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Digital Musik

Einmal mit allem, bitte

Man sollte sich da nichts vormachen: In der Popmusik ist es immer auch darum gegangen, den Leuten etwas vorzumachen. Authentizität ist unwichtig, gute Absichten sind zweitrangig, fake ist real, irgendwie. Man kann viel Geld mit dieser Erkenntnis machen – oder das, was sich der 26-jährige Musiker Gregg Gillis aus Pittsburgh, Pennsylvania ausgedacht hat. Unter seinem Künstlernamen Girl Talk hat er vor einigen Tagen sein viertes Album “Feed The Animals” ins Internet gestellt und damit nicht weniger als eines der konsequentesten und aufschlussreichsten Pop-Denkmäler aller Zeiten geschaffen.

“Feed The Animals” ist eine Platte, die deshalb funktioniert, weil sie das eigentlich ausgelutschte Prinzip des Bastard-Pops mit derartiger Dreistigkeit auf die Spitze treibt, dass die Rechtsabteilungen der verbliebenen Major-Plattenfirmen um Verstärkung durch die amerikanische Nationalgarde bitten mussten. ((Das ist – natürlich – gelogen. In einem Interview mit Pitchforkmedia hat Gillis aber zumindest Erstaunen darüber ausgedrückt, dass die bisher einzige Rückmeldung von Business-Seite eine E-Mail des Managers von Sophie B. Hawkins war. Sie würde gerne mit ihm zusammenarbeiten.)) Gillis sampelt alles, was nicht bei drei auf den Bäumen ist ((Eine Methode, nach der auch Gillis’ erste drei Alben funktioniert haben. Keines davon hat das Konzept allerdings so ambitioniert und popfokussiert ausgereizt wie “Feed the Animals”.)) – gleichzeitig und ohne allzu wählerisch zu sein. Eine unvollständige Auflistung bei Wikipedia zählt mehr als 200 Pop-, Rock-, HipHop-, R’n’B- und Metal-Songs, die auf “Feed The Animals” übereinander gelegt, umeinander gewickelt und miteinander verzahnt werden.

Das Ergebnis davon ist die Geschichte der Popmusik in 54 Minuten und 14 Tracks mit fließenden Übergängen – ein Album, das wegen Gillis’ musikalischer Sozialisation vor allem mit den letzten beiden Jahrzehnten beschäftigt ist, aber auch die Beach Boys, David Bowie, Prince oder Genesis noch an irgendeiner Stelle verwurstet bekommt. Man kann dann feiern mit “Feed The Animals”, sehr gut sogar. Man kann sich fast noch besser davon entnerven lassen, mit ihm in Erinnerungen schwelgen, an der grandiosen Hohlheit des Ganzen verzweifeln und musikwissenschaftliche Ambitionen als Sample-Jäger mit Lupe und Textmarker ausleben. Am wichtigsten ist aber: “Feed The Animals” reißt einem die Genre-Grenzen des eigenen Musikverständnisses praktisch von selbst ein; man weiß am Ende: Pop ist alles. Und nichts. Immer gleichzeitig.

Mit anderen Worten: Alles was Popmusik jemals konnte und wollte, steckt in dieser Platte – und Gillis verschenkt sie derzeit über die Homepage seines Labels Illegal Art. Halbgute Menschen zahlen trotzdem fünf Dollar und erhalten die Platte in CD-Qualität und als praktischen Ein-Datei-Endlosstream. Richtig gute Menschen legen noch mal fünf Dollar drauf und bekommen das Album im September zusätzlich als CD zugeschickt.