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Leben

Feels Like Home

Men­schen mit ent­spre­chen­den Erfah­run­gen erklä­ren ger­ne, ein Kind zu bekom­men wür­de die Sicht­wei­se auf die Welt völ­lig ver­än­dern. Ich bin weit davon ent­fernt, dem wider­spre­chen zu wol­len (oder zu kön­nen), aber ich kann die­sen Men­schen zuru­fen: „Für einen Per­spek­tiv­wech­sel braucht’s kei­nen unge­schütz­ten Geschlechts­ver­kehr. Ein Umzug tut’s auch.“

In den letz­ten Wochen und Mona­ten habe ich mich mit Fra­gen zu Boden­be­lä­gen, Wand­far­ben, Tele­fon­an­bie­tern und Möbeln her­um­ge­schla­gen. Ich habe ange­fan­gen, Wer­be­pro­spek­te auf Kühl­schrän­ke, Wasch­ma­schi­nen und Dusch­köp­fe abzu­su­chen. Ich bin in eine Welt abge­taucht, in der man sich freut, dass die Far­be, die man gera­de gleich­mä­ßig auf Zim­mer­de­cke und eige­nem Haupt­haar ver­teilt hat, was­ser­lös­lich ist (was der Lack für Heiz­kör­per und Fuß­leis­ten übri­gens nicht ist). Gesprä­che im Freun­des- und Fami­li­en­kreis dre­hen sich plötz­lich um Küchen­fron­ten und die rich­ti­ge Metho­de, gera­de Lini­en abzu­kle­ben.

Bei der Reno­vie­rung ist mir auf­ge­fal­len, wie egal einem die­ses Inter­net wer­den kann: Für die wirk­lich bedeut­sa­men Nach­rich­ten hat man ja WDR 2, alles wei­te­re kann man abends in zwan­zig Minu­ten über­flie­gen. Und falls sich jemand Sor­gen macht, weil man seit der Fra­ge „Wel­cher die­ser bei­den Dräh­te gehört wo hin?“ kein Sta­tus­up­date mehr bei Face­book durch­ge­führt hat, wird er schon anru­fen oder eine SMS schi­cken.

Am Wochen­en­de bin ich end­lich umge­zo­gen. Das zeit­li­che Ver­hält­nis von Vor­be­rei­tung und Durch­füh­rung ent­sprach dabei in etwa dem Ver­hält­nis zwi­schen WM-Qua­li­fi­ka­ti­on und Im-rich­ti­gen-Moment-den-Fuß-Hin­hal­ten im Fina­le.

Jetzt ste­he ich vor neu­en Her­aus­for­de­run­gen: Wie sor­tie­re ich mei­ne Bücher neu? Wie krie­ge ich mei­ne Woh­nung rich­tig beheizt? In wel­chem der vie­len Zim­mer könn­te ich jetzt schon wie­der Schlüs­sel und Porte­mon­naie lie­gen gelas­sen haben? Zumin­dest bei der ers­ten Fra­ge kön­nen Freun­de mit Fach­wis­sen wei­ter­hel­fen.

Statt über mei­ne Mit­be­woh­ner kann ich mich jetzt über die Selbst­mon­ta­ge­mö­bel schwe­di­scher Prä­gung auf­re­gen, die jeder ander Mensch (oder zumin­dest: jede mir bekann­te Frau) in die­sem Uni­ver­sum in einer hal­ben Stun­de auf­ge­baut bekommt, wäh­rend ich nach vier Stun­den mit hei­se­rer Stim­me krei­sche: „Ach, als ob die­se eine Schrau­be für die Sta­tik des gan­zen Regals ent­schei­dend wäre …“

Schwe­rer noch wird es, mich an die Super­märk­te im neu­en Stadt­teil zu gewöh­nen. Ver­gan­ge­ne Woche bin ich zehn Minu­ten durch den Aldi geirrt, ohne die ver­damm­ten Nudeln zu fin­den. Und ohne Nudeln fehlt mir schon mal ein Drit­tel mei­nes Spei­se­plans. Außer­dem muss ich eine neue „Bild“-Verkaufsstelle fin­den – oder bes­ser: meh­re­re.

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Rundfunk Radio

Ich, WDR 2

Radio-Symbolbild

Ich reno­vie­re ja zur Zeit eine ehe­mals mil­de sanie­rungs­be­dürf­ti­ge Zwei-Zim­mer-Woh­nung in der Nähe der Bochu­mer Innen­stadt, wes­we­gen ich auch so sel­ten dazu kom­me, irgend­wel­che Tex­te zu schrei­ben. Weil die Geräu­sche, die so eine Reno­vie­rung macht, extrem lang­wei­lig sind (und ich mich immer noch jedes Mal erschre­cke, wenn mei­ne Gas-Ther­me anspringt), habe ich mir ein Radio in die Woh­nung gestellt. Es soll mich mit aktu­el­len Nach­rich­ten und gefäl­li­ger Musik ver­sor­gen, soll unter­hal­ten, aber nicht anstren­gen – kurz­um: Es soll das tun, wozu ein Neben­bei­me­di­um wie das Radio heut­zu­ta­ge da ist.

Ich habe mich not­ge­drun­gen für WDR 2 ent­schie­den. Bei mei­nen Eltern ist WDR 2 seit Jahr­zehn­ten in den Radi­os in Küche, Wohn­zim­mer und Auto ein­ge­stellt, und ich selbst höre den Sen­der seit eini­ger Zeit beim Früh­stück, noch dazu jeden Sams­tag­nach­mit­tag, wenn Fuß­ball ist. Es ist der Sen­der, mit dem ich auf­ge­wach­sen bin, und noch heu­te erin­nern mich Namen wie Horst Kläu­ser, Micha­el Bro­cker oder Gise­la Stein­hau­er an die Nach­mit­ta­ge mei­ner Kind­heit, an denen wir zum Ein­kau­fen fuh­ren oder zu Freun­den gebracht wur­den und im Auto­ra­dio das „Mit­tags­ma­ga­zin“ lau­fen hat­ten.

Ich höre WDR 2 nicht, weil der Sen­der so gut wäre, son­dern weil er alter­na­tiv­los ist: Eins Live ist für mich inzwi­schen uner­träg­lich gewor­den, WDR5 hat einen viel zu hohen Wort­an­teil und zu lan­ge Bei­trä­ge, wegen derer man dann zwan­zig Minu­ten lang den Staub­sauger nicht ein­schal­ten darf, und Deutsch­land­funk und Deutsch­land­ra­dio Kul­tur kann ich auch noch hören, wenn ich eben­so tot bin wie die Macher. CT das radio wäre nahe­lie­gend, habe ich kürz­lich auch pro­biert, aber da fehl­ten mir dann tags­über wie­der die Inhal­te. Es bleibt also wirk­lich nur WDR 2, wo die meis­ten Mode­ra­to­ren ganz sym­pa­thisch sind, die meis­ten Bei­trä­ge vor­her­seh­bar bie­der und man ins­ge­samt weiß, was man hat – so wie in einer lang­jäh­ri­gen Ehe halt.

Das Pro­blem ist: Der durch­schnitt­li­che Hörer hört einen Sen­der am Tag etwa 30 Minu­ten beim Früh­stück, Auto­fah­rer evtl. ein biss­chen mehr. Das Pro­gramm ist nicht dar­auf aus­ge­legt, den gan­zen Tag über zu lau­fen. Wer es trotz­dem ein­ge­schal­tet lässt, bekommt die Quit­tung: Die stän­di­ge Wie­der­ho­lung.

Ein Bei­trag, der in der „West­zeit“ lief, kann bequem noch mal bei „Zwi­schen Rhein und Weser“ recy­celt wer­den. Was im „Mit­tags­ma­ga­zin“ vor­kam, kann bei „Der Tag“ vier Stun­den spä­ter noch ein­mal lau­fen. Die Kurz­form bekommt man in der Zeit dazwi­schen alle zwei Stun­den in den Nach­rich­ten ein­ge­spielt. Der „Stich­tag“ wird eh zwei Mal am Tag aus­ge­strahlt (9.40 Uhr und 17.40 Uhr) – bei­de Male mit der wort­glei­chen An- und Abmo­de­ra­ti­on.

Beson­ders schlimm war es rund um den Jah­res­wech­sel: Vie­le Redak­teu­re hat­ten Urlaub und Rück­bli­cke und Vor­schau­en auf kul­tu­rel­le oder sport­li­che Groß­ereig­nis­se konn­ten belie­big oft gesen­det wer­den. Zeit­lo­se Bei­trä­ge wie der über die kal­ten Füße („War­um hat man sie, was kann man dage­gen tun?“) oder den Kauf des rich­ti­gen Ski-Helms wur­den ver­mut­lich im Okto­ber pro­du­ziert und lau­fen bis März alle andert­halb Wochen, dann wer­den sie ein­ge­mot­tet und erst im Fol­ge­win­ter wie­der her­vor­ge­holt.

Zwi­schen­durch läuft viel Musik, aber nur wenig unter­schied­li­che. Nach ein paar Tagen weiß ich, wel­che Songs auf wel­chen Rota­ti­ons­stu­fen lau­fen. Auf der höchs­ten bei­spiels­wei­se „Aero­pla­ne“ von Rea­m­onn, „Wheels“ von den Foo Figh­ters, „Fire­f­lies“ von Owl City und elen­di­ger­wei­se auch „If Today Was Your Last Day“ von Nickel­back. „I Will Love You Mon­day (365)“ von Aura Dio­ne ist ganz offen­sicht­lich der grau­en­er­re­gends­te Song des Jah­res 2009 (viel­leicht auch der schlech­tes­te Song, der jemals auf­ge­nom­men wur­de), aber das muss ja nicht alle 14 Stun­den aufs Neue bewie­sen wer­den. Stan­four kom­men von der Insel Föhr, was jedes ver­damm­te Mal in der Abmo­de­ra­ti­on erwähnt wer­den muss – dass Föhr die zweit­größ­te deut­sche Nord­see­insel ist, erfährt man nur alle drei bis vier Ein­sät­ze.

Unge­fähr die Hälf­te aller WDR2-Songs klingt so ähn­lich, dass man sich beim Zäh­len stän­dig ver­tut: Eine jun­ge Frau singt ein biss­chen soulig über einen Typen, der sie schlecht behan­delt, den sie aber trotz­dem liebt. Sie bleibt eine tap­fe­re, eigen­stän­di­ge Frau, wäh­rend im Hin­ter­grund das von den 1960er-Jah­ren inspi­rier­te Arran­ge­ment mit Blä­sern und Chö­ren schun­kelt. Mark Ron­son hat das Tor zur Höl­le auf­ge­sto­ßen, als er Amy Wine­house und Lily Allen pro­du­zier­te.

Eine Zeit lang den­ke ich, dass es an der eige­nen Radio­er­fah­rung liegt, dass mir das alles auf­fällt. Dann kom­men mei­ne Geschwis­ter zum Anstrei­chen und ver­kün­den, wel­cher Song in wel­cher Stun­de lau­fen wird (bei Eins Live kann man es auf die Minu­te genau vor­her­sa­gen). Nach vier Tagen ken­ne ich die Schicht­plä­ne der Nach­rich­ten­spre­cher und die Sen­de­uhr, nach acht Tagen bin ich die Sen­de­uhr.

Noch öfter als Bei­trä­ge und Musik­stü­cke wie­der­holt sich die Wer­bung – jede hal­be Stun­de. Ex-Deutsch­land­funk-Chef Ernst Elitz hat­te völ­lig Recht, als er ein­mal sinn­ge­mäß sag­te, Radio­wer­bung habe – im Gegen­satz zu Kino- oder Fern­seh­wer­bung – nie neue Ästhe­ti­ken erschaf­fen und neue Trends gesetzt, son­dern sei immer nur nerv­tö­tend gewe­sen.

Ich weiß jetzt, dass es bei Prak­ti­ker bis zum Wochen­en­de 20% auf alles („außer Tier­nah­rung“) gab, was ich aller­dings schon vor­her wuss­te, weil man beim Reno­vie­ren auf­fal­lend oft Bau­märk­te ansteu­ert. Man­fred „Bruce Wil­lis“ Leh­mann wirbt außer­dem noch für einen Küchen­markt, was mar­ke­ting­tech­nisch sicher sub­op­ti­mal ist, weil jetzt stän­dig die Leu­te bei Prak­ti­ker nach den Küchen-Rabatt-Aktio­nen fra­gen. Guil­do Horn wirbt für die Küchen in einem Ein­rich­tungs­markt, Wer­ner Hansch für einen ande­ren und Lud­ger Strat­mann eben­falls für einen. Es gibt Rabatt­ak­tio­nen in der Gale­ria Kauf­hof und Null-Pro­zent-Finan­zie­rung bei Opel und Peu­geot. Und Sei­ten­ba­cher-Müs­li ist gut für die Ver­dau­ung.

Die dre­ckigs­ten Arbei­ten sind abge­schlos­sen, mein gutes altes Tele­fun­ken-Radio hat viel Staub, aber nur sehr weni­ge Farb­sprit­zer abbe­kom­men. So lang­sam könn­te ich mei­nen einen iPod mit­brin­gen und an die alten Aktiv­bo­xen anschlie­ßen. Aber ich wür­de auch etwas ver­mis­sen: Die stän­dig ins Pro­gramm ein­ge­streu­ten Ever­greens von den Light­ning Seeds und The Beau­tiful South, die vor­ge­le­se­nen Hörer-E-Mails und die immer neu­en Ver­su­che, Ver­kehrs­mel­dun­gen mit humo­ris­ti­schen Ein­la­gen zu ver­bin­den.

Das Fre­quenz­wahl-Räd­chen mei­nes Tele­fun­ken wird auch nach dem Umzug unbe­rührt blei­ben.