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Bloody April

Gestern wurden auf dem Campus der Universität von Blacksburg, Va. mehr als 30 Menschen von einem Amokläufer erschossen. Das ist unglaublich schrecklich, eine sehr, sehr traurige Geschichte. Viele Menschen rund um die ganze Welt sind entsetzt und sprachlos – und es wäre wirklich wünschenswert, wenn auch die Journalisten angedenk eines solchen Ereignisses einfach mal sprachlos wären und die Schnauze hielten. Die New York Times dokumentiert sehr eindrucksvoll, wie die Fernsehreporter auf dem Campus einfielen, und wie Augenzeugen per Handykamera und Internet die Nachrichtenstation mit Bildern aus der Schusslinie versorgten. Der Artikel schließt mit einem Zitat, das zynisch zu nennen ich mich nicht scheue:

“Stay out of harm’s way,” the CNN anchor Don Lemon said, addressing students at Virginia Tech. “But send us your pictures and video.”

Aber auch die deutschen Medien schalteten sofort auf Turbo und schritten beherzt und enthirnt zur Tat. Dabei war die “Bild”-Schlagzeile, die etwas vom “größten Blutbad aller Zeiten” faselte, sogar noch das kleinste Übel. Je nachdem, wie man den Begriff “Blutbad” definiert und wie man den Superlativ räumlich einschränken will, stimmt die Behauptung sogar: in den USA hat es nie einen Amoklauf mit mehr Todesopfern gegeben.
In fast jeder Zeitungs- oder Fernsehredaktion musste sich ein Mitarbeiter daran machen, eine Chronik der schlimmsten Amokläufer zu erstellen. Auch das kann man kritisch sehen, aber es kann ja auch ganz hilfreich sein, sich noch mal ein paar Fakten ins Gedächtnis zu rufen.
Da schon während des Amoklaufs reichlich von Studenten der Virginia Tech über die Ereignisse gebloggt wurde, kann man sich nun an die Web-Auslese machen. Das ist sogar aus medientheoretischer Sicht hochinteressant, da es bisher kaum vergleichbare Ereignisse gibt, die derart medial abgedeckt sind.

Was Spiegel Online sich dann aber noch leistet, ist entweder als Beschäftigungstherapie für Praktikanten oder als endgültige Gleichsetzung von SpOn mit “Bild” anzusehen:

Die Amokläufe von Littleton, Erfurt und Blacksburg haben nicht nur das Leid und den Schrecken gemeinsam, den wenige über viele gebracht haben. Sie teilen auch den Monat, in dem die Schreckenstaten verübt wurden.

Und in deed: das einzige, was dem Artikel noch fehlt, sind die Quersummen der Tage, an denen die Amokläufe stattfanden (34, 16, 20). Über den gestrigen Täter schreibt jdl:

Waren Klebold und Harris auch seine Vorbilder? Kannte er die Wahnsinnstat des Robert Steinhäuser? War das Datum bewusst gewählt? Schon die Fragen sind beängstigend. Wie werden erst die Antworten sein?

Beängstigend, fürwahr. Denn die “Bild”-gleiche Überschrift

Monat der Massaker: Blutiger April

bezieht sich ja gar nicht auf eine mögliche Nachahmungstat (die man im Moment ebenso wenig ausschließen wie bestätigen kann), sondern auf einen verdammten Monat. Ein Blick in die SpOn-eigene Chronik hätte gezeigt, dass von den 18 dort aufgeführten Amokläufen 15 in Nicht-April-Monaten stattfanden – dafür vier im März (!!!!1). Vielleicht liegt es ja an den Sternen

Nachtrag, 19:17 Uhr: Stefan Niggemeier schreibt dazu:

Im weltweiten Rennen um den dümmsten Bericht zum Amoklauf in Blacksburg liegt Spiegel Online mit diesem Artikel fast uneinholbar in Führung

Warten wir’s ab …