Kategorien
Musik

What’s new to you?

Männer tun ja manchmal merkwürdige Dinge. Frauen heiraten, zum Beispiel, oder achteinhalb Stunden unterwegs sein für 75 Minuten Konzert. Ich habe gestern letzteres gemacht und mir die Stereophonics angesehen.

Erst muss man nach Köln fahren, was ja für sich genommen schon schlimm genug ist, und dann steht man auch noch inmitten von angetrunkenen Briten und alten Leuten, die aussehen, als hätten sie eigentlich zu Bryan Adams gehen wollen, und wird mit dem Gesamtwerk der überaus schrecklichen Band Live beschallt. Das allerdings war, wie sich bald herausstellen sollte, eine gute Vorbereitung auf die Vorband Hero. Die vereinten nämlich auf beeindruckende Weise so ziemlich alles, was ich an Bands wie Status Quo, Bush, Simple Minds und INXS nicht ausstehen kann, und hatten einen Sänger der aussah wie der von Right Said Fred. Danach liefen zum Glück die größten Hits von The Clash.

Nach schier endlosem und wiederholtem Gitarrenstimmen auf der Bühne (das ist so nicht Rock’n’Roll) gingen die Stereophonics nebst Zusatzgitarrist und -keyboarder um Punkt 22:00 Uhr auf die Bühne. Da ich noch den letzten Zug nach Bochum erwischen musste, wusste ich schon, dass ich nicht das ganze Konzert würde sehen können. Das war aber erst mal egal, als die ersten Takte von “Bank Holiday Monday” erklangen und die Band loslegte wie ein Haufen junger Hunde.

Die Setlist war eine ausgewogene Zusammenstellung aus nahezu allen Schaffensperioden der Band, nur “You Gotta Go There To Come Back” blieb komplett außen vor. Am meisten gefeiert wurden die ganz neuen Songs von “Pull The Pin” und die Hits der ersten beiden Alben – “Superman”, “Devil” und “Doorman” von “Language. Sex. Violence. Other?” liefen irgendwie ins Leere. Leider gab es nach dem furiosen Auftakt immer wieder Hänger, “Pick A Part That’s New” drohte gar völlig auseinander zu fallen, so erschreckend lahmarschig geriet der Refrain. “Traffic” stand ähnlich auf der Kippe, aber “Mr. Writer” und mein Phonics-Liebling “Just Looking” waren dafür makellos.

Die Band war bestens gelaunt (ich glaube, ich habe Kelly Jones vorher noch nie lachen gesehen) und ließ sich das auch nicht vom bisweilen etwas leblosen Publikum kaputt machen. Mitsingen tut man in Deutschland halt nur bei Pur, kettcar und Oasis und groß Bewegen ging in der gut gefüllten und auf Saunatemperaturen aufgeheizten Live Music Hall auch nicht so gut. Zwischen “It Means Nothing”, der ersten Single aus “Pull The Pin”, und dem Klassiker “Local Boy In The Photograph”, der das reguläre Set abschloss, gab es mit “My Own Worst Enemy” einen neuen Song, der auch fürs nächste Album wieder Mut macht: Die Stereophonics haben eben auf jedem Album eine Handvoll wirklich guter Songs, wie es eine Konzertbesucherin auf dem Weg nach draußen präzise zusammenfasste.

Wegen des oben beschriebenen Zeitdrucks (Konzerte um 21:00 Uhr sollten unter der Woche verboten werden), musste ich die Halle leider vor den Zugaben verlassen. Wenn sich die Band an den Setlisten der anderen Deutschland-Konzerte orientiert hat, habe ich “Roll Up And Shine” und leider auch “Dakota” verpasst. Letzteres konnte ich aber dank YouTube heute früh noch nachholen.

Mein erstes Stereophonics-Konzert seit sechseinhalb Jahren war ein bisschen wie ein Treffen mit alten Freunden: Man erinnert sich gemeinsam an die schönen Zeiten, als man noch jung war und durch die Gegend hüpfte, hört interessiert, was die anderen jetzt so machen, denkt sich zwischendurch “Ich sollte sowas nicht mehr machen” und geht dann doch mit einem wohligen Gefühl nach hause.

Setlist:

Kategorien
Musik

All They Want To Do Is Rock

Entgegen meiner gestrigen Behauptung wird das Wetter offenbar doch nicht vom Spielplan der Fußballbundesliga bestimmt, sondern vom Tourkalender britischer Rockbands. Denn kaum hatte ich gestern Mittag zur Einstimmung auf das abendliche Travis-Konzert Musik meiner schottischen Lieblinge aufgelegt, öffnete Petrus auch schon alle Schleusen und zwang mich, zur U-Bahn zu waten.

In Köln-Mülheim angekommen, hatte sich das Wetter wieder beruhigt, aber im E-Werk erwarteten mich die nächsten Schocks – oder Schöcke? Jedenfalls war der Laden um zwanzig vor Acht gerade mal mit geschätzten zweihundert Leuten gefüllt und überall hingen riesige Werbebanner von WDR 2. “Neeeeeeiiiin!”, schrie ich, “ich bin doch noch viel zu jung! Ich will nicht auf Konzerte, die von diesem Eltern-Sender präsentiert werden, gehen!” Später sah ich, dass die Soundmischer das Konzert mitschnitten – und sollte WDR 2 es schaffen, das komplette Konzert auszustrahlen, wäre ich sogar mit den Bannern und dem Gefühl des Altseins versöhnt.1

Vorband waren The Taste aus München, eine Art White Stripes mit umgekehrter Geschlechterverteilung. Das war ganz nett und kurzweilig und weil die Dame und der Herr jedes Lied namentlich ankündigten weiß ich jetzt, dass nahezu alle The-Taste-Songs ein “you” im Titel haben. Öhm, das klingt jetzt nicht sonderlich positiv, aber stellen Sie sich mal vor, wie sie auf noch so gute Bands reagieren würden, die Ihre Lieblingsband supporten müssten. Da guckt man halt immer auf die Uhr.

Auf die Uhr geguckt wurde auch von offizieller Seite sehr exakt (WDR-2-Konzert halt): 19:59 Uhr Vorband, 21:00 Uhr Licht aus für Travis. Wie man es schon aus diesem Mitschnitt kennt, erklang zunächst die Hymne von 20th Century Fox, ehe die Band in Bademäntel gehüllt zum “Rocky Theme” in die Halle einzog. Durchs Publikum, das inzwischen glücklicherweise doch noch ein bisschen angewachsen war. Fran Healy sieht von nahem sehr viel kleiner, bärtiger und grauer aus als auf der Bühne, aber er hat sehr wache Augen und einen festen Händedruck.

Als die vier Schotten und ihr schwedischer Tour-Keyboarder die Bühne erklommen hatten, schmissen sie sich mit Schmackes in “Selfish Jean”, wobei Fran Healy während des ganzen Konzertes eines der T-Shirts trug, die sich Demetri Martin im Video zum Song vom Körper schält. Ohne ausufernde Ansagen, die Fran noch auf vergangenen Touren gemacht hatte, sprang die Band von Song zu Song und damit kreuz und quer durch die eigene Geschichte. Noch auf keiner Tour nach 2000 haben Travis so viele Songs von ihrem Debütalbum gespielt (“Good Day To Die”, “The Line Is Fine”, “Good Feeling” und “All I Want To Do Is Rock”), noch nie standen alte und neue Songs derart Schulter an Schulter. Was beim Hören der verschiedenen Alben mitunter nur schwer vorstellbar ist, wurde live völlig klar: Diese Songs stammen alle von der selben Band und sie sind auch alle Kinder gleichen Geistes.

Zwar spielte die Band jede Menge Singles, aber das Konzert wirkte dennoch nicht wie eine Greatest-Hits-Show. Dafür fehlten die Nicht-Album-Singles “Coming Around” und “Walking In The Sun”, aber auch “Re-Offender” von “12 Memories”. Überhaupt gab’s vom ungeliebten “dunklen” Album gerade mal zwei Songs zu hören: “The Beautiful Occupation” und das luftige “Love Will Come Through”. Was aber noch viel merkwürdiger war: Es gab auch gerade mal vier Songs vom aktuellen Album “The Boy With No Name”. Kein “Colder”, kein “Battleships”, kein “Big Chair”.

Die Sieger im Set hießen also “The Man Who” (5 von 11 Songs, nur “Blue Flashing Light” fehlte zur vollen Glückseligkeit) und “The Invisible Band” (5 von 12 Songs, davon “Flowers In The Window” in einer wunderbaren Akustikversion, bei der die ganze Band sang). Die Reaktionen im Publikum machten deutlich, dass es sich bei den Beiden in der Tat um die Lieblingsalben der meisten Fans handeln muss.

Obwohl das Set also etwas merkwürdig aussah und mindestens zwei Songs (für mich “Blue Flashing Light” und “Colder”) zu wünschen übrig ließ, war es ein tolles Konzert, denn die Band hatte sichtlich Spaß bei dem, was sie da tat, und diese Freude übertrug sich auf das Publikum. Als letzten Song im Zugabenblock gab es dann natürlich “Why Does It Always Rain On Me?”, das Lied, das für Travis das ist, was “Creep” für Radiohead, “Loser” für Beck und “Wonderwall” für Oasis ist: Das Lied, das jeder kennt, auch wenn er sonst nichts von der Band kennt. Aber Travis schaffen es, mit diesem Hit würdevoll umzugehen und wenn das Publikum erst mal hüpft wie eine Kolonie juveniler Frösche, ist die kommerzielle Bedeutung des Lieds eh egal. Und weil Fran den Song beim ersten Mal falsch zu Ende gebracht hatte (“This doesn’t happen that often because usually I’m perfect”), gab’s das Finale dann ein zweites Mal.

Das nächste Mal wollen Travis nicht wieder vier Jahre auf sich warten lassen. Im Dezember geht’s ins Studio, um ein neues Album aufzunehmen.

1 Ja, ich glaube, das war eine Aufforderung.

Und hier noch die Setlist für die Jäger und Sammler:

Kategorien
Musik

Glamorous Indie Rock’n’Roll

Als The Killers, die erste Rockband, die es je aus Las Vegas lebend herausgeschafft hat, vor drei Jahren ihr Debüt “Hot Fuss” veröffentlichten, sagten alle: “Boar geil, dieser Eighties Sound und diese Texte und diese ganze Ironie.” Als The Killers im vergangenen Jahr ihr Zweitwerk “Sam’s Town” veröffentlichten, sagten alle: “Oh weh, das klingt ja, als sei Bruce Springsteen unter dem Joshua Tree geboren worden. Der Sänger trägt einen Schnauzbart und der Gitarrist sieht aus wie jemand von Europe – oder wenigstens wie Brian May. Was machen wir denn, wenn das gar keine Ironie ist?”

Wer es ernst meint, hat es noch wie vor schwer im Rockbusiness. Schwerer hat es nur derjenige, bei dem man nicht weiß, ob er es ernst meint. Da rüpelt Sänger Brandon Flowers durch die Musikpresse, verpasst The Bravery, Panic! At The Disco und Green Day ein paar verbale Abreibungen und verkündet, das eigene Album sei eines der besten der letzten zwanzig Jahre, nur um dann ein paar Wochen später wie ein beliebiger Bundespolitiker wieder zurückzurudern mit dem Hinweis, das alles nicht so gemeint zu haben. Also wieder nichts geworden mit der Hoffnung, irgendjemand könnte die Gallaghers doch noch als Großkotze des internationalen Rock’n’Roll-Circus beerben. Flowers, so war zuletzt im Musikexpress zu lesen, halte sich selbst für nicht sonderlich eloquent und sage dann manchmal Sachen, die er hinterher bereue. Am liebsten sage er aber nichts.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich die Anzahl der Zwischenmoderationen beim gestrigen Killers-Konzert im ausverkauften Kölner Palladium auf ein Minimum beschränkten. Die Band war auch mit wichtigerem beschäftigt: nach der ganz famosen britischen Vorgruppe Mumm-Ra und nach einem Multimedia-Intro, das sich gewaschen hat, standen The Killers plötzlich im Glitterregen (rot-weiß-blau, of course, und silber) auf der Bühne, spielten die ersten drei Stücke von “Sam’s Town” durch und starteten damit eine Party, bei der in knapp 80 Minuten mehr los war als im Borussiapark zu Mönchengladbach in einer ganzen Saison. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne den sonst so verbreiteten Drang, die ganz großen Hits alle erst in der Zugabe zu verbraten, reihten The Killers ihre Singles wie die Perlen einer etwas übertrieben glitzernden Kette aneinander: “Bones”, “Somebody Told Me”, “Jenny Was A Friend Of Mine” und “Smile Like You Mean It” als Nummern Vier bis Sieben im Set, so hintereinander weg.

Das Publikum hatte vom ersten Takt an die Hände in der Luft und machte Party, Party, Party. Ich war nach zwanzig Minuten körperlich am Ende und fragte mich, wie die ganzen Duracell-Häschen um mich herum ihr Pensum aufrechterhalten konnten. Und: Nein, nicht alle waren jünger. Ruhig wurde es eigentlich nie, einzig ein paar Intros und Zwischenspiele waren nicht so beatgetrieben wie der Rest der Show. Aber waberten gerade mal sphärische Keyboard-Teppiche durch das aufgeheizte Palladium, war das Publikum sein eigener Anheizer und klatschte, was die Hände hergaben (und wie es sich gehört, klatschte es natürlich ohne einen Hauch von Rhythmusgefühl, so dass man das Gefühl hatte, Drummer Ronnie Vannucci würde statt seiner Bassdrum lieber einigen Zuschauern den richtigen Beat einprügeln). Es war ein Hüpfen und Springen und Tanzen und man musste sich wieder fragen, warum man eigentlich nie mit den attraktiven Indiemädchen zusammenstößt – “Don’t you wanna feel my skin on your skin?” -, sondern einem immer nur die gesetzteren Damen auf die Zehen hopsen. (Preisfrage am Rande: Warum hab ich mich mit 1,85 m nur so verdammt klein gefühlt und wie viel haben die wirklich kleinen Indiemädchen eigentlich noch von dem auch nicht sonderlich großen Brandon Flowers sehen können?)

Noch vor der Zugabe erklang “Mr. Brightside”, der vielleicht größte Hit der Band bisher, im Zugabenblock verbeugten sich The Killers mit einer Coverversion von “Shadowplay” vor Joy Division (The Killers benannten sich ja nach der Fantasieband gleichen Namens im “Crystal”-Video der Joy-Division-Nachfolgeband New Order) und zum Abschluss gab es dann den “Sam’s Town”-Schlusstrack “Exitlude”. Und hintendran noch mal einen Refraindurchlauf von “When You Were Young”. Mehr Hits, mehr Stimmung ging wirklich kaum, es wäre körperlich kaum zu verkraften gewesen. Das Glaubensbekenntnis der Band und der Fans war sowieso schon mitten im Konzert erklungen: “Glamorous Indie rock’n’roll is what I want / It’s in my soul, it’s what I need”. Nicht mehr, aber nun wirklich auch nicht weniger.

Und für die Freunde von Listen, Statistiken und Namedropping gibt es hier noch die komplette Setlist: