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All They Want To Do Is Rock

Entgegen meiner gestrigen Behauptung wird das Wetter offenbar doch nicht vom Spielplan der Fußballbundesliga bestimmt, sondern vom Tourkalender britischer Rockbands. Denn kaum hatte ich gestern Mittag zur Einstimmung auf das abendliche Travis-Konzert Musik meiner schottischen Lieblinge aufgelegt, öffnete Petrus auch schon alle Schleusen und zwang mich, zur U-Bahn zu waten.

In Köln-Mülheim angekommen, hatte sich das Wetter wieder beruhigt, aber im E-Werk erwarteten mich die nächsten Schocks – oder Schöcke? Jedenfalls war der Laden um zwanzig vor Acht gerade mal mit geschätzten zweihundert Leuten gefüllt und überall hingen riesige Werbebanner von WDR 2. “Neeeeeeiiiin!”, schrie ich, “ich bin doch noch viel zu jung! Ich will nicht auf Konzerte, die von diesem Eltern-Sender präsentiert werden, gehen!” Später sah ich, dass die Soundmischer das Konzert mitschnitten – und sollte WDR 2 es schaffen, das komplette Konzert auszustrahlen, wäre ich sogar mit den Bannern und dem Gefühl des Altseins versöhnt.1

Vorband waren The Taste aus München, eine Art White Stripes mit umgekehrter Geschlechterverteilung. Das war ganz nett und kurzweilig und weil die Dame und der Herr jedes Lied namentlich ankündigten weiß ich jetzt, dass nahezu alle The-Taste-Songs ein “you” im Titel haben. Öhm, das klingt jetzt nicht sonderlich positiv, aber stellen Sie sich mal vor, wie sie auf noch so gute Bands reagieren würden, die Ihre Lieblingsband supporten müssten. Da guckt man halt immer auf die Uhr.

Auf die Uhr geguckt wurde auch von offizieller Seite sehr exakt (WDR-2-Konzert halt): 19:59 Uhr Vorband, 21:00 Uhr Licht aus für Travis. Wie man es schon aus diesem Mitschnitt kennt, erklang zunächst die Hymne von 20th Century Fox, ehe die Band in Bademäntel gehüllt zum “Rocky Theme” in die Halle einzog. Durchs Publikum, das inzwischen glücklicherweise doch noch ein bisschen angewachsen war. Fran Healy sieht von nahem sehr viel kleiner, bärtiger und grauer aus als auf der Bühne, aber er hat sehr wache Augen und einen festen Händedruck.

Als die vier Schotten und ihr schwedischer Tour-Keyboarder die Bühne erklommen hatten, schmissen sie sich mit Schmackes in “Selfish Jean”, wobei Fran Healy während des ganzen Konzertes eines der T-Shirts trug, die sich Demetri Martin im Video zum Song vom Körper schält. Ohne ausufernde Ansagen, die Fran noch auf vergangenen Touren gemacht hatte, sprang die Band von Song zu Song und damit kreuz und quer durch die eigene Geschichte. Noch auf keiner Tour nach 2000 haben Travis so viele Songs von ihrem Debütalbum gespielt (“Good Day To Die”, “The Line Is Fine”, “Good Feeling” und “All I Want To Do Is Rock”), noch nie standen alte und neue Songs derart Schulter an Schulter. Was beim Hören der verschiedenen Alben mitunter nur schwer vorstellbar ist, wurde live völlig klar: Diese Songs stammen alle von der selben Band und sie sind auch alle Kinder gleichen Geistes.

Zwar spielte die Band jede Menge Singles, aber das Konzert wirkte dennoch nicht wie eine Greatest-Hits-Show. Dafür fehlten die Nicht-Album-Singles “Coming Around” und “Walking In The Sun”, aber auch “Re-Offender” von “12 Memories”. Überhaupt gab’s vom ungeliebten “dunklen” Album gerade mal zwei Songs zu hören: “The Beautiful Occupation” und das luftige “Love Will Come Through”. Was aber noch viel merkwürdiger war: Es gab auch gerade mal vier Songs vom aktuellen Album “The Boy With No Name”. Kein “Colder”, kein “Battleships”, kein “Big Chair”.

Die Sieger im Set hießen also “The Man Who” (5 von 11 Songs, nur “Blue Flashing Light” fehlte zur vollen Glückseligkeit) und “The Invisible Band” (5 von 12 Songs, davon “Flowers In The Window” in einer wunderbaren Akustikversion, bei der die ganze Band sang). Die Reaktionen im Publikum machten deutlich, dass es sich bei den Beiden in der Tat um die Lieblingsalben der meisten Fans handeln muss.

Obwohl das Set also etwas merkwürdig aussah und mindestens zwei Songs (für mich “Blue Flashing Light” und “Colder”) zu wünschen übrig ließ, war es ein tolles Konzert, denn die Band hatte sichtlich Spaß bei dem, was sie da tat, und diese Freude übertrug sich auf das Publikum. Als letzten Song im Zugabenblock gab es dann natürlich “Why Does It Always Rain On Me?”, das Lied, das für Travis das ist, was “Creep” für Radiohead, “Loser” für Beck und “Wonderwall” für Oasis ist: Das Lied, das jeder kennt, auch wenn er sonst nichts von der Band kennt. Aber Travis schaffen es, mit diesem Hit würdevoll umzugehen und wenn das Publikum erst mal hüpft wie eine Kolonie juveniler Frösche, ist die kommerzielle Bedeutung des Lieds eh egal. Und weil Fran den Song beim ersten Mal falsch zu Ende gebracht hatte (“This doesn’t happen that often because usually I’m perfect”), gab’s das Finale dann ein zweites Mal.

Das nächste Mal wollen Travis nicht wieder vier Jahre auf sich warten lassen. Im Dezember geht’s ins Studio, um ein neues Album aufzunehmen.

1 Ja, ich glaube, das war eine Aufforderung.

Und hier noch die Setlist für die Jäger und Sammler:
Travis Setlist Cologne, 17/10/2007