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Wahl-Mäander

Wahlzettel zur Europawahl 2009

Weil ich bei den letz­ten Wah­len pos­ta­lisch abge­stimmt habe, war ich vor­hin erst zum zwei­ten Mal in mei­nem Leben in einem Wahl­lo­kal. Ich hat­te mir extra ein Hemd ange­zo­gen, um bei der Wahr­neh­mung mei­ner staats­bür­ger­li­chen Pflich­ten auch halb­wegs wür­de­voll aus­zu­se­hen. Denn mal ehr­lich: Viel mehr als Wäh­len tue ich ja nicht für unse­re Gemein­schaft.

Das Argu­ment vie­ler Nicht­wäh­ler, sie wüss­ten ja gar nicht, wor­um es bei den Euro­pa­wah­len geht, ist nur ober­fläch­lich betrach­tet zutref­fend. Ich möch­te jeden­falls mal den Wäh­ler erle­ben, der weiß, was in einem Land­tag oder einem Stadt­rat pas­siert – und trotz­dem geht man dafür zur Wahl.

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Poli­tik ist mir eine Mischung aus suspekt und egal. Die meis­ten Poli­ti­ker sind für sich betrach­tet sym­pa­thi­sche Gesprächs­part­ner und sagen klu­ge Sachen, aber in der Sum­me ist es wie mit dem Volk: Der Dümms­te bestimmt das Niveau der gan­zen Grup­pe. Nun bin ich weit davon ent­fernt, Poli­ti­ker mit einem stamm­ti­schi­gen „Die da oben machen doch eh, was sie wol­len“ ver­dam­men zu wol­len, aber wenn ich Leu­te wie den SPD-Super­hard­li­ner Die­ter „Gewalt ist jung und männ­lich“ Wie­fel­spütz in Mikro­fo­ne spre­chen höre, über­kom­men mich schon schwe­re Zwei­fel an dem Wort „Volks­ver­tre­ter“.

Was ich dabei auch immer wie­der ver­ges­se: Die Bin­sen­weis­heit, wonach nichts so heiß geges­sen wer­de, wie es gekocht wird, ist nicht in der Gas­tro­no­mie am zutref­fends­ten, ((Wie oft hat man sich schon böse den Gau­men an einer Sup­pe oder einer Brat­wurst ver­brannt?)) son­dern in der Poli­tik. Und: Anders als in der Fuß­ball­na­tio­nal­mann­schaft sind im Bun­des­tag und Kabi­nett ja nicht die Bes­ten ihres Fachs ver­sam­melt, son­dern die, die sich in den Intri­gen­s­port­ver­ei­nen, die wir „Par­tei­en“ nen­nen, nach oben gemeu­chelt haben; die, die pro­mi­nen­te Poli­ti­ker in der Fami­lie hat­ten; und die, die zufäl­lig gera­de in der Gegend her­um­stan­den, als ein Pos­ten besetzt wer­den muss­te. Zwar sol­len sie eigent­lich die Mei­nung ihrer Wäh­ler ver­tre­ten, aber die­ses Prin­zip wird schon durch das alber­ne Lis­ten-Wahl­recht in Deutsch­land ad absur­dum geführt. Wo es kei­ner­lei Bin­dung zwi­schen Wäh­lern und Abge­ord­ne­ten gibt, kön­nen die Bür­ger ihren Par­la­men­ta­ri­ern auch nur unzu­rei­chend auf die Fin­ger klop­fen. ((Ich habe zum Bei­spiel kei­ne Ahnung, wie eigent­lich mei­ne Abge­ord­ne­ten hei­ßen – geschwei­ge denn, was für Posi­tio­nen sie ver­tre­ten.))

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Gewiss: Man könn­te selbst in die Poli­tik gehen, aber man könn­te sei­nen Müll auch selbst zur Depo­nie fah­ren oder sein Grill­fleisch selbst erle­gen. Ich habe da kei­ner­lei Ambi­tio­nen, also muss ich mit dem leben, was (poli­tisch) im Ange­bot ist.

Inso­fern nervt mich auch immer wie­der das Geze­te­re in Blogs und bei Twit­ter, die­se oder jene Par­tei sei wegen einer ein­zel­nen Per­son oder Äuße­rung „unwähl­bar“. Natür­lich schei­den dadurch schnell sämt­li­che exis­ten­ten Par­tei­en aus und man miss­ach­tet dabei eines der grund­le­gen­den Zie­le einer Demo­kra­tie: das Stre­ben nach einem Kom­pro­miss. ((Wobei einem da natür­lich immer wie­der Vol­ker Pis­pers ins Gedächt­nis kommt, der schon vor zehn Jah­ren frag­te, ob das klei­ne­re Übel wirk­lich immer so groß sein müs­se.)) Per­fek­ti­on wird man nir­gends fin­den, weder bei Par­tei­en noch bei Lebens­part­nern. ((Zyni­ker wür­den an die­ser Stel­le fra­gen, ob es im Web 2.0 nicht über­na­tür­lich vie­le Sin­gles gebe.)) Und spä­tes­tens, wenn es zur Wahl­wer­bung kommt, wird man bei­de Augen zudrü­cken müs­sen.

„Unwähl­bar“ aber ist ein krei­schen­des, abso­lu­tes Urteil, das damit in der lan­gen Rei­he von Schlag­wor­ten wie „Faschis­mus“ und „Zen­sur­su­la“ steht und die Fra­ge, war­um sich eigent­lich kaum ein Poli­ti­ker für die Inter­es­sen der Netz­ge­mein­de inter­es­sie­re, von selbst beant­wor­tet. Wäre ich Poli­ti­ker und wür­de auf einer Wahl­kampf­ver­an­stal­tung von drei am Ran­de ste­hen­den Nerds als „ahnungs­los“ und „Faschist“ beschimpft, wäre mein Inter­es­se an einem Dia­log auch gedämpft. Inso­fern ste­hen vie­le – nicht alle – Dis­ku­tan­ten im Web 2.0 den von ihnen kri­ti­sie­ren Poli­ti­kern in nichts nach, wenn sie nur auf Laut­stär­ke 11 kom­mu­ni­zie­ren. Wenn sich zwei auf nied­ri­gem Niveau begeg­nen, ist das nur noch tech­nisch betrach­tet ein Dia­log auf Augen­hö­he.

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Ein ein­zi­ges Mal hat es unse­re Bun­des­re­gie­rung ((Ich habe es schon oft gesagt und wie­der­ho­le mich da ger­ne: Nach dem Stuss, den die gro­ße Koali­ti­on in den letz­ten vier Jah­ren ver­zapft hat, hat es mei­nes Erach­tens kei­ne der betei­lig­ten Par­tei­en ver­dient, im Herbst wei­ter­zu­re­gie­ren. Aber solan­ge FDP und Grü­ne gemein­sam kei­ne Regie­rung stel­len kön­nen oder wol­len, wer­den wir wohl auch dort wie­der mit einem klei­ne­ren Übel leben müs­sen.)) geschafft, dass ich mich gewis­ser­ma­ßen poli­tisch enga­giert habe und in einer E‑Mail Ver­wand­te, Freun­de und Bekann­te gebe­ten habe, sich das The­ma „Inter­net­sper­ren“ doch bit­te ein­mal genau­er anzu­schau­en und sich gege­be­nen­falls an der Peti­ti­on dage­gen zu betei­li­gen. Aber Wut und Fas­sungs­lo­sig­keit schei­nen mir auch kein bes­se­rer Antrieb zu sein als Angst und Panik­ma­che auf der ande­ren Sei­te.

Par­tei­en selbst sind mir in höchs­tem Maße suspekt, weil ihre Mit­glie­der zu einer Lini­en­treue ten­die­ren, die jeden Fuß­ball­fan stau­nend zurück­lässt. Die Respekt­lo­sig­keit, mit der schon die Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen ((Dass die Mit­glied­schaft in „Jugend­or­ga­ni­sa­tio­nen“ von Par­tei­en bis zu einem Alter von 35 Jah­ren möglich/​verpflichtend ist, sagt eigent­lich schon alles.)) den „poli­ti­schen Geg­ner“ behan­deln, emp­fin­de ich als höchst ver­stö­rend, und die Tat­sa­che, dass wich­ti­ge Ent­schei­dun­gen ein­fach nicht gefällt wer­den, weil die Anträ­ge von der „fal­schen“ Par­tei ein­ge­bracht wur­den, lässt mei­nen Blut­druck wie­der in gesund­heits­ge­fähr­den­de Berei­che stei­gen.

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Statt Inhal­ten inter­es­siert mich bei Wah­len seit jeher eher das Drum­her­um, vor allem die ers­te Pro­gno­se bei Schlie­ßung der Wahl­lo­ka­le. Bei der Bun­des­tags­wahl 1994 führ­te ich mit einem Mit­schü­ler Wahl­um­fra­gen in unse­rer Klas­se durch und prä­sen­tier­te hin­ter­her stolz die Hoch­rech­nung für die Klas­se 6c. Am Wahl­tag selbst hat­te ich mir im Kel­ler mit Tüchern und Pap­pen ein Haupt­stadt­stu­dio (natür­lich Bonn) ein­ge­rich­tet und prä­sen­tier­te von 15 Uhr an im Halb­stun­den­takt immer neue Vor­her­sa­gen. Rudolf Schar­ping wäre sicher ein inter­es­san­ter Bun­des­kanz­ler gewe­sen.

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Musik Politik

Familiar To Millions

Gallagher Lane in San Francisco, CA

In Man­ches­ter sorgt man sich um eine ord­nungs­ge­mä­ße Abwick­lung der Euro­pa­wahl am 4. Juni.

Der Grund: Um halb Zehn abends, eine hal­be Stun­de vor Schlie­ßung der Wahl­lo­ka­le, wer­den zwei Stra­ßen gesperrt, weil im benach­bar­ten Hea­ton Park ein Kon­zert von Oasis statt­fin­det.

Die Mel­dung in all ihrer absur­den Schön­heit steht bei der BBC.

Ver­mut­lich dürf­ten zu den drei ange­setz­ten Open-Air-Kon­zer­ten in Man­ches­ter mehr Zuschau­er erschei­nen, als sich in ganz Groß­bri­tan­ni­en Wäh­ler an der Euro­pa­wahl betei­li­gen …

[via NME.com]