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Winning In The Name Of

Es ging im Dezem­ber durch alle Medi­en: Rage Against The Machi­ne waren „Christ­mas No. 1“ in den bri­ti­schen Charts. Die wich­tigs­te Chart­plat­zie­rung des Jah­res war in den letz­ten Jah­ren sonst gera­de­zu tra­di­tio­nell an die Gewin­ner der Cas­ting­show „X Fac­tor“ gegan­gen, aber 2009 war es die 17 Jah­re alte Schmu­se­bal­la­de „Kil­ling In The Name Of“ der Alter­na­ti­ve-Polit­ro­cker aus L.A. – einer „Gue­ril­la-Akti­on“ bei Face­book sei Dank.

Letzt­lich mach­te es aber kei­nen Unter­schied, ob Cas­ting­star Joe McEl­der­ly oder RATM auf Platz 1 gin­gen: Bei­de Künst­ler ste­hen bei Sony unter Ver­trag. Im Gegen­teil dürf­te der her­auf­be­schwo­re­ne Kul­tur­kampf der Major-Plat­ten­fir­ma über­durch­schnitt­lich hohe Ver­kaufs­zah­len beschert haben, weil Unter­stüt­zer bei­der Sei­ten inten­siv gekauft bzw. her­un­ter­ge­la­den haben, um ihren Favo­ri­ten vor­ne zu sehen.

Das Online-Musik­ma­ga­zin Crud hat bereits im Dezem­ber auf­ge­schrie­ben, dass es ein paar auf­fäl­li­ge Ver­bin­dun­gen zwi­schen Jon Mor­ter, dem Grün­der der Face­book-Grup­pe „RAGE AGAINST THE MACHINE FOR CHRISTMAS NO.1“, und Sony zu geben scheint – und erin­ner­te gleich­zei­tig dar­an, dass es auch im Weih­nachts­ge­schäft 2008 eine „Gras­wur­zel­be­we­gung“ um die Weih­nachts-Num­mer‑1 gab: Damals gab es den Ver­such (eben­falls u.a. mit Hil­fe einer Face­book-Grup­pe), Jeff Buck­leys Ver­si­on von Leo­nard Cohens „Hal­le­lu­jah“ auf Platz 1 zu kau­fen, damit nicht die Inter­pre­ta­ti­on des sel­ben Songs von „X Factor“-Siegerin Alex­an­dra Bur­ke gewinnt. 2008 ging das noch schief, Bur­ke stand mit ihrem Song an Weih­nach­ten ganz oben, der 1997 ver­stor­be­ne Buck­ley nur auf Platz 2. Bei­de Songs erschie­nen auf Labels (Buck­ley: Colum­bia, Bur­ke: Epic), die letzt­lich zu Sony gehö­ren – und wenn Leo­nard Cohen selbst Nr. 1 gewor­den wäre, hät­te es wie­der­um Colum­bia getrof­fen.

Im Zuge der Regie­rungs­kri­se in Nord­ir­land, wo Iris Robin­son, die Frau des Regie­rungs­chefs, eine Affä­re mit einem deut­lich jün­ge­ren Mann hat­te und auch Geld­zah­lun­gen eine Rol­le spie­len, hat­ten die Medi­en schnell die pas­sen­de musi­ka­li­sche Unter­ma­lung gefun­den: „Mrs. Robin­son“ von Simon & Gar­fun­kel, der Titel­song zum Film „The Gra­dua­te“, in dem eine älte­re Mrs. Robin­son eine Affä­re mit einem deut­lich jün­ge­ren Mann hat. Prompt soll auch der Song mal wie­der auf Platz 1 gekauft wer­den. Der Sound­track war 1968 bei Colum­bia erschie­nen, das seit 1988 zu Sony gehört.

Nun soll­te man die­se Indi­zi­en nicht über­be­wer­ten: Ein Rie­sen­kon­zern wie Sony hat immer vie­le Eisen im Feu­er – und wenn ich Ihnen hier rate, Kili­ans- oder Toco­tro­nic-CDs zu kau­fen, lan­det Ihr Geld letzt­lich beim sel­ben Major (Uni­ver­sal), wie wenn Sie – was Gott ver­hü­ten möge – CDs von Aura Dio­ne oder Brun­ner & Brun­ner erwür­ben. RATM-Gitar­rist Tom Morel­lo, ein Mann mit eini­ger­ma­ßen gesun­den Grund­sät­zen gegen Glo­ba­li­sie­rung und Kapi­ta­lis­mus, hat dann auch alle Ver­schwö­rungs­theo­rien brüsk zurück­ge­wie­sen und ver­mut­lich lie­ße sich für jeden ande­ren Major eine ähn­li­che Samm­lung Lis­te anle­gen.

Man soll­te sich nur im Kla­ren dar­über sein, dass die­ses gan­ze Web‑2.0‑ige „Guerilla“-Ding dann letz­ten Endes doch wie­der Geld in die Kas­sen der nicht mehr ganz so gro­ßen big play­er spült. Die bericht­erstat­ten­den Medi­en schei­nen das ein biss­chen zu über­se­hen.

Mit Dank auch an Mar­tin L.

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Das Jahr Paranoia

Es könn­te eine Sati­re sein: Band ver­teilt als Teil einer Mar­ke­ting­ak­ti­on frei­gie­big unge­schütz­te Musik, Fans neh­men dank­bar an der auf Ver­wir­rung und Aus­ufe­rung ange­leg­ten Kam­pa­gne teil und stel­len die Songs ins Netz, und die ewig toll­wü­ti­ge RIAA über­zieht Web­sei­ten­be­trei­ber mit Dro­hun­gen und Unter­las­sungs­kla­gen. Ehren­sa­che, daß sich die pflicht­schul­di­gen Anwäl­te der Musik­in­dus­trie vor­her nicht dar­um geküm­mert hat­ten, daß die frag­li­chen MP3s eben nicht „Raub­ko­pien“, son­dern Mit­tel zum geziel­ten Mar­ke­ting und zur Ziel­grup­pen­bin­dung waren.

Aber von vorn: Trent Rez­nor, Kopf der ame­ri­ka­ni­schen Indus­tri­al-Rocker Nine Inch Nails, hat­te für sein am kom­men­den Frei­tag erschei­nen­des Album „Year zero“ eine Visi­on. In nicht all­zu fer­ner Zukunft sei­en die USA der­ma­ßen den Bush Bach run­ter, daß die christ­li­che Rech­te end­gül­tig die Macht über­nom­men hat und das Ende der Welt her­auf­be­schwört. Eine Orwell­sche Dys­to­pie, die Rez­nor nicht nur in 16 gewohnt düs­te­ren Tracks skiz­ziert, son­dern für die er auch noch einen unmit­tel­ba­ren Nach­fol­ger (sowie einen Film) in pet­to haben soll. Und mit einem par­al­lel lau­fen­den Alter­na­te-Rea­li­ty-Spiel die Ver­wir­rung mun­ter anheizt.

Spä­tes­tens das ver­zwick­te Drum­her­um der TV-Serie „Lost“ zeig­te, wie vira­les Mar­ke­ting sozia­le Netz­wer­ke nutzt sowie alte und neue Medi­en vir­tu­os mit­ein­an­der ver­knüpft, ohne mit bun­ten Auf­kle­bern, über­la­de­nen Flash-Ani­ma­tio­nen und klin­gel­ton­durch­setz­ten Trai­lern wuchern zu müs­sen. So spann Rez­nor (bzw. span­nen sei­ne Mar­ke­ting­fach­leu­te) ein fins­te­res Netz: mit in Kon­zert­hal­len ver­steck­ten USB-Sticks, Ein­blen­dun­gen in Video­clips und Hin­wei­sen auf T‑Shirts. Mit ver­steck­ten Tele­fon­num­mern und gehei­men Bot­schaf­ten über Bio­ter­ro­ris­mus und fik­tio­na­le Dro­gen. Mit einer Unzahl ver­schie­de­ner Pro­pa­gan­da-Web­sites, die das Spiel wei­ter­trei­ben. Aller­lei Bruch­stü­cke, Andeu­tun­gen und Fuß­an­geln. In Bild und Ton ver­steck­te Hin­wei­se auf eine über­sinn­li­che Prä­senz und ande­re Selt­sam­kei­ten. Und ein omi­nö­ses US-Büro für Mora­li­tät, an das man sich wen­den möge, wenn man bei sich selbst oder bei ande­ren sub­ver­si­ves Gedan­ken­gut fest­stel­le. (Selbst betrof­fen? Sach­dien­li­che Hin­wei­se bit­te an 1–866-445‑6580.)

All das hät­te die sinn­freie Akti­on der RIAA min­des­tens tor­pe­die­ren kön­nen. Wenn das Netz nicht viel schnel­ler wäre, als eine lah­me Behör­de es je sein könn­te. Und so ist der ver­meint­li­che Schlag der Musik­in­dus­trie gegen das digi­ta­le Böse, der so selt­sa­me Par­al­le­len zu der ent­wor­fe­nen Zukunft von „Year zero“ auf­weist, auch nur noch ein zusätz­li­ches Pro­mo­ti­on­tool für das Album und die Sin­gle „Sur­vi­va­lism“. Cha­peau!