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Alles aus Liebe

Stop the press!

Die Toten Hosen haben die Track­list ihres neu­en Albums „Bal­last der Repu­blik“ ver­öf­fent­licht und dabei kam raus: Lied Nr. 14 wird „Ober­hau­sen“ hei­ßen.

Ein gefun­de­nes Fres­sen1 für die Lokal­me­di­en: „Bild“ brach­te heu­te einen klei­nen Arti­kel über den „noch gehei­men“ Song, aber das ist nichts im Ver­gleich zu dem, was die „WAZ“ ges­tern in Ober­hau­sen ver­an­stal­tet hat.

Wenn Anfang Mai die neue CD „Bal­last der Repu­blik“ der Düs­sel­dor­fer Punk-Rocker „Die Toten Hosen“ erscheint, ist das Revier offen­bar dabei: Ein Song trägt den Titel „Ober­hau­sen“ – über den Inhalt wird noch gerät­selt.

Das mit dem Rät­seln ist durch­aus wört­lich zu ver­ste­hen – und der Ort die­ses Rät­selns ist die „WAZ“. Man kann den Redak­teu­ren aller­dings nicht vor­wer­fen, da nur selbst in der Tee­kü­che drü­ber gegrü­belt zu haben:

Selbst sze­ne­kun­di­ge Musi­ker zeig­ten sich davon völ­lig über­rascht.

Für­wahr: Die „WAZ“ hat kei­ne Kos­ten und Mühen gescheut und so ziem­lich alles, was in der loka­len Musik­sze­ne Rang und Namen hat, mit dem The­ma behel­ligt.

„Das ist eine Rie­sen­über­ra­schung“, sagt etwa Kevin Kerndl von der hie­si­gen Musik­ver­ei­ni­gung „RockO“. Auch wenn der blan­ke Song­text für den Orga­ni­sa­tor des Fes­ti­vals „Olgas Rock“ ange­sichts des Album­ti­tels „Bal­last der Repu­blik“ zunächst eher nega­tiv wirkt. „Da muss man abwar­ten, aber das wird für die hie­si­ge Musik­sze­ne auf jeden Fall inter­es­sant.“

(Las­sen Sie sich nicht ver­wir­ren: Mit dem „blan­ken Song­text“ ist nicht etwa der … äh: Song­text gemeint, der ist ja – wir erin­nern uns – immer noch unbe­kannt.)

Tim Klein­rensing von der Punk­band Son­daschu­le erklärt:

„Ich könn­te mir vor­stel­len, dass dies im Geis­te des Punk-Rocks ein Lob­ge­sang auf die Stadt mit der höchs­ten Ver­schul­dung wird.“

Und:

„Iro­nie ist im Gen­re nicht sel­ten – da kann alles kom­men!“

Na, dann kann die „WAZ“ ja auch ihre Asso­zia­ti­ons­ma­schi­ne anschmei­ßen:

Ober­hau­sen und die „Toten Hosen“ – die Ver­bin­dung ist nicht aus der Luft gegrif­fen: Die Band hat meh­re­re gro­ße Auf­trit­te in der Are­na gespielt – und die Hal­le unlängst zu einem ihrer Lieb­lings­plät­ze geadelt. Zuvor absol­vier­ten die Düs­sel­dor­fer im Ster­k­ra­der „Old Dad­dy“ in den frü­hen 80er Jah­ren die ers­ten Kon­zer­te ihrer Kar­rie­re über­haupt.

Und über­haupt:

Fragt man auf der Stra­ße nach, ver­mu­ten die Ober­hau­se­ner hin­ter dem Hosen-Song gar ein Cover des wohl bekann­tes­ten Ober­hau­sen-Lie­des: der Miss­fits.

Ja, ich hab an der Stel­le auch kurz gedacht, wann zum Hen­ker Glenn Dan­zig oder einer von den ande­ren jemals über Ober­hau­sen gesun­gen haben soll. Es stell­te sich dann aber raus, dass das auch kein Schreib­feh­ler war und tat­säch­lich das regio­nal bekann­te Frau­en­ka­ba­rett-Duo „Miss­fits“ gemeint war.

Und weil Lokal­po­li­ti­ker natür­lich jede Chan­ce wahr­neh­men, ihren Namen in der Zei­tung lesen zu kön­nen,2 hat auch der Ober­bür­ger­meis­ter der „WAZ“ auf Anfra­ge nicht erklärt, da müs­se man doch erst mal abwar­ten, da kön­ne man noch nichts sagen und über­haupt sei das nicht sei­ne Auf­ga­be, son­dern:

OB Klaus Weh­ling möch­te von „tote Hose“ in Ober­hau­sen natür­lich nichts wis­sen, will sich das Lied aber trotz­dem anhö­ren. „Das gehört doch zum Pflich­ten­heft eines Ober­bür­ger­meis­ters.“ Auch wenn Weh­ling gesteht: „Die gesam­te CD wird es wohl nicht wer­den.“

Jetzt wis­sen die „WAZ“-Leser in Ober­hau­sen (geschätz­tes Durch­schnitts­al­ter: 55) also, dass die Toten Hosen ein Lied über ihre Stadt geschrie­ben haben. Also: mut­maß­lich. Viel­leicht geht’s auch um was ganz ande­res, man weiß es ja noch nicht. Aber wenigs­tens, man hat schon mal ’ne Sei­te damit gefüllt.

Wei­te­re Titel von „Bal­last der Repu­blik“ sind übri­gens „Trau­rig einen Som­mer lang“, „Altes Fie­ber“, „Euro­pa“, „Drau­ßen vor der Tür“ und „Vogel­frei“. Was man da bis zur Ver­öf­fent­li­chung am 4. Mai noch für Arti­kel drü­ber schrei­ben kann!

  1. Ich hät­te gewet­tet, dass es ein Hosen-Lied oder ‑Album namens „Gefun­de­nes Fres­sen“ gibt, das scheint aber nicht der Fall zu sein. []
  2. Außer natür­lich, es geht mal um was Wich­ti­ges. []
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Unterwegs Kultur

Mannheim für Deutschland

Ges­tern noch las ich bei der Rie­sen­ma­schi­ne von den 1925 vor­ge­stell­ten Plä­nen Le Cor­bu­si­ers, Paris abzu­rei­ßen und geord­net neu auf­zu­bau­en. „Nun ja“, dach­te ich, „typisch Moder­ne: Tol­le Ideen, aber irgend­wie dann doch so ein biss­chen abge­dreht.“

Heu­te woll­te ich einen Besuch in Mül­heim an der Ruhr täti­gen. Ich war schon etli­che Male in der Stra­ße, in dem Haus gewe­sen, wo ich hin­woll­te. Zwar war ich noch nie selbst dort­hin gefah­ren, aber ich hat­te mir bei Goog­le Maps eine genaue Weg­be­schrei­bung aus­ge­druckt und heg­te ein gewis­ses Grund­ver­trau­en in mei­ne eige­nen Ori­en­tie­rungs­küns­te.

Sie ahnen, wie mein Tag und die­ser Text wei­ter­ge­hen: Welch gro­tes­ke Selbst­über­schät­zung!

Einen Moment war ich unauf­merk­sam, war ver­wirrt, weil Goog­le Maps einem Stra­ßen­wech­sel anzeigt, wenn sich nur der Name ändert (was in Mülheim/​Ruhr an jeder Ampel pas­siert), und schon fand ich mich bald am Haupt­bahn­hof, bald im strö­men­den Regen an einem ent­le­ge­nen Golf­platz wie­der. Ich zer­fleisch­te die Schaum­stoff­um­man­te­lung des Lenk­rads, stieß viel­far­bi­ge Flü­che aus, ver­setz­te mei­ne Bei­fah­re­rin in Angst und Schre­cken und such­te nur noch nach einem geeig­ne­ten Baum, vor den ich das Auto hät­te steu­ern kön­nen – aber nicht mal den gab es.

Schließ­lich rief ich per Tele­fon um Hil­fe und wur­de von der Gast­ge­be­rin mit einem Fol­low-Me-Fahr­zeug zum Ziel gelotst. Natür­lich war ich mehr­fach haar­scharf an der rich­ti­gen Stra­ße vor­bei­ge­fah­ren, hät­te nur ein­mal links und sofort wie­der rechts fah­ren müs­sen und wäre am Ziel gewe­sen. Aber die Kreu­zung war so über­sicht­lich gewe­sen wie ein Ver­tei­ler­kas­ten der Deut­schen Tele­kom, über­all waren Autos und die weni­gen Stra­ßen­schil­der, die mit dem mensch­li­chen Auge über­haupt zu erken­nen gewe­sen wären – von der Stra­ße aus, aus einem sich bewe­gen­den Fahr­zeug -, waren mit Stra­ßen­na­men beschrif­tet, die in mei­nem spär­li­chen Goog­le-Aus­druck schlicht­weg nicht vor­ka­men.

Und da dach­te ich mir: War­um fah­re ich eigent­lich durch so grau­en­haft ver­schlun­ge­ne Städ­te, deren Stadt­plä­ne einer Rönt­gen­auf­nah­me des mensch­li­chen Darms oder einer Rosi­nen­schne­cke nach­emp­fun­den zu sein schei­nen? Die­ses Land, ins­be­son­de­re das Ruhr­ge­biet, ist doch im zwei­ten Welt­krieg zu erheb­li­chen Tei­len zer­stört wor­den. War­um hat man Stra­ßen­zü­ge, die kom­plett in Schutt und Asche lagen, in ihrem jahr­hun­der­te­al­ten Ver­lauf wie­der auf­ge­baut? War­um hat nicht wenigs­tens ein wei­ser Archi­tekt in die­ser viel­zi­tier­ten „Stun­de Null“ gesagt: „Wenn wir schon ganz neu anfan­gen müs­sen, könn­ten wir es ja viel­leicht ein ein­zi­ges Mal rich­tig machen!“? War­um ist Deutsch­land also heu­te kein flä­chen­de­cken­des Mann­heim, son­dern die­se Kata­stro­phe von Ober­hau­sen, Köln und eben Mülheim/​Ruhr?

Da mel­de­te sich mein archi­tek­to­ni­sches Fach­wis­sen und erin­ner­te mich höf­lich an Rudolf Hil­le­brecht und sei­nen Wie­der­auf­bau Han­no­vers, dem zunächst ein paar noch ver­blie­be­ne Gebäu­de zum Opfer gefal­len waren und der noch heu­te dafür sorgt, dass Han­no­ver wie eine mit schar­fem Mes­ser file­tier­te Piz­za in der Land­schaft liegt. Und par­al­lel bzw. zuein­an­der ortho­go­nal sind die Stra­ßen dort trotz­dem nicht.

Und so bleibt mir wohl als ein­zi­ge Opti­on der Umzug in die USA, wo die Sied­ler wei­land jede ein­zel­ne Stadt mit der Reiß­schie­ne in die Land­schaft gezim­mert haben und wo man Weg­be­schrei­bun­gen gleich­sam als Vek­to­ren („drei Blocks nach Nor­den, zwei nach Osten“) ange­ben kann. In den USA hän­gen die Ampeln auch hin­ter den Kreu­zun­gen, was es einem immer­hin ermög­licht, sie vom Auto aus auch zu sehen, und man kann bei Rot rechts abbie­gen. Aller­dings sind zumin­dest die Innen­städ­te immer der­art ver­stopft, dass mein Ver­brauch an Lenk­ra­dum­man­te­lun­gen wohl ein­fach zu hoch wäre.