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“Spiegel”-Eier

Eine Nahtoderfahrung der besonderen Art machte ich vor einigen Jahren, als ich bei der Lektüre der Satireseite schandmaennchen.de derart heftig zu lachen begann, dass ich mich nach einigen Minuten nach Luft ringend auf meinem Teppichboden wälzte. (Einen Lustgewinn habe ich dabei allerdings nicht verspürt.) Grund war ein angebliches Zitat aus dem “Spiegel” über Helmut Kohl, seine Büroleiterin Juliane Weber und Frühstückseier.

Über Jahre habe ich versucht, dieses Zitat zu verifizieren und den exakten Wortlaut zu finden. Irgendwie muss ich mich bei der Verwendung der “Spiegel”-Archivsuche sehr dämlich angestellt haben.

Gestern jedenfalls berichtete das NDR-Medienmagazin “Zapp” über den uralten Artikel und jetzt kann ich Ihnen das Zitat endlich im Wortlaut präsentieren:

Wie gewohnt serviert des Kanzlers langjährige Mitarbeiterin Juliane Weber ihrem Chef den Kaffee. Sie schlägt ihm auch die Eier auf, weil der Kanzler sie so heiß nicht anfassen mag.

Ja, zugegeben: Brüllkomisch fand ich es jetzt auch nicht mehr.

Dafür hat der “Spiegel” sich kürzlich an einer Neuauflage seiner Fips-Asmussen-Politkommentierung versucht und dabei die ohnehin schon niedrig liegende Latte gerissen:

Die Kommunistin Sahra Wagenknecht, intime Kennerin von Lafontaines Positionen und nicht nur in Streikfragen mit ihm auf Augenhöhe, verlangt wie er regelmäßig französische Verhältnisse.

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Was unternehmen für Unternehmen

Anschreiben der Jungen Presse NRW und Broschüre zum Wettbewerb "Enterprize"

Die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” (INSM) ist eine Lobbyorganisation, die vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall betrieben wird. Ihr Name ist ziemlich irreführend, denn ihre Positionen lassen sich gut unter dem Rubrum “Wirtschaftsliberalismus” zusammenfassen: So tritt sie für eine Reduzierung des Sozialstaats ein, fordert “flexiblere” Löhne, “mehr Effizienz und mehr Tempo” in der Bildungspolitik und Steuersenkungen.

Bis hierhin könnte man noch von einem ganz normalen Interessenverband sprechen, der die Interessen seiner Mitglieder (eben der Arbeitgeber) vertritt. Aber auch viele Politiker gehören zum “Beraterkreis” oder zum Förderverein der INSM, der von der INSM entworfene Slogan “Sozial ist, was Arbeit schafft” war auch schon Wahlkampfmotto von CDU/CSU und FDP. Es kann durchaus schon mal vorkommen, dass in einer Fernsehtalkshow die Hälfte der Gäste diesem Verein nahestehen und seine Positionen vertreten. Der Zuschauer erfährt von alledem nichts.

Das Problem sind ja nicht primär Organisationen, die bestimmte Positionen vertreten und PR-Fachleute zur Verbreitung einsetzen — das Problem sind die Medien, die diese Positionen nicht kritisch hinterfragen, ihre Leser und Zuschauer nicht über die Hintergründe aufklären oder gleich gemeinsame Sache mit solchen Organisationen machen. Und das gelingt der INSM meisterhaft: laut Wikipedia gab es bisher “Medienpartnerschaften” mit der “Financial Times Deutschland”, “Wirtschaftswoche”, der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”, “Focus”, “Handelsblatt” und der “Fuldaer Zeitung”. Mit der “FAS” zeichnet die INSM einmal im Jahr den “Reformer des Jahres” aus, im Jahr 2003 gab es sogar den “Blockierer des Jahres” — zufälligerweise den Chef der IG Metall, Jürgen Peters. (Noch mal zum Mitschreiben: der Arbeitgeberverband Gesamtmetall verleiht über Bande einen Schmähpreis an den Arbeitnehmerführer der Metallindustrie und die Presse schreibt das völlig kritiklos auf.)

Vor mehr als drei Jahren berichtete der “Freitag” (für dessen neuen Internetauftritt ich arbeite) in einem mittlerweile zum Klassiker avancierten Artikel, wie die INSM kritische Journalisten in Misskredit zu bringen versucht, und auch dieser etwa gleich alte Beitrag von “Zapp” (Transkript hier) liefert einen ganz guten Überblick über die Arbeit der “Initiative”. Es gibt also genügend Gründe, diesem Verein kritisch gegenüber zu stehen.

Entsprechend … äh: “überrascht” war ich, als ich von der Jungen Presse NRW, bei der ich seit knapp fünf Jahren Mitglied bin, Unterlagen zu einem “Wettbewerb für junge Redakteure” geschickt bekam, der von der INSM und dem Jugendmedienzentrum Deutschland veranstaltet wird.

In der Broschüre wird der Wettbewerb “Enterprize” wie folgt beschrieben:

Hast Du schon mal in Deinen Schulbüchern das Kapitel über Unternehmertum gefunden? Wir auch nicht! In den meisten deutschen Schulbüchern kommen Unternehmen praktisch nicht vor. Dabei spielen sie in unserem Alltag eine wichtige Rolle: Vor allem den kleinen und mittelständischen Unternehmen ist es zu verdanken, dass die Arbeitslosigkeit zuletzt so stark gesunken ist. Daher ist es wichtig, sich näher mit der Bedeutung von Unternehmen und deren Arbeit zu beschäftigen.

Hier setzt der Wettbewerb des Jugendmedienzentrums Deutschland e.V. und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) an. Ziel ist es, Dich als jungen Redakteur für die Arbeit von Unternehmen zu interessieren. Tag für Tag entwickeln sie neue Produkte, bieten innovative Dienstleistungen an und schaffen dabei vielleicht auch Deinen zukünftigen Arbeitsplatz. Was genau sie tun, sollst Du herausfinden! Was treibt die Unternehmer an? Was ärgert sie, was freut sie?

Ja, was ärgert diese innovativen Unternehmer, die die Arbeitslosigkeit so toll gesenkt haben?

Mögliche Antworten bekommt man vielleicht, wenn man die “möglichen Leitfragen” aus der Broschüre stellt:

  • Beschreibe das Unternehmen (Größe, Branche, Produkt etc.).
  • Schildere die Existenzgründung (Motivation des Unternehmers, Idee, Verlauf der Gründung, Förderung etc.).
  • Stelle dar, wie das Unternehmen seine Wettbewerbsfähigkeit in der Zukunft sichern möchte (Aus-/Fortbildung, Konzentration auf Marktnischen etc.).
  • Erkläre, was dem Unternehmer an seiner Selbstständigkeit gefällt und was nicht.
  • Frage, welche wirtschaftspolitische Veränderung dem Unternehmen am meisten helfen würde.

Für alle, die nicht nachfragen wollen, um welche “wirtschaftspolitischen Veränderungen” es sich handeln könnte: Ich hätte da so eine Idee

Es soll an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, dass die Broschüre der Zielgruppe (“bundesweit für Schülerzeitungsredakteure ausgeschrieben”) keineswegs verschweigt, wer diesen Wettbewerb ausrichtet. Ob die Informationen allerdings wirklich hilfreich sind, steht auf einem anderen Blatt (das dem Infomaterial nicht beiliegt):

Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft ist eine überparteiliche Bewegung von Bürgern, Unternehmen und Verbänden für marktwirtschaftliche Reformen. Getragen wird sie von den Arbeitgeberverbänden der Metall- und Elektro-Industrie.

Nun weiß ich nicht, ob ich da vielleicht etwas überempfindlich bin, aber ich halte es für grenzwertig, wenn ein Journalistenverband gemeinsam mit einer Lobby-Gruppe einen Schreibwettbewerb veranstaltet — erst recht, wenn sich daran junge Schreiber beteiligen sollen. Viele von ihnen werden sich gar nicht groß mit dem Co-Ausrichter befassen (was man ihnen – anders als ihren großen Kollegen – auch nicht wirklich vorwerfen kann), den Namen INSM aber als etwas diffus Positives in ihrem Unterbewusstsein abspeichern. Und das ist ja Sinn und Zweck der Aktion.

Ich habe bei der Jungen Presse und beim Jugendmedienzentrum (die übrigens beide unter der selben Essener Adresse zu erreichen sind) nachgefragt, ob man dort meine Bauchschmerzen teilt.

Felix Winnands, Vorsitzender der Jungen Presse NRW, schrieb mir, man sei dort “auf die Zusammenarbeit mit Partnern angewiesen”, um die Leistungen und Veranstaltungen finanzieren zu können.

Zum konkreten Fall schrieb er:

Sicher ist die INSM nicht unumstritten, dies trifft jedoch auch auf andere Partner der Junge Presse zu. Aus diesem Grund regen wir zu unabhängiger Berichterstattung an und lassen natürlich auch kritische Beiträge zu unseren Partnern zu (beim VISA Nachwuchsjournalistenpreis “Eine bargeldlose Welt” haben in der Auswahl der unabhängigen Jury auch kritische Beiträge gewonnen und darauf legen wir erhöhten Wert).

Zu diesen “nicht unumstrittenen” Partnern gehört auch die GEMA, die letztes Jahr beim von der Jungen Presse veranstalteten Jugendmedienevent einige “GEMA-Scouts” unter die Teilnehmer gemischt hatte. Till Achinger, der wie ich Referent beim Jugendmedienevent war, hatte damals recht ausführlich darüber gebloggt.

Das Jugendmedienzentrum, das den Wettbewerb gemeinsam mit der INSM ausrichtet und dem ich ebenfalls die Möglichkeit einer Stellungnahme geben wollte, hat auch nach mehr als einer Woche nicht auf meine E-Mail reagiert. Genauso wenig wie das Jury-Mitglied Ralf-Dieter Brunowsky, Vorsitzender der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft.

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Experten

Nun, da wir uns alle einmal über den Mann mit dem albernen Bart und dem unpassenden Namen erregt haben und dieser in einem offenen Brief an den Zentralrat der Juden in Deutschland um Entschuldigung gebeten hat, können wir uns einer wichtigen Frage widmen: Wer ist dieser Hans-Werner Sinn überhaupt?

Vermutlich habe ich in den Nachrichten schon hundertfach von seinem Ifo-Institut gehört und als ich in der Wikipedia vom Ifo-Geschäftsklimaindex las, klingelte es tatsächlich. Aber davon mal ab: Wer ist dieser Mann und was sollte mich dazu bringen, seinen Ausführungen (wenn sie nicht gerade von verfolgten Managern handeln) Glauben zu schenken?

Wenn ein Medium zeigen will, was mit unserer Umwelt passiert oder wie man Energie sparen kann, werden O-Töne von Claudia Kemfert herangeschafft, wenn’s etwas seriöser sein soll Mojib Latif. Tun Jugendliche irgendwo das, was Jugendliche mindestens seit Kain und Abel tun, nämlich zuschlagen, steht das Telefon von Christian Pfeiffer nicht mehr still, und bis vor kurzem konnten Sie sicher sein, Ihre Ernährungstipps von Hademar Bankhofer zu bekommen — egal, welches Medium Sie nutzten.

Braucht ein Journalist ein Statement zum Thema Blogs oder Internet, wendet er sich an Stefan Niggemeier. Der darf auch beim Thema “Medien allgemein” ran, aber nur, solange seine Meinung nicht der Linie des Journalisten zu widersprechen droht – sonst ist Jo Groebel dran. Selbst im Fußball, zu dem nun wirklich jeder Deutsche eine Meinung hat, muss bei jeder Fernsehübertragung ein Experte bereitstehen und erklären, was wir gerade gesehen, aber nur bedingt verstanden haben. Und Henryk M. Broder darf seine Meinung sowieso zu jedem Thema verbreiten.

Der einfache Bürger weiß ja gar nicht, wer diese Menschen sind, die ihm da immer als Experten vorgesetzt werden. Woher kommen sie, was haben sie gelernt, welche eigenen Interessen verfolgen sie gegebenenfalls? (Es soll ja ganze Talkshow-Runden geben, die nur mit Mitgliedern der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” besetzt sind, einer Lobby-Vereinigung des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall.) Selbst von möglicherweise honorigen Professoren kennt man nur ihre Drei-Satz-Erklärungen aus dem Boulevardfernsehen (“Explosiv”, “Brisant”, “Anne Will”) und wenn man sie nur oft genug gesehen hat, kann man sie sowieso nicht mehr ertragen.

Dabei wäre es ja eigentlich nur wünschenswert, wenn sich tatsächlich die verdientesten und klügsten Leute zu Themen äußern und nicht etwa Ronald Pofalla. Es gibt eher zu wenige Denker in der Öffentlichkeit als zu viele. Die Zeiten, in denen sich der Weimarer Hof mit den weisesten Herren der damaligen Welt schmückte, sind lange vorbei. Fachleute werden von der Politik zwar noch herangekarrt, aber sofort wieder fallen gelassen, wenn ihr Fachwissen sich als unpopulär herausstellen könnte. Fragen Sie mal Paul Kirchhof, den “Professor aus Heidelberg”. (Es geht natürlich noch perfider: Hartz will heute ja nun wirklich niemand heißen.)

Der Grund, warum Medien diese Experten brauchen, ist natürlich klar: Zum einen braucht jedes Thema ein Gesicht, weswegen Hip-Hop ja auch aussieht wie Eminem und Indierock wie Pete Doherty. Zum anderen braucht man jemanden, der Ahnung von einem Thema hat, mit dem man sich gerade zum ersten Mal beschäftigt: Wer morgens in der Redaktionskonferenz die Bekanntgabe des “Vogels des Jahres” aufs Auge gedrückt bekommt, kann nicht bis zur Abgabe noch eine Ornithologie-Studium abschließen.

Vor einiger Zeit behelligte ich einen Geschichtsprofessor mit der Frage, ob er mir für eine Reportage (die immer noch zu schreiben ist) einige Einstiegsfragen beantworten könne. Er teilte mir höflich, aber bestimmt mit, dass Professoren entgegen der weitläufigen Annahme von Journalisten keine Auskunfteien seien, für solche Zwecke gebe es Fachliteratur. Der Mann hat wissenschaftlich natürlich vollkommen recht, aber kein Journalist wird im Tagesgeschäft mal eben ein, zwei, drei Fachbücher lesen können — und der Professor hat sich freilich selbst um eine Karriere als vielzitierter (weil ungelesener) Experte gebracht.

Mehr zum Thema in diesem Beitrag von “Zapp” aus dem letzten Jahr.