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But you don’t really care for music, do you?

Aus Gründen, die ich nicht ganz nachvollziehen kann, versorgt mich der Landesverband des Deutschen Journalisten-Verbands (DJV) mit seinen Pressemitteilungen. Meistens lösche ich die sofort, weil im Betreff so Signalwörter wie “Solidarität” oder “Streik” vorkommen. Aber heute hab ich mal eine gelesen. Eine nur mittelgute Idee.

DJV ruft Medien zu Cohen-Boykott auf

Der DJV-NRW ruft die Medien dazu auf, nicht über die beiden Deutschland-Konzerte von Leonard Cohen zu berichten. Das Management des Künstlers knebelt Bildjournalisten mit Fotoverträgen und lässt Textjournalisten auf ihre Akkreditierung warten. “Beides bedeutet einen massiven Eingriff in die Freiheit der Berichterstattung”, kritisiert DJV-Landesvorsitzender Helmut Dahlmann.

Das mit der “Freiheit der Berichterstattung” wird sicher spannend, aber lesen wir erst mal weiter:

Songwriter Leonard Cohen tritt am 5. und 6. September in Berlin und Mönchengladbach auf. Journalisten, die über eines der beiden Konzerte berichten wollen, müssen für ihre Akkreditierung zahlreiche Bedingungen erfüllen. So wollte die zuständige deutsche Promotion-Agentur im Zuge eines Akkreditierungsverfahrens zum Beispiel von einer Textjournalistin wissen, ob ein Vorbericht geplant sei. Mitgeteilt wurde ihr zudem, dass das Management des Künstlers erst kurz vor dem Konzert über Zu- oder Absagen für Medienvertreter entscheiden würde. “Eine Akkreditierung auch nur ansatzweise mit einer Ankündigung zu verbinden, ist ein starkes Stück”, findet Helmut Dahlmann, der die Hinhaltetaktik der Agentur ebenfalls verurteilt.

Für Herrn Dahlmann mag es ein “starkes Stück” sein, eine Akkreditierung auch nur ansatzweise mit einer Ankündigung zu verbinden, aber wie würde man es denn andersrum nennen, wenn eine Akkreditierung nicht mal Ansatzweise mit einem Nachbericht verknüpft wird?

Konzertveranstalter, Promoter oder Labelmitarbeiter berichten immer wieder von Musikjournalisten, die sich bei jedem anstehenden Konzert auf die Gästeliste setzen lassen und dann nach zehn Konzerten immer noch keine einzige Zeile geschrieben haben, meist, weil das Konzert “dann doch nichts” für den vermeintlichen Auftraggeber war.

Ein Konzertsaal ist kein Gerichtssaal, der einer interessierten Öffentlichkeit immer offen zu stehen hat. Konzerte werden unter kommerziellen Aspekten veranstaltet und wenn alle, die bei solchen Ereignissen wie einem Leonard-Cohen-Konzert gerne auf der Gästeliste stehen würden, auch drauf kämen, ginge vermutlich nur noch die Hälfte der verfügbaren Karten überhaupt in den freien Verkauf. Dann wäre das Geschrei in den Zeitungen aber auch wieder groß und die Gewinnspanne der Konzertveranstalter klein.

Doch auch die Fotojournalisten versucht das Cohen-Management erheblich zu knebeln: Fotografen müssen bei ihrer Akkreditierung unterzeichnen, dass sie die Fotos nur ein einziges Mal in einem einzigen, zuvor benannten Medium veröffentlichen. Besonders pikant ist dabei, dass das Management gleichzeitig verlangt, die Bilder selbst nutzen zu dürfen. “Hier werden Urheberrechte mit Füßen getreten”, stellt der Vorsitzende des DJV-NRW klar – und ruft daher zum Boykott der Konzerte auf. “Unter diesen Umständen sollten alle Medien auf eine Berichterstattung verzichten.”

Das Wort “auch” im ersten Satz finde ich ein bisschen irritierend, aber die Empörung ist natürlich berechtigt: Auch nach längerem Nachdenken will mir kein Grund einfallen, der die Beschränkung auf ein Medium irgendwie rechtfertigen könnte, und einfach so Nutzungsrechte einfordern zu wollen, ist einfach Wahnsinn, der in solchen Fällen häufig darauf hinaus läuft, dass die Fotografen ihre Bilder nicht mal für ihr Portfolio verwenden sollen dürfen, das Management die Motive aber bei Gefallen gleich komplett und kostenlos ausschlachten darf. Das ist ein krasses Missverhältnis, das aber wenig mit Pressefreiheit zu tun hat, und viel mit dem Zustandekommen oder Nichtzustandekommen einer Geschäftsbeziehung.

Und seien wir ehrlich: Der Verzicht auf eine Berichterstattung ist die einzige, stumpfe Waffe, die den Fotografen und Journalisten zur Verfügung steht. Es ist Leonard fucking Cohen, dem Konzertberichte in der “Rheinischen Post” und der “NRZ” vermutlich egaler sind als die zweimillionste “Hallelujah”-Version auf YouTube.

Außerdem sieht’s ja nun mal so aus: Die Künstler, das Management und die Veranstalter laden ein, wer kommt, muss sich an deren Vorstellungen halten. Konzerte stellen nicht die selbe Öffentlichkeit dar wie politische Entscheidungsvorgänge, sie sind privater Spaß vor einer Teilöffentlichkeit.

In den großen Medienmetropolen kommt manchmal auf jeden Konzertbesucher einer dieser Konzertfotografen, die gerade in den kleinen Clubs gern in der ersten Reihe stehen und Fotos machen wollen. Das Equipment ist für jeden erschwinglich geworden, also knipsen die meisten einfach drauf los. Konzertfotografie ist eine Kunstform und nicht alle, die sie praktizieren, beherrschen sie auch. Und bei den Klickstrecken von irgendwelchen Lokalzeitungen oder Musikportalen frage ich mich wirklich, wer das sehen will: 67 Bilder von irgendeiner Band während der ersten drei Lieder (wo das Licht bei vielen Konzerten absichtlich scheiße ist), von schräg unten aufgenommen, können doch nicht mal die Leute interessieren, die selbst dabei waren. Die haben ja sowieso 134 unscharfe Bilder auf ihrem Mobiltelefon.

Aber zurück zum DJV:

Immer wieder macht der DJV auf haarsträubende Akkreditierungsbedingungen im Konzertjournalismus aufmerksam: Die Methode ist kein Betriebsunfall, sondern hat System. So versuchten schon 2009 Musiker wie Rammstein oder Tom Jones mit ihren Knebelverträgen die Bildjournalisten auszuplündern.

Natürlich hat das System. Es nennt sich Unterhaltungsindustrie.

Die Deals, die dort ablaufen, sind hinlänglich bekannt: Die eine Seite winkt mit Frei-CDs, Gästelistenplätzen und Interviewslots, die andere mit Medienpräsenz. In vielen kostenlosen Musik- und Stadtmagazinen (aber nicht nur dort) kann man sehr gut nachvollziehen, wie Werbeplätze und Berichterstattung flächenmäßig korrelieren. Es gibt tatsächlich Magazine, die eine Veranstaltung noch nicht mal in ihren Kalender aufnehmen, wenn als Gegenleistung nicht wenigstens eine kleine Anzeige geschaltet wird. Und wenn Sie sagen, das habe doch mit Journalismus nichts zu tun, dann sage ich: stimmt!

Man kann sich doch nicht ständig zum willfährigen Vollstrecker von PR-Agenten machen und über Filmpremieren, Videodrehs, neue Alben und Branchenevents berichten, als sei irgendetwas davon relevanter als man es selbst macht, und dann plötzlich rumjammern, wenn der Geschäftspartner die Details neu verhandeln will.

Klar: Ohne Presse wären die alle nicht berühmt. Aber wenn sie nicht berühmt wären, würden sich die Zeitschriften mit ihnen auf dem Cover auch nicht so gut verkaufen. Jede Seite muss sich überlegen, wie weit sie das Spiel mitmachen will (dass die Fantastischen Vier im wörtlichen Sinne mit “Bild” ins Bett gestiegen sind, verstehe ich bis heute nicht), aber die Grundregeln von Journalismus kann man hier nicht anlegen.

Ein Rammstein-Konzert ist kein steuerlich bezuschusstes Stadttheater und Tom Jones nicht der Bürgermeister.

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Winning In The Name Of

Es ging im Dezember durch alle Medien: Rage Against The Machine waren “Christmas No. 1” in den britischen Charts. Die wichtigste Chartplatzierung des Jahres war in den letzten Jahren sonst geradezu traditionell an die Gewinner der Castingshow “X Factor” gegangen, aber 2009 war es die 17 Jahre alte Schmuseballade “Killing In The Name Of” der Alternative-Politrocker aus L.A. — einer “Guerilla-Aktion” bei Facebook sei Dank.

Letztlich machte es aber keinen Unterschied, ob Castingstar Joe McElderly oder RATM auf Platz 1 gingen: Beide Künstler stehen bei Sony unter Vertrag. Im Gegenteil dürfte der heraufbeschworene Kulturkampf der Major-Plattenfirma überdurchschnittlich hohe Verkaufszahlen beschert haben, weil Unterstützer beider Seiten intensiv gekauft bzw. heruntergeladen haben, um ihren Favoriten vorne zu sehen.

Das Online-Musikmagazin Crud hat bereits im Dezember aufgeschrieben, dass es ein paar auffällige Verbindungen zwischen Jon Morter, dem Gründer der Facebook-Gruppe “RAGE AGAINST THE MACHINE FOR CHRISTMAS NO.1”, und Sony zu geben scheint — und erinnerte gleichzeitig daran, dass es auch im Weihnachtsgeschäft 2008 eine “Graswurzelbewegung” um die Weihnachts-Nummer-1 gab: Damals gab es den Versuch (ebenfalls u.a. mit Hilfe einer Facebook-Gruppe), Jeff Buckleys Version von Leonard Cohens “Hallelujah” auf Platz 1 zu kaufen, damit nicht die Interpretation des selben Songs von “X Factor”-Siegerin Alexandra Burke gewinnt. 2008 ging das noch schief, Burke stand mit ihrem Song an Weihnachten ganz oben, der 1997 verstorbene Buckley nur auf Platz 2. Beide Songs erschienen auf Labels (Buckley: Columbia, Burke: Epic), die letztlich zu Sony gehören — und wenn Leonard Cohen selbst Nr. 1 geworden wäre, hätte es wiederum Columbia getroffen.

Im Zuge der Regierungskrise in Nordirland, wo Iris Robinson, die Frau des Regierungschefs, eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann hatte und auch Geldzahlungen eine Rolle spielen, hatten die Medien schnell die passende musikalische Untermalung gefunden: “Mrs. Robinson” von Simon & Garfunkel, der Titelsong zum Film “The Graduate”, in dem eine ältere Mrs. Robinson eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann hat. Prompt soll auch der Song mal wieder auf Platz 1 gekauft werden. Der Soundtrack war 1968 bei Columbia erschienen, das seit 1988 zu Sony gehört.

Nun sollte man diese Indizien nicht überbewerten: Ein Riesenkonzern wie Sony hat immer viele Eisen im Feuer — und wenn ich Ihnen hier rate, Kilians- oder Tocotronic-CDs zu kaufen, landet Ihr Geld letztlich beim selben Major (Universal), wie wenn Sie – was Gott verhüten möge – CDs von Aura Dione oder Brunner & Brunner erwürben. RATM-Gitarrist Tom Morello, ein Mann mit einigermaßen gesunden Grundsätzen gegen Globalisierung und Kapitalismus, hat dann auch alle Verschwörungstheorien brüsk zurückgewiesen und vermutlich ließe sich für jeden anderen Major eine ähnliche Sammlung Liste anlegen.

Man sollte sich nur im Klaren darüber sein, dass dieses ganze Web-2.0-ige “Guerilla”-Ding dann letzten Endes doch wieder Geld in die Kassen der nicht mehr ganz so großen big player spült. Die berichterstattenden Medien scheinen das ein bisschen zu übersehen.

Mit Dank auch an Martin L.

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Musik

Hörsturz 2008

Wir befinden uns in dem Zeitraum, den Menschen, die auch vor Formulierungen wie “zum Bleistift” oder “ich bin niemand, der sich hinstellt und sagt …” nicht zurückschrecken, als “zwischen den Jahren” bezeichnen würden. Für mich ist dies immer eine Zeit höchster nervlicher Belastung, was nur zu einem geringen Teil daran liegt, dass ich auf das Jahr und seine zahlreichen Rückschläge und Niederlagen zurückschauen muss, und zu einem großen Teil daran, dass ich mich selbst zwinge, alberne Listen mit den besten Songs und Alben des Jahres zu erstellen.

Diese werden erfahrungsgemäß noch ein wenig auf sich warten lassen (und fünf Minuten nach Veröffentlichung als völlig falsch und ahnungslos verworfen werden), aber eine andere Liste kann ich ja schon mal aus dem Handgelenk schütteln: das Worst Of. (Falls zufälligerweise Ihr Lieblingssong dabei sein sollte: Die Liste ist natürlich streng subjektiv und meine Hits des Jahres werden Ihnen bestimmt auch nicht gefallen.)

Mein Problem bei der Benennung der schlimmsten Songs des Jahres ist aber folgendes: ich höre (außer an Spieltagen der Fußballbundesliga) kein Formatradio. Die meisten Songs der Jahrescharts sind mir (zumindest dem Titel nach) unbekannt und “I Kissed A Girl” habe ich einfach nicht oft genug gehört, um das Lied von “nett” auf “scheiße” runterzustufen.

Dass es trotzdem ein paar Songs geschafft haben, mir negativ aufzufallen, spricht also definitiv gegen sie:

5. Leona Lewis – Run
Nein, ich hätte es erstmal nicht für möglich gehalten, dass es möglich wäre, einen Snow-Patrol-Song zu überfrachten. Normalerweise gibt die Band selbst ja schon alles, um auf bis zu zehn Bono zu kommen. Aber was Gary Lightbody mangels Jodeldiplom nicht schafft, gelingt der “X Factor”-Gewinnerin Leona Lewis spätestens nach drei Minuten: sie singt eine für unzerstörbar gehaltene Nummer in Grund und Boden. Menschen, die solche Stimmen ertragen, ohne an die ganz großen Hackebeilchen im heimischen Messerblock zu denken, sind mir suspekt.
(Wie man trotz Castingshow, Überperformance und Orchester einen Song nicht kaputt kriegt, zeigt Alexandra Burke mit Leonard Cohens “Hallelujah” — andererseits kann man einen Song, der von alttestamentlichen Geschichten und Musiktheorie handelt, auch schwerlich übertreiben.)

4. Revolverheld – Helden 2008
Revolverheld. Ein Hurra-Deutschland-Fußball-Song. Natürlich: ein ganz billiges Opfer. Andererseits auch ein schönes Geschenk: man konnte das machen, was man als Deutscher eh fast immer macht (also sich für seine Herkunft schämen), und “Wir werd’n Europameister” war auch eine Fehlprognose. Wer sich mit den Sportfreunden Stiller, Revolverheld und Xavier Naidoo umgibt, spielt dann halt hinterher wie eine Mannschaft mit Michael Ballack, Miroslav Klose und Mario Gomez.

3. Britney Spears – Womanizer
Das Video … ach, sprechen wir nicht über das Video. Muss ja jeder selbst wissen, wie weit er sich erniedrigen lässt — vielleicht schreibt Frollein Spears ja nächstes Jahr noch für die “B.Z.”. Die Strophen versprechen ja auch noch einen durchaus netten Floorfiller, der zwar eher nach 2006 als nach 2008 klingt, aber halt was trotzdem funktionieren könnte. Nur hat irgendein Idiot im Studio vergessen, einen Refrain einzufügen (das ist der Teil des Liedes, der immer wieder kommt und den alle mitsingen können). Und eine Melodie, die über einen Umfang von drei Tönen nicht hinauskommt, müsste schon sehr catchy sein, um zu funktionieren. Die hier gewählte nervt leider nur.

2. Kid Rock – All Summer Long
Die Idee, einen der ausgelutschtesten Top-40-Radio-Songs zu samplen, könnte unter Umständen witzig sein — oder tierisch schief gehen. “Wir waren jung, haben viel getrunken und den Sommer durchgefeiert” ist ein Thema, mit dem man mich normalerweise (Bruce Springsteen, The Ataris, A) schnell begeistern kann. Aber – Entschuldigung – Kid Rock geht gar nicht und dieses Lied reitet so lange auf anderthalb netten Ideen rum, bis auch der letzte Kegelbruder mitschunkelt. Wenn sich Atze Schröder nächstes Jahr an “Marmor, Stein und Eisen bricht” vergriffe — es könnte kaum noch schlimmer sein.

1. Amy MacDonald – This Is The Life
Ja, ja: Pete Doherty und Fran Healy finden die Frau ganz toll. Aber ich kann mir nicht helfen: seit dem ersten Hören klingt “This Is The Life” für mich, als ob Dolores O’Riordan von den Cranberries den Ketchup-Song singt. Das ist so biederer Folkpop, dass meine Füße einschlafen, noch bevor sie den dumpf vor sich hin schnaufenden Beat aufnehmen können. Hätte ich einen eigenen Plattenladen, fänden Sie Amy MacDonald in dem Fach mit der Aufschrift “Musik für Menschen, die sonst keine Musik hören”.