als durch den Onlin­ever­kauf die gan­zen Kos­ten­fak­to­ren wie Press­werk, Ver­trieb und Ein­zel­han­del völ­lig ver­nach­läs­sigt wer­den kön­nen. Zuletzt haben z.B. R.E.M. (in Ori­gi­nal­be­set­zung) „Dream #9“ geco­vert und Green Day „Working Class Hero“. Ers­te­res ist (wie zu erwar­ten war) ziem­lich fan­tas­tisch gewor­den, letz­te­res eher grenz­wer­tig. Da aber auch zuletzt schon die Manic Street Pre­a­chers an dem Song schei­ter­ten, könn­te man sich viel­leicht dar­auf eini­gen, dass „Working Class Hero“ schon im Ori­gi­nal nicht zu den bes­ten Len­non-Songs gehört.

Aus der Sicht deut­scher Musik­fans beson­ders inter­es­sant sind viel­leicht die hei­mi­schen Bands, die sich an dem Pro­jekt betei­li­gen: Tokio Hotel haben es tat­säch­lich geschafft, eine gar nicht mal so unspan­nen­de Ver­si­on von „Instant Kar­ma“ auf­zu­neh­men, und auch MIA. ret­te­ten „Mind Games“ gekonnt in ihren eige­nen Klang­kos­mos.

Ganz neu dabei sind Tom­te, denen es – wie zuvor schon die Baren­aked Ladies – gelang, aus der eher unspan­nen­den Nabel­schau „Oh Yoko“ ein wun­der­ba­res Klein­od her­aus­zu­de­stil­lie­ren. Es wird viel­leicht doch mal Zeit, dass Tom­te ihr – seit lan­gem immer mal wie­der lose ange­kün­dig­tes – eng­lisch­spra­chi­ges Album auf­neh­men …