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Was unternehmen für Unternehmen

Anschreiben der Jungen Presse NRW und Broschüre zum Wettbewerb "Enterprize"

Die „Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft“ (INSM) ist eine Lob­by­or­ga­ni­sa­ti­on, die vom Arbeit­ge­ber­ver­band Gesamt­me­tall betrie­ben wird. Ihr Name ist ziem­lich irre­füh­rend, denn ihre Posi­tio­nen las­sen sich gut unter dem Rubrum „Wirt­schafts­li­be­ra­lis­mus“ zusam­men­fas­sen: So tritt sie für eine Redu­zie­rung des Sozi­al­staats ein, for­dert „fle­xi­ble­re“ Löh­ne, „mehr Effi­zi­enz und mehr Tem­po“ in der Bil­dungs­po­li­tik und Steu­er­sen­kun­gen.

Bis hier­hin könn­te man noch von einem ganz nor­ma­len Inter­es­sen­ver­band spre­chen, der die Inter­es­sen sei­ner Mit­glie­der (eben der Arbeit­ge­ber) ver­tritt. Aber auch vie­le Poli­ti­ker gehö­ren zum „Bera­ter­kreis“ oder zum För­der­ver­ein der INSM, der von der INSM ent­wor­fe­ne Slo­gan „Sozi­al ist, was Arbeit schafft“ war auch schon Wahl­kampf­mot­to von CDU/​CSU und FDP. Es kann durch­aus schon mal vor­kom­men, dass in einer Fern­seh­talk­show die Hälf­te der Gäs­te die­sem Ver­ein nahe­ste­hen und sei­ne Posi­tio­nen ver­tre­ten. Der Zuschau­er erfährt von alle­dem nichts.

Das Pro­blem sind ja nicht pri­mär Orga­ni­sa­tio­nen, die bestimm­te Posi­tio­nen ver­tre­ten und PR-Fach­leu­te zur Ver­brei­tung ein­set­zen – das Pro­blem sind die Medi­en, die die­se Posi­tio­nen nicht kri­tisch hin­ter­fra­gen, ihre Leser und Zuschau­er nicht über die Hin­ter­grün­de auf­klä­ren oder gleich gemein­sa­me Sache mit sol­chen Orga­ni­sa­tio­nen machen. Und das gelingt der INSM meis­ter­haft: laut Wiki­pe­dia gab es bis­her „Medi­en­part­ner­schaf­ten“ mit der „Finan­cial Times Deutsch­land“, „Wirt­schafts­wo­che“, der „Frank­fur­ter All­ge­mei­nen Sonn­tags­zei­tung“, „Focus“, „Han­dels­blatt“ und der „Ful­da­er Zei­tung“. Mit der „FAS“ zeich­net die INSM ein­mal im Jahr den „Refor­mer des Jah­res“ aus, im Jahr 2003 gab es sogar den „Blo­ckie­rer des Jah­res“ – zufäl­li­ger­wei­se den Chef der IG Metall, Jür­gen Peters. (Noch mal zum Mit­schrei­ben: der Arbeit­ge­ber­ver­band Gesamt­me­tall ver­leiht über Ban­de einen Schmäh­preis an den Arbeit­nehm­er­füh­rer der Metall­in­dus­trie und die Pres­se schreibt das völ­lig kri­tik­los auf.)

Vor mehr als drei Jah­ren berich­te­te der „Frei­tag“ (für des­sen neu­en Inter­net­auf­tritt ich arbei­te) in einem mitt­ler­wei­le zum Klas­si­ker avan­cier­ten Arti­kel, wie die INSM kri­ti­sche Jour­na­lis­ten in Miss­kre­dit zu brin­gen ver­sucht, und auch die­ser etwa gleich alte Bei­trag von „Zapp“ (Tran­skript hier) lie­fert einen ganz guten Über­blick über die Arbeit der „Initia­ti­ve“. Es gibt also genü­gend Grün­de, die­sem Ver­ein kri­tisch gegen­über zu ste­hen.

Ent­spre­chend … äh: „über­rascht“ war ich, als ich von der Jun­gen Pres­se NRW, bei der ich seit knapp fünf Jah­ren Mit­glied bin, Unter­la­gen zu einem „Wett­be­werb für jun­ge Redak­teu­re“ geschickt bekam, der von der INSM und dem Jugend­me­di­en­zen­trum Deutsch­land ver­an­stal­tet wird.

In der Bro­schü­re wird der Wett­be­werb „Enter­pri­ze“ wie folgt beschrie­ben:

Hast Du schon mal in Dei­nen Schulbüchern das Kapi­tel über Unter­neh­mer­tum gefun­den? Wir auch nicht! In den meis­ten deut­schen Schulbüchern kom­men Unter­neh­men prak­tisch nicht vor. Dabei spie­len sie in unse­rem All­tag eine wich­ti­ge Rol­le: Vor allem den klei­nen und mit­tel­stän­di­schen Unter­neh­men ist es zu ver­dan­ken, dass die Arbeits­lo­sig­keit zuletzt so stark gesun­ken ist. Daher ist es wich­tig, sich näher mit der Bedeu­tung von Unter­neh­men und deren Arbeit zu beschäf­ti­gen.

Hier setzt der Wett­be­werb des Jugend­me­di­en­zen­trums Deutsch­land e.V. und der Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft (INSM) an. Ziel ist es, Dich als jun­gen Redak­teur für die Arbeit von Unter­neh­men zu inter­es­sie­ren. Tag für Tag ent­wi­ckeln sie neue Pro­duk­te, bie­ten inno­va­ti­ve Dienst­leis­tun­gen an und schaf­fen dabei viel­leicht auch Dei­nen zukünftigen Arbeits­platz. Was genau sie tun, sollst Du her­aus­fin­den! Was treibt die Unter­neh­mer an? Was ärgert sie, was freut sie?

Ja, was ärgert die­se inno­va­ti­ven Unter­neh­mer, die die Arbeits­lo­sig­keit so toll gesenkt haben?

Mög­li­che Ant­wor­ten bekommt man viel­leicht, wenn man die „mög­li­chen Leit­fra­gen“ aus der Bro­schü­re stellt:

  • Beschrei­be das Unter­neh­men (Grö­ße, Bran­che, Pro­dukt etc.).
  • Schil­de­re die Existenzgründung (Moti­va­ti­on des Unter­neh­mers, Idee, Ver­lauf der Gründung, För­de­rung etc.).
  • Stel­le dar, wie das Unter­neh­men sei­ne Wett­be­werbs­fä­hig­keit in der Zukunft sichern möch­te (Aus-/Fort­bil­dung, Kon­zen­tra­ti­on auf Markt­ni­schen etc.).
  • Erklä­re, was dem Unter­neh­mer an sei­ner Selbst­stän­dig­keit gefällt und was nicht.
  • Fra­ge, wel­che wirt­schafts­po­li­ti­sche Ver­än­de­rung dem Unter­neh­men am meis­ten hel­fen würde.

Für alle, die nicht nach­fra­gen wol­len, um wel­che „wirt­schafts­po­li­ti­schen Ver­än­de­run­gen“ es sich han­deln könn­te: Ich hät­te da so eine Idee

Es soll an die­ser Stel­le nicht ver­schwie­gen wer­den, dass die Bro­schü­re der Ziel­grup­pe („bun­des­weit für Schü­ler­zei­tungs­re­dak­teu­re aus­ge­schrie­ben“) kei­nes­wegs ver­schweigt, wer die­sen Wett­be­werb aus­rich­tet. Ob die Infor­ma­tio­nen aller­dings wirk­lich hilf­reich sind, steht auf einem ande­ren Blatt (das dem Info­ma­te­ri­al nicht bei­liegt):

Die Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft ist eine überparteiliche Bewe­gung von Bürgern, Unter­neh­men und Ver­bän­den für markt­wirt­schaft­li­che Refor­men. Getra­gen wird sie von den Arbeit­ge­ber­ver­bän­den der Metall- und Elek­tro-Indus­trie.

Nun weiß ich nicht, ob ich da viel­leicht etwas über­emp­find­lich bin, aber ich hal­te es für grenz­wer­tig, wenn ein Jour­na­lis­ten­ver­band gemein­sam mit einer Lob­by-Grup­pe einen Schreib­wett­be­werb ver­an­stal­tet – erst recht, wenn sich dar­an jun­ge Schrei­ber betei­li­gen sol­len. Vie­le von ihnen wer­den sich gar nicht groß mit dem Co-Aus­rich­ter befas­sen (was man ihnen – anders als ihren gro­ßen Kol­le­gen – auch nicht wirk­lich vor­wer­fen kann), den Namen INSM aber als etwas dif­fus Posi­ti­ves in ihrem Unter­be­wusst­sein abspei­chern. Und das ist ja Sinn und Zweck der Akti­on.

Ich habe bei der Jun­gen Pres­se und beim Jugend­me­di­en­zen­trum (die übri­gens bei­de unter der sel­ben Esse­ner Adres­se zu errei­chen sind) nach­ge­fragt, ob man dort mei­ne Bauch­schmer­zen teilt.

Felix Winnands, Vor­sit­zen­der der Jun­gen Pres­se NRW, schrieb mir, man sei dort „auf die Zusam­men­ar­beit mit Part­nern ange­wie­sen“, um die Leis­tun­gen und Ver­an­stal­tun­gen finan­zie­ren zu kön­nen.

Zum kon­kre­ten Fall schrieb er:

Sicher ist die INSM nicht unum­strit­ten, dies trifft jedoch auch auf ande­re Part­ner der Jun­ge Pres­se zu. Aus die­sem Grund regen wir zu unab­hän­gi­ger Bericht­erstat­tung an und las­sen natür­lich auch kri­ti­sche Bei­trä­ge zu unse­ren Part­nern zu (beim VISA Nach­wuchs­jour­na­lis­ten­preis „Eine bar­geld­lo­se Welt“ haben in der Aus­wahl der unab­hän­gi­gen Jury auch kri­ti­sche Bei­trä­ge gewon­nen und dar­auf legen wir erhöh­ten Wert).

Zu die­sen „nicht unum­strit­te­nen“ Part­nern gehört auch die GEMA, die letz­tes Jahr beim von der Jun­gen Pres­se ver­an­stal­te­ten Jugend­me­di­en­event eini­ge „GEMA-Scouts“ unter die Teil­neh­mer gemischt hat­te. Till Achin­ger, der wie ich Refe­rent beim Jugend­me­di­en­event war, hat­te damals recht aus­führ­lich dar­über gebloggt.

Das Jugend­me­di­en­zen­trum, das den Wett­be­werb gemein­sam mit der INSM aus­rich­tet und dem ich eben­falls die Mög­lich­keit einer Stel­lung­nah­me geben woll­te, hat auch nach mehr als einer Woche nicht auf mei­ne E‑Mail reagiert. Genau­so wenig wie das Jury-Mit­glied Ralf-Die­ter Bru­now­sky, Vor­sit­zen­der der Köl­ner Jour­na­lis­ten­schu­le für Poli­tik und Wirt­schaft.

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Experten

Nun, da wir uns alle ein­mal über den Mann mit dem alber­nen Bart und dem unpas­sen­den Namen erregt haben und die­ser in einem offe­nen Brief an den Zen­tral­rat der Juden in Deutsch­land um Ent­schul­di­gung gebe­ten hat, kön­nen wir uns einer wich­ti­gen Fra­ge wid­men: Wer ist die­ser Hans-Wer­ner Sinn über­haupt?

Ver­mut­lich habe ich in den Nach­rich­ten schon hun­dert­fach von sei­nem Ifo-Insti­tut gehört und als ich in der Wiki­pe­dia vom Ifo-Geschäfts­kli­ma­in­dex las, klin­gel­te es tat­säch­lich. Aber davon mal ab: Wer ist die­ser Mann und was soll­te mich dazu brin­gen, sei­nen Aus­füh­run­gen (wenn sie nicht gera­de von ver­folg­ten Mana­gern han­deln) Glau­ben zu schen­ken?

Wenn ein Medi­um zei­gen will, was mit unse­rer Umwelt pas­siert oder wie man Ener­gie spa­ren kann, wer­den O‑Töne von Clau­dia Kem­fert her­an­ge­schafft, wenn’s etwas seriö­ser sein soll Mojib Latif. Tun Jugend­li­che irgend­wo das, was Jugend­li­che min­des­tens seit Kain und Abel tun, näm­lich zuschla­gen, steht das Tele­fon von Chris­ti­an Pfeif­fer nicht mehr still, und bis vor kur­zem konn­ten Sie sicher sein, Ihre Ernäh­rungs­tipps von Hade­mar Bank­ho­fer zu bekom­men – egal, wel­ches Medi­um Sie nutz­ten.

Braucht ein Jour­na­list ein State­ment zum The­ma Blogs oder Inter­net, wen­det er sich an Ste­fan Nig­ge­mei­er. Der darf auch beim The­ma „Medi­en all­ge­mein“ ran, aber nur, solan­ge sei­ne Mei­nung nicht der Linie des Jour­na­lis­ten zu wider­spre­chen droht – sonst ist Jo Groe­bel dran. Selbst im Fuß­ball, zu dem nun wirk­lich jeder Deut­sche eine Mei­nung hat, muss bei jeder Fern­seh­über­tra­gung ein Exper­te bereit­ste­hen und erklä­ren, was wir gera­de gese­hen, aber nur bedingt ver­stan­den haben. Und Hen­ryk M. Bro­der darf sei­ne Mei­nung sowie­so zu jedem The­ma ver­brei­ten.

Der ein­fa­che Bür­ger weiß ja gar nicht, wer die­se Men­schen sind, die ihm da immer als Exper­ten vor­ge­setzt wer­den. Woher kom­men sie, was haben sie gelernt, wel­che eige­nen Inter­es­sen ver­fol­gen sie gege­be­nen­falls? (Es soll ja gan­ze Talk­show-Run­den geben, die nur mit Mit­glie­dern der „Initia­ti­ve Neue Sozia­le Markt­wirt­schaft“ besetzt sind, einer Lob­by-Ver­ei­ni­gung des Arbeit­ge­ber­ver­ban­des Gesamt­me­tall.) Selbst von mög­li­cher­wei­se hono­ri­gen Pro­fes­so­ren kennt man nur ihre Drei-Satz-Erklä­run­gen aus dem Bou­le­vard­fern­se­hen („Explo­siv“, „Bri­sant“, „Anne Will“) und wenn man sie nur oft genug gese­hen hat, kann man sie sowie­so nicht mehr ertra­gen.

Dabei wäre es ja eigent­lich nur wün­schens­wert, wenn sich tat­säch­lich die ver­dien­tes­ten und klügs­ten Leu­te zu The­men äußern und nicht etwa Ronald Pofalla. Es gibt eher zu weni­ge Den­ker in der Öffent­lich­keit als zu vie­le. Die Zei­ten, in denen sich der Wei­ma­rer Hof mit den wei­ses­ten Her­ren der dama­li­gen Welt schmück­te, sind lan­ge vor­bei. Fach­leu­te wer­den von der Poli­tik zwar noch her­an­ge­karrt, aber sofort wie­der fal­len gelas­sen, wenn ihr Fach­wis­sen sich als unpo­pu­lär her­aus­stel­len könn­te. Fra­gen Sie mal Paul Kirch­hof, den „Pro­fes­sor aus Hei­del­berg“. (Es geht natür­lich noch per­fi­der: Hartz will heu­te ja nun wirk­lich nie­mand hei­ßen.)

Der Grund, war­um Medi­en die­se Exper­ten brau­chen, ist natür­lich klar: Zum einen braucht jedes The­ma ein Gesicht, wes­we­gen Hip-Hop ja auch aus­sieht wie Emi­nem und Indie­rock wie Pete Doh­erty. Zum ande­ren braucht man jeman­den, der Ahnung von einem The­ma hat, mit dem man sich gera­de zum ers­ten Mal beschäf­tigt: Wer mor­gens in der Redak­ti­ons­kon­fe­renz die Bekannt­ga­be des „Vogels des Jah­res“ aufs Auge gedrückt bekommt, kann nicht bis zur Abga­be noch eine Orni­tho­lo­gie-Stu­di­um abschlie­ßen.

Vor eini­ger Zeit behel­lig­te ich einen Geschichts­pro­fes­sor mit der Fra­ge, ob er mir für eine Repor­ta­ge (die immer noch zu schrei­ben ist) eini­ge Ein­stiegs­fra­gen beant­wor­ten kön­ne. Er teil­te mir höf­lich, aber bestimmt mit, dass Pro­fes­so­ren ent­ge­gen der weit­läu­fi­gen Annah­me von Jour­na­lis­ten kei­ne Aus­kunftei­en sei­en, für sol­che Zwe­cke gebe es Fach­li­te­ra­tur. Der Mann hat wis­sen­schaft­lich natür­lich voll­kom­men recht, aber kein Jour­na­list wird im Tages­ge­schäft mal eben ein, zwei, drei Fach­bü­cher lesen kön­nen – und der Pro­fes­sor hat sich frei­lich selbst um eine Kar­rie­re als viel­zi­tier­ter (weil unge­le­se­ner) Exper­te gebracht.

Mehr zum The­ma in die­sem Bei­trag von „Zapp“ aus dem letz­ten Jahr.