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Der Menschenfresser

Fil­me ver­stö­ren heu­te nicht mehr. Sie haben ent­we­der kei­ne Zeit dafür, kei­ne Lust dazu oder ohne­hin nicht die Mit­tel – und sie haben den schwer­wie­gen­den Nach­teil, dass jeder halb­wegs inter­es­sier­te Zuschau­er schon Wochen vor Kino­start zahl­lo­se Kri­ti­ken und Inter­views mit den Betei­lig­ten lesen kann, durch meh­re­re Trai­ler auf die Geschich­te vor­be­rei­tet wird und nicht zuletzt wegen IMDb-Durch­schnitts­be­wer­tun­gen, Gol­den-Glo­be-Ergeb­nis­sen und Oscar­no­mi­nie­run­gen zu wis­sen glaubt, was ihn erwar­tet. Ich kann mir schon gar nicht mehr vor­stel­len, wie es vor knapp drei­ßig Jah­ren für die Leu­te gewe­sen sein muss, die ohne Vor­wis­sen oder –war­nung Stan­ley Kubricks „The Shi­ning“ gese­hen haben. Ich erin­ne­re mich nur noch dar­an, dass ich als nicht eben wäh­le­ri­scher Teen­ager ins Kino gegan­gen bin und halt mal geguckt habe, was so pas­siert. Heu­te sehe ich mir „Der Krieg des Char­lie Wil­son“ an und weiß schon vor­her, dass mich amü­san­te, leich­te Unter­hal­tung erwar­tet. Ich sehe „Con­trol“ und weiß, dass der Film eine trost­lo­se, beklem­men­de Cha­rak­ter­stu­die wird. Oder ich sehe „The­re Will Be Blood“ und weiß, dass ein stren­ges, prä­zi­ses Meis­ter­werk auf mich zukommt.

Der Punkt ist natür­lich: Eigent­lich weiß ich über­haupt nichts. Ich glau­be höchs­tens, ein paar Din­ge zu wis­sen, füh­le mich als regel­mä­ßi­ger Film­kri­ti­ken­le­ser und Trai­ler­se­her gut ein­ge­stellt und möch­te in mei­ner vor­ge­fer­tig­ten Mei­nung lie­ber bestä­tigt als wider­legt wer­den. Das ist sehr doof, und ich kann mich an kei­nen Film erin­nern, der mir das jemals gna­den­lo­ser unter die Nase gerie­ben hat als Paul Tho­mas Ander­sons „The­re Will Be Blood“. Es ist sein fünf­ter Spiel­film, und es war schwie­rig, im Vor­aus eine Rezen­si­on dar­über zu lesen, die nicht min­des­tens tie­fen Respekt für die schau­spie­le­ri­sche und hand­werk­li­che Bril­lanz des Films zoll­te. Meis­tens ging das Lob aber noch viel wei­ter; die 160-minü­ti­ge Geschich­te um den kali­for­ni­schen Ölba­ron Dani­el Plain­view wur­de als Wie­der­auf­er­ste­hung des Wes­tern­gen­res bezeich­net, ohne selbst ein klas­si­scher Wes­tern zu sein. Sie wur­de für acht Oscars nomi­niert und steht der­zeit auf Platz 18 in der IMDb-Lis­te mit den 250 bes­ten Fil­men aller Zei­ten. Dass „The­re Will Be Blood“ aber ein ernst­haft und nach­hal­tig ver­stö­ren­der Film ist – dar­auf hat mich nie­mand vor­be­rei­tet.

Liegt wahr­schein­lich dar­an: Man muss ihn sehen, um es zu glau­ben. Man muss die nahe­zu wort­lo­se 15-Minu­ten-Sequenz am Anfang sehen, die in ihrer Selbst­si­cher­heit schon an Groß­kot­zig­keit grenzt. Man muss sehen, wie der Film in einem voll­kom­men rat­los machen­den, des­il­lu­sio­nie­ren­den Fina­le gip­felt, das kaum vor­aus­zu­ah­nen ist, aber doch unver­meid­bar scheint. Man muss sehen, wie der tod­si­che­re Oscar-Gewin­ner Dani­el Day-Lewis in der Haupt­rol­le des hass­erfüll­ten Men­schen­fres­sers Plain­view die Kino­lein­wand auf­saugt. Man muss sehen, wie des­halb nur noch Platz bleibt für den hys­te­ri­schen Pre­di­ger Eli Sun­day (Paul Dano), der sich als ein­zi­ge Neben­fi­gur ent­fal­ten kann, aber auch mit sei­nem kirch­li­chen Hin­ter­grund nicht zum mora­li­schen Gewis­sen des Films taugt. Und man muss die musi­ka­li­sche Leis­tungs­schau hören, die Radio­head-Mit­glied Jon­ny Green­wood dazu als bedroh­lich dröh­nen­den, per­ma­nent sti­cheln­den und nach­tre­ten­den Sound­track kom­po­niert hat. „Ich bin fer­tig“, sagt Plain­view am Ende des Films, und wenn er es nicht getan hät­te, dann ich.

Sieht man es als obers­te Pflicht eines Films an, sei­ne Zuschau­er zu unter­hal­ten, ist „The­re Will Be Blood“ ein boden­lo­ses Fias­ko. Es gibt nichts an die­sem Film zu Mögen oder gar zu Lie­ben, kei­ne leich­ten Momen­te, Erlö­sun­gen oder Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren. Statt­des­sen gibt es den Glau­ben an das Gute im Men­schen zu ver­lie­ren, das pure Böse am Bei­spiel einer ein­zi­gen Per­son zu erle­ben und die Fra­ge oben­drauf, wo so viel Hass auf alles und jeden bloß her­kom­men kann. Sie bleibt selt­sam unbe­frie­di­gend beant­wor­tet im Raum ste­hen, so als hät­te der Film selbst kei­ne Ahnung. Man könn­te sagen, dass er dadurch rui­niert wird, aber ich glau­be eher, gera­de das ist der Clou. Es ist jetzt 18 Stun­den her, dass ich „The­re Will Be Blood“ gese­hen habe, und ich habe seit­dem an nichts ande­res mehr gedacht, das irgend­wie von Bedeu­tung wäre.

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Wie ich einmal Filmgeschichte schrieb

Immer wie­der wer­de ich von Men­schen (manch­mal wild­frem­den) gefragt: „Sag mal Lukas, wie­so hast Du eigent­lich einen Ein­trag in der Inter­net Movie Data­ba­se?“

Okay, das ist gelo­gen. Genau­ge­nom­men bin ich noch nie gefragt wor­den, war­um ich eigent­lich einen Ein­trag in der IMDb habe. Aber ich erzähl die Geschich­te ein­fach trotz­dem mal:

Die Vor­ge­schich­te
Im Früh­som­mer 1999 soll­ten wir im Deutsch­un­ter­richt der damals zehn­ten Klas­se „etwas krea­ti­ves“ machen. Und da eini­ge Freun­de und ich im Früh­jahr für unse­re sehr moder­ne Ver­fil­mung (man­che wür­den sie „avant­gar­dis­tisch“ nen­nen – oder „krank“) von E.T.A. Hoff­manns „Das Fräu­lein von Scu­de­ri“ eine Eins bekom­men hat­ten, dach­ten wir uns: „Klar, wir dre­hen wie­der einen Film!“

Im Zuge des damals vor­herr­schen­den Mill­en­ni­um-Hypes (und weil der Deutsch­land­start von „Matrix“ kurz bevor stand) ent­wi­ckel­ten wir eine Geschich­te, in der der Teu­fel auf die Erde kommt, um die Apo­ka­lyp­se ein­zu­lei­ten. Mit mei­nem bes­ten Freund schrieb ich das Dreh­buch zu „Doomsday 99“ und als wir alle aus dem Som­mer­ur­laub zurück waren, stürz­ten wir uns in die Dreh­ar­bei­ten, die alles in allem etwa sechs Wochen ver­schlan­gen.

Mit dem har­ten Kern von acht Leu­ten dreh­ten wir in so ziem­lich allen Wohn­häu­sern, derer wir hab­haft wur­den, in ver­las­se­nen Indus­trie­rui­nen (wofür wir über Zäu­ne klet­tern und unter halb­ver­schlos­se­nen Toren drun­ter­her­rol­len muss­ten) und in Autos, hin­ter deren Fens­tern grü­ne Tisch­de­cken gespannt waren (kei­ner von uns hat­te damals einen Füh­rer­schein und bei „City­ex­press“ fuhr der Zug schließ­lich auch nicht wirk­lich).

Ich fun­gier­te als Regis­seur, Kame­ra­mann, Dreh­buch­au­tor und Pro­du­zent in Per­so­nal­uni­on, was haupt­säch­lich bedeu­te­te, dass ich mei­ne Freun­de und jün­ge­ren Geschwis­ter her­um­kom­man­dier­te, anschrie und manch­mal mit Sachen bewarf. Anschlie­ßend schnitt ich den Film auf dem Video­schnitt­ge­rät mei­nes Groß­va­ters, dem heu­te weit­ge­hend unbe­kann­ten „Casa­blan­ca“, wo ich auch das grü­ne Tisch­tuch durch Land­schafts­auf­nah­men ersetz­te, die ich aus dem fah­ren­den Auto mei­nes Vaters her­aus getä­tigt hat­te.

Die über­aus spek­ta­ku­lä­ren Ergeb­nis­se (wie wir fan­den) sahen in etwa so aus:

Green Screen beim Dreh von “Doomsday” (vorher/nachher)

Im Sep­tem­ber – wir gin­gen längst in die elf­te Klas­se – zeig­ten wir den fer­ti­gen Film end­lich im Deutsch­un­ter­richt. Und obwohl er blut­rüns­tig, gewalt­tä­tig und zu einem nicht gerin­gen Maße Frau­en­ver­ach­tend war (kei­ne weib­li­che Per­son blieb län­ger als fünf Minu­ten am Leben – aller­dings auch kaum eine männ­li­che), beka­men wir dafür eine Eins bei „Sons­ti­ge Mit­ar­beit“ auf­ge­schrie­ben. Der Film wur­de im klei­nen Sozio­top eines Dins­la­ke­ner Gym­na­si­ums das, was man wohl als „Kult“ bezeich­net. Oder als „Trash“. Oder als „so schlecht, dass es schon fast wie­der gut ist“.

Der Ein­trag
Weil wir so unge­heu­er stolz auf unse­ren Film waren, woll­ten wir natür­lich auch, dass er ange­mes­sen gewür­digt wird. Ein Ein­trag in der IMDb erschien uns also das Min­des­te.

Ich mach­te mich schlau und stell­te fest, dass man die Daten­bank mit einem ein­fa­chen Daten­string füt­tern konn­te. Also schrieb ich die Mit­wir­ken­den unse­rer letz­ten drei Fil­me („Jesus – Back for God“ von den Tagen reli­giö­ser Ori­en­tie­rung im Janu­ar, „E.T.A. Hoffmann’s Das Fräu­lein von Scu­de­ri“ aus dem Früh­jahr und „Doomsday 99“ eben) in eine E‑Mail und schick­te das Gan­ze ab.

Nach eini­gen Wochen erhielt ich die Ant­wort, dass unse­re Fil­me abge­lehnt wor­den sei­en. In der ame­ri­ka­ni­schen Ent­spre­chung von „da könn­te ja jeder kom­men“ hieß es, die Fil­me müss­ten min­des­tens auf einem aner­kann­ten Film­fes­ti­val gelau­fen sein.

Ein paar Wochen spä­ter stell­te ich fest, dass mein bes­ter Freund Ben­ja­min, der bei unse­rem „Jesus“-Film Regie geführt hat­te, plötz­lich als Regis­seur des TV-Zwei­tei­lers „Jesus“ geführt wur­de. Die­ser Ein­trag war nach weni­gen Tagen wie­der ver­schwun­den.

Wie­der ein paar Wochen spä­ter stell­te ich fest, dass der Daten­satz der „Doomsday“-Produzenten1 offen­bar als ein­zi­ger durch­ge­kom­men war und über­lebt hat­te – in den Cre­dits des mir bis heu­te völ­lig unbe­kann­ten B‑Movies „Doomsday Man“.

Die Fol­gen
Wir waren glei­cher­ma­ßen ent­täuscht wie erhei­tert über das, was die IMDb da so gebo­ten hat­te. Aber wir ver­ga­ßen das alles, als im Dezem­ber 1999 ein Film anlief, der Hand­lung, Sze­nen und sogar ein­zel­ne Ein­stel­lun­gen aus „Doomsday“ geklaut zu haben schien: „End Of Days“ mit Arnold Schwar­zen­eg­ger. Dann sahen wir ein, dass die Dreh­ar­bei­ten dazu schon vor län­ge­rer Zeit statt­ge­fun­den haben muss­ten, und bei­de Fil­me jetzt nicht sooooo ori­gi­nell waren. Da war uns auch „End Of Days“ egal – wie der Film übri­gens jedem egal sein soll­te.

Mit den Jah­ren stell­ten wir fest, dass offen­bar ziem­lich vie­le Film­da­ten­ban­ken ihre Daten­sät­ze mit denen der IMDb … nun ja: abglei­chen – und so ste­hen wir heu­te nicht nur dort, son­dern auch hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier, hier und hier.

Und weil Sie die­se klei­ne, fei­ne, aber doch irgend­wie unspek­ta­ku­lä­re Geschich­te bis zum Schluss durch­ge­le­sen haben, sol­len Sie dafür mit einem klei­nen Schman­kerl belohnt wer­den. Es sind – natür­lich – die bes­ten Sze­nen aus „Doomsday“:

1 Wir hat­ten in der Zwi­schen­zeit erkannt, dass „Doomsday 99“ doch ein zeit­lich zu begrenzt ver­wert­ba­rer Titel sein wür­de.