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Journalisten

Ich zucke immer zusammen, wenn ich als “Journalist” vorgestellt werde. Das hat wenig mit dem behaupteten Kulturkampf “Blogger vs. Journalisten” zu tun (ich zucke auch zusammen, wenn ich als “Blogger” vorgestellt werde) und viel mit dem, was in Deutschland für Journalismus gehalten wird.

“Journalist” ist keine geschützte Berufsbezeichnung, anders als zum Beispiel “Tierarzt”. Metzger, Wilderer und Automechaniker betreiben nachweislich keine Veterinärmedizin, das Werk von Volksverhetzern, Leichenfledderern und sonstigem charakterlosen Pack kann aber ohne weiteres als “Journalismus” bezeichnet werden.

Deshalb wird Paul Ronzheimer, 25-jähriger “Bild”-Redakteur, der auch gerne schon mal “den Pleite-Griechen die Drachmen zurück” gibt, mit dem Herbert-Quandt-Medien-Preis (immerhin benannt nach einem anderen großen Menschenfreund und Wohltäter) ausgezeichnet.

Und deshalb werden Druckerzeugnisse wie “Bild”, “Focus” oder “Bunte” auch von seriösen Journalisten (die es natürlich, um Himmels Willen, auch gibt und die gut daran täten, die Bezeichnung “Journalist” zu verteidigen) als Journalismus angesehen, obwohl es in der restlichen zivilisierten Welt eher unüblich ist, Boulevardjournalismus als Journalismus wahr- oder auch nur ernstzunehmen.

Jörg Kachelmann hat der “Zeit” ein langes Interview gegeben und auch wenn die Interviewerin Sabine Rückert selbst jetzt nicht gerade als strahlendes Beispiel für ordentlichen Journalismus bezeichnet werden kann, ist es ein beeindruckendes Dokument.

Kachelmann sagt darin unter anderem:

Ich bin sicher, dass die Boulevardmedien überall U-Boote haben. In allen wichtigen Organisationen haben die einen sitzen, damit er mal kurz in den Computer guckt. Wenn ich in einer Maschine unterwegs war, die nicht zu den Fluglinien des Firmenverbundes Star Alliance gehört, hat mich nie ein Paparazzo am Flugplatz erwartet.

Das lässt nur zwei Schlüsse zu: Entweder, der Mann ist verrückt (geworden), oder dieses Land ist sehr viel upgefuckter, als man sich das als Bürger gemeinhin vorstellen würde.

Das Internetportal “Meedia”, dessen Chefredakteur es als “elementarste Aufgabe” der Medien ansah, “das Doppelleben des netten Herrn Kachelmann zu enthüllen”, und der es als “rufschädigend für den Journalismus” bezeichnet hatte, den medialen Irrsinn in Sachen Kachelmann zu hinterfragen, dieses Internetportal jedenfalls schreibt heute über das Interview:

Schwenn habe nicht gebrüllt oder auf den Richtertisch gehauen, wie die Bild berichtet hat. Es ist nicht nur diese Stelle des Interviews, die den Eindruck erweckt, Kachelmann habe seit dem Prozess womöglich eine etwas verschobene Wahrnehmung der Realität. Zwar hat Schwenn tatsächlich nicht gebrüllt, aber seine Art und Weise im Gericht vorzugehen kann jeder, der anwesend wahr nur als offene Provokation empfunden haben.

Kachelmann sagt, Schwenn habe nicht gebrüllt, und Schwenn hat nicht gebrüllt, aber Kachelmann hat eine “etwas verschobene Wahrnehmung der Realität”? Was hat dann Stefan Winterbauer, Autor dieser Zeilen? (Außer vielleicht “den Schuss nicht gehört”.)