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Städte, die das möchten

Damit war nicht zu rechnen gewesen, als wir Dirk Elbers zwischen Weißwein (er) und Sekt (ich) ansprachen. Doch der Düsseldorfer Oberbürgermeister antwortete auf meine Frage, ob seine Stadt Eurovision Song Contest, Marathon und eine riesige Industriemesse gleichzeitig locker wegstecken könne, mit einem Satz, der als Glaubensbekenntnis aller Stadtoberen in latent größenwahnsinnigen Kommunen (also quasi überall) gelten kann: “Das ist eine Stadt, die das möchte!”

Nun ist Düsseldorf, eine Stadt, die es sich nicht mal nehmen lässt, einen verdammten Skilanglauf-Weltcup in ihrer Innenstadt auszurichten, ein Extrembeispiel jener Städte, die so gerne eine Metropole wären, aber eben doch nur rein verwaltungsrechtlich eine Großstadt sind — aber beileibe kein Einzelfall.

Zwischen April und Oktober gibt es quasi kein einziges Wochenende, an dem nicht mindestens ein, zwei Buslinien in der Bochumer Innenstadt umgelegt werden müssen, weil die eine oder andere Hauptstraße (oder gleich mehrere davon) gesperrt ist. Da ist natürlich Bochum Total (“Europas größtes innerstädtisches Musikfestival”), aber auch der “Sparkassen-Giro” (ein Radrennen), der “Bochumer Musiksommer” (auch eine Art Musikfestival, aber mehr mit Weinbuden und angegrauten Lehrer-Ehepaaren als Zielgruppe), “Bochum kulinarisch” (keine Musik, noch mehr Weinbuden und Lehrer) und am vergangenen Wochenende erstmalig der “Rewirpower-Halbmarathon” (ein Halbmarathon). Hinzu kommen Veranstaltungen wie “Die Nordsee kommt – Das Weltnaturerbe Wattenmeer zu Gast in Bochum”, das “Kuhhirtenfest”, das Unifest, mehrere Flohmärkte, ein Fischmarkt, sowie diverse “Events” in und um die innerstädtischen Einkaufszentren. Wer keinen Schrebergarten hat, kann eigentlich jedes Wochenende irgendwo hingehen, bevor dann im November endlich der Weihnachtsmarkt eröffnet. Und das alles gibt es in jeder Nachbarstadt hier im Ruhrgebiet selbstverständlich noch einmal.

Verantwortlich sind natürlich viele unterschiedliche Veranstalter. Oft ist das Stadtmarketing dabei, aber nicht immer. Es gibt viele unterschiedliche Zielgruppen und für sich genommen mag jede Veranstaltung ihre Berechtigung und ihren Charme haben. In der Summe gleicht es einer Fünfjährigen, die sich Muttis Schmuck umgehangen hat (und zwar den ganzen) und deren Gesicht unter einer zentimeterdicken Schminkschicht verschwunden ist. ((Außerdem kann die kleine nicht richtig gehen, weil sie in übergroßen Pumps steckt.))

Was uns zum vorläufigen Tiefpunkt bringt, der erreicht war, als “City Point” und “Drehscheibe” (die zuvor erwähnten innerstädtischen Einkaufszentren) kürzlich die “Living Doll 2011” zu küren suchten. Da standen vor den einzelnen Geschäften Menschen, die Produkte aus den jeweiligen Läden trugen und sich nicht bewegen durften. Dazwischen standen andere Menschen, ((Oder waren es die gleichen? Ich hatte mich abwenden müssen.)) die Karaoke sangen. “Nur ein Wort” von Wir Sind Helden, zum Beispiel. Alles, aber auch wirklich alles muss schief gegangen sein, damit so etwas passiert.

Nun ist es natürlich nicht so, dass echte Metropolen völlig auf solcherlei Veranstaltungen verzichten würden. In New York ist an jedem Wochenende vermutlich mehr los, als in ganz NRW in einem halben Jahr. Aber die Stadt ist natürlich bedeutend größer, so dass nicht ständig die gleichen Straßen gesperrt werden müssen, und außerdem gibt es dort Touristen.

Andererseits hat der Veranstaltungswahn zumindest in Bochum den (politisch sicher so gewollten) Vorteil, dass man sich an den Wochenenden eher für das oft unansehnliche Ganze schämt, anstatt ständig für die eigene Stadtspitze. Immerhin hatte es unsere Oberbürgermeisterin für nötig gehalten, sich nach einer durchaus hitzigen öffentlichen Debatte darüber, ob Josef Ackermann im Bochumer Schauspielhaus reden soll (of all places), bei Herrn Dr. Ackermann persönlich “für die unwürdige Diskussion” zu entschuldigen. ((Nicht etwa für die Art der Diskussion, die natürlich als “weitgehend unsachliche Kritik, aber auch die überzogene Berichterstattung in Teilen der Lokalpresse” gegeißelt wurde, sondern gleich für die ganze verdammte Diskussion an sich! Wer schreibt dieser Frau ihre Briefe und Presseerklärungen?!))

Jetzt aber ab heute und bis Sonntag “Bochumer Musiksommer” und die nächste ganz große Peinlichkeit: Am Sonntag wird das Programm auf allen Bühnen von 14.46 Uhr bis 15.03 Uhr unterbrochen. Warum so krumm? Nun, in dieser Zeit läuten in der ganzen Stadt die Glocken zum Gedenken an die Opfer der Anschläge vom 11. September. ((Warum man dafür den Zeitraum zwischen dem Einschlag des ersten und des zweiten Flugzeugs ins World Trade Center gewählt hat, die Abstürze ins Pentagon und in Shanksville und den Einsturz der Türme aber außen vorlässt, weiß vermutlich vor allem der Wind.)) 17 Minuten Betroffenheit bei Bratwurst und Aperol Spritz, dann geht’s weiter mit Musik.