Kategorien
Musik

Nur noch kurz die Welt vernichten

Wie jeder geis­tig etwas spe­zi­ell gela­ger­te Musik­lieb­ha­ber ver­brin­ge ich gera­de mei­ne Tage damit, Bes­ten­lis­ten der Songs und Alben des Jah­res zu ersin­nen, zu ver­wer­fen und völ­lig neu zu bau­en. Es wird noch ein paar Tage dau­ern, bis ich hier mei­ne für exakt drei Mil­li­se­kun­den gül­ti­gen High­lights des Musik­jah­res 2011 depo­nie­ren wer­de.

Vor­her möch­te ich schon ein­mal die Gele­gen­heit nut­zen und mir den Unmut aus dem Leib schwäm­men, den eini­ge Songs die­ses Jahr bei mir ver­ur­sacht haben. Es ist gut mög­lich, dass ich das Schlimms­te über­hört habe, aber das, womit ich via Radio beläs­tigt wur­de, ist schlimm genug.

Fol­gen Sie mir also an den Ort, wo mini­ma­le Qua­li­tät auf maxi­ma­len Erfolg stößt:

5. Alex­an­dra Stan – Mr. Saxo­beat
Kla­mot­ten­lä­den und Radio ver­brei­ten die fro­he Kun­de: Das Neun­zi­ger-Revi­val gerät immer mehr in Fahrt. Eine Rück­kehr des Euro­dance hät­te es dafür nicht zwin­gend gebraucht, wobei „Mr. Saxo­beat“ vor allem dadurch zu ner­ven wuss­te, dass man dem Song schlicht nicht ent­ge­hen konn­te. Wenn die Ver­wer­tungs­ket­te bestehen bleibt, wird uns nächs­tes Jahr ein „Mr. Saxobeat“-Sample aus einem ame­ri­ka­ni­schen Hip-Hop-Song ansprin­gen, der dann über­ra­schend cool sein wird (vgl. O‑Zone -> T.I. und Had­da­way -> Emi­nem).

4. Nickel­back – When We Stand Tog­e­ther
Nun ja: Nickel­back halt. Der ein­fäl­ti­ge Rock­schla­ger über böse Regie­run­gen, Hun­ger und Armut auf der einen und das auf­rich­ti­ge, ein­fa­che Volk (inkl. kana­di­scher Rock-Mil­lio­nä­re) auf der ande­ren Sei­te hät­te zum Mot­to­lied von Ara­bi­schem Früh­ling und Occu­py-Bewe­gung wer­den können/​sollen, was er offen­sicht­lich nie gewor­den ist. Die­se Welt ist also viel­leicht doch gar nicht so schlecht.

3. Maroon 5 feat. Chris­ti­na Agui­lera – Moves Like Jag­ger
Eine Paa­rung, wie sie nur von den Mar­ke­ting­ab­tei­lun­gen gro­ßer Plat­ten­fir­men erdacht wer­den kann – wer sonst käme auf die Idee, eine bie­de­re Poprock­band, die ihre bes­ten Zei­ten hin­ter sich hat, mit einer Sän­ge­rin zu ver­ei­nen, die eben­falls den Zenit ihrer Kar­rie­re durch­schrit­ten hat? Die Span­nung zwi­schen den Inter­pre­ten knis­tert in etwa wie die Ero­tik zwi­schen Ange­la Mer­kel und David Came­ron, Beat und Hook­li­ne erin­nern in ihrer Schlicht­heit an das bereits ver­ris­se­ne „Mr. Saxo­beat“ und über­haupt hat der 68-jäh­ri­ge Mick Jag­ger ja wohl mal im klei­nen Zeh mehr Talent, Cha­ris­ma und Schwung als die­se ver­zwei­fel­te Reiß­brett-Num­mer, deren Erfolg die Ver­ant­wort­li­chen hof­fent­lich wenigs­tens ein biss­chen über­rascht und beschämt hat.

2. Sun­ri­se Ave­nue – Hol­ly­wood Hills
Eigent­lich fin­de ich ja, dass jede Band ihre Berech­ti­gung hat, wenn sie nur einen Hörer fin­det, dem die Musik etwas bedeu­tet. Sun­ri­se Ave­nue schaf­fen es immer wie­der, mei­ne libe­ra­le Welt­sicht in die­sem Punkt in Fra­ge zu stel­len. Ich mei­ne: Was soll das? Wie lang­wei­lig kann man einen „Rock­song“ spie­len? Und sind mit den „Hol­ly­wood Hills“ wirk­lich die chir­ur­gisch opti­mier­ten sekun­dä­ren Geschlechts­merk­ma­le jun­ger Ame­ri­ka­ne­rin­nen gemeint? Halt: Bit­te ant­wor­ten Sie der Hand, der Kopf will’s nicht hören.

1. Tim Bendz­ko – Nur noch kurz die Welt ret­ten
Vor­der­grün­dig hat hier jemand die Selbst­wahr­neh­mung der deut­schen Bun­des­kanz­le­rin ver­tont, tat­säch­lich ist die Debüt­sin­gle von Tim Bendz­ko die Sum­me all des­sen, was bei Singer/​Songwritern schief gehen kann: Über­af­fek­tier­ter Gesang, pein­li­cher, selbst­ver­lieb­ter Text und maxi­ma­le Mat­thi­as-Schweig­hö­fer-Gedenk-Wasch­lap­pen­haf­tig­keit in Vide­os und Inter­views. Bendz­ko sorgt dafür, dass ich Ele­fan­ten eigen­hän­dig auf das Dach des Burj Kha­li­fa schlep­pen und ihn damit von oben abwer­fen möch­te. Zumin­dest aber möch­te ich ihm ins Gesicht schrei­en: „Geh doch end­lich die ver­kack­te Welt ret­ten und hör ver­dammt noch mal auf zu sin­gen!“

Hach, das tat gut!

Kategorien
Musik

Ihr wollt ein Liebeslied, ihr kriegt ein liebes Lied

Ver­gan­ge­nen Don­ners­tag stand ich kurz davor, mir meh­re­re Glied­ma­ßen abzu­na­gen: Ich saß in einer Köl­ner Mehr­zweck­hal­le und als wäre das nicht schon schlimm genug, fand in die­ser Hal­le zu die­sem Zeit­punkt auch noch der Bun­des­vi­si­on Song Con­test statt. Ste­fan Raabs inner­deut­scher Grand Prix, der sich nicht so recht zwi­schen staats­tra­gen­dem Ges­tus und iro­ni­scher Distanz ent­schei­den kann, konn­te es in Sachen Show und Unter­hal­tung nicht mit dem euro­päi­schen Vor­bild auf­neh­men. Das war zu erwar­ten gewe­sen. Womit eher nicht zu rech­nen war: Dass der ESC dem BuVi­So­Co auch musi­ka­lisch über­le­gen sein wür­de.

Seit eini­ger Zeit füh­le ich mich, als stün­de ich an irgend­ei­nem Bahn­hof am Gleis und der pop­mu­si­ka­li­sche Zug sei ein­fach ohne mich wei­ter­ge­fah­ren, immer wei­ter in die Pro­vinz hin­ein. BuVi­So­Co-Sie­ger Tim Bendz­ko, Phil­ipp Poi­sel, der Rap­per Cas­per, der Tom­te-lose Thees Uhl­mann – ihre Plat­ten wer­den von vie­len Kri­ti­kern gelobt und von irr­sin­nig vie­len Men­schen gut gefun­den, denen ich sonst durch­aus Musik­ge­schmack unter­stel­len wür­de. Und ich ste­he fas­sungs­los dane­ben und füh­le mich, als wären plötz­lich Alle Fans des VfL Wolfs­burg.

Deutsch­spra­chi­ge Musik, so scheint es, zer­fällt die­ser Tage in zwei Extre­me: Auf der einen Sei­te der Dis­kurs­pop von Toco­tro­nic, Jochen Dis­tel­mey­er oder Ja, Panik, der von Zeit­schrif­ten wie „Spex“ und „Intro“ abge­fei­ert, aber so rich­tig dann doch von nie­man­dem ver­stan­den wird, auf der ande­ren die gefüh­li­gen Singer/​Songwriter, deren Songs die Musik­re­dak­tio­nen deut­scher Radio­sen­der vor zehn Jah­ren noch den Kol­le­gen von WDR 4 rüber­ge­scho­ben hät­ten. Indie ist nicht nur Main­stream gewor­den, son­dern in Tei­len auch zum Schla­ger geron­nen.

Als vor sie­ben, acht Jah­ren die „neu­es­te deut­sche Wel­le“ aus­ge­ru­fen wur­de, weil Bands wie Wir Sind Hel­den, Juli oder Sil­ber­mond plötz­lich in Sachen Absatz­zah­len und Air­play erfolg­reich waren, war schon zu befürch­ten, als was für eine Far­ce sich die Geschich­te wie­der­ho­len wür­de. So wie Anfang der Acht­zi­ger auf Kraft­werk, Ide­al und die Fehl­far­ben irgend­wann Mar­kus, Hubert Kah und Fräu­lein Men­ke gefolgt waren, wür­de auch dies­mal das gan­ze Sys­tem in sich zusam­men­stür­zen, bis nur noch ein paar One Hit Won­der für den Nach­fol­ger der „ZDF-Hit­pa­ra­de“ übrig blie­ben und dann wür­de über Jah­re kein Label mehr deutsch­spra­chi­ge Musi­ker unter Ver­trag neh­men und kein Radio­sen­der sie spie­len.

Doch es kam schlim­mer als befürch­tet: Der Erfolg von Bands wie Sil­ber­mond, Revol­ver­held oder Cul­cha Can­de­la erwies sich als eini­ger­ma­ßen nach­hal­tig und die gan­zen ver­zwei­fel­ten Nach­züg­ler-Sig­nings, die den Plat­ten­fir­men in den Acht­zi­gern irgend­wann um die Ohren geflo­gen waren, erwie­sen sich jetzt, in den Zei­ten ihrer schlimms­ten Kri­se, zumeist als gül­de­ne Glücks­grif­fe. Die ver­damm­te Bla­se woll­te ein­fach nicht mehr plat­zen!

Als Andrea Berg bei der dies­jäh­ri­gen Echo-Ver­lei­hung ein wenig pat­zig mehr als nur eine Schla­ger-Kate­go­rie beim deut­schen Musik­preis ein­for­der­te, brach­te das die ohne­hin schlech­te Stim­mung in der Hal­le nicht gera­de nach vor­ne. Dabei waren unter der Über­schrift „Album des Jah­res (natio­nal oder inter­na­tio­nal)“ fol­gen­de Wer­ke nomi­niert gewe­sen: „Gro­ße Frei­heit“ von Unhei­lig, „Schwe­re­los“ von Andrea Berg, das „Best Of“ von Hele­ne Fischer, „My Cas­set­te Play­er“ von Lena und „A Curious Thing“ von Amy Mac­do­nald. Es muss schon ein erstaun­li­cher gesell­schaft­li­cher Wan­del statt­ge­fun­den haben, wenn die jun­ge, weib­li­che Ant­wort auf Chris de Burgh und das Album der deut­schen ESC-Teil­neh­me­rin („Schla­ger-Grand-Prix“, wie man­che Men­schen heu­te noch sagen) die unschla­ger­haf­tes­ten Ver­tre­ter bei den meist­ver­kauf­ten Alben des Jah­res dar­stel­len.

Mode­ra­to­rin Ina Mül­ler hat­te bei der Ver­lei­hung des Volks­mu­sik-Echos an die Ami­gos laut­stark dazu auf­ge­ru­fen, die Wän­de zwi­schen den Schub­la­den ein­zu­rei­ßen, dabei woll­ten die anwe­sen­den coo­len und klatsch­fau­len Rock­stars und Plat­ten­fir­men­men­schen sich nur nicht ein­ge­ste­hen, dass das längst gesche­hen war. Quer durch alle Kate­go­rien nomi­niert waren ein zot­te­li­ger Gei­ger, der sich kom­mer­zi­ell erfolg­reich an der Inter­pre­ta­ti­on von Rock­songs ver­sucht hat­te; ein altern­der Chan­son­nier; ein jugend­li­cher Chan­son­nier; eine Opern­sän­ger-Boy­group, die Pop­songs nach­schmet­tert; der Erfin­der des Gothic-Schla­gers und nicht zuletzt Ina Mül­ler selbst, deren Songs von Frank Ramond geschrie­ben wer­den, der seit Jah­ren mit sei­nen augen­zwin­kern­den Wort­spie­le­rei­en für Annett Loui­san, Bar­ba­ra Schö­ne­ber­ger und Roger Cice­ro den Mas­sen­ge­schmack trifft wie kaum ein Zwei­ter.

Was uns zu Cas­per bringt, jenem „Kon­sens-Rap­per“, des­sen Album „XOXO“ über­ra­schend, ange­sichts des media­len „Geheimtipp“-Overkills im Vor­feld aber durch­aus kon­se­quen­ter­wei­se auf Platz 1 der Charts ein­ge­stie­gen war. Dies ist die Stel­le, an der ich fai­rer­wei­se erklä­ren soll­te, dass ich bis auf weni­ge Aus­nah­men mit deutsch­spra­chi­gem Hip­hop so rein gar nichts anfan­gen kann. Das war in den 1990ern noch ganz lus­tig, als alle wie die ame­ri­ka­ni­schen Vor­bil­der auf dicke Hose mach­ten, miss­fällt mir jetzt aber zuneh­mend. Dabei will ich nicht mal aus­schlie­ßen, dass man auch auf Deutsch hin­ter­grün­di­ge, wit­zi­ge und gute Tex­te rap­pen kann – allein man­gelt es den meis­ten Ver­tre­tern die­ses Gen­res schon an den dafür not­wen­di­gen Fer­tig­kei­ten, sprich: Skills. Es reicht mir nicht, wenn sich einer holp­rig durch die Sät­ze quält. Womög­lich fehlt mir das not­wen­di­ge Enzym oder Gen, aber in mei­nen Ohren fällt „Das war’s. Auf das, was war /​ Zwi­schen all den Ficks auf dem Tisch aus dem Glas /​ Und hätt‘ ich dich nie gekannt /​ Wär‘ der Ben bloß der Cas­per der rappt /​ Aber du wärst nur die Frau von der Bar“ (Cas­per) sprach­lich und inhalt­lich sogar noch hin­ter „Ver­piss dich /​ Ich weiß genau, Du ver­misst mich“ (Tic Tac Toe) zurück.1 Wenn das „Stu­den­ten­rap“ sein soll (und Sie müs­sen sich das auch noch in Cas­pers Schiff­schau­kel­brem­ser­stim­me vor­stel­len), kann ich auf eine Begeg­nung mit „Son­der­schü­ler­rap“ bes­tens ver­zich­ten.

Doch die Ver­to­nung von Tage­buch­ein­trä­gen wird geschätzt. Es ist eine „neue“, womög­lich „scho­nungs­lo­se Offen­heit“. Klop­stock 2.0. Da ist es auch nicht ver­wun­der­lich, dass Tom­te-Sän­ger Thees Uhl­mann (der mit Cas­per bei gleich zwei Tracks koope­riert) auf sei­ner ers­ten Solo-Sin­gle tote Fische besingt.

Doch, tat­säch­lich: „Zum Lai­chen und Ster­ben zie­hen die Lach­se den Fluss hin­auf“ ver­kün­det er und preist auf sei­nem Album wie in zahl­rei­chen Inter­views das Dorf­le­ben. Bei Tom­te hat­te er noch davon gesun­gen, „sein Ver­sa­gen nicht län­ger Über­zeu­gung zu nen­nen“, auf sei­nem selbst­be­ti­tel­ten Solo­de­büt zele­briert er jetzt genau das. Von Jour­na­lis­ten lässt er sich dabei mit Bruce Springsteen ver­glei­chen – und wenn die es nicht tun, macht er es eben selbst. Zwar konn­te nicht ein­mal der Boss über eine Super­markt­kas­sie­re­rin sin­gen, ohne dass man vor Fremd­scham in einen Turm aus Kon­ser­ven­do­sen sprin­gen woll­te, aber das hält Uhl­mann nicht davon ab, die­ses Feld mit „Das Mäd­chen von Kas­se 2“ noch ein­mal zu beackern. Ich erken­ne den Ver­such an, den gesell­schaft­lich Über­se­he­nen ein Denk­mal bau­en zu wol­len, aber, Ent­schul­di­gung!, das konn­ten Pur bes­ser – und die muss­ten dafür zur Stra­fe im Stu­dio­ne­bel der „Hit­pa­ra­de“ ste­hen.

Über­haupt müs­sen wir Abbit­te leis­ten bei Pur, der Mün­che­ner Frei­heit, Rein­hard Mey, Wolf Maahn, Heinz-Rudolf Kun­ze, Klaus Lage, Bap, Pur­ple Schulz und vor allem bei Udo Jür­gens.2 Von mir aus soll Tim Bendz­ko nur noch kurz die Welt ret­ten wol­len und Andre­as Bou­ra­ni (des­sen „Nur in mei­nem Kopf“ ich für ein paar Wochen sogar ziem­lich toll fand) wie ein Eis­berg glän­zen und schei­nen wol­len, aber dann kön­nen wir nicht mehr mit dem Fin­ger auf die Leu­te zei­gen, die ein paar Jahr­zehn­te zuvor das Glei­che gemacht haben.

Die Uhlmann’schen Hei­mat­me­lo­dien und die gan­zen wasch­lap­pi­gen Lie­bes­be­teue­run­gen der jun­gen Lie­der­ma­cher sind die pop­kul­tu­rel­le Rück­kehr zum Bie­der­mei­er. Sie lie­fern das „klei­ne biss­chen Sicher­heit“ in „die­ser schwe­ren Zeit“, das Sil­ber­mond schon vor zwei­ein­halb Jah­ren ein­ge­for­dert hat­ten. Die­ser Eska­pis­mus ins Inners­te zeig­te sich dann auch am Tref­fends­ten im Namen jener Band, die sich beim Bun­des­vi­si­on Song Con­test einen Moment wünsch­te, der „echt“ und „per­fekt“ ist: Glas­per­len­spiel. Her­mann Hes­se ist ja tat­säch­lich das, was uns am volks­wirt­schaft­li­chen Abgrund noch gefehlt hat: Wan­de­run­gen durch Indi­en, ein biss­chen Meta­phy­sik und dann hin­ein in die Selbst­aus­lö­schung. Die Bücher von Mar­got Käß­mann ver­kau­fen sich schon ver­däch­tig gut.

Gewiss, das alles sind Geschmacks­fra­gen. Und die kann man sich ja oft genug selbst nicht beant­wor­ten. Ich ver­ste­he zum Bei­spiel nicht, war­um ich das Debüt­al­bum von Gre­gor Meyle (Zwei­ter bei Ste­fan Raabs vor­letz­ter Cas­ting-Show) immer noch ganz char­mant fin­de, beim ähn­lich roman­tisch gela­ger­ten Phil­ipp Poi­sel aber immer kurz vor der Selbst­ent­lei­bung ste­he.3

Viel­leicht hängt mei­ne Abnei­gung auch mit der Spra­che zusam­men, wobei Thees Uhl­mann gleich das bes­te Gegen­ar­gu­ment gegen die­se The­se ist, denn bei Tom­te waren sei­ne Tex­te ja über wei­te Tei­le noch unpein­lich bis groß­ar­tig. Ande­rer­seits: Eine Aus­sa­ge wie „Du hast die Art ver­än­dert, wie Du mich küsst“ wür­de man ohne zu Zögern dem Werk der Andrea Berg zuord­nen. Auf Eng­lisch taugt es beim Rap­per Exam­p­le zu einem der bes­ten Songs des Jah­res. Und irgend­wie war es gar nicht so schlimm, als Prin­ce oder Chris Mar­tin auf Eng­lisch san­gen, der Ver­flos­se­nen nie­mals Kum­mer berei­tet haben zu wol­len. Wenn jetzt einer singt, „Ich woll­te nie, dass Du weinst“, wünscht man sich doch drin­gend Ramm­stein her­bei, die bit­te das genaue Gegen­teil dekla­mie­ren sol­len, nur damit mal ein biss­chen Leben in der Bude ist.

„Kei­ner, wirk­lich kei­ner, braucht deut­sche Song­wri­ter“ singt Frie­de­mann Wei­se in sei­nem sehr unter­halt­sa­men Lied, das nur einen klei­nen Haken hat: Das ein­zi­ge, was noch schlim­mer ist als scho­nungs­lo­se Offen­heit in Lied­tex­ten, ist unge­hemm­te Iro­nie. Des­we­gen sind die Toten Hosen bei all ihrer Schlimm­heit immer noch den Ärz­ten vor­zu­zie­hen, die jed­we­den Hin­weis auf eine Hal­tung ver­mis­sen las­sen.

Die zen­tra­le Fra­ge jedoch bleibt: War­um sind heu­te Musi­ker mit Tex­ten erfolg­reich, die jun­ge Men­schen noch vor weni­gen Jah­ren rund­her­aus als kit­schig abge­lehnt hät­ten? Sind die Hörer sen­si­bler gewor­den oder nur tole­ran­ter? Und was hat das alles mit der WM 2006 zu tun?

Offen­le­gung: Ich habe an der dies­jäh­ri­gen Echo-Ver­lei­hung mit­ge­ar­bei­tet und bin mit eini­gen der hier gediss­ten Künst­ler per­sön­lich bekannt.

  1. „Aus“! „Dem“! „Glas“! Alter, was ist mit Dir nicht in Ord­nung?! []
  2. Nicht jedoch und unter kei­nen Umstän­den bei Mari­us Mül­ler-Wes­tern­ha­gen. []
  3. Poi­sel hat aller­dings auch eine Stim­me, auf die ich mir kör­per­li­cher Abnei­gung reagie­re – wobei mir der nasa­le Gesang eines Bil­ly Cor­gan oder das Röh­ren eines Kel­ly Jones immer gut gefal­len hat. []