Kategorien

Stay Positive

Früher sahen Konzertbesuche so aus: Monate vorher habe ich mein mühsam Erspartes zum Tickethändler getragen, die Wochen vor dem Konzert dann kaum etwas anderes gehört als die entsprechende Band, zu deren Musik ich dann am Vorabend der Show eingeschlafen bin. Am Tag selbst war ich schon morgens in der Schule aufgeregt und saß dann spätnachmittags ganz hibbelig in irgendeinem Regionalzug oder im Auto meiner Eltern und habe alle drei Minuten nachgeguckt, ob die Eintrittskarte noch da war, wo ich sie drei Minuten zuvor gesehen hatte.

Es ist gut zu wissen, dass man so was auch mit 26 Jahren noch empfinden kann. Dienstagmorgen erwachte ich tatsächlich mit dem Gedanken “Heute! The Hold Steady!” und verspürte tatsächlich den ganzen Tag über eine freudige Unruhe in mir. Wenn nicht gerade Fußball war, liefen bei mir die Alben der Band noch mal rauf und runter. Bereits am Montag hatten The Hold Steady nach dreieinhalb Jahren Travis in meinen last.fm-Statistiken als meistgehörte Band abgelöst.

Meine Begleitung hatte noch nie von der Band gehört, was schon insofern erstaunlich war, als wir uns eigentlich ganz gut kennen und ich The Hold Steady seit etwa einem Jahr nahezu kultisch verehre. Aber auch sonst schien sich das Gastspiel des Quartetts aus Brooklyn, das als Sextett angereist war, nicht so sehr herumgesprochen zu haben: Etwa 180 Leute (ich bin der weltschlechteste Menschenmengenschätzer) sind ins Gebäude 9 gekommen, was aber ausreicht, um den Laden okay gefüllt aussehen zu lassen. Verwirrenderweise zählen wir noch zu den jüngeren Zuschauern, zahlreiche Besucher sind bestimmt schon Mitte Vierzig — und damit auch nicht viel älter als die Bandmitglieder.

Los geht’s mit “Constructive Summer”, dieser Larger-Than-Life-Hymne über Sommer, Jugend und Alkohol. Als bei der Zeile “Raise a toast to saint Joe Strummer” zahlreiche Bierflaschen in die Höhe gehalten werden, weiß ich, dass ich hier richtig bin. Craig Finn strahlt sowieso die ganze Zeit und freut sich wie ein Honigkuchenpferd auf Ecstasy, das gleichzeitig Weihnachten und Ostern feiern darf. Die gute Laune des Sängers, der wirkt wie eine Mischung aus Randy Newman und Stefan Niggemeier, ist ansteckend und überhaupt kann man das, was er da vorne abzieht, nur als “knuffig” bezeichnen.

Die Band spielt Songs aus allen Schaffensphasen, 20 Songs umfasst allein das reguläre Set. Alles, was man jeder anderen Band übel nehmen würde, hat bei The Hold Steady erstaunlicherweise eine ganz charmante Leichtigkeit: Ausuferndes Gitarrengegniedel und ein Sänger, der zum rhythmischen Mitklatschen animiert — alles top. Zum Mitsingen muss das Publikum gar nicht erst animiert werden, das geht von ganz alleine. Die Refrains von “Magazines”, “Chips Ahoy!” und “Our Whole Lives” werden rausgebrüllt, die Trinkerfreundlichen Mitgröhlpassagen aus “Stay Positive”, “Hurricane J” und “Massive Nights” bleiben für den Rest der Nacht im Ohr wie norwegische Grand-Prix-Beiträge.

In der Dokumentation, die dem letztjährigen Livealbum “A Positive Rage” beiliegt, erzählt Craig Finn, dass es ihn immer verwirrt habe, wenn Musiker auf einer Bühne stehen und nicht lächeln. Er lächelt die ganze Zeit und zappelt herum, als sei er der uneheliche Sohn von Joe Cocker und Michael Stipe. Wer der Freude dieses Mannes widersteht, hat ganz offensichtlich kein Herz. Ich selbst merke irgendwann, dass meine Mundwinkel an meinen Ohren angekommen sind, und versuche, das Problem zu lösen, indem ich mich an eine Bierflasche festsauge. Es nützt alles nichts: Das macht großen, großen Spaß.

Bei “Stay Positive”, dem ersten Song im Zugabenblock, hüpfe ich tatsächlich so ausgelassen wie ungefähr das letzte mal bei Travis 2001, als sie “Happy” spielten. Nach gut zwei Stunden ist dann Schluss und endlich setzt bei mir wieder das Gemeckere ein: “Na ja, das ein oder andere Lied hätten sie ja auch noch spielen können”, denke ich, aber dann ist es irgendwie auch wieder egal. Das war ein einfaches Rockkonzert ohne Videoleinwände und Konfettikanonen, aber es hat Spaß gemacht wie ein großer Kindergeburtstag.

Jetzt fehlen mir von der Liste meiner Lieblingsbands nur noch Jack’s Mannequin, Something Corporate, Manic Street Preachers, Foo Fighters und R.E.M., die ich dringend mal live sehen muss. Und The Hold Steady, wenn sie wieder in der Gegend sind.