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Rundfunk Sport

Swimming Pool und Peitsche

Heu­te begann die Tour de France offi­zi­ell (wen inter­es­siert die­ser Pro­log?) und obwohl diver­se Doping­ge­ständ­nis­se der letz­ten Mona­ten und das Kar­rie­re­en­de von Her­bert Watt­erott eigent­lich Grün­de wären, den Rad­sport­klas­si­ker die­ses Jahr zu igno­rie­ren, kom­me ich doch nicht von der eigen­tüm­li­chen Fas­zi­na­ti­on die­ses Ereig­nis­ses los: Da fah­ren Män­ner im Schwei­ße ihres Ange­sichts stun­den­lang durch schö­ne Land­schaf­ten und weil das zwar beacht­lich, aber eben auf Dau­er auch nicht soooo span­nend ist, reden die Kom­men­ta­to­ren über Schlös­ser, Kir­chen, Brü­cken und kuli­na­ri­sche Spe­zia­li­tä­ten, ehe sie sich in der letz­ten hal­ben Minu­te förm­lich beim Spre­chen über­schla­gen.

Bevor das ZDF am spä­ten Nach­mit­tag in die ers­te Etap­pe von Lon­don nach Can­ter­bu­ry (ja, das ist Eng­land, nicht Frank­reich) ein­stieg, lie­fen schon meh­re­re Stun­den bei Euro­s­port. Lei­der war es mir auf­grund der völ­lig zer­schos­se­nen Euro­s­port-Web­site nicht sofort mög­lich, die Namen der zwei, manch­mal drei Kom­men­ta­to­ren her­aus­zu­fin­den, aber die­sen Quel­len zufol­ge will ich sie Kars­ten Migels, Ulli Jansch und Andre­as Schulz nen­nen. Wich­ti­ger ist aber eh, was sie zu sagen hat­ten:

Migels: So, Ulli, unse­re Stamm­zu­schau­er wis­sen, Du bist Russ­land­ex­per­te: Minsk …
Jansch: Aber ich bin nicht Weiß­russ­land­ex­per­te …
Migels: Ach so (lacht). Aber da warst Du doch bestimmt auch schon mal, oder?
Jansch: (lacht) Der Zufall will es so, dass ich schon mal dort war …
Migels: (lacht) Das hab ich mir doch gedacht, komm …
Jansch: Viel­leicht nicht die hüb­sches­te Stadt, die ich in Russ­land oder Weiss­russ­land schon gese­hen hab oder in der Ukrai­ne – Kiew, zum Bei­spiel, ist ja eine sehr schö­ne Stadt – aber eine sehr sport­in­ter­es­sier­te Stadt: Den Biath­lon-Fans wird – aus der Ver­gan­gen­heit zumin­dest noch – Rau­bi­chi vor den Toren von Minsk im Gespräch sein und vor allem die Schwim­mer und Was­ser­sprin­ger aus Weiß­russ­land waren sei­ner­zeit in den Mann­schaf­ten der UdSSR sehr, sehr stark – ich kann mich an Ale­nik erin­nern, Euro­pa­meis­ter und Medail­len­ge­win­ner bei Welt­meis­ter­schaf­ten, und ich hat­te ’n schö­nes Erleb­nis: Die hat­ten dort unter­ir­disch Höh­len aus­ge­baut zu einem Zen­trum, was man heu­te – das ist schon zwan­zig Jah­re her – als ein Well­ness-Zen­trum bezeich­nen wür­de. Ganz toll gemacht und … äh … war ’n sehr, sehr ange­neh­mer und inter­es­san­ter Besuch und gut getan hat’s auch.
(Pau­se)
Migels: Dort hast Du dich damals schon gepflegt …
Jansch: Mmmmh!
(Pau­se)
Migels: Daher die­ses jugend­li­che Aus­se­hen.
Jansch: „Aus dem Osten kommt das Licht“ – viel­leicht auch die Well­ness.
Migels: Bist zwar schon 49, siehst aber aus wie … 43.
(Pau­se)
Jansch: Du bist aber gei­zig!
Migels: (lacht) Extra ’n biss­chen hoch­ge­sta­pelt …

Mehr davon? Aber gewiss:

Jansch: Ich hab heut irgend­wo gele­sen, es gab schon mal ’ne Frank… äh: ’ne Eng­land­rund­fahrt – was hab ich heut nur mit Frank­reich … äh … auf der Zun­ge? – die …
Migels: Ist doch die Tour de France …
Jansch: … die in Can­ter­bu­ry ende­te, und zwar wur­de das Feld da am Ende fehl­ge­lei­tet und man fand sich plötz­lich in einer Sack­gas­se auf dem Hof eines Auto­händ­lers wie­der und 200 Renn­fah­rer, so heißt es, schüt­tel­ten den Kopf und die­ser Mark Caven­dish war dabei und er wird seit­dem immer gefrot­zelt: „Hast Du denn eine Kun­den­kar­te bei die­sem Auto­händ­ler wenigs­tens bekom­men?“ Er sagt: „Nein, nein, wir waren damals alle ziem­lich ange­säu­ert.“

Wer fast fünf Stun­den am Stück quas­seln soll, darf auch vor Kli­schees nicht Halt machen:

Migels: Da haben wir grad einen Swim­ming Pool gese­hen unten rechts neben dem Haus. Braucht man sowas über­haupt hier in Groß­bri­tan­ni­en? Gibt’s so schö­nes Wet­ter, gibt’s so hohe Tem­pe­ra­tu­ren?
Jansch: Du, die Eng­län­der sind hart …(lacht)
Migels: (lacht) Ach so.
Jansch: Kennst Du nicht deren Rough­ness-Wett­be­wer­be, wo sie durch Röh­ren krie­chen und im Schlamm kämp­fen, also … die kann doch nichts schre­cken.

Um Zeit zu schin­den, haben die Kom­men­ta­to­ren gan­ze Hand­bü­cher mit Fak­ten und Sta­tis­ti­ken, von denen sie aus­gie­big Gebrauch machen:

Migels: So, Jan­sche, Du hast gera­de nach­ge­blät­tert, nee? Was den jüngs­ten Etap­pen­sie­ger betrifft. (Pau­se) Na komm, schieß los!
Jansch: Ist so undeut­lich geschrie­ben, kann ich nicht …
Migels: Das hab ich nicht geschrie­ben, (lacht) das war der Com­pu­ter!
Jansch: Du hast doch die jüngs­ten Etap­pen­ge­win­ner! ich hab ja die jüngs­ten Etap­pen­ge­win­ner als Tour­neu­lin­ge!
Migels: (lacht) Ach so, jetzt wird’s aber …
Jansch: Ja!
Schulz: Ja, dann darf ich die­sen Dis­put viel­leicht mal schlich­ten: Also Filip­po Poz­za­to ist inso­fern rich­tig, als dass er in den letz­ten zehn Jah­ren der jüngs­te Etap­pen­sie­ger war, damals in Saint-Brieuc, aber der jüngs­te Etap­pen­sie­ger über­haupt, da hätt er ’n biss­chen frü­her anfan­gen müs­sen, das war 1931 Fabio Bat­te­si­ni, der Ita­lie­ner, der in Brest gewann.
Migels: Da hat doch Poz­za­to noch gar nicht gelebt, 1931 …
Schulz: Aller­dings nicht!

Und nun mei­ne Lieb­lings­ka­te­go­rie: die Sehens­wür­dig­kei­ten.

Jansch: Wir sind bei vier­und­sieb­zi­ge­in­halb Kilo­me­tern vor dem Ziel, in Sis­sing­hurst, und das ist das gleich­na­mi­ge Schloss, das Sis­sing­hurst Cast­le. Ist im Jah­re 1930 gekauft wor­den, von einer gewis­sen Vita Sack­ville-West – (ver­schwö­re­ri­scher Ton­fall) und das war wohl eine sehr inti­me Freun­din von Vir­gi­nia Woolf.

Und noch ehe wir uns fra­gen kön­nen, ob man wohl von den Kli­schee-Zuschau­ern eines Sport­sen­ders erwar­ten kann, dass sie Vir­gi­nia Woolf ken­nen, sind die Her­ren schon wie­der ganz woan­ders:

Migels: Ja, dass man sich viel­leicht zuhau­se – gera­de das betrifft ja auch die Etap­pen in Frank­reich – mal hin­set­zen kann – wir wis­sen: vie­le Zuschau­er sit­zen vor dem Fern­seh­ge­rät, haben eine Lei… Land­kar­te auf dem Tisch oder auf dem Boden lie­gen und wol­len das gan­ze Ren­nen so ’n biss­chen nach­ver­fol­gen – und die­se gra­fi­sche Ein­blen­dung, die­ses GPS-Sys­tem soll Ihnen dann ’n bissl dazu die­nen, den Weg die­ser Tour de France, den Ver­lauf der jewei­li­gen Etap­pen ’n bissl ein­fa­cher, bes­ser und schnel­ler nach­voll­zie­hen zu kön­nen.
Jansch: Zum schon erwähn­ten Orts­na­men Ten­ter­den steht im Rei­se­füh­rer, es sei das „Juwel der Regi­on Weald“ und die­se Regi­on Weald zeich­net sich eben durch das aus, was wir die gan­ze Zeit schon bewun­dern und genie­ßen: die­se satt­grü­nen Wäl­der und die­ses leicht hüg­li­ge Gelän­de mit ganz bezau­bern­den Tälern – jetzt auch Pre­dic­tor-Lot­to mit vorn – aber in der Stre­cken­skiz­ze hat Ten­ter­den eine ganz beson­de­re Bewandt­nis, das ist näm­lich der nächs­te Sprint­punkt.

Und bevor ich aufs ZDF umstieg, wur­de ich noch über die Unter­schie­de und Gemein­sam­kei­ten von Rad- und Pfer­de­sport auf­ge­klärt:

Migels: Aber ich fin­de das ganz wit­zig, Ulli: Wenn man hier aus dem Fens­ter schaut, dann sieht man eini­ge Ehren­gäs­te, eini­ge Zuschau­er, und das gan­ze erin­nert so ’n biss­chen – naja, ich kenn’s lei­der nur aus dem Fern­se­hen, ich war noch nie dort – an irgend­wel­che Cri­cket-Spie­le oder Polo, wasauch­im­mer, was man eben so vom Foto her kennt oder aus den Fern­seh­be­rich­ten in eng­li­schen Graf­schaf­ten.
Jansch: Ich würd sagen, das ist die Minia­tur­aus­ga­be der Roy­al Box, uns gegen­über. Oder die Regio­nal­aus­füh­rung der Roy­al Box. (Pau­se) So, was pas­siert jetzt?
Migels: Aller­dings ver­miss ich noch die gro­ßen Hüte …
Jansch: Ja, die sind heu­te beim Ren­nen. (Pau­se) Ges­tern hat der gro­ße Favo­rit ver­lo­ren: Aut­ho­ri­zed, der Der­by­sie­ger, obwohl Det­to­ri ihn rei­ten durf­te. Der war ja gesperrt wegen „Miss­brauchs der Peit­sche“ – ist auch so ’n Ding: Über Doping zer­rei­ßen sich alle das Maul und … äh … da prü­geln die Jockeys ihre Pfer­de und trotz­dem gehen die Leu­te hin und man macht nur Tu-Tu mit dem Fin­ger­chen und kei­ner zer­reißt sich dar­über den Mund …

Ich glau­be, das wer­den noch drei ganz tol­le Wochen …