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Film

Cinema And Beer: “Mission: Impossible — Rogue Nation”

Sie sind wieder da: Tom Cruise und seine Kollegen retten in “Mission: Impossible — Rogue Nation” mal wieder die Welt.

Und auch sie sind wieder da: Tom Thelen und Lukas Heinser waren endlich mal wieder im Kino und danach ein Bier trinken.

Mission: Impossible — Rogue Nation (Offizielles Filmplakat)

Beides zusammen klingt so:

Cinema And Beer: “Mission: Impossible — Rogue Nation”
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Digital

Harald

Es gibt Bevölkerungsgruppen, über die (fast) jeder eine Meinung hat, mit denen aber (fast) niemand spricht. Obdachlose, zum Beispiel.

Harald ist obdachlos. Er ist (seit letzter Woche) 55 Jahre alt und lebt seit 18 Jahren auf der Straße — auf eine gewisse Art freiwillig, denn er ist stolz darauf, keine staatliche Unterstützung in Anspruch zu nehmen.

Meine Kollegen Anja Booth und Nino Lex haben Harald über die Kölner Diakonie aufgetan und für eine sehr beeindruckende Serie interviewt, die seit zwei Wochen im probono-YouTube-Kanal läuft. “Interviewt” in dem Sinne: Sie haben Harald einen Themenaspekt vorgegeben und er hat dann minutenlang erzählt, es gibt fast keine Schnitte.

Vier Folgen sind bisher erschienen, wobei ich zum Einstieg Episode 3 empfehle, in der Harald erzählt, wie er auf der Straße gelandet ist. Es ist eine traurige Geschichte, die bei ihm aber irgendwie gar nicht so dramatisch klingt und die vermutlich nicht mal sonderlich selten ist:

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Die Geschichte von Harald wird noch einige Wochen weiter erzählt, eine neue Staffel mit anderen Protagonisten ist bereits in Planung.

“Mahlzeit gegen Geschichte” bei probono TV.

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Musik

Rivalen der Rennbahn

Einen Tag, nachdem ich meine letzte Kilians-Show besucht hatte, war ich auf einem anderen Konzert. Vor deutlich weniger Zuschauern spielte die Dortmunder Indieband The Rival Bid — und ich war schwer begeistert.

Auf meiner imaginären “Klingt wie …”-Namedropping-Vorlage-Liste notierte ich mir Interpol, The Editors, Elefant und Bloc Party, kaufte die bis dahin schon erschienenen zwei Alben der Band und wartete seitdem auf neue Veröffentlichungen, denn was die Musiker da an neuen Songs spielten, klang noch vielversprechender als die ohnehin schon guten anderen Songs.

Jetzt gibt es endlich was neues: “Michael”, die erste Single aus dem Album “Night Remains”, das am 13. März erscheinen soll. Der Song braucht ein bisschen, bis er aus dem Quark kommt (und ist mit fünf Minuten natürlich völlig unbrauchbar fürs Formatradio), belohnt einen dafür aber mit einem ziemlich beeindruckenden Spannungsbogen.

Meine Damen und Herren — The Rival Bid:

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Film

Kulturpessimismus strikes again

“Birdman” wird dafür gefeiert, dass er scheinbar ohne Schnitte auskommt. Weniger Erwähnung findet, dass Alejandro González Iñárritu den gesamten Film geschrieben und inszeniert hat, ohne die rechte Hand aus der Hose zu nehmen.

Aber von vorne: Riggan Thomson ist ein abgehalfterter Schauspieler, der mal einen Superhelden namens Birdman gespielt hat und danach keinen großen Erfolg mehr feiern konnte. Falls Sie es nicht mitbekommen haben sollten: Das ist wahnsinnig lustig, weil Michael Keaton mal Batman gespielt hat und danach keine großen Erfolge mehr feiern konnte. Damit kennen Sie jetzt eigentlich den gesamten Witz. Viel mehr fällt dem Film dazu jedenfalls nicht ein, etwas wirklich erinnernswertes sagt er dazu nicht. Das erinnert an die fürchterlichen Filmparodien von Jason Friedberg und Aaron Seltzer. Die glauben ebenso, dass die reine Erwähnung eines Themas bereits ein Witz sei. Aber ich schweife schon wieder ab: Riggan Thomson, der von Erscheinungen seines Alter Egos Birdman geplagt wird, versucht, etwas künstlerisch Bedeutsames zu schaffen, in dem er sein erstes Theaterstück inszeniert. Das funktioniert allerdings nur so mittelmäßig. Der Vorverkauf läuft schleppend. Die doofen Journalisten und Kritiker wollen lieber über seine Vergangenheit als Birdman reden. Seine frisch aus dem Drogenentzug entlassene Tochter Sam versagt in ihrer Rolle als Assistentin. Sam wird übrigens von Emma Stone gespielt. Falls Sie es nicht mitbekommen haben sollten: Das ist wahnsinnig lustig, weil Emma Stone kürzlich in den Superheldenverfilmungen “The Amazing Spider-Man” 1 und 2 mitgespielt hat.

Weil der wichtigste Nebendarsteller während der Proben verletzt wird, muss ein Ersatz her. Um den schleppenden Vorverkauf anzukurbeln wird der Broadwaystar Mike Shiner herangeholt. Der gilt als Publikumsmagnet, ist aber gleichzeitig aufgrund seiner Künstlerallüren eine unkalkulierbare Gefahr für das Stück. Shiner wird von Edward Norton gespielt … und falls Sie es nicht mitbekommen haben: Das ist wahnsinnig lustig, weil Edward Norton in Hollywood-Kreisen als schwieriger Schauspieler gilt und mal die Hauptrolle in der Superheldenverfilmung “The Incredible Hulk” hatte.

Unverständlicherweise wird “Birdman” allgemein als Komödie gehandelt. Das Problem dabei ist, dass Iñárritu im Alter von 7 Jahren nach einem schrecklichen Unfall der Sinn für Humor chirurgisch entfernt werden musste, um ihm das Leben zu retten. Zumindest erkläre ich mir so seine bisherigen Filme wie “Babel” oder “21 Gramm”. Die waren im wesentlichen quälend lange Elendspornos, die alle unter der Prämisse stehen, dass das ausführliche Zeigen von menschlichem Leid automatisch Tiefgang und Kunst bedeutet.

Insgesamt haben vier Autoren am “Birdman”-Drehbuch geschrieben. Den Schreibprozess stelle ich mir dabei so vor: Die vier haben sich zusammengesetzt und haben eine Liste verfasst, was sie alles doof finden. Auf dieser Liste befinden sich unter anderem: Schauspieler, die in Comic-Verfilmungen auftreten, Filmjournalisten, Theaterkritiker, Theaterschauspieler, Theaterbesucher, Leute, die Superhelden-Filme gucken, Facebook, Twitter, YouTube. Anhand dieser Liste wurden lange Rant-Monologe verfasst und gleichmäßig auf die Charaktere verteilt. Die meisten dieser Monologe fallen dabei in die Kategorie “Erster naheliegender Einfall”, werden aber im Gestus größtmöglicher Tiefsinnigkeit vorgetragen. Das führt dann zu wahnsinnig originellen Monologthemen wie “Theaterkritiker sind ja nur frustriert, dass sie selbst keine Kunst schaffen” und “Jugendliche hängen auf Facebook und Twitter rum”. Das am stärksten behandelte Thema der künstlerischen Bedeutsamkeit wird immerhin zu einem konsistenten Ende gebracht. Wäre da nicht das hintendran gekleisterte Zusatz-Ende. In dem verheddert sich der Film hoffnungslos in seiner Metaphorik und entscheidet sich für den Abgang mit Holzhammer-Ambivalenz.

Der Film greift reihenweise Themen auf, kratzt kurz an der Oberfläche und widmet sich dann einem neuen Ziel. Es ist, als würde man Facebook-Kommentare lesen: Kein Punkt und Komma, ständige wirre Themenwechsel, alles unter dem Generalbass “Alle doof außer ich”.

Die Entscheidung, den Film als scheinbaren One-Take zu gestalten, wirkt dabei ähnlich wirr. Natürlich ist das technisch schon faszinierend und sicher waren einige lange Szenen auch große organisatorische Herausforderungen. Letztlich lautet die Begründung für diesen Aufwand unterm Strich aber wohl doch “weil wir es können”. Ein erkennbares Konzept, das die Endlos-Plansequenz rechtfertigt, gibt es nicht. Sie dient weder dazu, uns an einem konstanten Fluss von Riggans Wahrnehmung teilhaben zu lassen (denn oft genug schwenkt die Kamera zu Episoden anderer Charaktere), noch erzählt sie einen unterbrechungslosen Zeitraum. Und da sich ein Großteil des Films in der Enge des Theaters abspielt, nutzt sich auch der optische Reiz bald ab. Interview-Aussagen, dass das One-Take-Konzept noch vor der Story oder dem Hauptcharakter feststanden, bestätigen diesen Eindruck.

In seiner Haltung gegenüber dem Publikum erinnert “Birdman” an Michael Haneke. Der hat in “Funny Games” eine Gewaltorgie inszeniert, um sich hinterher bigott über das Publikum zu stellen und den Zuschauern vorzuwerfen, wie doof sie doch sind, sich sowas anzugucken. Iñárritu versucht sich an einem ganz ähnlichen Manöver. Damit es auch der letzte mitbekommt, gibt es nämlich im letzten Drittel des Films noch einen Monolog, in dem Birdman persönlich dem Publikum unmissverständlich die Meinung sagt. Kurz zusammengefasst: “Ihr seid doch doof, dass ihr euch Superheldenfilme anguckt, anstatt echter Kunst. Kunst, wie, sagen wir mal … Alejandro González Iñárritu sie macht. Und ihr wartet doch nur auf Explosionen, hier habt ihr Explosionen, das wollt ihr doch.” Die Ironie, dass der Film sich mit seinem effekthascherischen One-Take und Stuntcasting exakt der Mechanismen bedient, die er Comic-Verfilmungen vorwirft, ist dabei wohl keinem der vier Autoren aufgefallen.

Sollten Sie also am Montagmorgen gegen 4:30 lautes, wütendes Gezeter hören: Das bin ich, sollte “Birdman” statt “Boyhood” den Oscar als bester Film gewinnen.

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 9

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Am Anschlag auf Charlie Hebdo und die Pressefreiheit führt auch bei uns kein Weg dran vorbei: Wir diskutieren, was Satire darf, und fragen uns, wie man Salafist wird, während Lucky überraschend sein Mitgefühl für Karnevalisten entdeckt.
Über einen Umweg nach Wien gelangen wir nach Griechenland und zur Geldmaschine Olympische Spiele.
Fred hält einen Nachruf auf Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und Lucky freut sich auf die Oberbürgermeisterwahl in Bochum.

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Rundfunk Gesellschaft

Chips essen mit Heidi

Nun startete also letzte Woche wieder “Germany’s Next Topmodel” (GNTM), und ich habe mich drauf gefreut. Mir gefällt diese bunte Glitzerwelt, die Ausflüge nach Amerika und in die ganze Welt, schöne Kleider, hübsche Frauen, tolles Make Up, das Umstyling, und selbst Heidi Klum in ihrer Professionalität und ihrer Arbeitsethik finde ich nicht so unsympathisch wie viele andere. Das schlechte Gewissen aber nagt an mir, denn ich frage mich, ob ich mich als Feministin bezeichnen kann und trotzdem Spaß an dieser Sendung haben darf, der ja von vielen unterstellt wird, die absolute Anti-Feminismus-Bewegung zu verkörpern?

Frauen werden zu Objekten, heißt es, und das sei nicht gut, denn sie würden reduziert auf ihre Körper, die sie den herrschenden, von Männerblicken geformten, Normen unterwerfen. Das kann man eigentlich als jemand, der selber eine Frau ist, nicht gut finden, und als sensibler Mann ebenfalls nicht.

Wenn ich nun sage: Aber ich FREUE mich doch für diese Frauen, die so wunderschön sind und sich geschmeidig bewegen und schöne Kleider tragen und von denen tolle Fotos gemacht werden, ich applaudiere ihnen — dann ist das aber immer noch Objektifizierung, und als solche abzulehnen.

Man könnte aber auch sagen: Ich freue mich für andere Frauen, wenn sie toll aussehen, aber dabei bleibe ich nicht stehen. Ich liebe es, wenn meine Freundinnen so viel Zeit für sich haben, dass sie sich die Fingernägel lackieren können oder einen neuen Lippenstift haben, wenn sie toll aussehen, aber dabei bleibt es dann ja nicht stehen. Ich sage ihnen, dass sie toll aussehen, neige aber immer dazu, das als Ausdruck einer inneren Verfassung zu sehen, nämlich, dass es ihnen gut geht. Und ich würde nicht auf die Idee kommen, es bei dieser Objektifizierung zu belassen, denn immer steht ein Mensch dahinter, dem es zu begegnen gilt. Und deswegen glaube ich, dass meine Begeisterung für GNTM nicht einer feministischen Haltung widerspricht.

Aber es gibt ein Problem bei GNTM, das mich wirklich ärgert und mich umtreibt, je älter ich werde und das sich, seit ich das Studium beendet habe und im Beruf stehe, zunehmend verschärft.

Ich arbeite als Lehrerin an einem Gymnasium und habe viele schlaue Schülerinnen und Schüler. Wenn ich sie zu GNTM befrage, geben sie an, die Sendung “schon lange” nicht mehr zu schauen oder höchsten mal ab und zu, keine von meinen Schülerinnen im Leistungskurs zeigt eine Begeisterung für die Sendung, obwohl viele von ihnen daran teilnehmen könnten. Sie wollen aber keine Models werden, sondern Medizin studieren, Mathe und Jura, sie wollen Lehrer werden und Polizistinnen. Na bitte. Das ist natürlich nur ein winziger Mini-Ausschnitt der Gesamt-Realität, aber ich würde wetten, an vielen anderen Gymnasien im Land sieht es genau so aus. Model ist kein Traumberuf, die Sendung ist eine bunte Kulisse, ein Traumland, das wissen die Schülerinnen von heute. Es gilt, weiterhin darüber aufzuklären, aber es ist nicht das pädagogische Hauptproblem der Sendung.

Klassenfahrten sind immer eine gute Gelegenheit, die Schülerinnen und Schüler, die man vormittags unterrichtet, auch mal in anderen Situationen zu erleben, und so saß ich neulich zwischen zweien meiner schönsten und schlauesten 17jährigen Schülerinnen, die sich beim warmen Abendbrot jeweils nur die Gemüse-Beilagen hatten geben lassen. Auf Nachfrage sagte die eine sehr überzeugend: “Ich habe nicht so viel Hunger!” und die andere, im Plauderton: “Wegen low carb — es ist doch besser, abends keine Kohlehydrate zu essen.” Ich bin auf diesem Gebiet nicht besonders bewandert (aber das Konzept ist umstritten), aß schweigend meine Pommes weiter, während die beiden schon wieder über etwas ganz anderes redeten. Die Beiläufigkeit der Low-Carb-Bemerkung zeigte, dass das Thema unter den Schülern ganz normal und altbekannt ist, und die andere Schülerin entwickelte während der ganzen Fahrt keinen großen Hunger und blieb diszipliniert bei ihren Beilagen. Sogar abendliche Chips und Gummibärchen wurden nicht nur von den beiden Mädchen verschmäht, während sie mir Geschichten über eine andere, abwesende Lehrerin erzählten, die „auch“ auf Klassenfahrten immer ganz viele Chips äße (so wie ich).

Es sind sehr kluge junge Frauen, die im Sommer ihr Abitur machen, und sie sind mit einer Sendung wie GNTM groß geworden. 2006, als die erste Staffel lief, waren sie noch Kinder, für sie ist es Normalität, dass es eine Sendung gibt, in der explizit Schönheit, Erfolg und Schlanksein gleichgesetzt werden. Aber das gilt ja nicht nur für GNTM. Auch wenn die Schülerinnen überhaupt nicht Model werden wollen, wissen sie, dass es für eine erfolgreiche Karriere wichtig sein kann, auch optisch zu entsprechen. Dass man in die Standard-Konfektionsgrößen bei h&m passen muss, um eine echte Protagonistin zu sein, um eine Rolle im Leben zu spielen. Dickere Menschen kommen ja nicht nur bei GNTM nicht vor, sondern sind in den Medien generell unterrepräsentiert, und wenn, dann in den Rollen der lustigen Dicken, die man nicht ernst nehmen muss, und deren Gewicht auch meist als problematisch thematisiert wird. Und dann gibt es ja die sogenannten “Plus-Size-Models” (zur Problematik des Begriffs siehe hier), die es dann sogar auf das Cover der “Sports Illustrated” schaffen, was von der Zeitschrift selbst als großer Schritt verkauft, aber dann vom Model selbst als “lächerlich” bezeichnet wird, weil sie nämlich nicht übergewichtig ist (welche Skala man dafür auch immer nehmen will).

Jetzt beginnt also wieder GNTM, es ist 20.39 Uhr und Heidi isst das erste Mal Döner im Bus. Man sieht sie zwei Mal abbeißen, das reicht schon, um subtil zu zeigen, dass sie ganz normal isst. Sieht man Heidi eigentlich auch mal beim Sport?
Eben lief Anabell, 16, durch ein Einkaufscenter, sie ist 1.83 Meter groß und hat ein unglaubliches Gesicht, sie ist gertenschlank, wie schön für sie, und sie trug eine tolle Kette, und ich fand sie SO. SCHÖN.

Heidi Klum fand sie auch schön. Das ist ihr Job.
Sie hat keinen explizit pädagogischen Auftrag, sie befragt nicht die Verhältnisse, auf die sie die Mädchen (scheinbar) vorbereiten will. Ja, die (privaten) Medien erziehen unsere Kinder mit, aber niemand hat sie damit beauftragt, eine Gesellschaft muss es aushalten, dass es eine Wertevielfalt gibt. Das bedeutet auch, dass es Werte gibt, die z.B. ich als Pädagogin nicht vertreten würde. Was Heidi Klum vermittelt, ist Anpassung an alle Anforderungen, und mögen sie noch so absurd sein.
Das ist nichts neues, aber meine Unzufriedenheit damit wächst. Meinetwegen spielt doch allen vor, dass das Modelbusiness aus spannenden Fotoshootings besteht, aus hübschen Klamotten, albernen Werbespots, Reisen um die Welt. Das kann alles Theater sein, das finde ich nicht schlimm (im Gegenteil), da muss Aufklärung geleistet werden, und die Schülerinnen, die ich kenne, sind darüber auch gut informiert.

Aber warum steht diese Welt nur den schlanken Größe 32 Frauen zur Verfügung? Unser Begriff von Schönheit steht in enger Beziehung zu dem, was uns immer und immer wieder als “schön” verkauft wird. Heidi Klum steht jetzt da, wo sie niemand mehr stürzen kann, sie kann machen, was sie will.
Warum unter all den schönen Mädchen nicht mal eine mit Kleidergröße 38, Kleidergröße 40, für den Anfang, und dann darüber hinaus? Einfach mehrere nicht schlanke Mädchen in die Sendung einbauen und das vielleicht nicht mal thematisieren? Und dann essen alle zusammen Döner, Chips, Gummibärchen und Pommes und lachen über den ganzen Quatsch mit dem low carb, weil das Leben kurz ist und es wichtig ist, zu genießen. Zeigen, dass Körper nicht ständig gebändigt werden müssen und im Zaum gehalten durch das Essen von Beilagen, und dass satte und zufriedene Menschen sehr glücklich und damit auch sehr schön und damit auch erfolgreich sein können? (Ich hatte, was das angeht, große Hoffnungen in Guido Maria Kretschmars Sendung “Deutschlands schönste Frau” gesetzt, die aber leider enttäuscht wurden, treffend dargestellt auf sueddeutsche.de.)

Eine Freundin von mir sagte, das würde niemand mehr sehen wollen, wenn auf einmal die Frauen im Fernsehen “echt” wären. Zumindest für mich gilt das nicht. Ich will viele schöne Frauen im Fernsehen sehen, die nicht alle superschlank sind. Ich will nicht, dass mir und meinen Freundinnen und meinen Schülerinnen stets ein Schönheitsideal vorgesetzt wird, dem überhaupt nur 2% aller Menschen entsprechen können.
Ich will nicht, dass meine Schülerinnen sich über Konzepte wie “low carb” unterhalten, denn das nimmt ihnen Zeit und gedankliche Kapazität, sich über anderes, wichtigeres Gedanken zu machen. Ich will nicht, dass sich völlig normale Schülerinnen als “zu fett” bezeichnen, ich will auch nicht, dass ein übergewichtiges Mädchen sich aufgrund seiner Körperlichkeit als Mensch wertlos fühlt.

Aber dazu trägt Heidi Klums Sendung definitiv bei, aber ALLE ANDEREN SENDUNGEN AUCH. Ich möchte mehr Vielfalt der Körper in den Medien. Denn unsere Kinder werden auch durch die Medien erzogen, und es ist wichtig, ihnen auch hier zu zeigen, dass man auch ohne Größe 32 schöne Kleider tragen kann, glücklich sein kann, Karriere machen kann, lieben und geliebt werden kann, dass man die Protagonistin des eigenen Lebens sein kann.

Die Organisation “pink stinks” (mit blödem Namen, aber den richtigen Zielen) hat sich genau das zur Aufgabe gemacht und tourt als erste Organisation ihrer Art durch die Schulen, um auf dieses Problem aufmerksam zu machen.

Sie werfen unter anderem folgende Fragen auf: “Warum zeigt die Werbung nur extrem schlanke Models? Warum protestieren wir nicht dagegen? Wer verdient an diesem unerreichbaren Ideal?”
und schreiben weiter: “Es ist verrückt, dass wir aufarbeiten müssen, was ProSieben verursacht.” Aber es ist nicht nur Pro Sieben, es sind doch alle Sender, es sind die Frauenzeitschriften, die ihre Leserinnen heimlich hassen, es ist die Werbung, es sind wir selber.

Ich gucke weiter GNTM, ich liebe die Illusion, das Wunderland, das in der Sendung vorgegaukelt wird. Dafür darf man mich gerne blöd finden, ist mir egal.
Ich nehme mir nächsten Donnerstag eine Tüte Chips zur Hand und lackiere mir die Fingernägel und gehe freitags wieder in die Schule, wo ich den Schülerinnen nur vorleben kann, gegen Heidi Klum und die Gesellschaft, für die sie symbolisch steht, dass ich auch mit nicht-Größe-32 liebenswert und wertvoll und schlau bin.

Wäre ich optimistisch, könnte ich den Artikel damit beenden, dass ich sage, ich glaube, dass sich die Gesellschaft langsam zum besseren wandelt und dass wir auf halbem Weg seien. Immerhin ist die Debatte über dieses Thema ja angestoßen und wird geführt.
Wäre ich pessimistisch, würde ich sagen, dass sich zumindest bei GNTM nichts in dieser Hinsicht geändert hat und das auch nie passieren wird.

Aber ich möchte gerne optimistisch bleiben, und deswegen bleiben die Kommentare unter diesem Artikel auch geschlossen.

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Familie Leben

Nachtgeschichte

Heute Nacht ist er das erste mal plötzlich wach. Er hat nicht geweint.
Ich schlage die Augen auf und er liegt neben mir. Zieht mir, wenig zärtlich, an den Haaren und lacht, als gehe die Sonne auf.
Es ist allerdings erst zwei Uhr. Nachts. Die Sonne hat noch nicht einmal daran gedacht, wieder aufzugehen.
“Dada bababa da”, höre ich.
“Genau”, denke ich benebelt.
Zunächst versuche ich, mich schlafend zu stellen. Vielleicht schläft er ja dann auch wieder ein. Er brabbelt und lacht aber einfach fröhlich weiter und will mir offensichtlich mitteilen, wie schön er es findet, gerade so wach neben mir rumzustrampeln. Das ist ja auch ne ganz neue Erfahrung. Alles so dunkel und ruhig.
Schlafend stellen funktioniert also nicht. “Ich kann aber nicht schlafen wenn er nicht schläft”, denke ich und döse weg. 10 Minuten später mache ich die Augen wieder auf. Naja eher das eine Auge, das andere will nicht, das schläft einfach weiter.
Ich stehe auf, nehme ihn auf den Arm und laufe wippend durchs Zimmer.
Wipp Wipp Wipp, Schuckel Schuckel Schuckel.
Und laufe voll vor die Wäschetonne. Verdammt.
Wir zucken beide erschrocken zusammen und sind aus der Entspannung gerissen. Naja, müder ist er offensichtlich eh nicht geworden. Er strahlt mich von meinem Arm aus an und betrachtet aufmerksam die dunkle Umgebung. Zwischendurch versucht er im Vorbeigehen, Dinge von der Kommode zu schnappen.
Wir legen uns wieder ins Bett. Mittlerweile ist es 3 Uhr. Ich sehe neben mich. Er liegt auf dem Bauch und trommelt mit beiden Händen begeistert auf meinem nackten Unterarm. Mein persönlicher Applaus.
3 Uhr 15. Er liegt auf dem Rücken neben mir und ist mittlerweile dazu übergegangen, seine Hände im Dunkeln zu betrachten. Ich muss unwillkürlich lächeln. Das ist so ein friedliches, vollkommenes Bild. Er betrachtet die Hände konzentriert und dreht sie hin und wieder her, hin und her, hin und her, hin und her und gähnt.
Er gähnt.
Ha!
Ich schnappe ihn mir erneut und laufe wippend und Kind-schuckelnd durch den Raum. Er sieht mich an und lächelt breit. Kein Anzeichen von Müdigkeit mehr vorhanden. Vielleicht hatte ich mir das Gähnen auch nur erträumt.
Ich lege ihn wieder neben mich ins Bett. Es ist halb 4. Langsam werden seine Augen dann doch müde und er reibt sie mit seinen kleinen Händchen.
Ich nehme ihn in den Arm und wiege ihn leicht.
Die Augen schließen sich.
Sein Atem wird gleichmäßiger, meiner auch.
Ich schließe die Augen.
Stille.
Etwas zieht mich an den Haaren.
Ein “Bababa” kämpft sich in mein müdes Bewusstsein.
Meine Augen kämpfen erneut, um sich zu öffnen.
Er lacht mich an.
Ich schaue auf die Uhr.
Es ist zwanzig vor 4.
Nachts.
Gut angetäuscht.
Ich stehe auf, um wach zu werden, und spiele kurz mit dem Gedanken, den Tag einfach zu beginnen und Kaffee zu kochen, entscheide mich aber aus zwanzig vor vier Gründen dagegen.
Ich setze mich zu ihm ins Bett, setze ihn in meinen Schneidesitz und wiege mich mit ihm hin und her. Ich versuche zu singen, aber sogar meine Stimme und mein Mund sind zu müde, es ist eher ein Krächzen. Ihm und mir zuliebe lasse ich das lieber.
Es ist 4 Uhr.
Er wiegt sich neben mir im Dunkeln hin und her, strampelt, lacht, kaut auf seinem Nilpferd rum.
Ich mache die Affenspieluhr an.
La Le Lu erfüllt den Raum.
Bei mir funktioniert das super, ich werde direkt noch müder.
Er lacht mich an und freut sich über die Musik. So liegen wir da.
Abwartend.
Es ist 4 Uhr 15, als er endlich beginnt, alleine die Augen zu schließen. Ich sehe ihm beim Einschlafen zu. Ich betrachte das kleine, völlig friedliche, wunderschöne Gesicht.
Es ist 4Uhr 30. Er schläft und ich bin müde, müde, müde und voll mit Liebe für dieses kleine Wesen.
Morgen ist Kaffee mein bester Freund.

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Leben

Schwarz-Weiß-Bäckerei

Das hätte so eine schöne Geschichte werden können. Über Nostalgie und Political Correctness, über kulturelle Identitäten und Gebäck. Vielleicht hätte Harald Martenstein die Meldung aufgegriffen und falsch verstanden, vielleicht hätte ich irgendeinen Reporterpreis bekommen. Aber: nee!

Anders gesagt: Weil ich nicht jeden Morgen vor der Arbeit in der gleichen Bäckerei ein Mettbrötchen und eine Rosinenschnecke kaufen will (die Verkäuferinnen kennen mich inzwischen, bald schon werden sie mich beim Namen nennen), war ich letzte Woche bei einem Mitbewerber und kaufte ein Mettbrötchen und — einen Amerikaner.

Ich mag dieses Gebäck mit dem merkwürdigen Namen (bitte unbedingt auch den Wikipedia-Eintrag dazu lesen!) und ich mag es seit meiner Kindheit. Nur: Damals waren die Amerikaner schwarz. Ich bin ein Fan von kakaohaltiger Fettglasur, Zuckerguss ist eher nicht so mein Ding. Aber die meisten Amerikaner, die man heute kaufen kann, sind weiß. Der, den ich kaufte, war immerhin halb-halb. Aber: Warum ist das so?

Zunächst einmal stellte ich fest, dass ich mit “damals” womöglich auf dem Holzweg war: Umfragen im Kollegenkreis ergaben, dass Amerikaner andernorts schon früher eher weiß oder halb-halb gewesen waren, gänzlich schwarze waren teilweise unbekannt. Handelte es sich dabei also um eine Dinslakener Spezialität, gar eine der inzwischen geschlossenen Bäckerei Hallen?

Amerikaner (Gebäck)

Bei den Begriffen “Amerikaner”, “schwarz” und “weiß” fällt es schwer, nicht an etwas anderes zu denken als an so ein banales Teilchen. Und deswegen war ich auch neugierig, was eine mögliche Evolution des Amerikaners anging: War ich hier größeren Political-Correctness-Zusammenhängen auf der Spur? Aber wie hätten die ausgesehen? Wäre die Bezeichnung “Amerikaner” für ein schwarzes Backwerk rassistisch gewesen oder für ein weißes? Schon bevor es losging, hatte ich mich hoffnungslos in der Semantik verheddert.

Egal: Ich wollte Fakten und schickte eine Presseanfrage an den Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks.

– Täuscht mich mein Eindruck und war die Dominanz der “schwarzen Amerikaner” in meiner Kindheit womöglich regional bedingt? (Ich bin am Niederrhein aufgewachsen.)
– Hat es tatsächlich eine Art Evolution bei der Glasur der Amerikaner gegeben? Falls ja: Welche Gründe gab es dafür?
– Gibt es irgendwelche Statistiken darüber, wie die prozentuale (womöglich gar: regionale) Verteilung der verschiedenen Glasuren aussieht?

Dort konnte man mir nicht weiterhelfen und verwies mich an den Deutschen Konditorenbund. (Ich denke mir diese Verbände und Bünde übrigens nicht aus. Ich bin mir sehr sicher, dass sie bereits seit dem Mittelalter existieren und auch noch da sein werden, wenn die letzten Zeitungen, TV-Sender und Multichannel Networks dicht gemacht haben werden.)

Die Antwort auf meine (zugegebenermaßen reichlich bekloppten) Fragen fiel durchaus rührend, aber auch etwas unbefriedigend aus:

Sehr geehrter Herr Heinser,
über Ihr Interesse an dem Backerzeugnis „Amerikaner“ freuen wir uns.
Die Glasur eines „Amerikaners“ hat viele / zahlreiche Spielarten. Allerdings gibt es bis heute keine statistische Angaben über die Häufigkeit der verschiedenen Erscheinungsformen. Ohne entsprechende Erhebungen fehlt es daher an der Tatsachenbasis, um Ihre Fragen zuverlässig beantworten zu können.

Ich bin jetzt so schlau wie vorher — tatsächlich bin ich sogar neugierig, wie die weiteren der zahlreichen Glasur-Spielarten wohl aussehen könnten.

Aber ich dachte mir: Wenn ich schon erfolglos im Dienste der Leserschaft recherchiert habe, kriegen wir das ja vielleicht umgekehrt hin.

Also: Welche Glasur hatten/haben die Amerikaner denn so bei Ihnen in der Region? Und: Wollen Sie die Zuckergusshälfte von meinem?

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Digital

Lucky & Fred: Episode 8

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Wir blicken zurück auf das Jahr 2014 und seine bizarrste Bewegung: Pegida. Nachdem wir uns von diesem Schock erholt haben, sprechen wir über Udo Jürgens, das Medienexil und das Wort des Jahres 2015.

(Wir haben die Sendung vor den traurigen Ereignissen in Paris aufgezeichnet.)

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Rundfunk Gesellschaft Kultur Fernsehen

Wette sich, wer kann

Die Nachricht, dass die Unterhaltungssendung “Wetten, dass..?” nach 33 Jahren ihren Geist aufgeben würde, war der Redaktion von “Spiegel Online” am Abend des 5. April sogar eine Breaking News wert. Autopsie und Trauerfeier waren da bereits in vollem Gange.

Das ZDF wurde für seine Pressemitteilungsformulierung der “geänderten Sehgewohnheiten” mit Häme überzogen — überwiegend von Menschen, die gerne amerikanische TV-Serien auf Computern und Tablets schauen und sich Sonntagsabends online verabreden, um gemeinschaftlich eine einzelne deutsche TV-Serie scheiße zu finden. Markus Lanz und die Redaktion wurden zu den Alleinschuldigen erklärt, was auch Quatsch war: Zwar hatten der joviale Baumarkteröffnungscharmeur und seine Truppe im Hintergrund, die es auch schon mal für eine gute Idee gehalten hatte, sich völlig ohne Grund eine ausschweifende Rassismusdebatte an den Hals zu holen, tatsächlich keinen guten Job gemacht, aber das Problem lag auch woanders. In einer Zeit, wo wirklich jeder durch Castingshow und YouTube zum “Star” werden kann, braucht der Normalbürger keine abseitigen Begabungen mehr, um für einen Abend im Rampenlicht zu stehen. Man kann es jetzt zu mittelfristiger TV-Prominenz bringen, ohne Wärmflaschen aufzupusten oder die Postleitzahlen aller deutschen Städte benennen zu können. ((Oder ohne irgendetwas zu können.)) Frank Elstner meldete sich auf Twitter zu Wort und vielerorts las man wieder von Elstner, kleinen Kindern in der Badewanne und im Bademantel. ((Was jetzt vielleicht ein bisschen unglücklich formuliert ist.))

Immer wieder kam das Bild auf, das Florian Illies 2000 beschrieben hatte: Wie er als Kind Samstagsabends, frisch gebadet und im Bademantel auf der Couch sitzen und “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gucken durfte. Illies beschrieb dies in seinem Bestseller “Generation Golf”, dessen Titel schon Teil des Problems ist, zu dem wir gleich noch kommen, und je mehr deckungsgleiche Wortmeldungen in den Sozialen Netzwerken aufschlugen, desto bohrender wurde die Frage: Hatten wir – das Personalpronomen ist hier besonders wichtig – wirklich so ähnliche Kindheitserlebnisse oder brach sich hier gerade die Erinnerungsverfälschung Raum, die sonst gerne auch schon mal gerne dafür sorgt, dass Menschen sich detailreich daran erinnern, wo sie bei der Mondlandung, der Ermordung John F. Kennedys, dem Mauerfall, dem Unfalltod von Diana Spencer und am 11. September 2001 waren — nur, dass das oft gar nicht stimmt.

Ich für meinen Teil bin zum Beispiel zu jung, um jemals bewusst “Wetten, dass..?” mit Frank Elstner gesehen zu haben. Ich erinnere mich an eine Ausgabe, in der jemand mithilfe handlicher Schrottballen sagen konnte, um was für ein Auto es sich zuvor gehandelt hatte. Es mag mein erster bewusster Kontakt mit der Sendung gewesen sein, der Moderator war wohl schon Thomas Gottschalk und wenn es da draußen jemanden gibt, der auf Anhieb sagen kann, ob das stimmt, wann die Sendung lief und aus welcher Mehrzweckhalle die Sendung damals kam, dann ist es jetzt zu spät, um aus dieser Inselbegabung noch Kapital zu schlagen.

Frank Elstner, das war für mich der Moderator von “Nase vorn”, dem vielleicht überambitioniertesten Unterhaltungsshowversuch, bis es ProSiebenSat1 mit der “Millionärswahl” versuchte, und der teilweise live von der Trabrennbahn in Dinslaken übertragen wurde, in deren buchstäblicher Wurfweite unsere damalige Wohnung lag. Mit großem Eifer glotzte ich damals jede Samstagabendshow weg, die das öffentlich-rechtliche Fernsehen Ende der 1980er, Anfang der 1990er auf die Gebührenzahler losließ, ((“Verstehen Sie Spaß?” mit Paola und Kurt Felix! Der “Flitterabend”! Die “Goldmillion”!)) zur Not zwang ich meine Großeltern (und nicht andersherum), mit mir den “Musikantenstadl” zu schauen — es war eben Samstagabend, ich war da und wollte unterhalten werden! Am Liebsten aber die “Rudi Carrell Show” ((Ich bin unsicher, wann genau ich begriff, dass die Kandidaten – “gerade noch im Reisebüro, jetzt auf unserer Showbühne!” – sich gar nicht so schnell umziehen konnten, sondern dort mit vorab aufgezeichneten Beiträgen gearbeitet wurde, fürchte aber, es ist noch gar nicht sooo lange her.)) und später “Geld oder Liebe” mit Jürgen von der Lippe, das ich im Nachhinein gerne zur besten Samstagabendshow aller Zeiten verkläre. Wenn es mir gelänge, heute etwas ähnlich harmlos-anarchisch-unterhaltsames zu konzipieren, wäre ich ein gemachter Mann.

“Wetten, dass..?”, jedenfalls, ist im Begriff, sehr bald Geschichte zu sein, und all jene, die damals tatsächlich oder gefühlt im Bademantel zugeschaut hatten, gaben sich dem hin, was seit “Generation Golf” Allgemeingut ist: der fraternisierenden, leicht anironisierten Nostalgie derer, die für echte Nostalgie nicht nur zu jung sind, sondern auch zu wenig erlebt hatten. Und weil die Vertreter dieser … nun ja: Generation heute an den entscheidenden Stellen bundesdeutscher Onlinedienste und Medienseiten sitzen, kann man diese Erinnerungen überall lesen, wo sie von Menschen mit den gleichen tatsächlichen oder gefühlten Erinnerungen kommentiert werden, auf dass sich auch die Nachgeborenen damit infizieren und sich später felsenfest daran erinnern, wie sie damals selbst auf der Couch …

“Kids today gettin’ old too fast / They can’t wait to grow up so they can kiss some ass / They get nostalgic about the last ten years / Before the last ten years have passed”, hat Ben Folds mal gesungen. Das ist inzwischen neun Jahre her und die Entwicklung der Sozialen Netzwerke hat seitdem nicht gerade zu einer Entspannung der Situation beigetragen. “Throwback Thursday” nennen sie es, wenn Menschen am Donnerstag besonders peinliche ((Zu irgendeiner Zeit hätte man gesagt: “affige”.)) Fotos von sich selbst in einem jüngeren Zustand auf Facebook oder Twitter posten, was besonders reizvoll ist, wenn die Menschen Anfang Zwanzig und die Fotos selbst noch nicht mal im Grundschulalter sind. Jan Böhmermann ((Je nach Bezugsgeneration der Harald Schmidt oder Stefan Raab seiner eigenen Generation.)) sorgte im Frühjahr mit einem “So waren die 90er”-Video für Furore im deutschsprachigen Internet, 90er-Parties erfreuen sich schon seit einiger Zeit wachsender Beliebtheit und ich saß auch schon stocknüchtern inmitten unterschiedlich alkoholisierter Menschen auf Parties, starrte auf einen Laptopbildschirm und nahm einen YouTube-Reigen von Mr. President, Take That, Echt und Tic Tac Toe mit einer stets wechselnden Mischung aus Faszination, Abscheu, Nostalgie, Fassungslosigkeit und Begeisterung zur Kenntnis. Es waren Menschen mit ansonsten vermutlich tadellosem Musikgeschmack, aber niemand kam auf die Idee, wenigstens mal zur Abwechslung Interpreten wie Nirvana, Oasis oder Pearl Jam in die Runde zu werfen. Das war auch nicht mehr mit dem leidigen Thema Überironisierung zu erklären.

Mein Vater verabscheut heute mit großer Hingabe vieles, was sich auf den angeblich repräsentativen Hit-Samplern seiner Jugend findet, ((Mungo Jerry! The Lovin’ Spoonful!)) trotz fehlenden Alters waltet bei mir eine erschütternde Milde: Ich könnte jederzeit ausführlich und fundiert begründen, warum Sunrise Avenue große Grütze sind, würde mich aber im Zweifelsfall vermutlich dazu hinreißen lassen, “What Is Love?” von Haddaway wortreich gegen jedwede Kritik zu verteidigen.

Die Musik, die heute dort angesagt ist, wo Indiebereich und Mainstream kleinen Grenzverkehr pflegen, klingt oft, als sei sie schon mindestens 40 Jahre alt. Vor zehn, fünfzehn Jahren wurden haufenweise Fernsehserien der 70er und 80er fürs Kino adaptiert, heute sind plötzlich Fernsehserien erfolgreich, die auf 20 Jahre alten Kinofilmen basieren. Und das ist erst der Anfang.

Der Herm fragte letzte Woche auf Twitter:

Kurz darauf ging dann ein neuer “Terminator”-Trailer online.

Über das Phänomen der “Retromanie” sind inzwischen Artikel und ganze Bücher geschrieben worden. Und, klar: Wenn Kulturepochen nicht mehr 50 oder 100 Jahre dauern, sondern nur ein paar Monate ((Oder gar 140 Zeichen.)), können sie auch schneller wiederkommen. Die Renaissance rekurrierte noch auf ein Zeitalter, das seit etwa 800 Jahren vorbei war.

Und so ist in einer Zeit, in der angeblich alles individueller wird ((Mode- und Einrichtungsblogs sprechen da eine etwas andere Sprache.)), die Erinnerung an “Dolomiti”, “Yps” und “Raider” (“heißt jetzt ‘Twix'”) das, was die Menschen heimelig zusammenbringt. Die Jeanette-Biedermeier-Epoche.

Um “Wetten dass..?” wird jetzt bis zuletzt ein Gewese gemacht, das die Show selbst seit mindestens zehn Jahren nicht mehr gerechtfertigt hat. Aber so ist das in Deutschland: Wir haben ja kulturell nicht so viel und wenn wir doch mal jemanden haben, werden diejenigen so sehr gefeiert, bis sie niemand mehr ernsthaft ertragen kann. Stichwort: Til Schweiger, Jan Josef Liefers, Helene Fischer, Unheilig. Alle vier sind am Samstag bei der letzten Sendung dabei.

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Musik

The music that saves you

Bei den meisten wirklich guten Freundschaften kann man sich ja noch daran erinnern, wie man sich kennengelernt hat. Einen meiner besten und langjährigsten Freunde lernte ich am ersten Schultag auf dem Gymnasium kennen, als wir uns gegenseitig aufs Maul hauen wollten.

Die Musik von Andrew McMahon lernte ich im Sommer 2003 kennen, als das Debütalbum seiner Band Something Corporate in Deutschland erschien. Wie es damals so üblich war, besorgte ich mir ein paar Songs (“Hurricane” und “If You See Jordan”, wenn ich mich richtig erinnere) in sogenannten Tauschbörsen, hörte sie einige Male, packte sie auf Mixtapes und kaufte mir ein paar Monate später dann endlich auch “Leaving Through The Window”. Der erste Song, den ich (eher zufällig) hörte, nachdem meine Eltern mich im Studentenwohnheim abgesetzt und alleine auf den Heimweg gemacht hatten, war “The Astronaut”. Sowas prägt.

Ich wusste damals nicht, wie die Bandmitglieder von Something Corporate hießen, und habe auch nicht allzu sehr auf die Texte geachtet. Als das Zweitwerk “North” (wiederum mit einiger Verspätung) in Deutschland erschien, besorgte ich mir wieder ein paar Songs, dachte aber nicht weiter an die Band. Irgendwann las ich bei visions.de, dass der Sänger an Leukämie erkrankt sei, dachte “Puh” und vergaß auch das wieder.

“North” kaufte ich mir schließlich bei Rasputin Records, als ich im Herbst 2006 für drei Monate in San Francisco lebte. Gemeinsam mit einigen anderen Alben bildete das Album den Soundtrack meines Aufenthalts. Aber richtig los ging die Geschichte erst drei Jahre später.

Im Sommer 2009 stolperte ich bei WDR 2 (of all places) über einen Song mit viel Klavier, der mir sehr gefiel. Wie sich rausstellte, war es “The Resolution” von Jack’s Mannequin von denen ich wusste, dass es die Zweitband des Something-Corporate-Sängers war. Andrew McMahon. Im Sommer und Herbst 2009 habe ich “The Glass Passenger” quasi ununterbrochen gehört. Mein Leben war damals sehr im Umbruch und die Musik begleitete mich dabei. Ich hörte auch wieder die alten Something-Corporate-Alben und achtete diesmal auch auf die Texte — und es klingt doof und nach Selbsthilfegruppe, aber da sprach jemand zu mir. Andrew McMahon sang über Mädchen, die jede Nacht mit einem anderen Typen nach hause gingen und die er retten wollte; über betrunkene Mädchen, die er (also: das Lyrische Ich, so viel Literaturstudium muss sein) geküsst hatte, obwohl er es nicht hätte tun sollen; und darüber, den Kopf über Wasser zu halten und weiter zu schwimmen, bis man den Horizont erreicht. Und ich dachte: “Krass. Ja. Kenn ich.”

Andrew McMahon war gegen die schon erwähnte Leukämie angeschwommen, er sang “I’m alive/ I don’t need a witness / To know that I survived”. Mit der Geschichte im Hinterkopf (Lyrisches Ich am Arsch!) singt man ein bisschen vorsichtiger mit, weil man sich das Ausmaß gar nicht vorstellen kann. Man bekommt aber eine Ahnung davon in dem Film “Dear Jack”, in dem Andy (ich kenne seine Musik jetzt so lange, ich nenn’ ihn einfach mal so) seine Krankengeschichte dokumentiert. Ich habe mir das nur einmal ansehen können, aber es war sehr bewegend und – entschuldigen Sie das Ekelwort – inspirierend.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich glaube, ich habe inzwischen alle Aufnahmen, an denen Andrew McMahon jemals beteiligt war. Er löste nach dem dritten Album auch Jack’s Mannequin auf und veröffentlichte dieser Tage ein neues Album, das wie sein neues Projekt heißt und damit fast wie er selbst: Andrew McMahon In The Wilderness.

Andrew McMahon (Pressefoto)

Nach den ersten Hörproben war ich skeptisch. “Cecilia And The Satellite” war eine durchaus schöne Hymne an die neugeborene Tochter, aber irgendwie klang das alles sehr poppig und damit meilenweit von zumindest Something Corporate weg. Aber das ist offensichtlich Absicht und konsequent zu Ende gedacht: “Driving Through A Dream” etwa könnte bis ins kleinste Detail der Produktion ein Song von Phil Collins sein. Als jemand, der mit Phil Collins aufgewachsen ist und seine Musik bis heute liebt, fühle ich mich dort sofort sehr zuhause.

Normalerweise ist man zwischen 15 und 20 Jahre alt, wenn man sich von Musik direkt angesprochen fühlt — ich habe kürzlich noch mal “Hinter all diesen Fenstern” von Tomte gehört und – hell, yeah! – ich weiß, wovon ich spreche. Dass ich mit 31 noch einmal ein Album auf Dauerschleife laufen lassen würde, hätte ich – gerade vor dem Hintergrund, dass ich im Moment eher wenig zum Musikhören komme – nicht gedacht. Und doch läuft “Andrew McMahon In The Wilderness” bei mir jetzt seit zweieinhalb Wochen rauf und runter. Ich kenne Andrew McMahon nicht persönlich und habe keine Ahnung, ob wir uns verstehen würden, wenn wir uns mal in einer Bar träfen, aber auf eine völlig bizarre Art, die ich sonst nur von ausgewählten deutschsprachigen Textern kenne, fühle ich mich ihm sehr verbunden — was auch damit zusammenhängen mag, dass er nur ein Jahr älter ist als ich und wir beide dieses Jahr zum ersten Mal Väter geworden sind (worauf er gleich in zwei Liedern – dem schon erwähnten “Cecilia And The Satellite” und dem etwas schwachen “See Her On The Weekend” – eingeht).

In fast jedem Song des Albums gibt es mindestens eine Zeile, die ich mir sofort tätowieren (oder zumindest rahmen) lassen würde:”Take all your troubles, put them to bed / Burn down the mission, the maps in your head” (“Canyon Moon”), “I’ve loved some girls that I barely knew / I’ve made some friends, and I’ve lost some too” (“Cecilia And The Satellite”), “You dance with your headphones on and I / Could watch you all night long / Dancing to someone else’s song” (“High Dive”), “There’s only two mistakes that I have made / It’s running from the people who could love me best / And trying to fix a world that I can’t change.” (“All Our Lives”), “Do you ever rewind to the summer you knew me?” (“Black And White Movies”), “No cash in the bank / No paid holidays / All we have is / Gas in the tank / And maps for the getaway” (“Maps For The Getaway”).

Das Gefühl von “Ich verstehe Dich” bzw. “Da ist jemand, der mich versteht” ist so stark, dass ich mich in weniger aufrichtigen Momenten fast selbst beruhigen möchte: Ist ja nur Musik. Nee, ist mehr.

Andrew McMahon In The Wilderness (Albumcover)In Zeitschriften und Blogartikeln werden wir bombardiert mit Generationsbeschreibungen, Labels und Ansprüchen, von denen wir uns gleichzeitig ganz schnell frei machen sollen. Unsere Frauen sollen Familie und Beruf nicht nur unter einen Hut kriegen, sondern das auch wollen — während sie dabei wie Hollywood-Stars und ganz natürlich ausschauen. Unsere Kinder sollen drei Fremdsprachen lernen, die verpassten Chancen von uns und unseren Eltern nachholen und sich dabei frei entfalten können. Und wir Männer sollen gleichzeitig einfühlsam, stark, sportlich und kreativ sein. Vor allem aber, immer wieder: “wir”, dieser lächerliche Fraternisierungsversuch von zehntausenden Ertrinkenden, die sich aneinander klammern. Mit Gefühlen, die irgendwelche Slam-Poetinnen in (geborgte) Worte fassen, woraufhin dann alle anderthalb Tage sehr emo sind, bis Jan Böhmermann eine Parodie darauf veröffentlicht und alle wieder total ironisch sein können.

Da höre ich lieber die Songs von Andrew McMahon.

Ich weiß nicht, wie Menschen dieses Album hören, die vorher gar nichts oder nur wenig von ihm kannten — als eher okayes Pop-Album, vermutlich. Wirklich überall sind Keyboardflächen, auf virtuoses Klavierspiel verzichtet Andy hier ebenso wie auf Gitarren. In einigen Texten verarbeitet er derart deutlich seine eigene Lebensgeschichte, dass ich den meisten Musikern raten würde: “Nimm Dich mal zurück, leg hier nicht alles offen, sei doch auch mal literarisch”. Bei manchen Leuten ertrage ich das nicht (mehr), bei Andrew McMahon aber fühle ich mich zuhause, auch wenn er über Dinge singt, die mit meinem Leben eher gar nichts zu tun haben.

In seinen Texten geht es – daran hat sich nicht viel geändert – um Weltraum, Wasser und Straßen, auf denen er unterwegs ist, also um Menschen in Isolation und in Bewegung. Das erste Jack’s-Mannequin-Album hieß ja nicht umsonst “Everything In Transit”. Bemerkenswert ist da eher, dass Marcus Wiebusch, der Sänger von kettcar, der dieses Jahr auch ein sehr, sehr tolles Soloalbum aufgenommen hat, in seinem Song “Springen” so eindeutig auf Jack’s Mannequins “Swim” Bezug nimmt, dass das eigentlich kein Zufall sein kann: “Halt den Kopf oben” singt er da (“Just keep your head above”) und benennt, wie Andy, einige Gründe, warum man weiterschwimmen sollte: “Schwimmen für die Songs, die noch geschrieben werden”. Zum Beispiel von Andrew McMahon.

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Politik Gesellschaft

Lucky & Fred: Episode 7

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Nach einem gewohnt launigen Auftakt wollen wir uns kritisch zum Zeitgeschehen äußern: Was haben Lebkuchen, Sharia und Waschstraßen miteinander zu tun und was ist das Yoko-Ono-Prinzip bei deutschen Kanzlergattinnen?
Wir sprechen über WDR-Redakteur Heribert Schwan, der 600 Stunden im Keller von Helmut Kohl gefangen war, die Wiedervereinigung des maroden Deutschlands und die Dreiteilung des Ruhrgebiets, gründen die Bewegung der Heimatvertriebenen der Alten Bundesrepublik und erklären, wofür es die FDP und die Piratenpartei braucht.
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