Vor ein paar Wochen ging ein Video durchs Internet, auf dem fünf Menschen auf einer Gitarre ein Lied spielen. Das war kunsthandwerklich recht beeindruckend, aber das Lied war leider “Somebody That I Used To Know” von Gotye, das sich in meiner persönlichen Gunst inzwischen von “mag ich nicht” zu “hasse ich so sehr, dass ich noch meinen Kindern und Kindeskindern mehrstündige Litaneien über die Unzulänglichkeit dieses Machwerks angedeihen lassen werde” verschlechtert hat. (Das ist vielleicht etwas übertrieben. Ich will ja auch nicht zu viel Lebensenergie auf Sachen verwenden, die ich nicht mag — gerade, wo das Wetter gerade so toll ist. Aber das Radio schalte ich schon jedes Mal aus, wenn der Song läuft.)
JEDENFALLS: Fünf Leute und eine Gitarre kann ja jeder. Drei Leute an einem Flügel, das ist doch mal was anderes!
Enno Bunger haben offenbar die Ben-Folds-Schule für Piano-Manipulation besucht, bevor sie bei “TV noir” auftraten, um den Song “Regen” von ihrem neuen Album “Wir sind vorbei” dort aufwendig zu interpretieren:
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Gut, textlich ist das Geschmackssache, aber schon toll, was man mit so einem Instrument alles anstellen kann.
Das Internet sorgt mit seiner ständigen Verfügbarkeit von unterschiedlichsten Musiken bekanntlich für eine immer stärkere Individualisierung des Musikgeschmacks. Der Einfluss der großen Plattenfirmen geht zurück, jeder hört nur noch das, was ihm gefällt und was er irgendwo entdeckt hat. So weit die Theorie.
Wenn sich die Menschen im Internet aber mal auf einen gemeinsamen Song einigen können, dann richtig: Seit Wochen posten meine Facebook-Kontakte jedweden Alters, Musikgeschmacks und jedweder sexueller Orientierung immer wieder ein Musikvideo. Gefühlt müssen alle aktuell 255 Freunde den Clip mindestens zwei Mal “geteilt” haben.
Da ich nicht jedes Video anschaue und jeden Song anhöre, den irgendjemand bei Facebook gepostet hat, ging der Song anfangs an mir vorbei. Gehört hab ich ihn tatsächlich das erste Mal im Radio, als alle anderen schon mitsingen konnten, auch wenn ich Song und Video-Posts erst anschließend in Verbindung zueinander setzen konnte:
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Ich mag “Somebody That I Used To Know” von Gotye nicht besonders. ((Das Video habe ich gerade für diesen Artikel tatsächlich zum ersten Mal gesehen und ich mag es noch viel, viel weniger. Das sieht ja aus, als sei es von den ältlichen Hausfrauen gedreht worden, die sonst Steppdecken für die Wände von Pfarrgemeindehäusern und Arztpraxenwartezimmern quilten!)) Den Refrain finde ich sehr anstrengend und der echte Peter Gabriel hätte das schöner hinbekommen. Aber ich will nicht ausschließen, dass meine Ablehnung nicht allein auf dem Song selbst beruht, sondern auch auf dem merkwürdigen Hype, der ihn begleitet.
Ich habe nämlich festgestellt, dass, wenn nur genug Menschen in einem kurzen Zeitraum ein Video, einen Artikel oder ähnliches, das ich noch nicht kenne, auf Facebook geteilt haben, ich kein Interesse mehr daran habe, es überhaupt kennenzulernen. Es ist quasi ein innerer Backlash, der eigentlich ein Prelash ist. Ich nenne es: das “Videogames”-Paradox.
Denn auch Lana Del Reys Debütsingle hat einen derartigen Marsch durch alle Institutionen hinter sich, dass mich Nachfolgesingles und Album gar nicht mehr interessieren — dabei mochte ich den Song anfangs sogar.
Ich kann gar nicht erklären, warum sich manche Lieder so schnell “abnutzen”, andere schon vor dem Hören nerven und wieder andere mit jedem Mal besser werden. “We Found Love” von Rihanna und Calvin Harris liebe ich zum Beispiel umso mehr, je öfter ich es höre (und ich fand’s von Anfang an spitzenmäßig).
Bemerkenswert ist aber noch etwas: Auch wenn ich glaube, dass sich Hits nicht mit letzter Gewissheit planen lassen, wenn ich zugebe, dass “Somebody That I Used To Know” und “Videogames” beides sehr unwahrscheinliche Hits (Nummer-Eins-Hits in Deutschland gar) sind, und ich anerkenne, dass beide Songs in überraschendem Maße alle Altersgruppen und sozialen Schichten erreichen — beide erscheinen beim beinahe letzten existierenden Majorlabel Universal.
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