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Hauptsache wir sind

Es gibt vie­le Grün­de, der Bild-„Zeitung“ gegen­über kri­tisch ein­ge­stellt zu sein, und jeden Tag lie­fert das Bild­Blog ein paar wei­te­re dazu. Fern­ab aller mora­li­scher und ideo­lo­gi­scher Grenz­gän­ge hat sich „Bild“ in den letz­ten Jah­ren aber vor allem mit einer Sache her­vor­ge­tan; mit einer Schlag­zei­le, die gram­ma­tisch grenz­wer­tig und inhalt­lich schlicht­weg Blöd­sinn ist, und die sich des­halb in den all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch ein­bren­nen muss­te: „Wir sind Papst!“

Es spricht sicher nicht für die Redak­teu­re diver­ser öffent­lich-recht­li­cher Sen­der in Deutsch­land, dass mir ges­tern gleich an meh­re­ren Stel­len flap­si­ge Mode­ra­tio­nen unter­ka­men, die nahe­zu völ­lig iden­tisch waren: „Jetzt sind wir nicht nur Papst, Fuß­ball-Welt­meis­ter der Her­zen und Hand­ball­welt­meis­ter, jetzt sind wir auch noch Oscar …“

Uff! So viel Dumm­heit muss man erst mal in so einen ver­gleichs­wei­se kur­zen Satz gewürgt krie­gen. Mal ganz davon ab, dass die­ses „wir“ ja immer noch eine höchst dif­fu­se Anga­be ist (die bei­spiels­wei­se genau dann über­haupt nicht mehr zutrifft, wenn Dani­el Gold­ha­gen ein Buch ver­öf­fent­licht), und „wir“ mit­nich­ten Oscar sind, son­dern ihn höchs­tens haben (aber dar­an soll sich Bas­ti­an Sick noch abar­bei­ten, das geschieht ihm recht): das plötz­li­che Bohei um den Oscar für „Das Leben der Ande­ren“ erscheint auch noch reich­lich will­kür­lich. Als „Nir­gend­wo in Afri­ka“ von Caro­li­ne Link 2003 als ers­ter deutsch­spra­chi­ger Film seit 1980 den Oscar erhielt, schlug die Mel­dung längst nicht so ein – dabei sind Fil­me, bei denen eine Frau Regie führ­te, bei den Oscars eine ech­te Beson­der­heit. Immer noch.

Aber „Nir­gend­wo in Afri­ka“ war vor Papst­wahl und Fuß­ball-WM. Deut­sche Fil­me teil­ten sich in puber­tä­re Komö­di­en mit Til Schwei­ger, Kat­ja Rie­mann oder Tom Ger­hardt (also natio­nal erfolg­reich) und „gut, aber zu ernst“ (also inter­na­tio­nal erfolg­reich). Dass „Das Leben der Ande­ren“ trotz sei­ner völ­lig un-ost­al­gi­schen Geschich­te (und damit als Gegen­ent­wurf zu „Good Bye, Lenin“) ein Publi­kums­er­folg wur­de, darf da schon als Sen­sa­ti­on gel­ten. Und natür­lich ist auch der drit­te Oscar für einen deut­schen Film (und der zwei­te inner­halb von fünf Jah­ren) immer noch weit vom Regel­fall ent­fernt und ver­dient Respekt. Aber mit welch irrer Reflex­haf­tig­keit die Medi­en sofort wie­der die Fra­ge stell­ten, ob „der deut­sche Film jetzt wie­der da“ sei, das war schon irri­tie­rend. Wo soll er sein? Und war er da schon mal und war dann plötz­lich weg und ist jetzt wie­der da? Oder ging es nur dar­um, die Wor­te „deutsch“ und „wie­der da“ in einem Satz unter­zu­brin­gen, weil das so schön klingt?

Sicher­lich: es ist ein Ver­dienst der deut­schen und bay­ri­schen Film­för­de­rung, dass so ein Film mög­lich war. Das hat der Regis­seur Flo­ri­an Hen­ckel von Don­ners­marck in sei­ner Dan­kes­re­de auch deut­lich klar gemacht (der glei­chen Dan­kes­re­de übri­gens, in der er sei­ne Haupt­dar­stel­le­rin Mar­ti­na Gedeck ver­gaß, nach­dem die­se zuvor schon nicht zur Oscar-Ver­lei­hung mit­kom­men konn­te, weil der Regis­seur lie­ber sei­ne Gat­tin mit­ge­nom­men hat). Ansons­ten han­delt es sich bei „Das Leben der Ande­ren“ (anders als z.B. bei einer Sport­ver­an­stal­tung, bei der Tau­sen­de Fans ihr Team anfeu­ern) um das Werk einer nicht gera­de klei­nen, aber doch über­schau­ba­ren Grup­pe. Und wenn man der Pres­se Glau­ben schen­ken darf, vor allem um das Ver­dienst der über acht­zig­jäh­ri­gen Schau­spiel­agen­tin Erna Baum­bau­er, die das Star­ensem­ble für ’nen Appel und ’n Ei zusam­men­trom­mel­te. Aber statt die­se Ein­zel­leis­tun­gen zu wür­di­gen (der Vor­schlag, sei­ne Macher als Hel­den der Arbeit aus­zu­zeich­nen, dürf­te ange­sichts der The­ma­tik des Films als „unpas­send“ bis „zynisch“ ange­se­hen wer­den), statt Hen­ckel von Don­ners­marck trotz sei­nes etwas irri­tie­rend gro­ßen Selbst­be­wusst­seins und sei­ner nur bedingt sym­pa­thi­schen Aus­strah­lung als Bei­spiel für einen, der nach oben woll­te und es geschafft hat, dar­zu­stel­len, statt wenigs­tens die in wei­ten Tei­len vor­bild­li­che deut­sche Film­för­de­rung zu wür­di­gen, ist wie­der ganz platt und pla­ka­tiv vom „Oscar für Deutsch­land“ die Rede.

Forest Whita­ker, der als bes­ter Haupt­dar­stel­ler aus­ge­zeich­net wur­de, sag­te in sei­ner Dan­kes­re­de, wie unwahr­schein­lich es für einen schwar­zen Jun­gen aus Texas gewe­sen sei, Schau­spie­ler zu wer­den und den Oscar zu gewin­nen. Er beschrieb, ohne es expli­zit zu erwäh­nen, den klas­si­schen Ame­ri­can Dream, wonach es jeder nach oben schaf­fen kön­ne, der sich genug Mühe gebe und gut genug sei. Nach Sid­ney Poi­tier 1963, Den­zel Washing­ton 2002 und Jamie Foxx 2004 gilt es nicht ein­mal mehr eine grö­ße­re Sen­sa­ti­on, dass ein Schwar­zer als bes­ter Haupt­dar­stel­ler aus­ge­zeich­net wird. Aber wenn ein Deut­scher einen Oscar gewinnt, sol­len natür­lich gleich wie­der 82 Mil­lio­nen eine 30 Cen­ti­me­ter gro­ße ver­gol­de­te Sta­tue sein. Wir sind selt­sam!