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Und wer bei Zehn noch steht, hat Recht

Wir müssen doch noch mal über den Grimme Online Award reden. Mein Video ist natürlich ziemlich auf Pointe gebürstet – anders als zum Beispiel die Moderationen von Katrin Bauerfeind. Wir hatten es uns am Bloggertisch mit Twitter, Kölsch und Zynismus bequem gemacht, aber wir hatten unseren Spaß.

Es war meine erste Preisverleihung, von daher weiß ich nicht, ob es immer so ist: da waren also ein paar Blogger und sonstige Onliner, Leute wie die Macher von kids-hotline, zeitzeugengeschichte.de und Literaturport, die eine ganz andere Seite des Internets darstellen, dazu jede Menge Repräsentanten aus Politik und Gremien. Angenehm auffallend war, dass die Veranstaltung nicht mit völlig abseitigen Promis aufgeblasen wurde, was aber auch zu absurden Szenen führte, wenn die halbwegs prominenten Gäste (ARD-Vorabendseriendarstellerinnen oder MTV-Videoansager) von den Fotografen belagert wurden wie sonst nur Weltstars in Cannes.

Die Grimme-Leute, das muss man auch einmal betonen, nahmen es alle sportlich: niemand machte uns Vorwürfe, weil wir als zweites Blog und viertes Medium die Gewinner verbreitet hatten, und alle noch so doofen Sprüche wurden entweder gepflegt ignoriert oder gar pariert. Vermutlich sorgt der Arbeitsalltag in Marl für ein dickes Fell und viel Galgenhumor.

Dass der frühere Staatssekretär für Medien Andreas Krautscheid auch nach mehrfacher Erwähnung nicht mitbekommen hatte, dass die Gewinner auch in diesem Jahr sehr wohl schon bekannt waren, ist bitter, aber wirklich nicht dem Grimme-Institut anzulasten. Dann schon eher die mit unglücklichen Metaphern und allzu philosophischen Zitaten durchsetzte Rede des Institut-Direktors Uwe Kammann. Aber auch das ist wohl wieder den völlig unterschiedlichen Welten geschuldet, die da aufeinandertrafen: ich nehme den Honoratioren völlig ab, dass sie vom Internet fasziniert sind wie die Menschen im Mittelalter von der Erfindung des Buchdrucks – und dann sitzen da am vorletzten Tisch Blogger, die die ganze Zeit über mit Rotationspressen Twitter rumspielen.

Wie weit diese beiden Welten noch voneinander entfernt sind, hatte sich am Nachmittag schon auf dem medienforum.nrw abgezeichnet: nachdem ein Vertreter von T-Online ein “Media Center” vorgestellt hatte, das schon bald all das können soll, was Google und GMX seit einigen Jahren anbieten, entspann sich eine Diskussion, die mich schwer nachdenklich zurückließ. Für die Moderation hatte man Robert Basic gewinnen können, der die Veranstaltung in eine völlig andere Richtung drängte als alle vorherigen Panels. Leider war das Ganze weniger Punk und viel mehr Predigt, denn Basic zog mit einem Mikrofon durchs übersichtliche Publikum, befragte wie ein amerikanischer TV-Pfarrer die Leute und wollte, einmal beim Thema Twitter angekommen, gar nicht mehr aufhören zu reden.

Es war die erste Veranstaltung beim Medienforum, die ich vorzeitig verlassen habe. Zu groß war meine Angst, am Ende noch eine Heizdecke oder wenigstens einen aufblasbaren Twitter-Account kaufen zu müssen. Als dem Internet durchaus zugetaner Mensch war mir das, was ich sah, körperlich unangenehm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine so lautstarke Euphorie die Skeptiker fürs Web 2.0 begeistern kann. Andererseits war ich auch schon wieder auf 180, als eine mittelalte Frau – wir nannten sie fortan “die Printjournalistin” – bemängelte, “so Tippen” habe doch nichts mit “echtem Austausch” zu tun.

Ich habe das alles schon mal aufgeschrieben: die Grenze verläuft nicht zwischen Generationen, sondern zwischen On- und Offlinern. Und wir, die wir Twitter, RSS-Feeds und Blogs nutzen wie früher Coladosen zum Fußballspielen, sind ein verdammt kleiner Kreis. Und dann gibt es auch noch genug Leute, die uns hassen, weil wir für BILDblog.de schreiben oder gleichzeitig Blogger und Journalisten sein wollen. Es ist ein heterogener Haufen, der auch niemals homogen werden wird und darf – denn genau dieses unsortierte und unregulierte macht für mich den Reiz des Internets aus. (“Lieber Professor Schneider”, wie ich fast hinzufügen möchte.)

Natürlich wäre es – und Sie hatten schon gedacht, ich krieg den Bogen nicht mehr – wünschenswert, einen Online-Preis zu verleihen, bei dem wir unter uns sind. Bei dem kein Westdeutscher Rundfunk und kein Volkshochschulverband im Hintergrund steht, und mit dem wir uns genauso selbst feiern können wie jede andere Branche auch. Aber erstens wäre der (s.o) wieder nur für einen Teil der deutschsprachigen Online-Welt repräsentativ und zweitens wäre Köcheln im eigenen Saft auch kontraproduktiv. Bei Events wie dem Grimme Online Award besteht wenigstens noch die theoretische Chance zum Austausch zwischen alter und neuer Welt.

Sie entnehmen meinem klar strukturierten Eintrag: Internet ist gelebte Uneindeutigkeit. Quälende Preisverleihungen und der lustigste Abend des Jahres in einem. O Captain! My Captain!

Nach Hause gefahren wurden Katti, Frau Schnutinger und ich übrigens von Hennes Bender. Er hat einen hervorragenden Musikgeschmack, ist ein sehr sicherer Autofahrer und ist privat viel lustiger als im Fernsehen.