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Musik

Opa erzählt vom Rock

Ich hab mir neulich ein Stück meiner Jugend gekauft, für 1,59 Euro im Gebrauchtwarenbereich von Amazon:

Myballoon (Symbolbild).

Myballoon müssen irgendwann im Jahr 2000 oder 2001 meine Aufmerksamkeit erregt haben, als ihr Debütalbum “Perfect View” in der “Neuheiten”-Sektion der Dinslakener Stadtbibliothek stand — damals meine Hauptquelle für neue Musik, die über mein Taschengeldbudget hinausging. Sieben, acht Songs von “Perfect View” fanden ihren Weg in meine MP3-Sammlung (für ganze Alben war der Speicherplatz damals noch zu teuer), wobei ihr “Hit” “On My Way” nicht dabei war, wie ich gerade bei der Wikipedia-Lektüre amüsiert festgestellt habe. Aber dafür Songs wie “Never Let You Go”, “Come Around”, “Great Big Days” und vor allem “Happy”, die auf etlichen Mixtapes (für mich und andere) landeten und mich so durch Oberstufe und Zivildienst begleiteten. Im Sommer 2003, als die Finanznot der Kommunen noch nicht ganz so offensichtlich war, spielten Myballoon gar bei freiem Eintritt vor ca. 50 Besuchern auf dem Dinslakener Stadtfest.

Es war dieser Sound, wie es ihn damals tausendfach gab: Hymnische Popsongs mit ein bisschen Schmiss in der Instrumentierung, aber auch breiten Keyboardflächen und Chören im Hintergrund, mit etwas Melancholie und einem bisschen Pathos und mit eher egalen Texten. Es war die gute alte Zeit von Viva Zwei und “Visions”, von Bands wie Goo Goo Dolls, Third Eye Blind, Feeder, 3 Colours Red oder Vega4. In Deutschland gab es Bands wie Readymade und Miles und – die Wenigsten werden sich erinnern – Uncle Ho, Heyday, Hyperchild (Sänger: Axel Bosse), Re!nvented und – zu einem gewissen Grad – Reamonn.

Solche Musik wird heute nicht mehr gemacht. Das Hymnische ist an vielen Stellen dem Weinerlichen gewichen, die E-Gitarren wurden ausgestöpselt und die Keyboards und Synthesizer werden heute anderswo eingesetzt. Eine Zeitlang klangen alle neuen Bands wie Franz Ferdinand und/oder The Strokes, dann fingen junge deutsche Musiker allesamt an, in ihrer Muttersprache zu singen.

Welche deutschen Bands singen denn heute noch auf Englisch? Wenn wir die Scorpions und The Boss Hoss mal außen vor lassen, sind die Beatsteaks die größte unter ihnen, dann kommen die Donots, dann vielleicht irgendwann Slut — alle sind sie seit über 15 Jahren dabei, der Nachwuchs ist nie nachgewachsen. Die letzte englischsprachige Band aus Deutschland, an die ich mich erinnern kann, waren Oh, Napoleon. Keine Ahnung, was aus denen geworden ist, aber der Schlagzeuger hat gerade sein Solodebüt veröffentlicht — auf Deutsch, natürlich. Da wirkt die Frage, warum Deutschland beim Eurovision Song Contest eigentlich immer nur auf Englisch singe, plötzlich gar nicht mehr so bescheuert.

Aber zurück zu Myballoon: “Perfect View” ist nach heutigen Maßstäben natürlich kein dolles Album — das war es vermutlich nicht mal bei seinem Erscheinen vor 13 Jahren. Aber die Songs, die ich damals gehört habe und deren Klang sich unumkehrbar mit dem Eindruck von Sonnenuntergängen am Rhein und dem Geschmack von OhmeinGottzwingenSiemichnichtmichandenNamendieserGetränkezuerinnern verknüpft hat, die leuchten immer noch vor sich hin. Für 1,59 Euro jetzt auch in meinem Regal (zzgl. drei Euro Versandkosten).