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Somebody’s Baby

Das hat­te es in den 18 Jah­ren, seit ich mit „Char­lie – Alle Hun­de kom­men in den Him­mel“ mei­nen ers­ten Kino­film gese­hen hat­te, noch nicht gege­ben: Ich war allei­ne im Kino. Und ich mei­ne nicht „ohne Beglei­tung“, ich mei­ne: allei­ne, ein­sam, ver­las­sen. Ich war 100% der Zuschau­er­schaft. Was dop­pelt bit­ter ist, wenn man bedenkt, was für einen tol­len Film alle ande­ren ver­passt haben: „Juno“.

Juno ist ein 16jähriges Mäd­chen, das, als sie aus Neu­gier ihren bes­ten Freund ver­führt, prompt schwan­ger wird. Die Idee einer Abtrei­bung ver­wirft sie rela­tiv schnell, was aber schon so ziem­lich die ein­zi­ge Stel­le im Film sein dürf­te, bei der reli­giö­se Eife­rer wohl­wol­lend nicken. Ihr Vater und ihre Stief­mut­ter haben Junos Erzie­hung zwar schon län­ger abge­schrie­ben, unter­stüt­zen sie aber trotz­dem aus gan­zem Her­zen bei der Suche nach Adop­tiv­el­tern für das unge­bo­re­ne Kind. Die sind in Form von Jen­ni­fer Gar­ner und Jason Bate­man zu per­fekt um wahr zu sein, wie sich bald her­aus­stel­len wird, aber all das kann Juno nicht mehr groß aus der Bahn wer­fen.

Zu behaup­ten, in „Juno“ pas­sie­re nicht viel, wäre falsch: Zwar ist die Grund­kon­stel­la­ti­on von ergrei­fen­der Schlicht­heit, aber so hat sie dann eben doch noch nie­mand erzählt. Hin­zu kommt, das Dia­blo Cody, eine Ex-Strip­pe­rin, die für ihr ers­tes ver­film­tes Dreh­buch (eben das zu „Juno“) prompt den Oscar bekom­men hat, die plot points ihrer Geschich­te ziem­lich klug gesetzt hat: Immer dann, wenn man ahnt, was jetzt kom­men muss, pas­siert etwas völ­lig ande­res. Die Dia­lo­ge, die sich aus­nahms­los alle Figu­ren um die Ohren hau­en, sind geschlif­fen und trie­fen nur so vor einer lie­bens­wür­di­gen Gehäs­sig­keit. Das Ensem­ble, das die­se Dia­lo­ge vor­tra­gen darf, ist sen­sa­tio­nell – selbst Jen­ni­fer Gar­ner merkt man kaum an, dass sie über­haupt nicht spie­len kann.

Aber wir kön­nen nicht über „Juno“ reden, ohne Ellen Page zu loben. Ach was: Lie­bes­be­kun­dun­gen wol­len wir ihr schmie­den, Hei­rats­an­trä­ge töp­fern und ewi­ge Ver­bun­den­heit in Mar­mor­blö­cke schnit­zen. Denn bei allem Ver­dienst von Dreh­buch und Ensem­ble: „Juno“ lebt vor allem von sei­ner Haupt­dar­stel­le­rin und deren unglaub­li­cher Natür­lich­keit. Wenn man sich Inter­views wie die­ses hier anhört, bekommt man das Gefühl, das kön­ne vor allem dar­an lie­gen, dass die 21jährige Kana­die­rin und die von ihr ver­kör­per­te Juno sich nicht ganz unähn­lich sind.

Noch eine wei­te­re Frau soll gelobt sein: Kimya Daw­son, Ex-Sän­ge­rin der Mol­dy Pea­ches, hat wun­der­ba­re Songs zum Sound­track des Films bei­gesteu­ert. Es ist ihr sehr zu wün­schen, dass sie auch hier­zu­lan­de end­lich mal einen ähn­li­chen Erfolg hat wie ihr Ex-Band­kol­le­ge, der Blö­del­bar­de Adam Green.

Bei all den tol­len Frau­en geht ein Mann ein wenig unter: Regis­seur Jason Reit­man, des­sen „Thank You For Smo­king“ schon ziem­lich gut war, hat mit „Juno“ ein etwas ande­res feel good movie geschaf­fen, das sich Stim­mungs­mä­ßig irgend­wo bei „The Last Kiss“, „Litt­le Miss Suns­hi­ne“ und „Gar­den Sta­te“ ein­reiht, viel­leicht aber noch bes­ser ist als die drei ande­ren. Und wenn der Text der deut­schen Unter­ti­tel (ich hat­te das gro­ße Glück, den Film im Ori­gi­nal mit Unter­ti­teln zu sehen) dem der Syn­chron­fas­sung ent­spricht, haben sogar diver­se Wort­spie­le und Pop­kul­tur-Anspie­lun­gen die Ein­deut­schung über­lebt.

Trai­ler
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Der Menschenfresser

Fil­me ver­stö­ren heu­te nicht mehr. Sie haben ent­we­der kei­ne Zeit dafür, kei­ne Lust dazu oder ohne­hin nicht die Mit­tel – und sie haben den schwer­wie­gen­den Nach­teil, dass jeder halb­wegs inter­es­sier­te Zuschau­er schon Wochen vor Kino­start zahl­lo­se Kri­ti­ken und Inter­views mit den Betei­lig­ten lesen kann, durch meh­re­re Trai­ler auf die Geschich­te vor­be­rei­tet wird und nicht zuletzt wegen IMDb-Durch­schnitts­be­wer­tun­gen, Gol­den-Glo­be-Ergeb­nis­sen und Oscar­no­mi­nie­run­gen zu wis­sen glaubt, was ihn erwar­tet. Ich kann mir schon gar nicht mehr vor­stel­len, wie es vor knapp drei­ßig Jah­ren für die Leu­te gewe­sen sein muss, die ohne Vor­wis­sen oder –war­nung Stan­ley Kubricks „The Shi­ning“ gese­hen haben. Ich erin­ne­re mich nur noch dar­an, dass ich als nicht eben wäh­le­ri­scher Teen­ager ins Kino gegan­gen bin und halt mal geguckt habe, was so pas­siert. Heu­te sehe ich mir „Der Krieg des Char­lie Wil­son“ an und weiß schon vor­her, dass mich amü­san­te, leich­te Unter­hal­tung erwar­tet. Ich sehe „Con­trol“ und weiß, dass der Film eine trost­lo­se, beklem­men­de Cha­rak­ter­stu­die wird. Oder ich sehe „The­re Will Be Blood“ und weiß, dass ein stren­ges, prä­zi­ses Meis­ter­werk auf mich zukommt.

Der Punkt ist natür­lich: Eigent­lich weiß ich über­haupt nichts. Ich glau­be höchs­tens, ein paar Din­ge zu wis­sen, füh­le mich als regel­mä­ßi­ger Film­kri­ti­ken­le­ser und Trai­ler­se­her gut ein­ge­stellt und möch­te in mei­ner vor­ge­fer­tig­ten Mei­nung lie­ber bestä­tigt als wider­legt wer­den. Das ist sehr doof, und ich kann mich an kei­nen Film erin­nern, der mir das jemals gna­den­lo­ser unter die Nase gerie­ben hat als Paul Tho­mas Ander­sons „The­re Will Be Blood“. Es ist sein fünf­ter Spiel­film, und es war schwie­rig, im Vor­aus eine Rezen­si­on dar­über zu lesen, die nicht min­des­tens tie­fen Respekt für die schau­spie­le­ri­sche und hand­werk­li­che Bril­lanz des Films zoll­te. Meis­tens ging das Lob aber noch viel wei­ter; die 160-minü­ti­ge Geschich­te um den kali­for­ni­schen Ölba­ron Dani­el Plain­view wur­de als Wie­der­auf­er­ste­hung des Wes­tern­gen­res bezeich­net, ohne selbst ein klas­si­scher Wes­tern zu sein. Sie wur­de für acht Oscars nomi­niert und steht der­zeit auf Platz 18 in der IMDb-Lis­te mit den 250 bes­ten Fil­men aller Zei­ten. Dass „The­re Will Be Blood“ aber ein ernst­haft und nach­hal­tig ver­stö­ren­der Film ist – dar­auf hat mich nie­mand vor­be­rei­tet.

Liegt wahr­schein­lich dar­an: Man muss ihn sehen, um es zu glau­ben. Man muss die nahe­zu wort­lo­se 15-Minu­ten-Sequenz am Anfang sehen, die in ihrer Selbst­si­cher­heit schon an Groß­kot­zig­keit grenzt. Man muss sehen, wie der Film in einem voll­kom­men rat­los machen­den, des­il­lu­sio­nie­ren­den Fina­le gip­felt, das kaum vor­aus­zu­ah­nen ist, aber doch unver­meid­bar scheint. Man muss sehen, wie der tod­si­che­re Oscar-Gewin­ner Dani­el Day-Lewis in der Haupt­rol­le des hass­erfüll­ten Men­schen­fres­sers Plain­view die Kino­lein­wand auf­saugt. Man muss sehen, wie des­halb nur noch Platz bleibt für den hys­te­ri­schen Pre­di­ger Eli Sun­day (Paul Dano), der sich als ein­zi­ge Neben­fi­gur ent­fal­ten kann, aber auch mit sei­nem kirch­li­chen Hin­ter­grund nicht zum mora­li­schen Gewis­sen des Films taugt. Und man muss die musi­ka­li­sche Leis­tungs­schau hören, die Radio­head-Mit­glied Jon­ny Green­wood dazu als bedroh­lich dröh­nen­den, per­ma­nent sti­cheln­den und nach­tre­ten­den Sound­track kom­po­niert hat. „Ich bin fer­tig“, sagt Plain­view am Ende des Films, und wenn er es nicht getan hät­te, dann ich.

Sieht man es als obers­te Pflicht eines Films an, sei­ne Zuschau­er zu unter­hal­ten, ist „The­re Will Be Blood“ ein boden­lo­ses Fias­ko. Es gibt nichts an die­sem Film zu Mögen oder gar zu Lie­ben, kei­ne leich­ten Momen­te, Erlö­sun­gen oder Iden­ti­fi­ka­ti­ons­fi­gu­ren. Statt­des­sen gibt es den Glau­ben an das Gute im Men­schen zu ver­lie­ren, das pure Böse am Bei­spiel einer ein­zi­gen Per­son zu erle­ben und die Fra­ge oben­drauf, wo so viel Hass auf alles und jeden bloß her­kom­men kann. Sie bleibt selt­sam unbe­frie­di­gend beant­wor­tet im Raum ste­hen, so als hät­te der Film selbst kei­ne Ahnung. Man könn­te sagen, dass er dadurch rui­niert wird, aber ich glau­be eher, gera­de das ist der Clou. Es ist jetzt 18 Stun­den her, dass ich „The­re Will Be Blood“ gese­hen habe, und ich habe seit­dem an nichts ande­res mehr gedacht, das irgend­wie von Bedeu­tung wäre.

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Fatih Akin kann es einfach

Dass Yeter ster­ben wird, erfah­ren wir noch bevor wir sie ken­nen­ge­lernt haben. Nach einem kur­zen Pro­log, den wir sehr viel spä­ter noch ein­mal sehen und erst dann ver­ste­hen wer­den, kommt eine Titel­ein­blen­dung: „Yeters Tod“.

Yeter (Nur­sel Köse) arbei­tet als Pro­sti­tu­ier­te in Bre­men. Bei ihrer Arbeit lernt sie den pen­sio­nier­ten Wit­wer Ali (Tun­cel Kur­tiz) ken­nen, der sie nach ein paar Besu­chen bit­tet, als sei­ne Lebens­ge­fähr­tin zu fun­gie­ren – den übli­chen Satz wer­de er ihr bezah­len. Alis Sohn Nejat (Baki Dav­rak) ist nicht son­der­lich begeis­tert von die­ser Akti­on sei­nes Alko­hol- und Herz­kran­ken Vaters, aber er ist beein­druckt von der Tat­sa­che, dass Yeter einen Groß­teil ihres Ver­diens­tes in die Tür­kei schickt, um ihrer Toch­ter das Stu­di­um zu finan­zie­ren. Als Yeter stirbt (s.o.), beglei­tet Nejat den Sarg in die Tür­kei und macht sich auf die Suche nach Yeters Toch­ter Ayten, von der Yeter lan­ge nichts mehr gehört hat­te.

Nurgül Yeşilçay und Patrycia Ziolkowska in “Auf der anderen Seite” (Pressefreigabe)Auch von Lot­te erfah­ren wir vor ihrem ers­ten Auf­tritt, dass sie ster­ben wird: „Lot­tes Tod“ steht auf dem Zwi­schen­ti­tel. In der Men­sa lernt die jun­ge Frau aus gutem Hau­se (Patrycia Ziol­kows­ka) Ayten ken­nen, die vor der tür­ki­schen Poli­zei geflo­hen ist und in Bre­men ihre Mut­ter sucht. Lot­te freun­det sich mit Ayten (Nur­gül Yeşil­çay) an und quar­tiert sie bei ihrer Mut­ter Susan­ne (Han­na Schy­gul­la) ein. Als Ayten in die Tür­kei abge­scho­ben wird (eben­so lapi­da­re wie irri­ge – und wohl lei­der auch authen­ti­sche – Begrün­dung: im Zuge des geplan­ten EU-Bei­tritts der Tür­kei wer­de ihr dort auch als poli­tisch Ver­folg­te schon nichts pas­sie­ren), reist Lot­te ihr hin­ter­her. Durch Zufall zieht sie bei Nejat, der sich inzwi­schen in Istan­bul nie­der­ge­las­sen hat, ein und kommt wenig spä­ter unter tra­gi­schen Umstän­den ums Leben.

Die drit­te Epi­so­de trägt den Namen, der auch auf den Kino­pla­ka­ten steht: „Auf der ande­ren Sei­te“. Susan­ne ist nach Istan­bul gereist, um zu erfah­ren, wo und wie ihre Toch­ter kurz vor ihrem Tod gelebt hat. Auch sie kommt bei Nejat unter und sie geht den Weg, den Lot­te ein­ge­schla­gen hat, wei­ter und holt Ayten aus dem Gefäng­nis. Ganz neben­bei bringt sie Nejat dazu, sich mit sei­nem Vater ver­söh­nen zu wol­len …

Was beim Lesen viel­leicht etwas unüber­sicht­lich, arg kon­stru­iert und unwahr­schein­lich wirkt, ist in Fatih Akins fünf­tem Spiel­film völ­lig orga­nisch. Es sind die Geschich­ten drei­er Elter-und-Kind-Paa­re1, Hanna Schygulla und Bavi Davrak in “Auf der anderen Seite” (Pressefreigabe)wobei der direk­te Kon­takt zwi­schen Eltern und Kin­dern eher gering ist. Die Hand­lungs­fä­den sind kunst­voll mit­ein­an­der ver­wo­ben, die Haupt­per­so­nen aber lau­fen mehr­mals knapp anein­an­der vor­bei. Man ahnt das Reiß­brett, an dem Akin sei­ne Geschich­ten neben­ein­an­der auf­ge­zeich­net und hin­ter­ein­an­der arran­giert haben muss um den Über­blick zu behal­ten, und trotz­dem sind die Geschich­ten eben­so glaub­wür­dig wie die Cha­rak­te­re. Den Dreh­buch­preis in Can­nes hat er also völ­lig zu Recht gewon­nen.

Neun Jah­re nach sei­nem Regie­de­büt „Kurz und schmerz­los“ und drei­ein­halb Jah­re nach dem furio­sen „Gegen die Wand“ lässt sich leicht zusam­men­fas­sen: Fatih Akin kann es ein­fach. Zwar sind der­ar­ti­ge Erzähl­mus­ter längst kei­ne Sen­sa­ti­on mehr, aber es gibt ja auch genug Regis­seu­re, die schon an einer völ­lig linea­ren Hand­lung schei­tern. Nicht so Fatih Akin: Er bringt die ganz gro­ßen The­men, ohne dass die­se den Film bemüht oder bedeu­tungs­schwan­ger erschei­nen lie­ßen. Er kom­po­niert Bil­der und Dia­log so geschickt, dass man sich hin­ter­her fragt, ob über­haupt gespro­chen wur­de.

Fatih Akin sieht sei­nen Film nicht als einen „poli­ti­schen“ an und ver­mut­lich hat er recht: Auch wenn es am Ran­de um Abschie­bung, tür­ki­sche Gefäng­nis­se und „Ter­ror­or­ga­ni­sa­tio­nen“ geht; auch wenn der Film einer Bre­mer Demo zum ers­ten Mai mit Brat­wurst essen­den Ver.di-Funktionären und Spiel­manns­zug Ran­da­le in Istan­bul gegen­über­stellt: das Poli­ti­sche ist immer nur Hin­ter­grund für die pri­va­ten Schick­sa­le. „Auf der ande­ren Sei­te“ ist aber ein Film über Idea­le. Nejat sucht Ayten, weil er ihr auch nach dem Tod der Mut­ter das Stu­di­um ermög­li­chen möch­te; Lot­te nimmt Ayten bei sich auf und folgt ihr in die Tür­kei, weil es ihr wich­tig und rich­tig erscheint, für ihre Freun­din zu kämp­fen; Susan­ne macht schließ­lich wei­ter, was Lot­te nicht zu Ende füh­ren konn­te. So wie Ali und Nejat abwech­selnd Deutsch und Tür­kisch mit­ein­an­der spre­chen, so ver­schwim­men auch die Gren­zen zwi­schen Deutsch­land und der Tür­kei im Film, denn wer wo für jeman­den kämpft, ist zweit­ran­gig. Der ein­zi­ge sicht­ba­re Unter­schied besteht in den hel­len, far­ben­fro­hen Bil­dern des leben­di­gen Istan­buls auf der einen, und den kühl und klar struk­tu­riert erschei­nen­den deut­schen Städ­ten Ham­burg und Bre­men auf der ande­ren Sei­te.

“Auf der anderen Seite” (Filmplakat)Auch die Bezie­hun­gen zwi­schen Eltern und Kin­dern sind uni­ver­sell: Eltern lügen ihre Kin­der an, weil sie nur das Bes­te für sie wol­len; Kin­der wol­len auf kei­nen Fall wie ihre Eltern wer­den und fin­den sich plötz­lich in deren Fuß­stap­fen wie­der; Eltern wol­len, dass ihre Kin­der etwas aus ihrem Leben machen, und sind dann irri­tiert, wenn die Kin­der tat­säch­lich mal aktiv wer­den. Gera­de Han­na Schy­gul­la spielt die Mut­ter, die immer wie­der über ihre Gren­zen geht, erst als han­sea­tisch-vor­neh­me Dame, die aber die gan­ze Zeit über ein gro­ßes Herz hat und von der man nach und nach erfährt, wie unkon­ven­tio­nell sie eigent­lich ist. Außer­dem hat sie eine gro­ße Ner­ven­zu­sam­men­bruch-Sze­ne, die völ­lig mini­ma­lis­tisch anfängt und dann trotz Auf-dem-Boden-wäl­zen und Schrei­en nicht pein­lich wird. „Schau­spiel­le­gen­de“, eben.

Die 122 Minu­ten von „Auf der ande­ren Sei­te“ kom­men einem län­ger vor. Aber nicht, weil sich der Film so zöge und lang­at­mig wür­de, son­dern weil so viel pas­siert und es auch neben dem Offen­sicht­li­chen noch viel zu ent­de­cken gibt. Fatih Akin schafft es sogar, sei­ne ganz eige­ne Ring­pa­ra­bel in der Geschich­te zu ver­stau­en, indem er Baki Dav­rak aus dem Koran erzäh­len lässt, von einem Mann, der Allah sei­nen Sohn opfern soll. Und wenn Han­na Schy­gul­la an die­ser Stel­le nicht für das unstudier­te Publi­kum sekun­die­ren müss­te: „Die Geschich­te gibt es bei uns auch!“ (auf­merk­sa­me Kin­der­got­tes­dienst­be­su­cher wis­sen: Abra­ham und Isaak), dann wäre das ein rich­tig wei­ser und erhel­len­der Moment.

„Auf der ande­ren Sei­te“ läuft ab heu­te in Ham­burg und ab 27. Sep­tem­ber in ganz Deutsch­land.

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1 Ich hab kei­nen Nerv, mir von der deut­schen Spra­che den Sin­gu­lar für „Eltern“ aus­re­den zu las­sen. Wenn nur genug mit­ma­chen, wird „ein Elter“ irgend­wann nor­mal.

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Ich und McClane

Stirb langsam 4.0 (Plakat)Es gibt ja Fil­me, die hat man gefühl­te Tau­send­mal gese­hen. Bei mir ist „Stirb lang­sam – Jetzt erst recht“ (Nr. 3 der Serie) so ein Fall (das letz­te Mal im letz­ten Novem­ber an Bord eines Flug­zeugs von New York nach Oak­land). Teil 1 habe ich bestimmt auch schon ein Halb­dut­zend Mal gese­hen – nur Teil 2 fehlt mir bis heu­te. Jedes Mal, wenn er im Fern­se­hen läuft, ist irgend­was: Geburts­tags­fei­er, Bochum Total oder der Papst stirbt.*

Des­halb fehlt mir natür­lich ein gewis­ser Teil des Gan­zen, aber ich glau­be, man kann „Stirb lang­sam 4.0“ (erst dach­te ich ja: „Doo­fer Titel“, aber er passt ganz gut zur The­ma­tik) auch ganz ohne Vor­kennt­nis­se der Serie schau­en – nur die Run­ning Gags und Quer­ver­wei­se bekommt man dann nicht immer mit. Es gibt in die­sem Som­mer aber sicher ganz ande­re Fort­set­zun­gen, die auf eine fort­lau­fen­de Hand­lung set­zen.

Bruce Wil­lis ist zum vier­ten Mal John McCla­ne, der New Yor­ker Poli­zist, der schon so ziem­lich alles durch­ge­macht hat. Dies­mal soll er eigent­lich nur einen jun­gen Hacker (Jus­tin Long) ans FBI über­füh­ren, aber natür­lich kommt alles ganz anders, als Cyber­ter­ro­ris­ten die kom­plet­te Infra­struk­tur der USA in ihre Gewalt brin­gen wol­len.

Dies­mal ist es also kein Einer-gegen-Alle-Kampf im Hoch­haus wie in Teil 1 (obwohl es gegen Ende des Films noch ein paar schö­ne Ver­wei­se in die Rich­tung gibt) und kei­ne Schnit­zel­jagd wie in Teil 3 (auch wenn McCla­ne wie­der einen unge­lieb­ten Beglei­ter hat und auch dies­mal die meis­te Zeit über nur in fern­münd­li­chem Kon­takt zum Ober­schur­ken steht). „Stirb lang­sam 4.0“ ist also irgend­wie ein Destil­lat der bis­he­ri­gen Tei­le und hat trotz sei­nes recht schlicht anmu­ten­den Plots einen gut kon­stru­ier­ten Ablauf.

Bruce Wil­lis ist natür­lich wie­der genau die coo­le Sau, für die man ihn so liebt, und die Action vor allem eins: laut, hell, bru­tal. McCla­ne steht in der heu­ti­gen Welt der Hacker und Mobil­te­le­fo­ne für die alte, rohe Hand­ar­beit und Wil­lis steht eigent­lich für eine ganz ande­re Gene­ra­ti­on von Action­fil­men: Denn natür­lich kommt auch „Stirb lang­sam 4.0“ wie bei­na­he jeder Action­film dies­seits von 1999 nicht ohne Com­pu­ter­bild­schir­me, Kung-Fu-Ele­men­te und prü­geln­de Frau­en (nix gegen Mag­gie Q …) aus – es wäre also drin­gend an der Zeit, dass mal irgend­je­mand einen Film dreht, der „Matrix“ als Gen­re­prä­gen­des Werk ablö­sen kann.

Außer die­ser Ran­schmei­ße an die Jugend („Ihr wart ja noch nicht mal geplant, als der ers­te Teil im Kino lief!“) kann man dem Film und sei­nem Regis­seur Len Wise­man („Under­world“, „Under­world: Evo­lu­ti­on“) aber nichts vor­wer­fen. Die wenigs­ten Logik- und Schnitt­feh­ler fal­len einem wäh­rend des Films auf und hin­ter­her hat man viel zu viel Adre­na­lin in der Blut­bahn, um über sol­che Lap­pa­li­en reflek­tie­ren zu kön­nen.

Das The­ma Cyber­ter­ro­ris­mus ist gar nicht mal so abwe­gig und man ist fast ver­sucht, von „erschre­ckend rea­lis­ti­schen Sze­na­ri­en“ zu faseln. Um kei­ne Vor­ur­tei­le zu schü­ren oder von der Rea­li­tät über­holt zu wer­den, reden die Bösen aber abwech­selnd fran­zö­sisch, ita­lie­nisch und eng­lisch (hier­zu­lan­de natür­lich deutsch) und sehen auch kein biss­chen ara­bisch aus. Und der Ober­bö­se­wicht (Timo­thy Oly­phant) ist noch nicht mal in der Ori­gi­nal­fas­sung Deut­scher …

Auch wenn außer John McCla­ne (und um den geht’s ja schließ­lich) nur weni­ge ver­bin­den­de Ele­men­te, die über das Selbst­zi­tat hin­aus­ge­hen, exis­tie­ren: „Stirb lang­sam 4.0“ ist ein wür­di­ger Nach­fol­ger (und mög­li­cher Schluss­punkt) der Serie. Es ist einer die­ser rar gewor­de­nen Action­fil­me, die noch rich­tig Wumms haben anstel­le von com­pu­ter­ani­mier­ten Kame­ra­fahr­ten. Man könn­te auch in die Kis­te mit der Auf­schrift „elen­di­ge Kli­scheesät­ze“ grei­fen und sagen bzw. schrei­ben: eine 130minütige Ach­ter­bahn­fahrt, per­fek­tes Pop­corn- bzw. Som­mer­ki­no. Wür­de auch stim­men.

Offi­zi­el­le Web­site zum Film
Offi­zi­el­le deut­sche Web­site zum Film

* Es gehört zu den beson­de­ren Details die­ser Welt, dass einer der weni­gen deut­schen Fern­seh­sen­der, der sein Pro­gramm beim Tod Johan­nes Paul II. mun­ter fort­setz­te, Pro Sie­ben war – mit besag­tem „Stirb lang­sam 2“.

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This Is Zodiac Speaking

Zodiac (Amerikanisches Filmposter)Fil­me über wah­re Bege­ben­hei­ten haben ja immer den Nach­teil, dass man weiß, wie sie aus­ge­hen. Zwar berich­te­te mein Bru­der mal von einer Freun­din, die empört war, als man ihr vor dem Kino­be­such das Ende von „Der Unter­gang“ offen­bar­te („Hit­ler erschießt sich und Deutsch­land ver­liert“), aber das dürf­te eben­so die Aus­nah­me sein wie Leu­te, die sich wun­dern, dass in „Tita­nic“ ein Schiff unter­geht. In „Zodiac“ dem neu­es­ten Film des groß­ar­ti­gen David Fin­cher („Fight Club“, „Sie­ben“, „The Game“) geht es um einen Seri­en­mör­der, von dem in Ame­ri­ka jedes Kind weiß, dass er nie gefasst wur­de. Wie man vor die­sem Hin­ter­grund trotz­dem einen span­nen­den Film dre­hen kann, zeigt Fin­cher den Zuschau­ern in 158 Minu­ten.

In der San Fran­cis­co Bay Area wer­den Ende der 1960er Jah­re meh­re­re Mor­de began­gen, der Täter schickt ver­schlüs­sel­te Bot­schaf­ten an Lokal­zei­tun­gen und Poli­zei und insze­niert sich selbst als ers­tes media­les Phä­no­men die­ser Art. Die Ermitt­ler tap­pen im Dun­keln, die Nach­for­schun­gen des Repor­ters Paul Avery (Robert Dow­ney Jr. spielt einen Mann mit Alko­hol­pro­ble­men – How about that?) füh­ren auch nicht wei­ter und der gan­ze Fall ver­läuft sich irgend­wie. Und in dem Moment, wo man sich als Zuschau­er fragt „Ja, und jetzt? Ist ja wohl noch was hin bis zum Schluss …“, in die­sem Moment ent­wi­ckelt der Kari­ka­tu­rist Robert Grays­mith (der in vier­zehn Jah­ren kei­nen Tag altert – Jake Gyl­len­haal sei Dank) eine gera­de­zu krank­haf­te Obses­si­on, den Fall lösen zu wol­len. Er forscht nach, kämpft sich durch Akten­ber­ge und befragt alle mit dem Fall betrau­ten Per­so­nen.

Dass Fin­cher eine bedrü­cken­de Atmo­sphä­re schaf­fen kann, wis­sen wir spä­tes­tens seit „Sie­ben“. In „Zodiac“ rekon­stru­iert er das San Fran­cis­co der spä­ten Sech­zi­ger und Sieb­zi­ger Jah­re mit bei­na­he beun­ru­hi­gen­der Akri­bie und schafft so eine Welt in Braun und Grau, in der es auch noch stän­dig reg­net. Zu jeder Sekun­de sieht der Film so aus, als sei er wirk­lich schon über 30 Jah­re alt und die Kame­ra­fahr­ten durch inzwi­schen längst umge­bau­te Stra­ßen zei­gen, wie toll und unauf­fäl­lig Spe­zi­al­ef­fek­te mitt­ler­wei­le sind, wenn man sie aus­nahms­wei­se mal für rea­lis­ti­sche Bil­der ein­setzt. Der Film nimmt uns mit in eine Zeit, lan­ge vor der welt­wei­ten Ver­net­zung, als längst noch nicht jede Poli­zei­sta­ti­on in den USA ein Fax­ge­rät hat­te und man von gene­ti­schen Fin­ger­ab­drü­cken und ähn­li­chen Spie­le­rei­en noch nicht mal träum­te – eine Zeit, in der die Ame­ri­ka­ner immer­hin auf dem Mond lan­de­ten und in der Edu­ard Zim­mer­mann schon „Akten­zei­chen XY… unge­löst“ mode­rier­te.

Jake Gyl­len­haal wird sein Image als „irgend­wie unheim­li­cher Sof­tie“ wohl nie so ganz los­wer­den, aber wie schon so oft (und zu vör­de­rerst in „Don­nie Dar­ko“) über­zeugt der 26-Jäh­ri­ge auch dies­mal wie­der voll und ganz. Sein Robert Grays­mith, auf des­sen Büchern der gan­ze Film basiert, ist ein ähn­lich getrie­be­ner Cha­rak­ter wie Detec­ti­ve David Mills in „Sie­ben“: Er beläs­tigt die zustän­di­gen Poli­zis­ten mit­ten in der Nacht, spannt sei­ne Kin­der als Hilfs­er­mitt­ler eins und als er zuhau­se Anru­fe vom ver­meint­li­chen Kil­ler erhält, ver­lässt ihn sei­ne zwei­te Frau. Sei­nen Bru­der im Geis­te fin­det er in Inspec­tor David Toschi (Mark Ruf­fa­lo), der ihn mit Infor­ma­tio­nen ver­sorgt und trotz aller Anstren­gun­gen auch nicht vom Zodiac-Fall los­kommt.

Die bru­ta­len Mor­de bil­den eigent­lich nur das Grund­ge­rüst für die Geschich­te, auf eini­ge Fäl­le, die dem Zodiac-Kil­ler eben­falls zuge­schrie­ben wer­den, geht er gar nicht ein. Fin­cher ori­en­tier­te sich nach eige­nen Anga­ben an „All The President’s Men“, dem Film über die Jour­na­lis­ten Carl Bern­stein und Bob Wood­ward, die den Water­ga­te-Skan­dal auf­deck­ten. Trotz­dem ent­wi­ckelt sich in man­chen Sze­nen eine unglaub­li­che Span­nung, die auch durch Fak­ten­wis­sen nicht her­un­ter­zu­spie­len ist. Auf dem Nach­hau­se­weg war ich jeden­falls gering­fü­gig para­no­id.

Fünf Jah­re nach „Panic Room“, der eigent­lich auch nur ent­täu­schend war, weil man nach „Fight Club“ wie­der eine ähn­li­che Groß­tat von Fin­cher erwar­tet hat­te, ist der Regis­seur ein­mal mehr auf dem Höhe­punkt sei­nes Schaf­fens. „Zodiac“ ist ein düs­te­rer, intel­li­gen­ter, letzt­lich aber pes­si­mis­ti­scher Film. Für Leu­te, die sich schon län­ger mit dem Zodiac-Kil­ler befas­sen, ist es eine Bebil­de­rung der eige­nen Vor­stel­lun­gen, für Neu­lin­ge ist es eine sehr gute Ein­füh­rung in den Fall. Die 2004 geschlos­se­nen Akten des San Fran­cis­co Poli­ce Depart­ment zum Zodiac-Kil­ler wur­den im Früh­jahr die­ses Jah­res wie­der geöff­net.

Offi­zi­el­le Web­site zum Film
Offi­zi­el­le deut­sche Web­site zum Film
Film-Trai­ler
„The Z Files“ – Fak­ten­samm­lung zum Zodiac-Kil­ler