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Musik

Ich sang die ganze Zeit von Dir

Im Frühjahr 2001 waren Ash groß. “Shining Light” lief auf Viva 2 rauf und runter und die Band spielte bei der guten alten Osterrocknacht in der Düsseldorfer Philipshalle. Alan Bangs fragte Sänger Tim Wheeler damals, ob er eigentlich noch mit der Frau zusammen sei, über die er das Lied geschrieben habe, und Wheeler antwortete: Ja, das sei ja auch sonst komisch, den Song jeden Abend spielen zu müssen. Inzwischen ist Tim Wheeler mit Emmy The Great zusammen, die beiden veröffentlichen in Kürze ein gemeinsames Weihnachtsalbum. “Shining Light” spielen Ash aber immer noch.

Man darf in der Musik wie in der Literatur das Lyrische Ich nie mit dem Verfasser verwechseln. Johnny Cash hat (nach allem, was wir wissen) nie einen Mann in Reno erschossen, nur um ihn sterben zu sehen. Und doch erwartet man besonders bei Liebesliedern oft einen Zusammenhang zwischen Werk und Realität — zumal, wenn der performende Künstler sie selbst geschrieben hat.

Andererseits wird es natürlich auch schnell uninteressant, für wen ein Liebeslied gedacht war, weil alle den Song auf ihren jeweils aktuellen Schwarm oder Partner projizieren. Und irgendwo in der Welt sitzt dann eine alleinerziehende Mutter, die damit leben muss, dass ihr früherer Lebensgefährte immer noch ein Heidengeld damit macht, sie zu besingen, obwohl er sie schon nach drei Monaten betrogen hat, und für hunderttausende Pärchen ist ihr Lied (also das der Frau) jetzt “ihr Lied” (also das der Pärchen).

In Nick Hornbys “High Fidelity” erklärt der Ich-Erzähler Rob Flemming:

All my life I have wanted to go to bed with — no, have a relationship with — a musician: I’d want her to write songs at home, and ask me what I thought of them, and maybe include one of our private jokes in the lyrics, and thank me in the sleeve notes, maybe even include a picture of me on the inside cover, in the background somewhere, and I could watch her play live from the back, in the wings (although I’d look a bit of a berk at the Lauder, where there are no wings: I’d be standing on my own, in full view of everybody).

Die Idee ist vermutlich nur so lange romantisch, wie die Beziehung noch intakt ist.

Auf seinem letzten Album erzählt Ben Folds in “Belinda” die Geschichte eines alternden Musikers, der jeden Abend seinen einzigen Hit spielen muss, den er vor Jahren für seine Ehefrau geschrieben hatte, bevor er sie für eine jüngere Frau (“big breasts / a nice smile / and no kids either”) verließ. Der Text zu “Belinda” stammt aus der Feder von Nick Hornby und lange dachte ich, dass er damit auf eine verquere Art Folds’ persönlichsten Text geschrieben hätte.

Denn auch Folds spielt bei Konzerten immer noch “The Luckiest”. Als dieses zauberhafte Liebeslied vor zehn Jahren auf “Rockin’ The Suburbs” erschien, musste man annehmen (“I don’t get many things right the first time”), dass er das Lied für seine dritte Frau und die Mutter seiner Zwillinge (“my collaborator, partner and wife”, wie er sie im Booklet bezeichnet) geschrieben hatte. Im Jahr 2006 ließen sich die beiden scheiden.

In den Liner Notes zu seinem Retrospektive-Album “The Best Imitation Of Myself” (auf dem auch drei neue Ben-Folds-Five-Songs sind, die ich hier sträflicherweise noch gar nicht gewürdigt habe) erklärt Folds nun, das Lied extra für einen Film geschrieben zu haben, in dem es dann doch keine Verwendung fand.

Folds schreibt:

Anyway, I didn’t understand completely what I was writing abaout until years later when I met my Fleur [seine vierte Ehefrau].

Es erscheint auf den ersten Blick recht unglaubwürdig, dass ausgerechnet so ein großartiger Lovesong “einfach so” entstanden sein sollte. Andererseits ist das ja genau die Magie von Pop und womöglich sind “I’ll Catch You” (The Get Up Kids), “The Book Of Love” (The Magnetic Fields) oder “Balu” (kettcar) in Wahrheit auch für niemand speziellen geschrieben. Dafür sind dann die Menschen echt, die sich in “Song For The Dumped” (Ben Folds Five) oder “Not Fair” (Lilly Allen) ihre menschlichen bzw. sexuellen Unzulänglichkeiten vorwerfen lassen müssen.

Jedenfalls hat Ben Folds die Geschichte mit dem Film auch den Leuten vom “A.V. Club” noch einmal erzählt, die ihn in seinem Studio in Nashville, TN besucht haben. Den Song gespielt hat er bei der Gelegenheit auch:

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Ben Folds discusses and performs “The Luckiest”

“The Luckiest” funktioniert übrigens auch sehr schön als Sample in Novels “I Am” und Ben Folds Five planen, gemeinsam ein neues Album aufzunehmen.