Willkommen auf der Coffee-And-TV-Journalistenschule. Heute lernen wir, wie man eine Gerichtsreportage schreibt.
Wichtig für jede Reportage ist, dass man dem Leser ein genaues Bild von dem vermittelt, worüber man schreibt. Berichten Sie von Details und probieren Sie einfach mal aus, wie viele Adjektive man in einen Satz quetschen kann:
Der Mann, der da nervös zitternd auf dem hochmodernen, ergonomischen Anklagestuhl sitzt, war mal der bekannteste, erfolgreichste Plattenproduzent der Welt.
Bitte beachten Sie: eine Gerichtsreportage ist eigentlich schon Literatur. Bringen Sie ruhig auch mal Vergleiche, die auf den ersten Blick etwas abseitig wirken, und schrecken Sie auch vor eigenen Interpretationen nicht zurück.
Seine Haut ist so bleich wie Mozzarella-Käse, im selben Ton wie die schenkellange Frackjacke, die er ab und zu trägt.
oder
Seine Miene, in der sich Angst, Verachtung und Bedrohung spiegeln, gleicht der eines verlorenen Kindes.
sind tolle Beispiele dafür. Das letzte zeigt darüber hinaus, dass man ruhig auch mal drei gewichtige Worte hintereinander aufreihen kann.
Wenn Sie fremdsprachliche Begriffe verwenden, scheuen Sie sich nicht, diesen überraschende deutsche Artikel zu verpassen:
(wobei er sich mit Paul McCartney überwarf, der den “Wall of Sound” hasste)
Gerichtsprozesse sind in der Regel langweilig. Schreiben Sie ein paar Sätze ganz ohne Verben, das suggeriert Action und Spannung:
Das “Castle Pyrenées”, Spectors Burgverschnitt auf einer Hügelkuppe. Eine Tür. Das kitschige Foyer. Clarksons Leiche, in einen Stuhl gesackt.
Ziehen Sie Parallelismen über so viele Absätze, dass auch der geübte Leser den Zusammenhang verliert. Er wird Ihren Artikel mehrmals lesen müssen und ihn so besser in Erinnerung behalten. Niemand versteht einen einzeln stehenden Absatz wie
Oder selbst den Chef-Ermittler Lillienfeld, der die blutverschmierte Tatwaffe im Gerichtssaal vorzeigt und berichtet, im Stuhl neben der Toten habe eine Aktentasche mit den Initialen “PS” gelegen. Inhalt: diverse Tabletten, darunter “Hallo-Wach”-Pillen und ein Viagra.
auf Anhieb, aber das weckt die Neugier des Lesers.
Lassen Sie dem Leser bei aller Detailfreude auch Raum für eigene Interpretationen. Formulieren Sie Sätze, deren Inhalt verschiedenes bedeuten kann:
Weiter rechts sitzt AP-Gerichtsreporterin Linda Deutsch, die Spector jovial-schelmisch begrüßt: “Sie sehen heute so elegant aus.”
Bilden Sie darüberhinaus auch mal einen Satz, den man stundenlang drehen und wenden kann, ohne ihn zu verstehen. Der Neid der Kollegen ist Ihnen sicher:
Das Musikmagazin “Rolling Stone” zählte Spector noch 2004 zu den “100 großartigsten Künstlern aller Zeiten”.
Wenn Sie diese einfachen Regeln befolgen, werden Sie bald schon fantastische Gerichtsreportagen schreiben können, die dann auch bei Spiegel Online veröffentlicht werden.
Nachtrag 11. Juni, 17:34 Uhr: Was mir erst gerade aufgefallen ist: Mozzarella-Käse?