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Unsichtbar und namenlos: Die neue Travis im Detail

Am vergangenen Freitag erschien “The Boy With No Name”, das mittlerweile fünfte Album von Travis. Mit dem zeitgleich erschienen neuen Album der Manic Street Preachers und den bereits angekündigten neuen Alben von R.E.M., den Stereophonics, Ash und Slut können wir also in diesem Jahr die Wiederkehr des Musikjahres 2001 feiern – nur, dass zumindest Travis, Manics, Phonics und Ash damals noch irgendwie mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.

Auch für Travis gibt es die Track-by-track-Analyse – wie immer total subjektiv und voller Querverweise:

3 Times And You Lose
So ruhig hat noch kein Travis-Album begonnen: Erst nach 43 Sekunden setzen Bass und Schlagzeug ein, um Fran Healy, seine Akustikgitarre und den Chorgesang zu begleiten. Von da an ist es ein sommerlich-fluffiger Popsong, der auch gut auf “The Invisible Band” gepasst hätte – und damit die Marschrichtung vorgibt.

Selfish Jean
“Lust For Life”? “Lifestyles Of The Rich And Famous”? Das dürfte die … nun ja: schnellste Travis-Nummer aller Zeiten sein, man ist fast versucht, etwas wie “nach vorne gehen” zu schreiben. Darauf sollte man sogar einen gepflegten Rock’n’Roll tanzen dürfen – wenn man’s denn kann. Eine der Überraschungen des Albums – und deshalb auch einer der besten Songs. Dass hier Teile der Uralt-B-Seite “Standing On My Own” recycelt werden, fällt weder auf, noch wäre es schlimm.

Closer
Die bereits andernorts gelobte erste Single. Sie braucht ihre zwei, drei Durchläufe, dann ist es sofort einer der Lieblingssongs. Der Echo-Gesang der zweiten Strophe ist ein Travis-typischer Gänsehautmoment, der aufzeigt, warum man diese Band noch mal so gerne hat.

Big Chair
Was ist das denn, eine Funk-Ballade oder doch eher der Versuch, Drum’n’Bass auf echten Instrumenten zu spielen? Was auch immer Travis sich dabei gedacht haben: Es ist ein wunderschönes Lied daraus geworden, schon wieder beinahe tanzbar, aber dafür viel zu laid back. Mit dem schönsten Klaviergeklimper seit Robbie Williams’ “Feel”. Und dass das Lied auch von Keane stammen könnte, ist für keine der beiden Bands beleidigend gemeint. Textlich vermutlich die Antwort auf Herbert Grönemeyers “Stuhl im Orbit”.

Battleships
“Be My Baby” haben Travis schon mal als B-Seite aufgenommen, diesmal borgen sie sich deshalb nur das Intro. “When will you carry me home / Like the wounded star in the movie” beginnt das Lied, das im Refrain eine zwar etwas abgegriffene, aber nicht minder anrührende Kriegsmetapher für das Scheitern einer Beziehung durchdekliniert: “We’re battleships, driftin’ in an alley river / Takin’ hits, sinking it’s now or never / Overboard, drownin’ in a sea of love and hate but it’s too late / Battleship down”. Herzzerreißend, großartig, “The Man Who”-Niveau!

Eyes Wide Open
Huch: Eine rotzige (aber leise) E-Gitarre und eine Four-To-The-Floor-Bassdrum in der Strophe, ein schwungvoller Beat im Refrain. Das hätte (auch in textlicher Hinsicht) auch bestens aufs letzte Oasis-Album gepasst. Außergewöhnlich, aber nicht unbedingt der Übersong.

My Eyes
Musikalisch und thematisch die Fortsetzung von “Flowers In The Window”. Damals ging’s ums Kinderkriegen, jetzt ist der Nachwuchs da: “You’ve got my eyes / We can see, what you’ll be, you can’t disguise / And either way, I will pray, you will be wise / Pretty soon you will see the tears in my eyes”. Das ist dann wohl das Lied für Clay, Fran Healys Sohn, dessen Wochen der Namenlosigkeit dem Album seinen Titel gaben. Die schönste Vater-Sohn-Nummer seit Ben Folds’ “Still Fighting It” – und auch fast so gut.

One Night
Jedes Travis-Album braucht offenbar ein “Luv” oder “Afterglow”, an das man sich schon beim nächsten Track kaum noch erinnert. Und mit Zeilen wie “One night can change everything in your life / One night can make everything alright” gewinnt man auch keinen Blumentopf. Wie die vorgenannten Songs aber auch, so fügt sich dieser Titel gut in den Albumkontext ein und eignet sich so gut als Füller.

Under The Moonlight
Travis, die ungekrönten Könige der fantastischen B-Seiten-Coverversionen, packen ein fremdes Lied auf eines ihrer Alben! Wobei, was heißt hier “fremd”? Geschrieben wurde “Under The Moonlight” von Susie Hug, einer engen Freundin der Band, deren letztes Album nicht nur von Fran Healy produziert wurde, sondern bei dem auch noch drei Viertel der Band (Bassist Dougie Payne musste grad umziehen) als Backing Band zu hören sind. Seltsam (aber kein bisschen schlimm) ist nur, dass es sich bei der Dame, die im Hintergrund singt, nicht um Susie Hug, sondern um KT Tunstall handelt.

Out In Space
Das obligatorische Lied ohne Schlagzeug. Klingt wie ein Überbleibsel der “Invisible Band”-Sessions und hat die gleiche atmosphärische Dichte. Seit der Regen vor meinem Fenster die Hitze abgelöst hat, passt dieser Song auch.

Colder
Das Schlagzeug rumpelt, Andy Dunlops Gitarren sirren und Fran Healy singt “I’m in love with everything” – klingt nach guter Laune? Quark: “The sky is falling down / And there’s an angel on the ground / It’s getting colder”. Fünf Pfund, dass es hier um einen verflucht kalten Winter geht. Im Refrain kommt erstmalig ein Vocoder zum (sparsamen, aber prägnanten) Einsatz, in der Middle 8 erwarten und Harfen und Mundharmonika. Der beste Travis-Song seit vielen Jahren, eine Kopfnick- und Armeausbreite-Hymne für die pathetischen Momente im Leben.

New Amsterdam
Oh, ein Lied über New York, hatten wir ja noch nie. Der lyrisch schwächste Travis-Song seit “She’s So Strange”. Dass New York einen sprachlos macht, ist klar. Dass dabei aber trotzdem noch gute Songtexte entstehen können, haben zuletzt Tomte bewiesen. Musikalisch trotzdem schön.

Sailing Away
Drei von jetzt fünf Travis-Alben haben Hidden Tracks, diese Quote schlägt nur noch Robbie Williams. Hier ist der aktuelle: Ein beschwingter Schunkler, der vor allem mit dem (doch wohl hoffentlich beabsichtigten) The-Clash-Zitat “I live by the river” punkten kann. Ein hübscher Abschluss der Platte und tausend- ach: milliardenfach besser als der letzte Schotte, der übers Segeln sang. Wie, das ist ja auch überhaupt nicht schwer? Na gut: stimmt.

Fazit
Okay, ich bin ehrlich: Ich bin überzeugter Travis-Fan. Gerade deshalb war ich aber irgendwie immer unzufrieden mit “12 Memories”, weil es mir irgendwie ein bisschen verkrampft, unrund und überambitioniert erschien. “The Boy With No Name” schaltet da zwei Gänge zurück und ist deshalb eher als direkter Nachfolger von “The Invisible Band” anzusehen – was sich übrigens auch in den sonnendurchfluteten Amerika-Fotos der jeweiligen Booklets wiederspiegelt. Trotzdem gibt es auch ein paar große “The Man Who”-Momente.
Es ist das erste Travis-Album, dass nicht nur Fran-Healy-Songs beinhaltet: Neben der externen Zulieferung “Under The Moonlight” stammen “3 Times And You Lose” und “Big Chair” (Andy Dunlop) und “Colder” (Dougie Payne) zumindest teilweise aus der Feder anderer Bandmitglieder, die ihre Songwriterqualitäten schon auf diversen B-Seiten beweisen durften. (Ich glaube, ich sollte mal dringend eine Liste mit den besten Travis-B-Seiten zusammenstellen – das dürfte deren zweitbestes Album werden.)
Die Band tat vermutlich sehr gut daran, den Breitwand-Tüftler Brian Eno nach ein paar Tagen in die Wüste zu schicken und das Album stattdessen mit Steve Orchard und ihrem langjährigen Begleiter Nigel Godrich zu produzieren.
Zu der von Jan Wigger aufgestellten Behauptung, Travis-Fans seien “auffallend genügsam” und erwarten eh immer nur das Gleiche, kann man stehen, wie man will, dieses Album liefert innerhalb des Travis-Kosmos doch die ein oder andere Neuerung und kann vielleicht im Kreis der Keane-, Snow-Patrol- und Coldplay-Anhänger sogar noch den einen oder anderen neuen Fan abgreifen.
Die letzte Frage, die sich jetzt noch stellt: Ist der im Booklet überschwänglich mit Dank bedachte “Wolfgang Doebling” wirklich Wolfgang Doebeling vom Rolling Stone?

Travis - The Boy With No Name
Travis – The Boy With No Name

VÖ: 04.05.2007
Label: Independiente
Vertrieb: SonyBMG

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Ein Klavier, ein Klavier!

Jetzt betreiben wir dieses Blog seit fast drei Monaten und ich habe immer noch keinen Satz über Ben Folds verloren. Das ist insofern skandalös, als Folds mein absoluter Lieblingskünstler ist, der gar nicht genug gewürdigt werden kann. Wer noch nie etwas von Ben Folds oder seiner früheren Band Ben Folds Five gehört hat, möge sich bitte erst ein paar Minuten schämen und diese Bildungslücke anschließend schließen.
Der Zustand des Nichtgeschriebenhabens ändert sich heute, denn gleich zwei, nun ja: überraschende bis verwirrende Meldungen aus dem Hause Folds erblickten das Licht der Welt:

Zum einen wird Folds das Solodebüt der Dresden-Dolls-Sängerin Amanda Palmer produzieren. Zwar bestand wohl nicht ernsthaft die Gefahr, Palmers Soloalbum könnte nicht auch ohne Folds gelingen, aber so besteht natürlich besonderer Grund zur Freude. Denn Folds’ letzte Produktionsarbeit war das kleine Meisterwerk “Has Been” von William “Captain Kirk” Shatner – und dessen Vorgänger aus dem Jahr 1969 gilt immerhin als eines der schlechtesten Alben ever. Wenn Folds also aus einem alternden Weltraumcowboy nur das Beste rausholt, was soll er dann erst bei Miss Palmer machen?

Zum zweiten ging heute per Newsletter und MySpace-Blog eine Botschaft in die Welt, die am Besten gleich wörtlich zitiert wird:

i need a vacation. but i hate vacations because i don’t know what to do with my time. so i stayed up all last night dialing up friends who play music who also want a vacation and most of them told me to call back when i was sober and not crying.

i’ll ring them up again today, but my point is that i’d like to get a lot of talented musical artists together in one holiday moment of glory with possibly a few comedians and have some kind of magical experience ..MAN.

the idea of painting a large bus psychedelic purple, not taking baths for a week and driving around the country jamming out on one chord about the war got shot down quickly. everyone wanted to bring their blackberry’s and sing about their record companies, then there was an issue because some of the musical acts wanted corporate sponsorship on the side of the bus etc. we’ll get everyone on board…. soon. my people will come up with something and contact their people who will contact your people and we’ll make my vacation fantasies come true.

Um eine Phrase zu vermeiden: Man darf gespannt sein.

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Listenpanik (2): Hier kommt Rock’n’Roll

Die letzte Bestandsaufnahme ist schon wieder fast zwei Monate her und so richtig sinnvoll will mir dieses unstrukturierte Vorgehen nicht erscheinen. Deswegen gibt es hier ab demnächst immer am Monatsende eine Liste der wichtigsten Platten und Singles. Jetzt aber erst mal die für Ende Februar bis Mitte April – natürlich wie immer streng subjektiv und garantiert unter versehentlichem Vergessen von hundert anderen Sachen, die auch toll sind.

Alben
1. Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Passender kann ein Albumtitel kaum sein: Ganz großes Gefühlskino mitten aus dem Leben, das von verspieltem Geplucker vor dem Sturz in den Emo-Strudel bewahrt wird. Sam Duckworth ist gerade mal 20 und damit ein mehr als würdiger Erbe für Connor Oberst, dessen Bright Eyes das Tal der Tränen langsam zu verlassen wollen scheinen.

2. Mika – Life In Cartoon Motion
Passender kann ein Albumtitel kaum sein: Höchst vergnüglicher Bubblegum-Pop, der immer kurz davor steht, ins Alberne abzuschweifen, sich aber immer wieder rettet. Dass der 23jährige Sänger (als Kind mit seiner Mutter aus dem Libanon geflohen, der Vater sieben Monate im Irak verschwunden, hat früher Telefonwarteschleifen besungen) bisher schon ein für heutige Verhältnisse erschreckend bewegtes Leben geführt hat, macht ihn auch als Interviewpartner interessant.

3. Flowerpornoes – Wie oft musst du vor die Wand laufen, bis der Himmel sich auftut?
Passender … Nee, anders: Es mag Zufall sein, dass Tom Liwa seine Band in dem Jahr reaktivierte, in dem mit Blumfeld eine andere große deutschsprachige Indieband der ersten Stunde die Bühne verlässt. Strapazierte Liwa auf seinen letzten Soloplatten die Nerven seiner bodenständigeren Fans mitunter erheblich mit esoterischen Themen, steht er plötzlich wieder mitten im Leben. Die E-Gitarren bollern und er singt Geschichten von Zahnarzttöchtern, Apfelkernen und Rock’n’Roll. Und der ist bekanntlich größer als wir alle.

4. Maxïmo Park – Our Earthly Pleasures
Die neben Bloc Party vermutlich spannendste Band der British Class of 2005 legt ebenfalls nach. Wie es sich für einen guten Zweitling gehört, wirkt die Band gefestigter und scheint ihren Weg gefunden zu haben. Musikalisch großer Indiepop mit vollem Instrumentarium, textlich oft genug ganz tief drin in den menschlichen Abgründen.

5. Just Jack – Overtones
Hip Hop? Funk? Pop? Na ja, in irgendeine Schublade wird man das Album schon stopfen können. Besser aufgehoben ist es aber im Discman, während man auf der Wiese in der Sonne liegt. So laid back und sommerlich kann Musik klingen, ohne gleich süßlich duften zu müssen.

Singles
1. Manic Street Preachers – Your Love Alone Is Not Enough
Okay, okay: noch ist die Single nicht erschienen. Aber wenn die Manic Street Preachers durch die Soloausflüge von James Dean Bradfield und Nicky Wire zu alter Stärke zurückfinden und dann noch ein Duett mit Nina Persson von den Cardigans, der Frau in die jeder ordentliche Indiehörer und -musiker mindestens einmal verliebt war, veröffentlichen, ist das Releasedate ja wohl egal. Wenn Bradfield und Persson durch diese nach Petticoat und Tanztee klingende Nummer schunkeln und nebenbei noch ein paar Selbstzitate verbraten (“You stole the sun” – “Straight from my heart, from my heart, from my heart”), ist das eben ganz und gar großartig.

2. Travis – Closer
Auch noch nicht erschienen, aber ebenfalls bereits zu hören ist die Comeback-Single von Travis. “Closer” ist ein echter grower, der beim ersten Hören langweilig erscheint, und den man nach fünf Durchgängen schon ewig zu kennen glaubt. “Gänsehaut-Zeitlupen-Stadion-Pophymne” nennt das die Presseinfo und hat damit sogar irgendwie recht. Die Band tänzelt durchs Video und man würde es ihr gerne gleichtun. Das macht – zusammen mit den anderen Hörproben, die es bereits gab – ganz große Lust auf das neue Album.

3. Just Jack – Starz In Their Eyes
Night fever, night fever! In der sog. gerechten Welt wäre das der Tanzbodenfüller der Saison. So ist es eben nur der Funksong, mit dem man sich bis zum Erscheinen des nächsten Phoenix-Albums die Beine vertreten kann. Oder was man sonst mit Beinen so macht, wenn Musik läuft.

4. Kilians – Fight The Start
Ja ja, die klingen total wie die Strokes. Nur, dass ich mich nicht erinnern könnte, dass die Strokes je A Tribe Called Quest zitiert hätten. Außerdem können Menschen, die sich für besonders schöne Bassläufe interessieren, hier noch richtig was lernen. Und alle anderen auch. Gerechte Welt: Riesenhit. Kann man sogar nachhelfen.

5. The View – Wasted Little DJ’s
Bevor alle Welt New Rave feiert – was auch immer das genau sein soll – gibt es hier noch mal Indierock. Der Song dengelt zwischen Libertines und Beach Boys dahin und sollte dieses Jahr auf keinem Mixtape fehlen.

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Musik

Die Jugend von morgen

Morgen erscheinen zwei Alben, die – auch wenn sie auf den ersten Blick sehr verschieden sind – ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen: beide stammen aus der Feder von jungen Männern und beide gefallen mir außerordentlich gut.

Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Lass uns Schubladen verbrennen mit Sam Duckworth. Der schnappt sich seine Akustikgitarre und singt Melodien, die einen zunächst einmal an so richtig emo-mäßige Songs denken lassen. Aber noch bevor man “Dashboard Confessional lässt grüßen” in seinen Unterarm ritzen kann, scheppern da verspielte Beats los und winken in Richtung The Postal Service und Electric President. Anders als die bisher genamedropten Künstler kommt Duckworth aus England und ist gerade 20 Jahre alt. Man müsste sich arg am Metaphernriemen reißen, um die Lieder nicht als Perlen zu bezeichnen und das Album zu hören klingt wie als Kind in die Sommerferien zu fahren. Und ehe meine Hilflosigkeit, das Unglaubliche in Worte zu fassen, noch weiter um sich greift, empfehle ich die Anschaffung des Werkes. Zur Not nach vorherigem Reinhören!

Mika – Life In Cartoon Motion
Die fantastische Single “Grace Kelly”, die einem auch beim hundertsten Hören noch nicht völlig auf die Ketten geht, hatte ich ja schon vor ein paar Wochen gelobt. Jetzt kommt das Album (natürlich mit abgerundeten Ecken) und da zeigt uns der 23jährige Mika, der in seinem Leben schon mehr erlebt hat als so mancher mit 75, wie Pop heute geht. Was sage ich dazu? Seit “Maybe You’ve Been Brainwashed Too” von den New Radicals, nach deren Gregg Alexander Mika immer wieder klingt, hab ich keine so charmant-bunte Pop-Platte mehr gehört. Wenn das Album nach zehn Songs vorbeige wäre, wäre es ein echtes Meisterwerk. Mit zwölf Nummern ist es nur eine großartige Scheibe für Freunde des etwas bubblegumigen Indiepops. Bitte ebenfalls kaufen und hören!

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Musik Digital

12, 483, 1, 2:0 (Zusatzzahl: 2007)

Morgen erscheint das neue Album von Herbert Grönemeyer “Zwölf”. Morgen erscheinen aber auch die aktuellen Albumcharts, in denen, wenn alles mit rechten Dingen zugeht, Tokio Hotels “Zimmer 483” auf Platz 1 einsteigen dürfte. Deswegen bin ich gerade ein bisschen am Recherchieren, um dann nächste Woche (wenn, jede Wette, Grönemeyer auf 1 gehen wird) einen schönen Eintrag über den musikalischen Generationenkonflikt, der vielleicht gar keiner ist, schreiben zu können.

Ich stolperte also gerade über ein Interview, dass Spiegel Online mit dem Magdeburger Quartett geführt hat. Kreative Idee dabei: Prominente wie Boris Becker, Bushido oder Jonathan Meese durften auch Fragen stellen. Aber auch Niels Ruf und Dolly Buster. Und das ging wie folgt:

NIELS RUF, Schauspieler und Comedian: Mir haben damals die Pressekonferenzen zur Auflösung von Tic Tac Toe wahnsinnig gut gefallen. Wie die sich da gestritten haben! Plant Ihr zu Eurer Auflösung etwas Ähnliches?
Bill: Ich fand das mit Tic Tac Toe auch lustig, aber leider müssen wir Dich enttäuschen: Wir haben noch nichts geplant. Ich glaube, wenn man sich trennt, sollte man das vernünftig machen.
Tom: Und ich glaube, das wird Niels Ruf auch nicht mehr miterleben.

Zugegeben: die Frage war lahm. Die Antwort von Tom Kaulitz dafür gar nicht mal so schlecht.

Noch besser aber:

DOLLY BUSTER: Und hattest Du schon mal Sex?
Bill: Ich?! Das werde ich auch Dir nicht verraten. Ich weiß auf jeden Fall, dass Du schon welchen hattest!

Ich bin mir noch nicht sicher, ob das eine richtig gute Replik oder so ein “Tataa!”-Karnevalsspruch ist, dafür hätte man wohl den Tonfall miterleben müssen. Trotzdem: Solche Antworten hätte ich den Jungs gar nicht zugetraut. Um so mehr freue ich mich auf das Chart-Rennen der nächsten Tage.

Nachtrag 2. März, 15:00 Uhr: Ich hab natürlich wieder überhaupt keine Ahnung von Charts. Offenbar beziehen sich die aktuellen (es gibt leider keinen Permalink) auf die Verkäufe von letzter Woche. Tokio Hotel (letzten Freitag erschienen) sind also nächste, Herbert Grönemeyer erst übernächste Woche dran. Was diese Woche auf 1 ist, gucke ein jeder lieber selber nach …

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Musik

Live Is Beautiful

Es ist fast fünf Jahre her, da veröffentlichte eine Band, die aus dem halben Commonwealth kam, ihr Debütalbum. Die Musikpresse schrieb mal wieder was vom Next Big Thing und das wären Vega4 sicherlich geworden – wenn ihr Album “Satellites” nur ein paar Jahre später erschienen wäre. Ihre Mischung aus U2, Embrace und sehr frühen Radiohead rauschte damals am Publikum vorbei, das sich kurz darauf lieber auf Coldplay, Snow Patrol und Razorlight stürzte. Lange Zeit hörte man gar nichts mehr von Vega4, dann gab es im letzten Frühjahr mit “You And Me” plötzlich ein Lebenszeichen auf ihrer MySpace-Seite und im Herbst erschien dann “You And Others” – allerdings zunächst nur in Großbritannien, in Deutschland ist es erst im April soweit.

Die Band hat viel Energie in dieses Album gesteckt und ihre neuen, elektronischeren Vorbilder wie The Postal Service mal mehr (“A Billion Tons Of Light”), mal weniger (“Tearing Me Apart”) auffällig zitiert. Mit dem Quasi-Snow-Patrol-Cover “Life Is Beautiful” (Produzent beider Bands ist Jacknife Lee, der auch schon für U2, Kasabian und zuletzt Bloc Party an den Reglern saß) und dessen Einsatz bei “Grey’s Anatomy” kann eigentlich nichts mehr schief gehen, jetzt fehlt nur noch das Publikum.

Ob es eine so brillante Idee war, die Band noch vor der offiziellen Albumveröffentlichung (und damit gänzlich ohne aktuellen Airplay) durch Deutschland touren zu lassen, ist eine Frage, die in den Büros der Sony BMG sicher ausgiebig diskutiert wurde. Auch die Frage, ob es denn ausgerechnet das zwar sehr schmucke, aber auch recht abgelegene Gebäude 9 sein musste, in dem die Band in Köln spielen sollte, kann man durchaus stellen. Im Nachhinein kann man aber beide Fragen mit einer lässigen Handbewegung abtun: es hat sich gelohnt.

86 Karten seien im Vorverkauf weggegangen, erzählte die Band hinterher, da standen etwa 120 Leute vor der Bühne. Von Anfang an war mir das Publikum irgendwie merkwürdig vorgekommen, kurz bevor die Vorband (Frictane aus Köln, sollte man mal im Auge behalten) anfing, dämmerte mir dann auch, was genau da nicht stimmte: ich war einer der jüngsten im ganzen Club (wahrscheinlich sogar der jüngste männliche Konzertbesucher), was einem mit 23 nicht mehr allzu häufig passiert. Was ich als “ältere Konzertbesucher” bezeichnen möchte, waren noch nicht einmal die Ü40-Sekretärinnen, die die Band wohl vor fünf Jahren im Vorprogramm von Bryan Adams für sich entdeckt hatten, sondern wirklich ältere Menschen beiderlei Geschlechts mit grauen Haaren und Windbreakern. Da denkt man bei einem Rockkonzert natürlich erst mal “Uff, was wollen die mir denn hier meine Jugendkultur wegglotzen?” bis einem auffällt, dass “generationsübergreifend” ein Attribut ist, das man außer Udo Jürgens und den Rolling Stones nicht ganz so vielen Musikern nachsagt.

Neun Songs standen auf der Setlist, zehn spielte die Band am Ende (weil sich eine Konzertbesucherin “The Caterpillar Song” vom Debüt gewünscht und sicherheitshalber gleich den ausgedruckten Liedtext mitgebracht hatte), davon sieben vom neuen Album. Für diese zehn Songs brauchte sie fast anderthalb Stunden, so lang gerieten manche Liveversionen und so viel redeten, nein: alberten Sänger John McDaid und der neue Bassist zwischen den Liedern herum. Besagtes “Life Is Beautiful”, die aktuelle Single in UK, ging als nicht enden wollender Stadionrock über die Bühne, inkl. einem Ausflug McDaids ins Publikum und halsbrecherischem Rumturnen auf den Monitorboxen. Sowas darf man aber auch nur machen, wenn man vor dem Lied den eigenen Vater anrufen lässt und sich über die Lautsprecher mit ihm unterhält.

Es macht immer Spaß, einer Band mit großer Spielfreude zuzuschauen, und es war schön anzusehen, wie sehr sich die Vier über den warmen Empfang in Deutschland und besonders in Köln gefreut haben. Als ich John McDaid nach dem Konzert fragte, warum es nur so wenige alte Songs zu hören gab, erklärte er mir, die neue Platte bedeute der Band sehr viel und sie wollten vor allem diese neuen Sachen spielen: “We might play some of the old stuff again when we’re doing two hour shows!” Auf einer Stadionbühne würden Vega4 sicher eine gute Figur machen. Bleibt nur zu hoffen, dass dann ein paar Leute mehr kommen.

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Unendliche Weiten: Imogen Heap verändert meine Welt

Es ist inzwischen schon mindestens drei Wochen her, da erreichte mich die Platte einer Musikerin, die mich bisher hauptsächlich mit ihrem Projekt Frou Frou beglückt hatte. Erste Begegnung mit der Stimmgewalt der Frau Heap: Der Film Garden State, in dem der Song “Let Go” die Endszene untermalte.
In den USA hat sie schon seit langem einen guten Status innerhalb der Musikszene, und das hier gerade erst auf den Markt geschmissene Album “Speak For Yourself” ist dort bereits seit 2005 eine gern benutzte Quelle für die Musikverantwortlichen der großen TV-Serien. Aber nun genug des Gefasels, es geht ja schließlich um Musik.

Erster Eindruck: Och ja. Ganz nett, aber vom Hocker reißen? Nee. Zweiter Eindruck: Huch, sind das teilweise detailverliebte Songs. Danach nur noch Begeisterung. Aber eine Begeisterung, die man mit Worten nicht umschreiben kann. Zeitweilige Schublade: Elektropop. Aber das trifft es manchmal dann doch eben nicht.
Episch, aber doch minimalistisch, detailverliebt, aber doch schlicht, und dazu ein gehöriger Schuss Atmosphäre. Eine gefährliche Mischung, der ich mich mit großer Begeisterung ein komplettes Wochenende hingebe. Tanze, seufze, über das gehörte nachdenke. Eine lange nicht da gewesene Intensität, die sich durch das Album zieht. Komplett instrumentenlos in andere Sphären zieht wie bei “Hide And Seek”. Dahinwabert wie in “Clear The Area”. Und dann wiederum auch kraftvoll zuhaut in “Daylight Robbery”. Für vielseitige Alben die richtigen Worte finden ist schwierig. Bei Imogen Heap fällt es mir noch viel schwerer als normalerweise. Der Zufall leite mich auf ein Zitat aus “Goodnight And Go”.

Skipping beats, blushing cheeks I am struggling
Daydreaming, bed scenes in the corner cafe
And then i’m left in bits recovering tectonic tremblings
You get me every time

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen. Nur noch eins:
Say goodnight and go.