Kategorien
Kultur

Not looking for a new England

“Also, Shakespeare hatte auf alle Fälle ‘n paar krasse Probleme. Der war bestimmt schwul!”, diagnostizierte ein pickliger 16-Jähriger, der mit seiner ganzen Klasse zum Theaterbesuch genötigt worden war, beim Herausgehen. Was war geschehen?

Als Lehrer – gerade als einer, der sich für seine Schüler interessiert – ist es nicht die schlechteste Idee, mit ihnen eine Inszenierung von David Bösch zu besuchen. Der gerade 30-jährige Regisseur, dessen “Romeo und Julia” am Bochumer Schauspielhaus mir vor vier Jahren sehr gefallen hat, hat die Popkultur mit so großen Löffeln gefressen, dass auch die angestaubtesten Klassiker bei ihm zu einem bunten, lauten Reigen werden, der gerade die jüngeren Besucher anspricht.

Die allerdings werden bei seinem “Was Ihr wollt” auch nicht mehr so ganz mitgekommen sein, denn heutige Schüler erkennen weder ein Roy-Black-Medley noch die größten Hits des Jahres 1993, wenn sie ihnen vorgesungen werden. Für sie ist die Jugend ihrer älteren Geschwister (wenn überhaupt) ungefähr so weit weg wie Shakespeares Zeit selbst. Und somit stehen sie doch wieder weitgehend ungebrochen vor dem Werk des Schwans von Avon.

Und damit vor Viola und ihrem Zwillingsbruder Sebastian, die bei einem Schiffbruch getrennt werden. Viola wird in Illyrien angespült, wo der Herzog Orsino seit Jahren der Gräfin Olivia den Hof macht, die wiederum von ihrem Onkel Sir Toby mit dessen Saufkumpan Andrew verkuppelt werden soll und darüber hinaus von ihrem Haushofmeister Malvolio begehrt wird. Viola verkleidet sich mit Hilfe eines Narren als Mann und wird als Cesario Diener bei Orsino, woraufhin sich Olivia in Cesario (also Viola) verliebt.

Wenn man es so aufschreibt, klingt die Geschichte deutlich mehr nach einer Vorabendserie im deutschen Fernsehen als nach Shakespeare, und in der Tat wirkt es auf der Bühne des Essener Grillo-Theaters auch so. Es ist ein unübersichtliches Wirrwarr, bei dem die einzelnen Charaktere am allerwenigsten wissen, was um sie herum passiert. Ob sie deshalb gleich wie Sir Toby und Andrew, die direkt der White-Trash-Hölle eines Hooliganblocks zu entstammen scheinen, betrunken herumkaspern müssen, ist eine gute Frage. Aber Konflikte scheinen im modernen Theater eh daraus zu bestehen, dass Menschen auf einer riesigen Bühne aneinander vorbeirennen.

David Bösch hat viele Details in seine Inszenierung eingebaut. Manche wirken durchdacht, andere nur aufgepfropft. Warum zum Beispiel singt das Dienstmädchen Maria an einer zentralen Stelle ausgerechnet “New England” (in dem es ja eben nicht um eine gesellschaftliche Utopie wie Illyrien, sondern “just” um das Finden einer neuen Liebe geht)? Wirklich nur, weil Karsten Riedel, seit längerem Böschs treuer Musikant am Bühnenrand, so ein großer Billy-Bragg-Fan ist? Auch der Umstand, dass Nicola Mastroberardino als Sir Andrew eins zu eins aussieht wie Matt Dillon in Cameron Crowes Kultkomödie “Singles”, kann eine Bedeutung haben. Aber welche?

“Was Ihr wollt” wirkt wie eine lose Ansammlung von Zitaten, bei der sich der Regisseur nicht so recht entscheiden konnte, was er damit eigentlich bezwecken wollte. Malvolio (Roland Riebeling) ist die groteske Karikatur einer tragischen Figur, die irgendwann nur noch nervt. Inmitten dieser ganzen Überzeichnungen sticht ausgerechnet die Hauptfigur Viola mit einer Unauffälligkeit hervor, die man Sarah Viktoria Frick angesichts der Über-Performance ihrer Kollegen hoch anrechnen muss.

Und so schlingert die Inszenierung an der Zielgruppe vorbei. Dass die Schüler den Kuss zweier Männer mit lautem Ekel kommentieren, während kurz zuvor der Kuss zweier Frauen geräuschlos über die Bühne ging, sagt vielleicht etwas über die jugendlichen Zuschauer aus, aber nichts über das Stück. Aus dem Kreise der Schüler kam dann auch das Todesurteil, dem man sich freilich nicht vollumfänglich anschließen muss: “Ich find das nicht komisch, da guck ich mir lieber Mario Barth an!”

“Was Ihr wollt” im Schauspiel Essen
Nächste Termine: 13. Februar, 21. März, 4. April