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Literatur

Ausgerechnet Alaska

Es gibt Bücher, die las­sen einen etwas rat­los zurück. Zwi­schen ihren zwei Buch­de­ckeln pas­siert so viel, geht es in so unter­schied­li­che Rich­tun­gen, dass man hin­ter­her nicht mehr weiß, was man eigent­lich gera­de gele­sen hat. Diet­mar Daths „Waf­fen­wet­ter“ ist so ein Buch.

Die 19jährige Clau­dia Sta­rik macht gera­de ihr Abitur, hat einen heim­li­chen Gelieb­ten und schlägt sich mit ihren Eltern und ihrer bes­ten Freun­din Ste­fa­nie her­um. Einen Ver­bün­de­ten hat sie in ihrem Groß­va­ter Kon­stan­tin, einem über­zeug­tem Kom­mu­nis­ten, der es zu viel Geld gebracht hat. Clau­di­as All­tag nimmt fast die gesam­te ers­te Hälf­te des Romans ein und auch wenn Diet­mar Dath Wert dar­auf legt, dass nicht nach­ge­ahmt wer­den soll, wie Clau­dia denkt, redet oder schreibt, son­dern wie sie ist, hat man das Gefühl, das pri­va­te Blog einer Abitu­ri­en­tin zu lesen, inklu­si­ve her­ein­ko­pier­ter Frag­men­te und plötz­lich begin­nen­der oder abbre­chen­der Sät­ze.

Das ist durch­aus als Kom­pli­ment gemeint, als gro­ßes, denn die­se ers­te Hälf­te ist ehr­lich, auf­rich­tig, wirk­lich­keits­nah. Es erscheint fast unvor­stell­bar, dass die­se All­tags­schil­de­run­gen über Mit­schü­ler und Muse­ums­be­su­che mit der Mut­ter (bei denen der heim­li­che Gelieb­te mit sei­ner Frau auf­taucht), die­se unwie­der­bring­li­che Atmo­sphä­re der Abi-Zeit, die gan­zen Sät­ze und Gedan­ken­gän­ge nicht dem Gehirn einer Neun­zehn­jäh­ri­gen ent­sprun­gen sein sol­len, son­dern dem eines dop­pelt so alten Man­nes. Und das alles, ohne auf ihre Feucht­ge­bie­te ein­zu­ge­hen.

Dann ereig­nen sich ver­schie­de­ne Unglü­cke und Clau­dia und ihr Groß­va­ter bre­chen etwas über­has­tet zu einer lan­ge geplan­ten Rei­se auf. Es ist eine Mis­si­on, bei der es gilt, die elek­tro­ma­gnet­si­che For­schungs­an­la­ge HAARP in Alas­ka aus­fin­dig zu machen, um die sich zahl­rei­che Ver­schwö­rungs­ge­rüch­te von der Wet­ter- bis zur Gedan­ken­ma­ni­pu­la­ti­on ran­ken. Hier bricht das Buch bru­tal um: Clau­dia ist zwar immer noch die Sel­be, aber die Geschich­te um sie her­um ist eine ganz ande­re. In immer schnel­le­rem Tem­po wech­seln sich Spio­na­ge­thril­ler, Sci­ence-Fic­tion-Roman und scho­ckie­ren­de Ent­hül­lun­gen über Clau­di­as eige­ne Geschich­te und ihre Psy­che ab. Und dann taucht auch noch Gott auf – oder viel­leicht auch nicht.

„Waf­fen­wet­ter“ wird zur Ach­ter­bahn­fahrt, bei der es mit­un­ter scheint, als sei der Autor der Ein­zi­ge, der noch den Über­blick behal­ten hat. Man wird wütend auf Dath, weil er Clau­dia, die man so lieb gewon­nen hat, die­ser Geschich­te aus­setzt, die für sei ein paar Num­mern zu groß ist, aber man muss ihn auch bewun­dern, wie er es trotz völ­lig sub­jek­ti­ver Erzähl­wei­se schafft, Bil­der und Atmo­sphä­ren zu erschaf­fen, für die ande­re Schrift­stel­ler sei­ten­lan­ge Beschrei­bun­gen bräuch­ten. Er ist ein Anti-Tol­ki­en, auch wenn ihm die Geschich­te mehr­fach ins Reich des Phan­tas­ti­schen rutscht.

Mit­ten in einer span­nen­den Sze­ne ist dann Schluss, das letz­te Kapi­tel ist bizar­rer­wei­se das ein­zi­ge, das nicht mit­ten im Satz abreißt. Rat­los schaut man auf den Punkt und fragt sich, was man da gera­de eigent­lich gele­sen hat. „Waf­fen­wet­ter“ ist zugleich Bil­dungs- und Gen­re­ro­man, und doch nichts von bei­dem. Die Mon­ta­ge­tech­nik ist dabei eben­so wenig Selbst­zweck wie die kon­se­quen­te Klein­schrei­bung. Bei­des trägt dazu bei, dass Daths Ver­such glückt: man liest Clau­dia Sta­rik nicht, man hört ihr nicht zu – man hat das Gefühl, sie ken­nen­ge­lernt zu haben.

Diet­mar Dath – Waf­fen­wet­ter
Suhr­kamp
17,80 Euro

www.claudiastarik.de