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Musik

Song des Tages: Estrich Boy – Saving The End Of Summer

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Zum ersten Mal gehört: Anfang 2003, als der Song auf der Bandhomepage zum kostenlosen Download zur Verfügung stand. Glaube/Hoffe ich.

Wer musiziert da? Estrich Boy, eine nach einer Baumaschine benannte Band aus der niederrheinischen Retortenstadt Voerde. Eine Band, die schon mehrfach den großen Durchbruch hätte schaffen sollen, dies aber leider noch nicht geschafft hat. Was aus denen wohl geworden ist? Über die Bedeutung Voerdes (und dort: insbesondere die der “Stockumer Schule” und des Clubs “Rolling Stone”, später “Index” und “The Hamburger Schule Club”) für die Musikszene sind meines Erachtens übrigens noch nicht genug Bücher geschrieben worden. Das gilt es nachzuholen, mit Dinslaken als vergleichsweise kurzem Kapitel.

Warum gefällt mir das? Das ist die Musik, die wir damals “Emo” nannten, und die sich auch genauso anfühlte. Das Lied fiel in die Zeit von Zivildienst und Warten auf den Studienbeginn, in der Zeilen wie “There is so much to do / So I better don’t do anything at all / I’d better do nothing” perfekt passten. Ich liebe es, wie sich dieses Lied immer weiter steigert und die Gitarren in jedem Durchgang von Strophe und Refrain neu klingen und mit anderen Rhythmen um die Ecke kommen.

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Musik

Song des Tages: Straylight Run – Existentialism On Prom Night

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Zum ersten Mal gehört: Irgendwann im Herbst 2003, nehme ich an, als die erste Demo von Straylight Run zum kostenlosen Download im Internet veröffentlicht wurde.

Wer musiziert da? John Nolan, der (damals) ehemalige Gitarrist von Taking Back Sunday, seine Schwester Michelle und ein paar andere Musiker aus der New Yorker Emo-Szene (Emo im eigentlichen Sinne, nicht diese Tokio-Hotel-Teenager-Variante. Lesen Sie dazu das Standardwerk “Everybody Hurts” von Leslie Simon und Trevor Kelley). Die Demo war unfassbar gut, das selbstbetitelte Debütalbum ein Jahr später hatte einige großartige Songs und danach hab ich die Band dann aus den Augen verloren.

Warum gefällt mir das? Nun ja, da wäre zunächst das Klavier … Und dann diese Stimmung, zwischen Melancholie und Aufbruch, die in Melodie und Text (“We’re glad for what we’ve got / Done with what we’ve lost / Our whole lives laid out right in front of us”) so wunderbar aufgegriffen werden. Der (schon ziemlich coole) Songtitel ist eigentlich nur die Erklärung zu den Bildern, die da beschrieben werden (“When the sun came up / We were sleeping in / Sunk inside our blankets / Sprawled across the bed / And we were dreaming”). Jeder sollte am Tag seiner Abschlussfeier die Sonne wieder aufgehen sehen und von den Leuten umgeben sein, die man bis dahin jeden Tag gesehen hat und die einem alles bedeutet haben. Freundschaften müssen danach nicht enden (und ich nehme an, heutzutage ist es leichter, in Kontakt zu bleiben als … sagen wir: 2002), aber viele tun es eben doch. Wie die Zeilen “Sing like you think no one’s listening” und “You would kill for this / Just a little bit” da ineinander verwoben sind, das jagt mir auch nach zehn Jahren im richtigen Moment Gänsehaut über die Arme.

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Rundfunk Gesellschaft

Sturm’n’Drang High School

Eigentlich sitze ich gerade an einem Text, in dem ich mal besonders gelungenen Journalismus vorstellen möchte. Dann allerdings bekam ich den Link zu einem YouTube-Video geschickt, das eine solch erschütternde Journalismusattrappe zeigt, dass ich (nachdem ich eine Viertelstunde zu den Klängen von Thursday mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe) mich erst einmal darüber auskotzen muss.

Das Video zeigt einen Beitrag aus der gestrigen Ausgabe von “Explosiv – Das Magazin” auf RTL, hat also genau genommen gar nichts mit Journalismus am Hut. Allerdings haben 1,79 Millionen Menschen diese Sendung gesehen und die Vorstellung, dass auch nur einer diese Infotainment-Parodie ernst genommen haben könnte, macht mir Angst.

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Es ging um Emos und weil viele Zuschauer vielleicht nicht wissen was das ist (Chance zum schlechten Witz mit australischen Laufvögeln verpasst), erklärt die Moderatorinnendarstellerin das Ganze noch mal kurz:

“Emo” kommt von “emotional” und Teenager, die dieser Bewegung anhängen, kleiden sich merkwürdig.

Außerdem neigten die Jugendlichen zu Depressionen, ritzten sich teilweise die Haut auf und überhaupt habe der Reporter einen Fall gefunden, “wo ein junger Mann sich umgebracht haben soll”.

Dann geht’s los mit blutigen Bildern, entsetzten Eltern und jovialen depressiven Jugendlichen.

Von dem jungen Mann, der “sich umgebracht haben soll” (also er ist tot, nur ob das mit Emo zusammenhängt, ist nicht klar: er “war wahrscheinlich ein Emo”), wird ein (natürlich unverpixeltes) Bild gezeigt, das er vor seinem Tod “in ein Emo-Forum ins Internet gestellt” hat. Wir müssen also ganz am Rande auch noch annehmen, dass RTL mal wieder Witwenschütteln 2.0 betrieben hat.

Das Bild zeigt – und jetzt kommt’s – einen grimmig dreinschauenden jungen Mann mit Palästinensertuch vor einem Poster, das wenn ich mich nicht sehr irre, die Metalband Metallica zeigt. D’oh! Weniger Emo geht nun wirklich kaum.

Er trägt das typische Emo-Tuch, ‘Pali’ genannt.

Emo (Symbolbild)Journalisten hätten sich vielleicht die Mühe gemacht, den Ursprung der Emo-Bewegung zu erklären. Man hätte sehr weit ausholen und bis zu Embrace (US), Rites Of Spring, Fugazi und The Promise Ring gehen können, wenn man sich mit der ursprünglichen Emo-Szene unter musikalischen Aspekten hätte beschäftigen wollen, man hätte aber wenigstens über Unsicherheit, Einfühlungsvermögen und Hoffnungslosigkeit sprechen können. Im Feuilleton hätte man Parallelen zum Sturm und Drang, der Jugendbewegung der 1770er Jahre, geschlagen, in jedem Fall hätte man aber sagen müssen, dass der Begriff “Emo” in etwa so schwammig sei wie der des “Jugendlichen” und dass man sich im folgenden auf einen kleinen Kreis beschränken und holzschnittartige Verallgemeinerungen auffahren müsse. Dafür aber war in einem Sechsminüter kein Platz.

Das Wort “Emo” war also im folgenden ein Platzhalter für “merkwürdig gekleidete Jugendliche, die sich alle immer die Arme aufschneiden, was wir aus dem Internet wissen, die das aber vor unserer Kamera nicht zugeben wollen”.

RTL machte aber nicht nur so grobe inhaltliche Fehler, der Beitrag war bis ins kleinste handwerkliche Detail schlecht. Immer wieder wurden in Großaufnahme die gleichen sensationslüsternen Bilder von aufgeschnittenen Gliedmaßen gezeigt, die wer-weiß-woher stammten. Ja, sie haben es noch nicht einmal geschafft, Texteinblendungen und Off-Sprecher auf eine Linie zu kriegen: zu den aus dem Kontext irgendeines “Emo-Forums” gerissenen (und offenbar in MS Paint gesetzten) Worten “es ist allen SCHEIß EGAL!!!!” sagt die um Bedeutungsschwere und Dramatik bemühte RTL-Standardstimme, es sei “alles” scheißegal.

Der aufgetane Psychologie Dr. Christian Lüdke wirft Emos und Satanisten munter in einen Topf, spricht von der “Faszination des Abscheulichen” und sagt, Emos wollten “provozieren”. Als nächstes erklärt der Sprecher, “sie” (es geht also in jedem Moment um ausnahmslos alle Emos) seien “beziehungsgestört, aber sie demonstrieren Nähe”. Ähnlich informativ wäre es zu behaupten, Menschen seien allesamt weiblich, hätten blaue Augen und ein Bein: alles trifft ja sicher in einigen bis etlichen Fällen zu, wer würde sich da noch mit Rasierklingenspalterei aufhalten wollen?

Sie sind lieb zueinander und geben sich harmlos vor der Kamera – doch im Internet zeigen sie ihre wahren Abgründe: ich lebe, doch eigentlich bin ich schon tot.

Eine Mutter ist der Meinung, dass es andere Dinge gäbe, die Jugendliche machen könnten, als zusammen zu ritzen, zu saufen und zu kiffen. Ich muss zugeben, das Bild, das in diesem Moment in meinem Kopf entstand, hatte was: zwanzig misanthropische Straight-Edger sitzen zusammen in einem elterlichen Wohnzimmer, trinken Hansa-Pils, rauchen Gras und sägen – alle zusammen und jeder für sich – an ihren Unterarmen rum.

Es gibt vielfältige Beweise dafür, dass Emos zur Selbstverstümmelung neigen.

Diese “Beweise” sind irgendwelche Bilder mit morbider Szenerie: von der Decke baumelnde Körper, verwahrloste Mädchen, die Herzen auf eine Wand malen, Rasierklingen in der Unterlippe. Oder mit anderen Worten: alles, was die Google-Bildersuche nach dem Begriff “Emo” so hergab.

Eine zugegebenermaßen gelungene Szene ist der Dialog zwischen drei Emo-Mädchen und einem Styler, bei dem die Ach-so-Einfühlsamen plötzlich gar nicht mehr so genau erklären können, was sie eigentlich sind und sich händchenhaltend in eine hilflose Diskussion stürzen, die sie anschließend als “typisch” bezeichnen.

Hier wäre die Gelegenheit gewesen, das, was heute “Emo” genannt wird, als die Pose zu entlarven, die sie oft genug nur noch ist. Als Bricolage aus Punk, Gothic, Visual Kei, Rockabilly und Hello Kitty. Stattdessen wird die anti-aufklärerische Panikmache noch auf die Spitze getrieben.

Emos: offenbar eine typische Erscheinung der Pubertät. Leichtfertig wird hier mit der Selbstverstümmelung kokettiert. Und es gibt viele Jugendliche, die das toll finden, die ziemlich naiv in diese Sackgasse tappen.

“Naiv” und “Sackgasse” sind freilich Begriffe, die für diesen unfassbaren Beitrag noch wohlwollend wären.

Liebe Eltern, die Sie jetzt denken “Hilfe, mein Kind ist Emo! Wie krieg ich die Beerdigung bezahlt?”: bitte glauben Sie nicht diesen enthirnten Schwachsinn, den RTL gestern Abend in Ihre Kacheltisch-Wohnzimmer gesendet hat. Wenn Sie ungefähr verstehen wollen, was Emo ist, Sie also Ihr Kind verstehen wollen, greifen Sie bitte zu “Everybody Hurts” von Leslie Simon und Trevor Kelley. Dafür müssen Sie etwas Englisch können, aber hinterher wissen Sie wenigstens, worum es geht.

[via Katti und Kahta]

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Musik

Vom Ziehen und Jagen der alten Liebe

Musikalisch ist das Jahr 2007 für mich bisher eine andauernde Zeitreise zurück in die Tage, als ich Rockmusik für mich entdeckte. Zahlreiche Bands, die mich seit Beginn dieses Jahrzehnts (oder noch länger) begleiten, haben neue Alben veröffentlicht, darunter Travis, Manic Street Preachers, Smashing Pumpkins, Foo Fighters und Weakerthans, Radiohead und Crowded House. Dazu noch Air und The Ataris und bevor ich mich bis zu Joni Mitchell und Bruce Springsteen rüberhangel, krieg ich mal besser die Kurve und sage: Wirklich viele Bands.

In den letzten Wochen kamen noch zwei Bands mit ihrem jeweils sechsten Album dazu: Stereophonics mit “Pull The Pin” am 12. Oktober und Jimmy Eat World mit “Chase This Light” am letzten Freitag.

Ich hatte es schon mal erwähnt: Mit den Stereophonics verbindet mich eine ganz besondere Hassliebe. Als die letzten beiden Studioalben erschienen, konnte ich damit überhaupt nichts anfangen und schrieb jeweils recht harsche Verrisse. Inzwischen habe ich mir beide Alben einigermaßen schöngehört, zumindest habe ich auf beiden noch Songs entdecken können, die für mich inzwischen beinahe in einer Liga mit “A Thousand Trees”, “Traffic” oder “Just Looking” spielen.

Auch “It Means Nothing”, die Vorabsingle aus “Pull The Pin”, brauchte einige Durchläufe, aber sie wuchs mit jedem Mal und ist inzwischen auch in meinem Herzen angekommen – allerdings nur auf Platz 2 hinter “Daisy Lane”. Beide Songs folgen der gleichen Blaupause, die auch schon “Maybe Tomorrow”, “I’m Alright” und “Rewind” so unwiderstehlich machten: Hypnotischer Breitwandrock in Endlosschleife, U2 und Rollingstones im Quadrat. Dass “Daisy Lane” nicht mal einen Refrain, sondern nur ein langgezogenes “Babadabada ba ba ba” hat, macht den Song eigentlich nur noch schöner.

Aber auch auf der anderen Seite, dem deutlichen Rocksong, haben die Phonics endgültig wieder Boden unter den Füßen: “Bank Holiday Monday” mag ein bisschen schlicht, “Ladyluck” ein bisschen zu kalkuliert Snow-Patrolig sein, aber allein ein Stampfer wie “Lose Ya”, der mit herrlich schlichtem Inhalt und gradlinigem Geschrammel an die Anfangstage der Band erinnert, gleicht das wieder aus.

Die Stereophonics werden wohl nie wieder so gut sein wie auf ihren ersten beiden Alben, aber nach den insgesamt doch recht schwachen letzten Werken ist ihnen mit “Pull The Pin” endlich mal wieder ein Album gelungen, das man von beruhigt durchhören kann.

Durchhören kann man sicherlich auch “Chase This Light” von Jimmy Eat World, allerdings frage ich mich auch mehreren Tagen des intensiven Hörens, was man davon hat. Zwölf gefällige Rocksongs, glattpoliert bis alles glitzert und nichts mehr hängen bleibt – so kannte man das Quartett aus Arizona eigentlich gar nicht. Zwar hatten sie sich nach ihrem Überalbum “Clarity”, das heute zu den Meilensteinen des Emo zählt, den etwas poppigeren Songs zugewendet – diese waren aber wenigstens eingänglich. “Futures” vor drei Jahren gefiel nicht allen, aber ich mochte es. Bei “Chase This Light” bin ich mir immer noch nicht sicher.

Vielleicht liegt es an Executive Producer Butch Vig, der seit mehr als zehn Jahren kein gutes Album mehr produziert hat, vielleicht liegt es am Songwriting, dass Jimmy Eat World inzwischen wie Vega4, The Upper Room oder The Feeling klingen – oder mindestens wie Weezer ab dem grünen Album. Schlecht ist das Album deshalb nicht unbedingt, aber irgendwie egal. “Let It Happen” und “Gotta Be Somebody’s Blues” wären auf früheren Alben Beiwerk gewesen, hier zählen sie schon zu den Highlights.

Das merkwürdige daran: Einerseits tut es weh, eine ehemals so spannende Band so zu hören, andererseits sind es die immer mal wieder durchschimmernden Überreste der alten Jimmy Eat World (bzw. die wachgerufene Erinnerung an alte Großtaten), die das Album überhaupt erst hörenswert machen. Ich weiß nicht, ob ich “Chase This Light” als Werk einer anderen (neuen) Band besser fände – oder wirklich langweilig. “Here It Goes” wäre ein charmanter Popsong, wenn er von einer jungen britischen Band käme, aber zu Jimmy Eat World passen Handclaps und “Hey, hey, hey!”-Chöre irgendwie nur bedingt. Der Titeltrack macht es deutlich: Die Ideen, die sie auf “Chase This Light” verarbeitet haben, hatten Jimmy Eat World alle schon mal – und früher klangen sie besser.

Eigentlich ist es aber fast egal, wie “Pull The Pin” und “Chase This Light” klingen: Beide Bands stehen auf der Liste meiner Teenage-Lieblinge. Und so, wie man die Mädchen, für die man zu Schulzeiten schwärmte, nie richtig doof finden können wird, so findet man halt auch bei Bands, die einen schon so lange begleiten, immer irgendwas zum Mögen.