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Lost In The Supermarket

Es kommt nicht häufig vor, dass mir ein Zeitungsartikel aus dem Herzen spricht. Gerade war es aber soweit: Ralph Martin, ein Amerikaner in Deutschland, fragt sich in der FAZ, warum alle Deutschen so begeistert zu Aldi rennen und offenbar niemand in diesem Land mehr bereit ist, für Qualität auch sog. anständige Preise zu bezahlen.

Was das für die Gesamtgesellschaft bedeutet, wurde mir klar, als ich las, dass die reichsten Deutschen nicht die Hohenzollerns oder Thurn und Taxis sind, sondern die Brüder Albrecht, die sich mit 32 Milliarden Euro in der gleichen Kategorie bewegen wie Bill Gates oder die Erben von Sam Walton, der Wal-Mart gründete.

Mit seinem lesenswerten (und nur bedingt polemischen) Text haut Martin in die gleiche Kerbe, die ich schon bei Eric T. Hansen so spannend fand: Amerikaner kommen nach Deutschland, wundern sich und stellen den Deutschen dann ihr Land in der Außenansicht vor (das meine ich ganz ohne Ironie).
Als ich im vergangenen Dezember nach drei Monaten USA nach Deutschland zurückkehrte, wollte ich jedem Menschen im Supermarkt das zubrüllen, was Martin auch schreibt:

Nur scheint es in Deutschland niemand zu merken, wie beängstigend billig Lebensmittel hier im Vergleich zu anderen Industrieländern sind.

Ich kam aber nicht dazu, weil ich meine Einkäufe selber einpacken musste.

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Rundfunk Fernsehen

Keine Amnesie für Coffee And TV

Ich trat gerade ans Handwaschbecken, um meine Hände zu waschen, als ein Satz meine Synapsen durchzuckte:

Als Herr von Schelle trete ich viel energischer und zackiger auf

Weit schlimmer als der Satz ist sein Ursprung und vor allem die Tatsache, dass ich mich daran erinnere. Er entstammt nämlich einer Überschrift auf der Medienseite der NRZ, die ich etwa im Jahr 1992 auf dem Küchenfußboden meiner Eltern las. Gesagt hat ihn die inzwischen verstorbene, damals aber noch quicklebendige Annemarie Wendl, die in der beliebten ARD-Serie “Lindenstraße” die Hausmeisterin Else Kling spielte. In einer Folge dieser Serie musste sich Else Kling als Mann (eben jener Herr von Schelle) verkleiden, da sie – und hier wird meine Erinnerung bruchstückhafter – einen Aufenthalt auf einer Wellness Farm (die damals noch nicht “Wellness Farm” hieß) gewonnen hatte, es sich allerdings um eine Wellness Farm für Männer handelte und sie deshalb unter Pseudonym teilgenommen hatte und nun auch so dort anreisen musste.
Da man sich auf einer Wellness Farm eher selten voll bekleidet aufhält, will mir diese Erklärung heute, knapp 15 Jahre später, irgendwie völlig dämlich und weit hergeholt erscheinen, aber ich bin mir recht sicher, dass es sich so oder so ähnlich abgespielt hat. Der derart überschriebene Artikel drehte sich entsprechend um die Erfahrungen, die Frau Wendl bei den Dreharbeiten in disguise gemacht hatte.
Leider finde ich heute keinerlei aussagekräftige Quellen mehr zu dem Thema, aber ich bin bereit, einem Gedächtnis, das einen solchen Satz über Jahrzehnte verwahrt, auch die Begleitumstände zu glauben – seien sie auch noch so diffus und unsinnig.

Das Besorgniserregendste an dieser Geschichte aber ist: ich habe die “Lindenstraße” nie bewusst geguckt.

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Digital

Null-Blog-Generation (2)

Man kann ja ein durchaus gespaltenes Verhältnis zu Web 9 3/4 und der Blogosphäre haben. Irgendwie sind wir hier ja auch ein Teil davon, aber trotzdem kann ich nicht alles nachvollziehen und verstehen, was da vor sich geht. Muss und will ich aber auch gar nicht.

So verstehe ich zum Beispiel nicht so ganz, warum man sich als Vertreter eines digitalen Mediums mit all dessen Vor- und Nachteilen ausgerechnet im Real Life treffen muss, um in einem Raum zu sitzen und dann doch wieder hauptsächlich den Laptop auf dem Schoß zu haben. Aber wie man allerorten lesen kann, scheinen die Menschen auf der re:publica durchaus ihren Spaß gehabt und sich erfolgreich ausgetauscht zu haben. Und das wiederum finde ich gut, so wie ich Blogs an sich auch gut finde.

Die Macher von tagesschau.de findet Blogs auch gut, sonst hätten sie sich wohl kaum ein eigenes angelegt. Deshalb berichten sie auch groß über die re:publica und lassen den Text sogar von jemandem schreiben, der Ahnung von der Materie hat.

Nur: Wenn man im Internet einen Artikel über Blogs schreibt, der für nicht wenige Menschen ein Einstieg ins Thema Blogs sein könnte, und in dem Johnny Haeusler, Markus Beckedahl, Sascha Lobo und Udo Vetter namentlich und in ihrer Eigenschaft als Blogger erwähnt werden, warum in Dreiteufelsnamen ist dann auch hier KEIN EINZIGES Blog verlinkt? Nirgendwo..

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Musik Digital

Null-Blog-Generation

Wenn ich zu Spiegel Online gehe, erwarte ich natürlich nicht primär kompetente Betrachtungen zum Thema Musik. Dass die dortigen Plattenkritiken unter anderem von Jan Wigger geschrieben werden, sorgt aber immerhin für ein bisschen Indie Credibility und ein paar kurzweilige Rezensionen.

Nun hat man Ende letzen Jahres bei SpOn festgestellt, dass es ja seit ein paar Jahren das sog. Internet und somit auch diese hypermodernen, völlig flippigen “Blogs” gibt, von denen sich nicht wenige mit Musikern befassen, die noch nicht so bekannt sind. Auf der Suche nach hippem und preisgünstigem content muss man also nur noch ein paar einschlägige Blogs durchlesen oder sich auf der ein oder anderen Website herumtreiben und *schwups* hat man ein Bündel Neuentdeckungen unterm Arm, über die noch niemand sonst geschrieben hat man sich auslassen kann.

Und in der Tat: Was Heiko Behr (Redaktionsmitglied beim intro) bisher zusammengetragen hat, reicht von heimischen Geheimtipps (Ich Jetzt Täglich, Gisbert zu Knyphausen, Polarkreis 18) über Soon-To-Be-Superstars (Amy Winehouse und Mika), bis hin zu Künstlern, die zwar schon länger bis lange dabei sind, aber zumindest in Deutschland noch auf den großen Durchbruch warte(te)n (Joseph Arthur, The Shins). Drumherum finden sich noch jede Menge andere Künstler und Bands, die ein mehr oder weniger genaues Hinhören Wert sind.

Nur: Wenn man bei SpOn die Kategorie “Top of the Blogs” nennt und Zeilen wie

gleich mehrere Blogs beginnen ihre Lobeshymnen über das Quintett mit identischen Zeilen

einfließen lässt, wenn man in jedem zweiten Satz die Vorzüge der weltweiten Verknüpfung von Inhalten untereinander anpreist, warum in Dreiteufelsnamen ist dann KEIN EINZIGES Blog verlinkt? Nirgendwo.

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BILDung für alle – und zwar umsonst

Das Sommersemester hat begonnen. Das erkennt man an der Ruhr-Uni Bochum unter anderem daran, dass noch mehr junge Menschen als sonst schon verwirrt durch die Gegend rennen und Gebäude, Räume oder einfach nur ihre Mama suchen. Selbstverständlich ist die Rolltreppe an der U-Bahn-Haltestelle wieder einmal defekt (was allerdings kein Semesterbeginnspezifisches Problem ist: die Treppe fährt einfach grundsätzlich nicht, wenn viele Leute da sind) und diverse Firmen versuchen auf dem Campus, Neukunden zu ködern.

Immer vorne mit dabei: Zeitungsverlage, die einem Gratisausgaben ihrer Produkte in die Hand drücken und einen damit zum Abschluss eines sog. preisreduzierten Studentenabos bewegen wollen. An diesen Abos verdienen die Verlage (fast) gar nichts mehr, aber gegenüber ihren Werbekunden können sie mit höheren Abonnentenzahlen protzen. In der Vergangenheit waren es vor allem die Qualitätszeitungen FAZ und Süddeutsche, die sich vornehmlich an die Geisteswissenschaftler heranschmissen – welche das willig über sich ergehen ließen.

Als ich heute um kurz vor Zwei (also zu bester Studentenzeit) Richtung Uni schlurfte, standen dort Menschen in mitleiderregend warmen roten Regenjacken und drückten den vorbeiziehenden Scharen Papierbündel in die Hand: die “Bild”-Zeitung. Nun ist “Bild” eine Boulevardzeitung, die es ausschließlich in Kiosken, Bahnhofsbuchhandlungen, Automaten, Tankstellen und vereinzelten Bäckereien, jedoch (im Allgemeinen) nicht im Abo, gibt. Da klopft natürlich die Frage an, was es dem Axel-Springer-Verlag bringt, Tausende Ausgaben “Bild” kostenlos an Menschen zu verteilen, die nicht unbedingt als Kernzielgruppe der Zeitung bekannt sind.

Viele Studenten lehnten das Geschenk dann auch irgendwo zwischen höflich und schroff ab, einige wenige nahmen wortlos ein Exemplar an und zerrissen es sofort unter den Augen der Verteiler, aber viele griffen auch dankend zu und schleppten die Zeitungen bis in den Seminarraum, in dem bezeichnenderweise ein (dezent überfülltes) Seminar zum Thema “Massenkultur” stattfand. Nun kann man natürlich sagen: “Ach, das sind alles aufgeklärte Studenten, die werden schon wissen, was sie da für einen Mist lesen, die stehen da intellektuell drüber und sehen in der Lektüre dieses Proletarierblattes eine bewusste ironische Brechung, sozusagen eine Stippvisite aus dem Elfenbeinturm im Dixi-Klo.”

Aber selbst wenn zwei Drittel der neugewonnenen “Bild”-Leser einen BILDblog-Abonnentenausweis besäßen (der den Träger ja bekanntlich berechtigt, “auch in der Öffentlichkeit die ‘Bild’-Zeitung zu lesen, ohne sich dafür blöde anmachen lassen zu müssen”), ein unwohles Gefühl bleibt bei der Sache: Mal ganz davon ab, dass wir inzwischen 500 Euro Studiengebühren zahlen und somit eigentlich werbefreie Pay Education erwarten dürften, zählt die “Bild”-Zeitung definitiv zu den Produkten, die ich am allerwenigsten in meinem direkten Umfeld haben möchte. Da bin ich doch mal gespannt, wie sich AStA und andere links-alternative Studentengruppen darüber das Maul zerreißen werden …

Nachtrag, 15. April 2007: Katti hat sich so eine Zeitung aufschwatzen lassen und dokumentiert auch detailliert das Beiblatt, auf dem sich “Bild” selbst vorstellt (“Gestatten, Bild!”).
Außerdem gibt es bei indymedia.org eine – wie zu erwarten – “ausgewogene” Auseinandersetzung mit der Geschichte. Dort gibt es auch ein Wiedersehen mit Tsang’s Law (“Die Studierenden fordern …”).

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Musik Digital

The Sellf Fullfilling Prophecies

Darf man sich eigentlich selbst zitieren? Wenn es darum geht, selbst aufgestellte und in der Wirklichkeit belegte Thesen zu untermauern, wohl schon, oder?

Jedenfalls ist es vier Tage her, dass ich die fantastische Newcomerband Kilians abfeierte. Neben diversem Lob für die Band hatte ich in meinem Text auch einige Sätze der Kritik an die Adresse von Musikjournalisten und -konsumenten versteckt. Diese waren nicht extra gekennzeichnet, lauteten aber:

Wer den Kilians vorwirft, sie machten “Sound, Auftreten und Songwriting” der Strokes nach, der macht sich verdächtig, außer den Strokes nicht allzu viele andere Bands zu kennen.

und

Was man den sympathischen und kreativen jungen Männern jetzt nur noch wünschen kann ist […], dass die Leute lernen, den Bandnamen richtig zu schreiben: ohne “The” und mit einem L.

Nun gehe ich natürlich nicht davon aus, dass man bei den Opinion Leadern von Eins Live und Visions unser kleines Blog liest und sich dann auch noch an dem orientiert, was ich glaube, der Menschheit so mitzuteilen zu haben. Aber es hätte ja sicher auch andere Gründe (beispielsweise ästhetische oder grammatische) gegeben, einen Satz wie diesen zu verhindern:

Dank prominenten Befürwortern wie Thees Uhlmann und permanentem touren – unter anderem mit Kettcar und The Cooper Temple Clause – spricht es sich langsam rum, dass sich die Antwort des Niederrheins auf die Strokes The Kilians nennt.

Jetzt ist natürlich die Frage, welche PR-Grundregel man in diesem Fall zückt: “Jede Presse ist gute Presse” oder doch lieber “Call me m***erf***er but spell my name correctly”?

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Musik Digital

“Die Kunst ist dazu da, beim Zuhörer Jammern und Schaudern zu erwecken.”

Manchmal ist es schrecklich, Musikjournalist zu sein und Musiker zu interviewen: Sie sind aus irgendwelchen Gründen schlecht gelaunt, antworten nur sehr knapp oder gar nicht und am Ende hat man vielleicht drei, vier Sätze, mit denen man etwas anfangen kann.

Manchmal ist es schrecklich, Musiker zu sein und von Musikjournalisten interviewt zu werden: Sie haben sich kulturtheoretisch komplexe Frageblöcke ausgedacht, stellen völlig verquere Fragen oder schweigen plötzlich einfach.

Sven Regener von Element Of Crime, der sehr gute Sachen sagt, wenn man ihm die richtigen Fragen stellt, beweist in einem Interview mit der Netzeitung, dass er fast noch bessere Sachen sagt, wenn man ihm die falschen Fragen stellt:

Warum heißt es in einem Song, «Wo Deine Füße stehen, ist der Mittelpunkt der Welt»?

Ja, warum denn nicht. Weil es richtig ist und weil es zu demjenigen gehört, dessen Rolle er einnimmt.

Stephanie Weiß, die sich sicher irre viele Gedanken gemacht hat, was sie den von ihr hochverehrten Musiker so fragen könnte, fragt sich um Kopf und Kragen – bis sie schließlich gar nichts mehr sagt:

(Langes Schweigen)

Ja, ich meine, INTERVIEW, Frau Weiss! Haben Sie noch Fragen?

Das erstaunliche an diesem Interview ist zum Einen, dass es offenbar nicht “glattgebügelt” wurde, d.h. die Interviewerin ihre Fragen im fertigen Text nicht frecher oder intellektueller (bzw. in diesem Fall: weniger intellektuell) formuliert oder für sie unvorteilhafte Stellen und Antworten entfernt hat. Ein solches Dokument des eigenen Scheiterns öffentlich zu machen, erfordert Mut und verdient Respekt. Zum Anderen funktioniert das Interview aber trotz solcher Szenen und diverser Wiederholungen immer noch erstaunlich gut. Es gibt Künstler, die wären irgendwann einfach gegangen und hätten das Gespräch damit wohl automatisch einer medialen Verwertung entrissen. Sven Regener aber blieb und formulierte zum dritten, vierten, fünften Mal (als Antwort auf die dritte, vierte, fünfte Frage zum Thema) sein Anliegen, den Hörern keine Interpretation seiner Texte vorschreiben zu wollen:

Kunst kennt keine Beipackzettel. Wenn man ein Kunstwerk schafft, dann kann man den Leuten nicht sagen, so oder so habt ihr es zu verstehen.

Nach der Lektüre glaubt man zu wissen, warum Sven Regener so großartige Texte und auch so fantastische Bücher (“Herr Lehmann”, “Neue Vahr Süd”) schreibt: Er hat einfach ein Gespür für Sprache und denkt einen Moment länger als andere darüber nach, wie er etwas formuliert.

Netzeitung.de: Ein weiterer Erklärungsversuch: Sie schaffen es, mit einer schweren Leichtigkeit oder leichten Schwere aktuelle Befindlichkeiten zu treffen.

Regener: Das Wort Befindlichkeit finde ich gar nicht gut.

Netzeitung.de: Ist Zeitgeist besser?

Regener: Nein.

Netzeitung.de: Hm (Schweigen)

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Digital Musik

Das Jahr Paranoia

Es könnte eine Satire sein: Band verteilt als Teil einer Marketingaktion freigiebig ungeschützte Musik, Fans nehmen dankbar an der auf Verwirrung und Ausuferung angelegten Kampagne teil und stellen die Songs ins Netz, und die ewig tollwütige RIAA überzieht Webseitenbetreiber mit Drohungen und Unterlassungsklagen. Ehrensache, daß sich die pflichtschuldigen Anwälte der Musikindustrie vorher nicht darum gekümmert hatten, daß die fraglichen MP3s eben nicht “Raubkopien”, sondern Mittel zum gezielten Marketing und zur Zielgruppenbindung waren.

Aber von vorn: Trent Reznor, Kopf der amerikanischen Industrial-Rocker Nine Inch Nails, hatte für sein am kommenden Freitag erscheinendes Album “Year zero” eine Vision. In nicht allzu ferner Zukunft seien die USA dermaßen den Bush Bach runter, daß die christliche Rechte endgültig die Macht übernommen hat und das Ende der Welt heraufbeschwört. Eine Orwellsche Dystopie, die Reznor nicht nur in 16 gewohnt düsteren Tracks skizziert, sondern für die er auch noch einen unmittelbaren Nachfolger (sowie einen Film) in petto haben soll. Und mit einem parallel laufenden Alternate-Reality-Spiel die Verwirrung munter anheizt.

Spätestens das verzwickte Drumherum der TV-Serie “Lost” zeigte, wie virales Marketing soziale Netzwerke nutzt sowie alte und neue Medien virtuos miteinander verknüpft, ohne mit bunten Aufklebern, überladenen Flash-Animationen und klingeltondurchsetzten Trailern wuchern zu müssen. So spann Reznor (bzw. spannen seine Marketingfachleute) ein finsteres Netz: mit in Konzerthallen versteckten USB-Sticks, Einblendungen in Videoclips und Hinweisen auf T-Shirts. Mit versteckten Telefonnummern und geheimen Botschaften über Bioterrorismus und fiktionale Drogen. Mit einer Unzahl verschiedener PropagandaWebsites, die das Spiel weitertreiben. Allerlei Bruchstücke, Andeutungen und Fußangeln. In Bild und Ton versteckte Hinweise auf eine übersinnliche Präsenz und andere Seltsamkeiten. Und ein ominöses US-Büro für Moralität, an das man sich wenden möge, wenn man bei sich selbst oder bei anderen subversives Gedankengut feststelle. (Selbst betroffen? Sachdienliche Hinweise bitte an 1-866-445-6580.)

All das hätte die sinnfreie Aktion der RIAA mindestens torpedieren können. Wenn das Netz nicht viel schneller wäre, als eine lahme Behörde es je sein könnte. Und so ist der vermeintliche Schlag der Musikindustrie gegen das digitale Böse, der so seltsame Parallelen zu der entworfenen Zukunft von “Year zero” aufweist, auch nur noch ein zusätzliches Promotiontool für das Album und die Single “Survivalism”. Chapeau!

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Musik

Hype aus deutschen Landen: die Kilians klopfen an

Wenn man mich in einer fernen oder auch näheren Zukunft einmal bäte, Deutschland am Osterwochenende 2007 zusammenzufassen, so wären meine Worte wohl: “Alte Männer sagten dumme Dinge, mein Lieblingsverein stand mal wieder kurz vor dem Abstieg (ich hoffe aber immer noch, den Halbsatz “der aber mal wieder in letzter Sekunde abgewendet werden konnte” nachschieben zu können) und die wichtigste Person im ganzen Land war ein junger Eisbär. Aber ich war dennoch guter Dinge, denn ich hörte Musik, die mich sehr glücklich machte.”

Die Musik ist die “Fight The Start”-EP der Kilians, die man hier bereits jetzt (und damit zwei Wochen vor ihrer Veröffentlichung) hören kann.

Die Geschichte dazu geht so: Vor ziemlich genau anderthalb Jahren sagte mein kleiner Bruder zu mir: “Hör Dir das mal an, das sind Freunde von mir …” Ich hörte mir ein paar MP3s an und was ich hörte, machte mich schlicht und ergreifend sprachlos. Die sechs Songs klangen, als kämen sie direkt aus einem schimmligen Proberaum in London oder New York, jedenfalls überhaupt gar nicht nach einer Schülerband aus Dinslaken. Aber genau das war es.

Ein paar Wochen später hatte sich die Band endlich auf einen Namen geeinigt: The Kilians. Bei CT das radio bekamen sie mit “Jealous Lover” ihren ersten Airplay und wurden zur Abstimmung für die Campuscharts vorgeschlagen. 2006 begann mit Platz Vier in eben jenen Campuscharts und einem einseitigen Artikel im Dinslakener Lokalteil der “Rheinischen Post”. Eine Woche später ging der Song auf Platz 3 (hinter Franz Ferdinand und Tomte) und drei Wochen später hatte Thees Uhlmann das Demo gehört und für gut befunden. Für so gut, dass er seine Bandkollegen überzeugte, die fünf Jungs (einmal, ein einziges Mal darf man eine Band als “Jungs” bezeichnen – zumindest, wenn der jüngste gerade erst 18 ist), die er noch nie zuvor auf der Bühne gesehen oder auch nur getroffen hatte, für sieben Abende im Vorprogramm mitzunehmen.

Die Tour wurde ein Erfolgszug sondergleichen. Publikum und Hauptband schlossen die Frischlinge, die zuvor gerade eine Handvoll Konzerte im weiteren Bekanntenkreis gespielt hatten, sofort in ihre Herzen. Die am heimischen PC gebrannten EPs gingen noch vor der Hälfte des Wegs aus und mussten im Tourbus und noch in der Konzerthalle auf zusammengeliehenen Laptops nachgebrannt werden. Am Ende einer Woche waren über 700 Stück verkauft, was bei einer Media-Control-Erfassung locker für die deutschen Singlecharts gereicht hätte. Und Thees Uhlmann ließ kaum noch eine Gelegenheit aus, seinen neuen Freunde über den grünen Klee zu loben.

Mitte Juni, noch ehe Simon, Dominic, Arne, Gordian und Micka das einjährige Bandjubiläum feiern konnten, hatten sie Konzerte in den Epizentren Hamburg und Berlin gespielt, eine Erwähnung im Musikexpress erhalten und waren mit ihrer EP “Demo des Monats” in der Visions. Zwei Monate später waren sie in einem von Red Bull umgespritzten alten Schulbus kreuz und quer durch Deutschland unterwegs, stellten ihr Gefährt auf den Zeltplätzen der wichtigsten Musikfestivals ab und spielten auf dem Dach kleine, umfeierte Guerillakonzerte – sofern die Polizei ihnen nicht gerade den Strom abgestellt hatte.

Im Herbst ging es dann zu Swen Meyer, der zuvor schon die Grand-Hotel-van-Cleef-Klassiker von kettcar, Tomte und Marr aufgenommen hatte, ins Hamburger Studio. Die ersten Früchte dieser Arbeit sind jetzt auf der EP “Fight The Start” zu hören, die am 20. April über Vertigo Berlin, Grand Hotel van Cleef und Universal in den Handel kommen wird – und vorab auf der (obligatorischen) MySpace-Seite der Band, die sich inzwischen vom Artikel im Bandnamen getrennt hat, durchgehört werden kann.

Die Teenies rasten aus, als hätten die Arctic Monkeys und Tokio Hotel uneheliche Kinder gezeugt, die dann auch noch sofort der Pubertät entsprungen sind, und die Indienazis in den einschlägigen Foren meckern: “unglaublich öde”, “Untalentierte, und vor allem identitätslose, Görenkombo!”, “Für eine deutsche Band, die versucht englisch zu klingen, vielleicht ganz nett. Aber mehr auch nicht.”

Der Vorwurf, dass deutsche Künstler (also solche, die zufälligerweise auf dem Stück Land geboren wurde, auf dem in Erdkundeatlanten immer “Deutschland” steht), gefälligst auch danach zu klingen haben (wie auch immer man sich das vorzustellen hat), schaffte es bis in eine Arctic-Monkeys-Konzertkritik bei intro.de: “Ich hatte schon vorher Stoßgebete in den Himmel geschickt: ‘Bitte nicht schon wieder eine Dinslakener Band, die sich einbildet in Camden zu wohnen!'” Andererseits auch ein ziemlich cooler Satz, der zeigt, dass die Kilians in den Köpfen der Kritiker angekommen sind – und impliziert, dass Dinslaken noch mehr zu bieten hat.

Und in der Tat: für knapp 72.000 Einwohner hat Dinslaken eine geradezu blühende Musikszene. Mit Leo Can Dive (vgl. Miles, Chewy, Jimmy Eat World) und The Rumours (vgl. Arctic Monkeys, The Libertines, Black Rebel Motorcycle Club) stehen gleich die nächsten Indiebands zum großen Sprung bereit. Die Dorfjugend engagiert sich in Vereinen zur Szeneförderung und tut sich gegenüber den Kilians dann doch vor allem mit Neid und fast aggressiver Ablehnung hervor. Es geht ja auch nicht an, dass man Bands, die seit dem letzten Jahrtausend vor sich hinmucken, plötzlich rechts überholt – und das mit einer Professionalität und Coolness, die für die Punk- und Emokiddies in Ermangelung eines größeren Wortschatzes natürlich nur eines sein kann: “Arroganz”.

Genauso verhält es sich mit der Beschreibung der Musik: Wer den Kilians vorwirft, sie machten “Sound, Auftreten und Songwriting” der Strokes nach, der macht sich verdächtig, außer den Strokes nicht allzu viele andere Bands zu kennen. Natürlich klingen die Kilians auch nach The Strokes, aber eben auch nach mindestens zwei Dutzend anderen Bands der letzten vierzig Jahre. Das reggaeinspirierte “Inside Outside” könnte auch von The Libertines (oder wenigstens den Dirty Pretty Things) sein, “Take A Look” ist Blues, mit Mitteln des Ruhrgebiets nachempfunden, und wo “Fool To Fool” eigentlich herkommt, könnten wohl höchstens The Kooks oder – *Tadaa!* – The Beatles erklären. Und dann klingt es noch nach Franz Ferdinand, Oasis, Mando Diao und diversen weiteren Bands, aber eben immer auch eindeutig nach den Kilians, was nicht zuletzt der beeindruckenden Stimme von Simon den Hartog (“singt als hätte er schon alles erlebt”, Thees Uhlmann) liegen dürfte.

Ja, das ist eine Geschichte wie aus einem Märchen oder wenigstens aus dem Mutterland des Pop – und sie hat gerade erst angefangen. Wie die Kilians letztendlich einschlagen werden, wird sich ebenso zeigen wie was die Fachpresse davon hält. Aber schon jetzt steht fest: das ist keine alltägliche Geschichte aus einem Land, in dem sich die sozialdemokratische Partei einen “Popbeauftragten” leistete und in dem die großen Stadien seit mindestens 15 Jahren von den immergleichen Künstlern gefüllt werden.

Was man den sympathischen und kreativen jungen Männern jetzt nur noch wünschen kann ist (neben dem ganz großen Durchbruch, der eigentlich nur eine Frage der Zeit sein sollte), dass die Leute lernen, den Bandnamen richtig zu schreiben: ohne “The” und mit einem L.

Kilians - Fight The Start

Kilians-Website
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Digital Politik

Tsang’s Law & Order

Lange bevor es das Web 9 3/4 gab, tummelten sich die Menschen, deren Mitteilungsbedürfnis zwar vorhanden, aber noch nicht auf Leserbriefschreiber-Größe ausgewachsen war, im Usenet. Das konnte (und kann) alles, was Webforen und Blogs knapp zwanzig Jahre später auch konnten, kommt aber ohne jegliche Klickibunti-Elemente aus.

Was ich am Usenet neben den oben beschriebenen Vorteilen noch mag, sind die sogenannten Usenet-Laws, die anzeigen, wann eine Diskussion den Nullpunkt erreicht hat und sofort eingestellt gehört. Eines dieser Laws heißt Tsang’s Law und geht wie folgt:

Wer die schweigende Masse als Kriterium für Zustimmung oder Ablehnung einer Frage heranzieht, hat automatisch verloren.

Dieses Law kam mir heute Morgen in den Sinn, als ich meinen Newsreader Browser anwarf und bei sueddeutsche.de einen Blick auf die derzeit heftigste Diskussion (wir könnten langsam auch von einem Flamewar sprechen) im deutschsprachigen Real Life warf:

CSU-Generalsekretär Markus Söder sagte jetzt der Bild-Zeitung: “Die Äußerung ist ein Skandal. Solche Anwälte sind eine Schande für ihre Zunft.“ Stoiber kümmere sich mehr um die Opfer als um die Täter. Das sehe die Mehrheit der Deutschen sicherlich genauso.

Ähnlich äußerte sich der CDU-Innenexperte Clemens Binninger. Der Zeitung sagte Binninger: “Der Rechtsanwalt kann offensichtlich nicht verkraften, dass Stoiber der großen Mehrheit der Bevölkerung aus dem Herzen spricht.”

Im Usenet kann man übrigens einem unliebsame Schreiber ins sogenanntes Killfile packen und kriegt ihre Beiträge von da an nicht mehr zu Gesicht.

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Digital

Zockende Globalisierungsgegner

Politische Videospiele produzieren die Guerilla-Flash-Programmierer von Molleindustria aus Italien. Politische Videospiele gegen die Unterhaltungsdiktatur. Und dabei ist ihnen ein ganz besonders witziges Exemplar geglückt, das nicht nur als globalisierungskritisches Pamphlet, sondern auch als clevere Wirtschaftssimulation funktioniert. Das “McDonald’s Game” versetzt den Spieler in die Position eines Managers der Fast-Food-Kette, der vom Anbau von (genmanipuliertem) Getreide zur Fütterung der (mit Wachstumshormonen behandelten) Rinder bis hin zum Einstellen, Maßregeln und Feuern der Filialmitarbeiter die gesamte Burger-Wertschöpfungskette kontrolliert. Dabei gilt es sich mit Interessengruppen herumzuschlagen und Werbekampagnen zu lancieren und vor allem immer genug Buletten auf Lager zu haben.

 Während die anderen Veröffentlichungen der Italiener nur kurz ihren Standpunkt klarmachen und nach fünf Minuten ihren spielerischen Reiz verlieren (zum Beispiel der Orgasmus-Simulator oder Tamatipico, der flexible Arbeiter), macht das Mc-Donald’s-Game geradezu süchtig. Man entwickelt ungeahnten Ehrgeiz und greift daher auch mal zu den unethischeren Methoden, die das Gameplay bietet. Ein wenig Industrieabfall im Rinderfutter oder das Bestechen von Ernährungswissenschaftlern gehört da noch zu den harmloseren Verbrechen. Dazu kommt die witzige Flash-Grafik mit den auf die Bulette spuckenden Burgerbratern und der komplett durchgeknallten Marketing-Abteilung.  Das Spiel kann man direkt online spielen oder auch herunterladen (beides kostenlos) unter www.molleindustria.it. Natürlich kann man dort auch einen kurzen Blick auf die anderen Games werfen, die sich mit Orgasmus-Fakes und Homosexualität, meistens aber doch mit den Auswirkungen der Globalisierung auf die Arbeiterschaft auswirken. In der Community werden Strategien diskutiert und für die Einrichtung einer Speicherfunktion beim Burger-Game plädiert. Da kann man nur zustimmen. Denn die Italiener haben in meinen Augen mit ihrem kleinen Flash-Experiment die wahrscheinlich beste Wirtschaftssimulation seit Mad TV geschaffen: Überschaubare Komplexität, witziges Gameplay und das ganze mit Attitüde!

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Musik

Die Jugend von morgen

Morgen erscheinen zwei Alben, die – auch wenn sie auf den ersten Blick sehr verschieden sind – ein paar Gemeinsamkeiten aufweisen: beide stammen aus der Feder von jungen Männern und beide gefallen mir außerordentlich gut.

Get Cape. Wear Cape. Fly – The Chronicles Of A Bohemian Teenager
Lass uns Schubladen verbrennen mit Sam Duckworth. Der schnappt sich seine Akustikgitarre und singt Melodien, die einen zunächst einmal an so richtig emo-mäßige Songs denken lassen. Aber noch bevor man “Dashboard Confessional lässt grüßen” in seinen Unterarm ritzen kann, scheppern da verspielte Beats los und winken in Richtung The Postal Service und Electric President. Anders als die bisher genamedropten Künstler kommt Duckworth aus England und ist gerade 20 Jahre alt. Man müsste sich arg am Metaphernriemen reißen, um die Lieder nicht als Perlen zu bezeichnen und das Album zu hören klingt wie als Kind in die Sommerferien zu fahren. Und ehe meine Hilflosigkeit, das Unglaubliche in Worte zu fassen, noch weiter um sich greift, empfehle ich die Anschaffung des Werkes. Zur Not nach vorherigem Reinhören!

Mika – Life In Cartoon Motion
Die fantastische Single “Grace Kelly”, die einem auch beim hundertsten Hören noch nicht völlig auf die Ketten geht, hatte ich ja schon vor ein paar Wochen gelobt. Jetzt kommt das Album (natürlich mit abgerundeten Ecken) und da zeigt uns der 23jährige Mika, der in seinem Leben schon mehr erlebt hat als so mancher mit 75, wie Pop heute geht. Was sage ich dazu? Seit “Maybe You’ve Been Brainwashed Too” von den New Radicals, nach deren Gregg Alexander Mika immer wieder klingt, hab ich keine so charmant-bunte Pop-Platte mehr gehört. Wenn das Album nach zehn Songs vorbeige wäre, wäre es ein echtes Meisterwerk. Mit zwölf Nummern ist es nur eine großartige Scheibe für Freunde des etwas bubblegumigen Indiepops. Bitte ebenfalls kaufen und hören!