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Listenpanik 11/09

Normalerweise kommen im November nur noch Live- und Best-Of-Alben. Normalerweise, denn dieses Jahr scheint alles anders zu sein und es gab noch mal richtig was zu schleppen.

Hier die Highlights, wie immer total subjektiv ausgewählt und ungelenk beschrieben:

Alben
Jay Farrar & Benjamin Gibbard – One Fast Move Or I’m Gone
Der Idee, einen autobiographischen Roman zu vertonen, stand ich erst einmal skeptisch gegenüber — auch wenn der Roman von Jack Kerouac ist und die Vertonung unter anderem durch Ben Gibbard erfolgt, der ja sowieso immer alles richtig macht. Aber das, was der Death-Cab-For-Cutie-Frontmann und Jay Farrar (Ex-Uncle Tupelo) hier aus Kerouacs “Big Sur” herausgeholt haben, kann sich wirklich sehen lassen. Zwar würde man bei Kerouac musikalisch ja eher Jazz und Bop erwarten, aber auch die reduzierten Folkklänge stehen den Texten – von denen man wirklich nicht annehmen würde, dass sie aus einem Roman zusammengestellt wurden – nicht im Weg. Dass das Album der Soundtrack zu einem Dokumentarfilm über Kerouac und sein Buch ist (der Film liegt der Special Edition des Albums bei), macht das ganze Projekt medial noch etwas komplexer, aber wenn man sich von den ganzen Hintergründen erst mal frei macht, ist “One Fast Move Or I’m Gone” auch einfach ein wunderschönes Album.

k-os – Yes!
Ich bin ja wahrlich kein Experte für Hip-Hop (ich habe erst in diesem Herbst angefangen, mich intensiver mit dem Genre zu beschäftigen), aber mich interessieren eh keine Genrebezeichnungen und keine Namen, ich will nur hören, was mir gefällt. Und “Yes!” gefällt mir sehr gut. Der Klang ist vielschichtig, die Beats sind tight (das sagt man doch so, oder?) und die Reime sind sehr lässig. Außerdem samplet k-os Phantom Planet und Frida (ja, die von ABBA!). Das ist genau die Musik, die man hören sollte, während draußen ein Zustand tobt, für den das Adjektiv “usselig” erfunden wurde!

Annie – Don’t Stop
“Wer soll das sein?”, wurde ich im Plattenladen meines Vertrauens gefragt. “Die norwegische Kylie Minogue”, antwortete ich, was ja irgendwie die naheliegendste Beschreibung war. Ich fand “Anniemal”, Annies Debütalbum von vor vier, fünf Jahren, ja schon sehr gut, aber im Februar in Oslo habe ich mich dann – gemeinsam mit den fünfzig anderen Männern in den ersten Reihen – ein bisschen in Anne Lilia Berge Strand verliebt. Nach doppeltem Labelwechsel, Austausch diverser Songs und mehrfacher Verschiebung ist “Don’t Stop” jetzt endlich erschienen und es ist ein sehr, sehr gutes Album. Oft hart an der Grenze zur völligen Überzuckerung jagt ein Tanzbodenfüller den nächsten, Entspannung gibt’s nur selten, wie bei der sensationellen Achtziger-Ballade “When The Night”. Mitwirkende sind unter anderem Xenomania, die schon am letzten Pet-Shop-Boys-Album mitgeschraubt hatten, und die Gitarristen von Franz Ferdinand. “I Don’t Like Your Band” ist der wahrscheinliche beste Slogan-Song des Jahres und der Titeltrack wäre in einer gerechten Welt ein Riesenhit. Dass im überdrehten (leicht nervigen) “Breakfast Song” der Name dieses Blogs fällt, ist natürlich kein Grund, warum ich das Album so gut finde.

Robbie Williams – Reality Killed The Video Star
Wenn es kommerziell und/oder künstlerisch nicht mehr so läuft, besinnen sich kluge Künstler auf ihre Kernkompetenzen und bringen ein Album heraus, das all das kombiniert, was sie bisher erfolgreich und/oder gut gemacht hat. Robbie Williams ist klug und so klingt sein neues Album wie eine Zusammenfassung von allem, was er zwischen “Sing When You’re Winning” und “Rudebox” gemacht hat. So tolle Britpop-Sachen wie auf seinen ersten beiden Alben konnte oder wollte er offenbar nicht mehr machen, nur “Won’t Do That” wagt sich in die Nähe. “Bodies”, das ich als Single noch mittel fand, haut im Albumkontext ordentlich rein. Große Schmuseballaden und Tanzbodenstampfer wechseln sich ab. Aber irgendwie bezeichnend, dass das beste Lied mindestens sieben Jahre alt ist und noch aus der Zusammenarbeit mit Guy Chambers stammt: “Blasphemy” hat einen wortspielreichen Text, der zwischen “brillant” und “albern” schwankt, und große Melodien. Robbie Williams klingt nicht mehr so verkrampft wie auf den letzten beiden Alben, als er unbedingt zu neuen Ufern aufbrechen wollte, sondern regelrecht entspannt und zufrieden. Das reicht für ein sehr ordentliches Album. Und ein sehr gutes hat er ja schon 1998 herausgebracht.

Devendra Banhart – What Will We Be
Die … äh: “Hippie-Musik” von Devendra Banhart war bisher nie so meins. Vielleicht liegt es am Major-Deal und der damit zunehmenden Popigkeit, aber “What Will We Be” gefällt mir ziemlich gut. Die Musik ist immer noch verschroben und außergewöhnlich, aber irgendwie sagt sie mir jetzt stärker zu. Die uptempo-igeren Songs wie “Baby” und “16th & Valencia Roxy Music” gefallen mir besonders gut, aber auch die ruhigeren, teils … äh: fremdsprachigen Folkballaden haben ihren Reiz. In einem Song wie “Rats” schafft Banhart es, gleichzeitig nacheinander wie The Doors, David Bowie und Beck zu klingen. Hoffen wir also gemeinsam, dass Devendra Banhart einfach hörbarer geworden ist — und ich mich nicht langsam in einen Hippie verwandle.

Shirley Bassey – The Performance
Das Konzept “Walisische Legende, u.a. berühmt für James-Bond-Titelsongs, plant Comeback mithilfe junger Künstler ihr Comeback” ist nicht ganz neu: Schon vor zehn Jahren hatte sich Tom Jones so völlig neue Zuhörerschaften erspielt. Bei Shirley Bassey (man verzeihe mir die “Bild”-Altersangabe, aber: 72, wow) läuft es aber etwas anders ab: Die Mitmusiker sind nicht zum Covern und Duettieren da, sondern haben die Songs nur geschrieben. Die Gastbeiträge stammen aus den Federn von Leuten wie Gary Barlow, KT Tunstall, Nick Hodgson (Kaiser Chiefs), Rufus Wainwright, den Pet Shop Boys und – da schließt sich wieder der Kreis zu Tom Jones – den Manic Street Preachers. In Form gegossen hat es dann ein Mann, der neben Dame Shirley als der Experte für James-Bond-Sound gilt: David Arnold, Soundtrack-Komponist der letzten fünf Bond-Streifen. Er sorgt dafür, dass das Album trotz der unterschiedlichen Songschreiber wie aus einem Guss klingt. Und vor allem: riesig. Unter einem Orchester läuft da gar nichts, aber trotzdem ist “The Performance” quasi nie over the top. (Als ob etwas, an dem Rufus Wainwright und die Pet Shop Boys beteiligt sind, jemals over the top sein könnte.) Das ist genau jene überlebensgroße Sorte von Musik, die man in der Vorweihnachtszeit braucht (aber glücklicherweise völlig ohne Glöckchen-Gebimmel und “Santa Claus”-Geseufze) und die man unbesorgt seinen Eltern schenken kann, egal, was die sonst so hören. Man kann aber auch ganz egoistisch sein und das Album selbst behalten. Es lohnt sich.

Songs
k-os – I Wish I Knew Natalie Portman
Es gilt, was ich hier bereits schrieb.

Jay Farrar & Benjamin Gibbard – California Zephyr
Ja, klar: Ich habe einen soft spot für so ziemlich alles, was mit California zu tun hat (Ausnahme: LA), und Ben Gibbard könnte mir auch ein Telefonbuch vorsingen (Ausnahme: das von LA) — und trotzdem ist “California Zephyr” unbestreitbar ein tolles Lied. Wie diese Orgel da plötzlich in den Song drängt, während Gibbard “Now I’m transcontinental / 3000 Miles from my home / I’m on the California Zephyr / Watching America roll by” singt: ganz toll. Ein Lied, das einem die Weite Amerikas nahe bringt, selbst wenn man gerade mit einem Regionalexpress durchs Ruhrgebiet juckelt.

Enno Bunger – Herzschlag
“Ein neuer Tag öffnet mir meine Augen / Alles erstrahlt in goldenem Licht” — Songs, die so beginnen, kommen entweder aus der Nähe von Florian Silbereisen oder aus der von Blumfeld, Kante oder Tocotronic. Enno Bunger (das ist der Name der Band, benannt nach dem Sänger — das Danko-Jones-Phänomen) könnten es schaffen, die Zielgruppen beider Pole zu bedienen. Natürlich stehen die Jungs aus Leer leicht unter Schlagerverdacht — dass sie trotzdem poetische und pathetische Songtexte auf Deutsch anstimmen, spricht für ihren Mut. Musikalisch liegen sie als gitarrenloses Trio (die Ben-Folds-Five-Besetzung mit Schlagzeug, Bass und Klavier) in der Nähe von Keane und Coldplay und hätten das große Publikum von Silbereisen- bis Tocotronic-Fans durchaus verdient.

Annie – My Love Is Better
Erst dachte ich, das hier sei die beste Catfight-Androhung seit langem, aber irgendwie scheint der Adressat des Textes dann doch keine Nebenbuhlerin zu sein, sondern der Macker höchstselbst. Egal: Popmusik kann gar nicht genug Komparative vertragen, das weiß man spätestens seit Daft Punk. Und was Annie da wem auch immer um die Ohren haut, ist dann eben die charmanteste Kampfansage seit langem.

Shirley Bassey – The Girl From Tiger Bay
Ich hätte wirklich erst ein paar Mal das Album hören sollen und dann nachsehen, wer eigentlich welchen Song geschrieben hat. So bleibt das Risiko, dass ich diesen Song nur so toll finde, weil er aus der Feder der Manic Street Preachers stammt. Nee: “The Girl From Tiger Bay” ist schon ein sehr schönes Lied, dessen übergroßer, pathetischer Refrain sich durchaus mit den besten Arbeiten der drei Waliser messen lassen kann. Wenn mir jetzt nur noch einfiele, aus welchem ihrer eigenen Songs sie den Melodiebogen entlehnt haben könnten …

[Listenpanik, die Serie]

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I Wish I Knew Natalie Portman

Hip-Hop gehört ja nicht unbedingt zu den Kerngebieten meines musikalischen Interesses, aber dass K-OS zu den Guten gehört, das wusste ich. Dass er im Oktober ein neues Album veröffentlicht hat, wusste ich bis eben nicht. Auch nicht, dass seine aktuelle Single Saukrates und Nelly Furtado featured, Phantom Planets “California” zitiert und “I Wish I Knew Natalie Portman” heißt.

Jetzt weiß ich es — und der Song ist verdammt cool:

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[via Uwe Viehmann]

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Mensch braucht HipHop

Sah ja fast schon so aus, als fehlte dem HipHop nur noch eine (weitere) Kugel im Brustkorb zum endgültigen Tod. Der Mainstream ist mittlerweile derart zugeschissen worden mit aufgepumpten Holadris (und ihren jeweiligen Posses), die gar nichts und noch weniger zu sagen haben, dass man schon froh ist, wenn irgendjemand mal ein Video ohne Frauenfeindlichkeiten zu Ende bringt. Die “Avantgarde” bei den Vorzeigelabels von Def Jux und Stones Throw scheint mir gleichzeitig ein bisschen selbstgefällig geworden zu sein, kaum mehr auszubrechen aus den selbst gesteckten, mühsam erarbeiteten Themenbereichen und Soundwelten. Und Dangermouse? Hatte schon bei Gnarls Barkley und den Gorillaz nur noch am Rande mit HipHop zu tun, bevor er zuletzt Platten von The Rapture und The Good, The Bad & The Queen betreute. Das jüngste Rapalbum deshalb, das mich völlig aufgefressen hat: Commons “Be” aus 2005, klug betextet, kein Bullshit drumherum und glänzend produziert von Kanye West, der damals noch Dinge zu beweisen hatte.

Das Gute nun an so einer Ausgangssituation: Im Prinzip konnte es für HipHop-07 nur aufwärts gehen, wenigstens an den Rändern des Genres, wo es nie viel zu verlieren, aber umso mehr zu holen gab. Wie schnell und steil das gerade passiert, finde ich trotzdem mindestens genauso überraschend wie erfreulich. Der März fängt gerade erst an, und es gibt trotzdem schon Einiges herzuzeigen:

Clipse – Hell Hath No Fury
Wirkt am Anfang etwas trocken und spröde, lebt im Endeffekt aber vor allem von diesen Eigenschaften. Unglaubliche Produktion von den Neptunes, sehr reduziert und trotzdem offen für Akkordeons und solchen Quatsch. Die Texte der beiden MCs dazu sind sehr böse und düster, fast schon verbohrt in ihre Hauptthemen (ca. Koks und Nutten), aber letztlich atemberaubend gut und konzentriert. Perfektes Pokerface, auch.

Dälek – Abandonded Language
Sind weggekommen vom Dröhnen und Ächzen der letzten Platte, jetzt ein bisschen zugänglicher und einfacher anzuhören. Der überwältigenden Tiefe ihrer Tracks hat das erstaunlicherweise nicht geschadet, es gibt immer noch ausreichend zu bemerken und verarbeiten, immer noch genug Rätselaufgaben von Dälek, dem kleinen, dicken MC mit der Donnerstimme. My Bloody Valentine in HipHop.

Talib Kweli & Madlib – Liberation
Konnte man sich Anfang des Jahres kostenlos auf der Stones-Throw-Homepage runterladen und war eigentlich nur als Warm-Up für Kwelis neue Platte gedacht, die irgendwann später in 07 kommen soll. Gerade diese zwanglose Herangehensweise hat der Sache sehr gut getan, die Old-School-Bläser-Samples knacksen und schleifen ganz herrlich, die Raps sind prima vertändelt. Wird nun doch noch “richtig” herausgebracht, vermutlich weil es zum Verschenken einfach zu gut war.

Busdriver – Roadkill Overcoat
Der Abenteuerspielplatz des HipHop. In der zweiten Hälfte verrennt es sich leider ein bisschen, davor brennt hier aber der Busch wie lange nirgendwo sonst mehr. “Less Yes’s, More No’s” muss bitte jeder gehört haben, viel präziser kann man einen solch sturen Schlagzeugbeat gar nicht mehr mit wunderbaren Kinderreien über den Bauch pinseln.

K-Os – Atlantis: Hymns for Disco
In dieser Liste wohl der Streber. Vielseitigkeits-HipHop, der sich bis zu Marvin Gaye rüberneigt, aber irgendwie immer noch die Kurve kriegt, bevor es zu viel werden könnte. Wyclef Jean würde so klingen, wenn er, na ja, wenn er gut wäre, vielleicht.