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Wieder die Political Correctness!

Seit Donald Trump aufgrund eines sehr komplizierten Wahlsystems als nach Wählerstimmen klar unterlegener Kandidat zum US-Präsidenten gewählt wurde, tobt die große feuilletonistische Debatte darüber, wie das passieren konnte, was sich ändern muss und warum Menschen eigentlich jemanden wählen, der permanent lügt, seine Meinung ändert und sexistische und rassistische Sprüche in Mengen unters Volk haut, die bei Sonderangeboten im Supermarkt nicht mehr unter den Begriff “haushaltsüblich” fallen würden.

Das Schöne an dieser weltweiten Debatte ist, dass sich die Diskutanten über die Frage, ob und wie man jetzt mit diesen Menschen sprechen müsste, derart gegenseitig selbst zerfleischen, dass sie sicher sein können, auf absehbare Zeit nicht mit diesen Menschen sprechen zu müssen. Willkommen im größten SoWi-LK der Welt!

Immer wieder hört man, die “Political Correctness” sei schuld. Wenn weiße Männer in den besten Jahren, die einen Arbeitsplatz und eine gesunde Familie haben, nicht mehr “Neger” sagen und fremden Frauen an den Hintern fassen dürfen, wählen sie die AfD. (Weiße Männer in den besten Jahren, die Kolumnen gegen “Politcal Correctness” schreiben, würden in ihrer bekannt jovialen Art vermutlich hinzufügen wollen, dass Männer in den besten Jahren auch AfD wählen, weil “ihre Alte sie nicht mehr ranlässt”, hätten dann aber wahrscheinlich doch zu viel Angst vor den Reaktionen zuhause.)

Die Kolumne von Mely Kiyak bei “Zeit Online” ist der 792. Text, den ich seit dem 9. November zu diesem Thema gelesen habe, aber da steht noch einmal viel Kluges drin. Zum Beispiel:

Wenn Politiker in Zeiten von brennenden Asylheimen und Angriffen auf Minderheiten fordern, es müsse erlaubt sein, offen Probleme der Integration zu benennen, dann wird es düster und unverschämt: Wir haben in Deutschland viele Probleme, aber sicher keines damit, dass man sich nicht jederzeit rassistisch, widerwärtig und primitiv im öffentlichen Raum äußern dürfe. Die öffentlichen Talkshows wären ohne die permanente Infragestellung von Minderheiten und ihrer angeblichen Integrationsfähigkeit aufgeschmissen.

Immer wieder hört man ja seit Jahrzehnten den Satz “Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!” und jedes Mal möchte man antworten: “Man darf es sogar sagen. Das ist ja das Tolle an der Meinungsfreiheit! Du darfst es sagen, Deine Freunde können Dich dafür feiern, aber sei darauf vorbereitet, dass es vielleicht nicht jeder gut findet und einige lieber nichts mit Dir zu tun haben wollen!” Diese Menschen wollen ja aber gar keine Meinungsfreiheit — jedenfalls nicht für die, die anderer Meinung sind als sie.

In der aktuellen “Zeit” gibt es einen Text über den aktuellen Zustand des Feminismus von Elisabeth Raether, der, so Raether, immer stiller wird:

Statt sich mit all seinem Gewicht am Kampf der freien Gesellschaften gegen die rasend schnell wachsenden autoritären Bewegungen zu beteiligen, liefert er sich amüsante Wortgefechte mit Kolumnisten wie Jan Fleischhauer und Harald Martenstein – Männern, von denen doch eine eher überschaubare Gefahr ausgeht.

Ja, könnte man so sehen.

Das sind jetzt nur zufälligerweise genau solche weißen Männer in den besten Jahren, die Kolumnen gegen “Politcal Correctness” schreiben, und damit jenen weißen Männer in den besten Jahren, die einen Arbeitsplatz und eine gesunde Familie haben, aber nicht mehr “Neger” sagen und fremden Frauen an den Hintern fassen dürfen, aus dem Herzen sprechen. Auch wenn man dort beim Sprechen vermutlich seinen eigenen Atem sieht.

Es folgen einige Absätze, in denen auch ein richtige Gedanken stecken, und dann das hier:

Das Jahr 2013 haben Feministinnen damit verbracht, dem FDP-Politiker Rainer Brüderle auf kleinlichste Weise ein misslungenes Kompliment vorzuhalten. Herbst 2016: Ein Mann wird ins Weiße Haus gewählt, für den sexuelle Gewalt eine ausgefallene Flirttechnik ist.

Doch jetzt ist die Sprache der Moral aufgebraucht. Der Vorwurf des Sexismus wurde so oft gemacht, dass es inzwischen ein Leichtes ist, ihn zu relativieren. Löst man so oft Fehlalarm aus, wird einem nicht mehr geglaubt, wenn das Haus wirklich brennt. Nicht nur das Wort Feminismus hat seinen Schrecken verloren – dem Begriff Sexismus ist seine moralische Kraft abhandengekommen und damit die Schutzfunktion, die er mal hatte.

Ja, könnte man so sehen.

Man könnte sich aber auch kurz an die seligen Zeiten des Jahres 2013 erinnern, als wir glaubten, ernsthaft Grund zu der Annahme zu haben, Rainer Brüderle sei ein Sexismus-Dinosaurier: Ein leicht schmieriger, leicht unbeholfener Onkel-Typ, dem man kurz das 21. Jahrhundert erklären müsste, dessen Art aber ohnehin bald weg ist. Vielleicht brannte nicht das Haus, aber wenn man bei einem Schwelbrand die Feuerwehr ruft, ist das kein Fehlalarm. Man kann ja nicht ahnen, dass drei Jahre später eine Feuerwalze apokalyptischen Ausmaßes auf das Haus zuhalten wird.

(Gleiches gilt übrigens auch für Rassismus: Nur weil es Donald Trump gibt, wird das “Jim Knopf”-Blackfacing bei “Wetten dass..?” im selben Jahr 2013 ja nicht weniger schlimm.)

Da kommen wir aber auch wieder zu einem Differenzierungsproblem, über das seit Jahren diskutiert wird: Ist jeder, der etwas sexistisches sagt, ein Sexist? Jeder, der etwas rassistisches sagt, ein Rassist? Je nach Tagesform und konkretem Fall habe ich da sehr unterschiedliche Meinungen.

Über etwas anderes kann es aber kaum unterschiedliche Meinungen geben: Wenn eine Frau nicht auf eine bestimmte Art angesprochen, angeguckt oder gar angefasst werden will, sollte man als Mann – je nach eigener Disposition – wahlweise vor Scham im Boden versinken oder wenigstens die Klappe halten. Analog bei rassistischen Vorkommnissen. “Ich finde das aber witzig”, ist ein Ausdruck von Meinungspluralität, aber kein Argument.

“Political Correctness” ist letztlich auch nur ein anderes Wort für “Anstand” oder “Höflichkeit”, was mich zum dritten Text bringt, den ich heute zu diesem Themenkomplex gelesen habe: einer Kolumne von Jagoda Marinic bei süddeutsche.de.

Ihr Thema ist die Höflichkeit:

Mag sein, dass Höflichkeit ein gestriger Wert ist, aber es ist einer, auf den wir schon viel zu lange verzichten, ohne uns gegen sein Verschwinden zur Wehr zu setzen. Stattdessen bahnen sich Menschen den Weg in die Öffentlichkeit, die Unverschämtheit für eine rhetorische Leistung halten. Unverschämtheit ist jedoch nichts weiter als ein aus den Fesseln geratenes Ego.

Diese Entfesselung des unverschämten Egos hat nicht in der Sphäre der Politik begonnen, sondern in der Fernsehwelt, genannt Unterhaltung. Die TV-Macher wollten raus aus den langweiligen Familiensendungen wie “Wetten, dass ..?” und erfanden stattdessen die Talentsuche, in der Spott über mangelndes Talent für mehr Quote sorgt als die Freude an Talent.

Dieter Bohlen ist das deutsche Aushängeschild dieses Gehabes. Der Erfolg gibt ihm recht, heißt es, wenn man das verbale Austeilen der Jury kritisiert. Eine weitere Variante dieses Spottens sind Fernseh-Teams, die sich über die Unwissenheit von Passanten in Einkaufspassagen belustigen.

Ich vertrete schon länger die Theorie, dass Simon Cowell, Juror und Produzent bei “American Idol”, “X Factor” und “Britain’s Got Talent”, und sein deutsches Pendant Dieter Bohlen einen Stein ins Rollen gebracht haben, der am Ende Donald Trump mit einem Erdrutsch (hier stimmt die Formulierung ausnahmsweise mal, wenn man darunter eine Bewegung großer Gesteinsmassen in Folge von Niederschlägen versteht, die mit sehr viel Schmutz und Dreck einhergeht) ins Weiße Haus gebracht hat: Da saßen im Fernsehen (und Trumps Popularität begann ja erst so richtig mit “The Apprentice”) diese weißen Männer in den besten Jahren, die Dinge sagten, die andere weiße Männer in den besten Jahren sich nicht (“mehr”) zu sagen trauten. Roger Willemsen, Dieter Bohlen — so hat jeder seine Role Models.

Dass ausgerechnet Multimillionäre, die in der aller-allerkünstlichsten Atmosphäre einer “Reality”-Fernsehsendung hoffnungsvolle, normale Menschen runterputzen, als authentisch, volksnah und vertrauenswürdig gelten, sagt entweder viel über die Sozial- und Medienkompetenz der Zuschauer aus oder über die Außenwirkung hart arbeitender Fachleute in der Politik. Vielleicht auch über beides, aber darüber schreibe ich dann beim nächsten Mal.

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Musik Digital

Winning In The Name Of

Es ging im Dezember durch alle Medien: Rage Against The Machine waren “Christmas No. 1” in den britischen Charts. Die wichtigste Chartplatzierung des Jahres war in den letzten Jahren sonst geradezu traditionell an die Gewinner der Castingshow “X Factor” gegangen, aber 2009 war es die 17 Jahre alte Schmuseballade “Killing In The Name Of” der Alternative-Politrocker aus L.A. — einer “Guerilla-Aktion” bei Facebook sei Dank.

Letztlich machte es aber keinen Unterschied, ob Castingstar Joe McElderly oder RATM auf Platz 1 gingen: Beide Künstler stehen bei Sony unter Vertrag. Im Gegenteil dürfte der heraufbeschworene Kulturkampf der Major-Plattenfirma überdurchschnittlich hohe Verkaufszahlen beschert haben, weil Unterstützer beider Seiten intensiv gekauft bzw. heruntergeladen haben, um ihren Favoriten vorne zu sehen.

Das Online-Musikmagazin Crud hat bereits im Dezember aufgeschrieben, dass es ein paar auffällige Verbindungen zwischen Jon Morter, dem Gründer der Facebook-Gruppe “RAGE AGAINST THE MACHINE FOR CHRISTMAS NO.1”, und Sony zu geben scheint — und erinnerte gleichzeitig daran, dass es auch im Weihnachtsgeschäft 2008 eine “Graswurzelbewegung” um die Weihnachts-Nummer-1 gab: Damals gab es den Versuch (ebenfalls u.a. mit Hilfe einer Facebook-Gruppe), Jeff Buckleys Version von Leonard Cohens “Hallelujah” auf Platz 1 zu kaufen, damit nicht die Interpretation des selben Songs von “X Factor”-Siegerin Alexandra Burke gewinnt. 2008 ging das noch schief, Burke stand mit ihrem Song an Weihnachten ganz oben, der 1997 verstorbene Buckley nur auf Platz 2. Beide Songs erschienen auf Labels (Buckley: Columbia, Burke: Epic), die letztlich zu Sony gehören — und wenn Leonard Cohen selbst Nr. 1 geworden wäre, hätte es wiederum Columbia getroffen.

Im Zuge der Regierungskrise in Nordirland, wo Iris Robinson, die Frau des Regierungschefs, eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann hatte und auch Geldzahlungen eine Rolle spielen, hatten die Medien schnell die passende musikalische Untermalung gefunden: “Mrs. Robinson” von Simon & Garfunkel, der Titelsong zum Film “The Graduate”, in dem eine ältere Mrs. Robinson eine Affäre mit einem deutlich jüngeren Mann hat. Prompt soll auch der Song mal wieder auf Platz 1 gekauft werden. Der Soundtrack war 1968 bei Columbia erschienen, das seit 1988 zu Sony gehört.

Nun sollte man diese Indizien nicht überbewerten: Ein Riesenkonzern wie Sony hat immer viele Eisen im Feuer — und wenn ich Ihnen hier rate, Kilians- oder Tocotronic-CDs zu kaufen, landet Ihr Geld letztlich beim selben Major (Universal), wie wenn Sie – was Gott verhüten möge – CDs von Aura Dione oder Brunner & Brunner erwürben. RATM-Gitarrist Tom Morello, ein Mann mit einigermaßen gesunden Grundsätzen gegen Globalisierung und Kapitalismus, hat dann auch alle Verschwörungstheorien brüsk zurückgewiesen und vermutlich ließe sich für jeden anderen Major eine ähnliche Sammlung Liste anlegen.

Man sollte sich nur im Klaren darüber sein, dass dieses ganze Web-2.0-ige “Guerilla”-Ding dann letzten Endes doch wieder Geld in die Kassen der nicht mehr ganz so großen big player spült. Die berichterstattenden Medien scheinen das ein bisschen zu übersehen.

Mit Dank auch an Martin L.